Frei Lesen: Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen

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Kapitelübersicht

Vorwort | Das geraubte Schäfgen | Der Beleidiger der Majestät | Die Einbildung und das Glück | Das Gelübde | Das Delphische Orakel und der Gottlose | Der Sultan und sein Vezier Azem | Wallraff und Traugott | Die Thiere | Die Fledermaus und die zwo Wiesel | Der Fuchs und der Bock | Der Wolf und das Pferd | Der Löwe und die Mücke | Der Löwe und der Esel | Der Wolf und der Hund | Mops und Hector | Jupiter und die Schnecke | Der Bauer und die Schlange | Der Hirsch und der Weinstock | Der kranke Hirsch und die Wölfe | Die Natter und der Aal | Der Esel, der Affe und der Maulwurf | Der Fuchs ohne Schwanz | Der Hirsch, der Hund und der Wolf | Der Hase und viele Freunde | Der Bär und der Liebhaber seines Gartens | Das Schäfgen und der Dornstrauch | Der Affe und der Delphin | Das Hühnchen und der Diamant | Die Henne und der Smaragd | Der Marder, der Fuchs und der Wolf | Der Adler, die Sau und die Katze | Die Kenner | Der Papagey | Die Bärenhaut | Die Räuber und der Esel | Der schöne Kopf | Die Maske und das Gesicht | Der arme Kranke und der Tod | Der Berg und der Poet | Der Eremit und das Glück | Ja und Nein | Stentor | Philippus, König in Macedonien, und Aster | Ben Haly | Ruffin | Der großmüthige Herr und seine Sclaven | Der Schwimmer | Processe | Mittel bey Hofe alt zu werden | Johannes, der Seifensieder | Aurelius und Beelzebub | Apollo und Minerva | Apollo, ein Hirte | Die Küsse | Phyllis | Daphnis | Der Blumenkranz | Der Stieglitz und der Sperling | Liebe und Gegenliebe | Reue über eine nicht begangene Bosheit | Doris | Laurette | Wein und Liebe | Axiochus und Alcibiades | Myron und Lais | Das Bekenntniß | Bruder Fritz | Philemon und Baucis | Paulus Purganti und Agnese | Die neue Eva | Der Ursprung des Grübgens im Kinne |

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Friedrich von Hagedorn

Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen

Der Sultan und sein Vezier Azem

eingestellt: 28.6.2007





Es ward ein Sulimann nur durch den Krieg ergetzt,
Der seinen Roßschweif oft mit frischem Blut benetzt;
Sein und der Feinde Land ward siegreich aufgerieben;
(O lernten Helden doch die leichte Wolfahrt lieben!)

    Dem tapfern Pyrrhus gleich stritt er ohn Unterlaß;
Doch sahe der Vezier, ein andrer Cyneas,
Der wahren Grösse Freund, mit heimlichem Erbarmen
Der Herrschsucht Opferherd, das schöne Reich verarmen,
Hier Felder unbesät, dort Städt in Flammen stehn
Und den kein Säbel fällt in Sclavenfesseln gehn.

    Dieß sah er seufzend an; nur durft er es nicht wagen,
Bey Kriegesrüstungen den Frieden vorzuschlagen.
Doch seines Sultans Huld half dieser Blödigkeit
Und gab auf einer Jagd hiezu Gelegenheit.

    Es hatte Sulimann die Beyen, Agas, Bassen,
Der ganzen Hofstat Zug, in schnellem Ritt verlassen.
Ihm folgte der Vezier, weil es sein Herr befahl,
Und beyde kamen bald in ein geweihtes Thal,
Wo noch zu Oßmanns1) Zeit ein alter Santon wohnte,
Abdallah, der Prophet,2) in dem die Weisheit thronte,
Der Omars grosser Sohn, ein Haupt der frommen Schaar,
Der Todes-Engel Freund,3) Azraels Liebling, war,
Der fast, wie Mahomet, die sieben Himmel kannte,
Und den ganz Asien vor vielen heilig nannte.

