Frei Lesen: Erinnerungen, Band 3

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Kapitelübersicht

Erstes Kapitel Ich erhalte ein Nachtlager im Hause des ... | Zweites Kapitel Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten. -- Der ... | Drittes Kapitel Graf Tiretta aus Treviso. -- Abbé Ceste, -- Die ... | Viertes Kapitel Abbé de la Ville. -- Abbé Galiani. -- Charakter der ... | Fünftes Kapitel Graf de la Tour d'Auvergne und Frau d'Urfé. -- ... | Sechstes Kapitel Frau von Urfé macht sich irrtümliche und ... | Siebentes Kapitel Mein Glück in Holland. -- Ich kehre mit dem jungen ... | Achtes Kapitel Schmeichelhafter Empfang von Seiten meiner Gönner. -- ... | Neuntes Kapitel Fortsetzung meiner Liebelei mit dem reizenden ... | Zehntes Kapitel Neue Zwischenfälle. -- J.J. Rousseau. -- Ich gründe ... | Elftes Kapitel Ich werde verhört. -- Ich gebe dem Gerichtsschreiber ... | Zwölftes Kapitel Porträt der angeblichen Gräfin Piccolomini. -- ... | Dreizehntes Kapitel Ich kläre Esther auf. -- Ich reise nach ... | Vierzehntes Kapitel Das Jahr 1760. -- Die Maitresse Gardella. ... | Fünfzehntes Kapitel Ich beschließe Mönch zu werden. --- Ich beichte. ... | Sechzehntes Kapitel Meine Abreise von Zürich. --- Komisches Erlebnis ... | Siebzehntes Kapitel Mein Landhaus. -- Frau Dubois, -- Die ... | Achtzehntes Kapitel Fortsetzung des vorigen Kapitels. --- Meine ... | Neunzehntes Kapitel Bern. -- Die Matte. -- Frau de la Saone. -- ... | Zwanzigstes Kapitel Albrecht von Haller. -- Mein Aufenthalt in ... | Einundzwanzigstes Kapitel Herr von Voltaire; meine Unterhaltungen ... |

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Giacomo Casanova

Erinnerungen, Band 3

Fünftes Kapitel Graf de la Tour d'Auvergne und Frau d'Urfé. -- Camilla. -- Meine Leidenschaft für die Geliebte des Grafen; lächerliches Abenteuer, das mich heilt -- Der Graf von St.-Germain

eingestellt: 27.6.2007





Trotz meiner Liebe zur jungen Baletti verkehrte ich auch mit den käuflichen Schönheiten, die auf dem Straßenpflaster glänzten und von sich sprechen machten; am meisten aber beschäftigten mich die ausgehaltenen Frauen und jene, die nur als Sängerinnen und Tänzerinnen oder weil sie jeden Abend auf der Bühne Königinnen oder Zofen spielten, dem Publikum angehörten.



Obwohl sie Anspruch auf guten Ton machten, beanspruchten sie auch große Freiheit und genossen ihre sogenannte Unabhängigkeit, indem sie sich bald Amor, bald Plutus ergaben, und häufig beiden zugleich. Da es nicht schwer ist, mit diesen Priesterinnen der Freude und der Verschwendung bekannt zu werden, so hatte ich mich bei mehreren eingenistet.



Die Foyers der Theater sind Basare, wo die Liebhaber ihre Talente üben, um Liebesränke anzuspinnen, und ich hatte in dieser edlen Schule recht leidliche Fortschritte gemacht.



Ich begann damit, daß ich der Freund ihrer anerkannten Liebhaber wurde, und dies gelang mir oft durch die Kunst, unbedeutend zu erscheinen. Allerdings mußte ich bei Gelegenheit als Günstling des Plutus erscheinen können; eine Börse in der Hand gleicht einem Fläschchen, dem für gewisse Nasen ein köstlicherer Duft entströmt als der Rose; und wenn es sich um einige goldene Knospen handelte, so war die Mühe stets geringer als das Vergnügen; denn ich war stets sicher, auf die eine oder andere Art meinen Lohn zu erhalten.



