Frei Lesen: Erinnerungen, Band 3

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Kapitelübersicht

Erstes Kapitel Ich erhalte ein Nachtlager im Hause des ... | Zweites Kapitel Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten. -- Der ... | Drittes Kapitel Graf Tiretta aus Treviso. -- Abbé Ceste, -- Die ... | Viertes Kapitel Abbé de la Ville. -- Abbé Galiani. -- Charakter der ... | Fünftes Kapitel Graf de la Tour d'Auvergne und Frau d'Urfé. -- ... | Sechstes Kapitel Frau von Urfé macht sich irrtümliche und ... | Siebentes Kapitel Mein Glück in Holland. -- Ich kehre mit dem jungen ... | Achtes Kapitel Schmeichelhafter Empfang von Seiten meiner Gönner. -- ... | Neuntes Kapitel Fortsetzung meiner Liebelei mit dem reizenden ... | Zehntes Kapitel Neue Zwischenfälle. -- J.J. Rousseau. -- Ich gründe ... | Elftes Kapitel Ich werde verhört. -- Ich gebe dem Gerichtsschreiber ... | Zwölftes Kapitel Porträt der angeblichen Gräfin Piccolomini. -- ... | Dreizehntes Kapitel Ich kläre Esther auf. -- Ich reise nach ... | Vierzehntes Kapitel Das Jahr 1760. -- Die Maitresse Gardella. ... | Fünfzehntes Kapitel Ich beschließe Mönch zu werden. --- Ich beichte. ... | Sechzehntes Kapitel Meine Abreise von Zürich. --- Komisches Erlebnis ... | Siebzehntes Kapitel Mein Landhaus. -- Frau Dubois, -- Die ... | Achtzehntes Kapitel Fortsetzung des vorigen Kapitels. --- Meine ... | Neunzehntes Kapitel Bern. -- Die Matte. -- Frau de la Saone. -- ... | Zwanzigstes Kapitel Albrecht von Haller. -- Mein Aufenthalt in ... | Einundzwanzigstes Kapitel Herr von Voltaire; meine Unterhaltungen ... |

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Erinnerungen, Band 4 |

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Giacomo Casanova

Erinnerungen, Band 3

Neunzehntes Kapitel Bern. -- Die Matte. -- Frau de la Saone. -- Sarah, -- Meine Abreise. --- Murten

eingestellt: 27.6.2007





Ich kam auf eine Anhöhe, von wo meine Blicke über eine weite Landschaft schweiften, durch die ein kleiner Fluß sich schlängelte; ich bemerkte einen Fußpfad und bekam Lust, diesem entlang zu gehen. Er führte zu einer Art von Treppe. Ich stieg etwa hundert Stufen hinunter und fand einige vierzig Kabinette, die mir eine Art von Badestübchen zu sein schienen. Sie waren es in der Tat; denn während ich die Örtlichkeit betrachtete, kam ein Mann von höflichem Wesen auf mich zu und fragte mich, ob ich ein Bad nehmen wolle. Als ich bejahte, öffnete er eine der Kammern, und zugleich eilten eine Menge junge Mädchen auf mich zu.



»Mein Herr«, sagte der Bademeister zu mir, »jedes dieser Mädchen strebt nach der Ehre, Sie im Bade zu bedienen; Sie brauchen nur zu wählen. Mit einem kleinen Taler bezahlen Sie Bad, Mädchen und Kaffee.«



Ich spielte den Großtürken, musterte mit den Augen diesen Schwarm, derber Schönheiten und warf mein Schnupftuch dem Mädchen zu, das mir am besten gefiel.



Sie ging mit mir in eine Zelle, schloß die Tür von innen und entkleidete mich mit der ernstesten Miene, ohne ein Wort zu sagen, ja ohne mir auch nur ins Gesicht zu sehen; hierauf zog sie mir eine baumwollene Mütze über die Haare. Sobald sie mich im Wasser sah, entkleidete sie sich ebenfalls mit der Gewandtheit einer Person, die daran gewöhnt ist, und legte sich ohne ein Wort zu sagen zu mir ins Bad, Hierauf begann sie mich überall zu reiben, ausgenommen an einer gewissen Stelle, die ich mit beiden Händen bedeckt hielt. Als ich fand, daß ich genug bearbeitet sei, forderte ich Kaffee von ihr, Sie stieg aus dem Bade, öffnete die Tür, bestellte, was ich wollte, und stieg ohne die geringste Verlegenheit wieder in das Bad.