    Sie wuschen sich allhier Gesicht und Arm und Hand,
Nach Art des Muselmanns,4) mit dürrem reinen Sand,
Und ehrten andachtvoll, an der bestaubten Stäte,
Abdallahs hohen Ruhm mit eifrigem Gebete.

    Drauf hebt sich ein Gespräch von dessen Wundern an;
Da lächelt der Vezier und spracht zum Sulimann:
Ich habe, grosser Held, bereits vor vielen Jahren
Die schwerste Wissenschaft des Orients erfahren.
Und welche? Die vielleicht kein Imam5) eingesehn,
Kein Mufti lehren kan: Die Vögel zu verstehn.
Der Schwanen Sterbelied, was Staar und Aelster schwatzen,
Der Adler heisern Ruf, die Straussen und die Spatzen,
Des Pelikans Geschrey, selbst des Humai6) Stimm,
O Herr der Könige! versteht dein Ibrahim.
Ein Dervis7) hat mir das in Bagdad einst entdecket,
In dem Abdallahs Geist und Kraft zu Wundern stecket,
Der kennt den Alcoran; und der besitzt dabey
Die etwas schwarze Kunst der Caballisterey.
Die Probe fällt mir leicht, und die soll nimmer trügen.

    Der Sultan höret dieß mit innigem Vergnügen,
Und kehrt bey Nacht zurück; da ihn Dianens Schein
Zwo Eulen sehen lässt, die unaufhörlich schrein.
Auf! ruft er; Ibrahim, du wirst dich zeigen müssen,
Was giebts? Was wollen die? Ich muß es alles wissen.

    Der Großvezier gehorcht, und thut, als gäb er Acht
Zu forschen, was allhier die Vögel schwatzen macht;
Und endlich kömmt er schnell, als höchst bestürzt, zurücke.
O, spricht er: daß dein Reich der Mahomet beglücke!
Ich küß in tiefem Staub, Herr, deines Rockes Saum:
Nur gib, dein Azem fleht, gib einer Bitte Raum.
Verändre das Gebot; will ihm dein Wink befehlen,
So sey es, was er hört, dir ewig zu verhehlen,
Und – –
              Was du itzt gehört soll mir verborgen seyn?
Mir! einem Sulimann! Nein, bey dem Allah!8) nein.
Sag an!
            Der ganze Lerm betrifft nur Heirathsachen.
Zwey Väter sind bemüht, den Mahlschatz aufzumachen,
Womit des einen Sohn, zu beider Häuser Wol,
Des andern einzig Kind in kurzem freien soll.
Er muß, spricht dieser Greis, vor allen andern Dingen
Der Braut ein Heirathgut von funfzig Dörfern bringen,
Nebst einer wüsten Stadt, die, raubt der Tod den Mann,
Ihr Witwensitz verbleibt. Und wie? (hebt jener an)
Nur funfzig? O wie leicht ist dieses einzugehen!
Zweyhundert sollen dir, mein Freund, zu Diensten stehen.
Seit des Propheten Flucht war keine bessre Zeit:
Der Janitschar verhert die Länder weit und breit.
Es lebe Sulimann! er müsse lange leben!
So wird uns jedes Jahr schon Wüsteneien geben.

    Hier schweiget der Vezier: der Kayser merkt es sich;
Er weiß ihm heimlich Dank, und folgt ihm öffentlich,
Beschleußt, der Menschen Werth nie weiter zu vergessen
Und lernt der Länder Heil nicht nach den Siegen messen.

*

              Ein guter Rath ist immer gut;
              Doch lerne man die Wahrheit klüglich sagen.
              Der Lehren Kraft und Glück beruht
              Nur auf der Kunst, sie vorzutragen.

< Das Delphische Orakel und der Gottlose
Wallraff und Traugott >



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