Als der Kaffee gekommen war, verließ sie es abermals, um ihn in Empfang zu nehmen; hierauf verschloß sie wieder die Tür, stieg ins Wasser zurück und hielt mir das Kaffeebrett, während ich meine Tasse leerte; als ich damit fertig war, blieb sie neben mir liegen.



Obgleich ich den Formen des Mädchens keine besondere Aufmerksamkeit schenkte, hatte ich doch genug von ihr gesehen, um anzuerkennen, daß sie alles besaß, was ein Mann bei einer Frau zu finden wünschen kann: ein schönes Gesicht, lebhafte, wohlgeformte Augen, einen schönen Mund mit guten Zähnen, eine gesunde Gesichtsfarbe, einen schön gerundeten Busen, stark ausgebildete Hüften und alles übrige dementsprechend. Allerdings hatte ich das Gefühl, daß ihre Hände hätten weicher sein können, aber ich konnte ihre Rauheit der Arbeit zuschreiben. Außerdem war meine Schweizerin nur achtzehn Jahre alt; und trotzdem blieb ich völlig kalt. Woher kam dies? so fragte ich mich. Vielleicht davon, daß sie der Natur zu nahe stand, daß ihr nicht jene Anmut, jene Koketterie, jene kleinen Zierereien zu eigen waren, die die Frauen mit so vieler Kunst anzuwenden wissen, um uns zu verführen! Wir lieben also nur Künstelei und Falschheit! Vielleicht ist es auch, um unsere Sinne zu reizen, notwendig, daß wir die Schönheiten des Weibes nur hinter dem Schleier der Scham ahnen. Wir haben die Gewohnheit, uns zu bekleiden, und das Gesicht, das wir für alle Welt sichtbar lassen, hat für unsere volle Befriedigung am wenigsten Bedeutung; wie kommt es nun aber, daß das Gesicht die Hauptrolle spielt? Warum werden wir gerade durch das Gesicht verliebt? Warum beurteilen wir auf dieses einzige Anzeichen hin die Schönheit einer Frau, und warum verzeihen wir ihr, wenn die Teile, die sie uns verbirgt, mit ihrem hübschen Gesicht nicht im Einklang stehen? Wäre es nicht natürlicher und vor allen Dingen vernünftiger und vorteilhafter, das Gesicht zu bedecken und mit dem übrigen Körper nackt zu gehen? Wenn wir dann in eine Frau uns verliebten, brauchten wir, um unsere Leidenschaft völlig zu befriedigen, nur zu wünschen, daß sie Gesichtszüge hätte, die ihren übrigen verführerischen Reizen entsprächen. Ohne Zweifel wäre dieses vorzuziehen, denn wir würden dann nur durch eine vollkommene Schönheit verführt werden, und wir würden es leicht verzeihen, wenn wir bei der Demaskierung ein Gesicht häßlich fänden, das wir für schön hätten halten mögen. Eine häßliche Frau würde glücklich sein, durch die Schönheit ihrer Formen verführen zu können; nur eine solche häßliche würde niemals bereit sein, die Maske zu lüften, während die schönen sich nicht würden bitten lassen, ihr Gesicht zu zeigen. Die Häßlichen würden uns nicht lange seufzen lassen: sie würden gefällig sein, um sich nicht zeigen zu müssen, und wenn sie einwilligten, sich zu demaskieren, so würde dies nicht eher geschehen, als bis sie uns durch den Genuß überzeugt hätten, daß der Mann auch ohne ein schönes Gesicht glücklich sein kann, übrigens ist es augenscheinlich, ja sogar unbestreitbar, daß die Unbeständigkeit in der Liebe nur durch die Verschiedenheit der Gesichter verursacht wird. Wenn man sie nicht sähe, würde man immer treu sein, ja man würde sogar in die Frau, die man zuerst geliebt, immer verliebt bleiben. Ich weiß wohl, diese ganze Auseinandersetzung wird von vielen Toren als Torheit angesehen werden; aber ich werde dann nicht mehr auf der Welt sein, um ihnen antworten zu müssen.



Als ich das Bad verlassen hatte, holte sie Handtücher, trocknete mich ab und zog mir mein Hemd an; hierauf frisierte sie mich so wie sie war, das heißt nackt. Während ich mich ankleidete, zog sie sich ebenfalls an, was bald geschehen war, und schnallte mir dann die Schuhe zu. Ich gab ihr einen kleinen Taler für das Bad und sechs Franken für sie selber; sie behielt aber nur den kleinen Taler und gab mir die sechs Franken mit verächtlicher Miene zurück, ohne ein Wort zu sprechen. Dies betrübte mich; ich sah, daß ich sie beleidigt hatte und daß sie sich würdig fühlte, nicht verschmäht zu werden. Ich entfernte mich in ziemlich schlechter Laune.



Nach dem Abendessen konnte ich mich nicht enthalten, meiner lieben Dubois mein Nachmittagserlebnis zu erzählen, und sie machte natürlich ihre Bemerkungen über alle Einzelheiten.



»Das Mädchen kann doch nicht hübsch sein, lieber Freund,« sagte sie zu mir. »Denn wenn sie es wäre, hätten Sie sicherlich der Verlockung nicht widerstanden. Ich möchte sie gerne einmal sehen.«



»Wenn du neugierig auf sie bist, werde ich dich hinführen.«



»Dies würde mir das größte Vergnügen machen.«



»Aber dann müßtest du dich als Mann anziehen.«



Sie stand auf, ging ohne ein Wort zu sagen hinaus und kam in einer Viertelstunde in einem Anzuge von Leduc zurück, aber ohne die Hosen, denn gewisse vorspringende Teile waren bei ihr zu stark ausgebildet. Ich forderte sie auf, eine von meinen Hosen zu nehmen, und die Partie wurde auf den nächsten Morgen angesetzt. Um sechs Uhr weckte sie mich. Sie war sehr gut als Mann angezogen und trug einen blauen Überrock, der ihre Formen vollkommen verhüllte. Ich stand auf, und wir gingen nach der Matte; so heißt jener Ort. Von der Aussicht auf das vorstehende Vergnügen belebt, strahlte meine liebe Dubois vor Freude. Es war unmöglich, daß jemand, der sie sah, trotz ihrer Verkleidung nicht ihr Geschlecht erriet; ihre weiblichen Formen waren zu sehr ausgebildet; sie hüllte sich daher, so gut es ging, in ihren Überrock.



In der Matte kam uns der Bademeister entgegen und fragte mich, ob wir ein Badezimmer für vier Personen wünschten. Ich sagte ja, und im Nu waren wir von allen Bademägden umringt. Ich zeigte meiner Freundin das Mädchen, das mich nicht hatte verführen können, obgleich sie wirklich sehr schön war; sie wählte sie für sich; ich aber entschied mich für ein dickes, munteres Weib mit keckem Gesicht; hierauf gingen wir alle vier in das Badezimmer. Sobald ich ausgezogen war, ging ich mit meiner drallen Schweizerin ins Wasser. Meine Freundin zauderte; die Neuheit der Umgebung erstaunte sie, und ihre Miene verriet ein wenig Reue, so weit gegangen zu sein; aber sie nahm sich zusammen und lachte, als sie sah, wie kräftig mein weiblicher Grenadier mich rieb. Es kostete ihr einige Überwindung, ihr Hemd auszuziehen; da aber nur der erste Schritt schwer ist und eine Scham die andere besiegte, so ließ sie das Hemd sinken, und ich hatte, obgleich sie ihre beiden Hände vorhielt, die ganze Schönheit ihrer Formen vor mir. Ihre Magd schickte sich an, sie ebenso zu behandeln, wie sie am Tage vorher mich behandelt hatte; aber sie bat sie, sie in Ruhe zu lassen, und da ich die meinige ebenfalls aufhören ließ, so mußte sie sich schließlich doch von mir bedienen lassen.

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