Die Schauspielerin und Tänzerin bei der italienischen Komödie Camilla, die ich schon vor sieben Jahren in Fontainebleau geliebt hatte, fesselte mich besonders durch die Annehmlichkeiten, die ihr hübsches kleines Häuschen an der Barrière Blanche mir bot. Sie lebte dort mit dem Grafen Aigreville, der mir sehr zugetan war und meine Gesellschaft liebte. Er war ein Bruder des Marquis de Gamache und der Gräfin du Rumain; ein hübscher Junge, sehr gutmütig und ziemlich reich.



Er war niemals so zufrieden, wie wenn er viele Besucher bei seiner Geliebten sah; ein eigentümlicher Geschmack, dem man selten begegnet, zugleich aber ein sehr bequemer Geschmack, der auf einen vertrauensvollen und wenig eifersüchtigen Charakter schließen läßt. Camilla liebte von Herzen nur ihn -- eine ziemlich seltene Sache bei einer Schauspielerin und galanten Frau; aber geistvoll und weltgewandt wie sie war, brachte sie auch von den anderen, die Geschmack an ihr fanden, niemanden zur Verzweiflung. Sie war mit ihren Gunstbezeigungen weder geizig, noch verschwenderisch, und sie verstand das Geheimnis, sich von allen anbeten zu lassen; sie brauchte nicht zu befürchten, durch Mangel an Verschwiegenheit betrübt oder durch Treulosigkeiten gekränkt zu werden.



Nächst ihrem Liebhaber zeichnete sie den Grafen de la Tour-dAuvergne am meisten aus. Dieser Herr von sehr vornehmer Geburt vergötterte sie, und da er nicht reich genug war, um sie allein zu besitzen, so schien er mit dem Anteil, den sie ihm bewilligte, einigermaßen zufrieden zu sein. Er stand in dem Rufe, als Zweiter aufrichtig geliebt zu werden. Camilla unterhielt ihm so ziemlich ein kleines Mädchen, das sie ihm geschenkt hatte, als sie zu bemerken glaubte, daß er in sie verliebt sei; die Kleine war nämlich früher in ihrem Dienst gestanden. La Tour-dAuvergne unterhielt sie in einem möblierten Zimmer in der Rue de Taranne in Paris, und er pflegte zu sagen, er liebe sie, wie man ein Bild liebe, weil er sie von seiner teuren Camilla habe. Der Graf brachte das junge Mädchen oft zu Camilla zum Essen mit. Sie war fünfzehn Jahre alt, einfach, arglos und ohne jeden Ehrgeiz. Sie sagte ihrem Liebhaber, sie würde ihm niemals eine Untreue verzeihen, außer mit Camilla; dieser glaubte sie ihn abtreten zu müssen, weil sie wußte, daß sie ihr ihr Glück verdankte.



Ich wurde so verliebt in dieses junge Mädchen, daß ich oftmals nur deshalb zu Camilla ging, weil ich hoffte, sie dort zu finden und mich an ihren naiven Reden zu erfreuen, durch die sie die ganze Gesellschaft entzückte. Ich suchte meine Liebe nach Möglichkeit zu verbergen, aber sie war so groß, daß ich oft ganz traurig nach Hause ging; denn ich sah, daß ich auf den gewöhnlichen Wegen unmöglich von meiner Leidenschaft genesen konnte. Wenn man etwas geahnt hätte, so würde ich mich lächerlich gemacht haben, und Camilla hätte mich erbarmungslos ausgelacht. Ein spaßhafter Vorfall heilte mich auf ganz unerwartete Weise.



Das Häuschen der liebenswürdigen Camilla lag an der Barrière Blanche. Als es eines Abends stark regnete, ließ ich einen Fiaker holen, um nach Hause zu fahren. Aber es war schon ein Uhr nachts, und an der Haltestelle war kein Wagen mehr zu finden. »Mein lieber Casanova,« sagte la Tour-dAuvergne zu mir, »ich werde Sie mitnehmen und bei Ihrer Wohnung absetzen; dies wird mir keine Unbequemlichkeiten machen, obgleich mein Wagen nur zwei Plätze hat; meine Kleine wird sich auf unsere Knie setzen.«



Natürlich nahm ich das Anerbieten an, und bald saßen wir im Wagen, der Graf zu meiner Linken und Babet auf unseren Knien.



In meiner Liebesglut gedachte ich die Gelegenheit auszunutzen, und ohne Zeit zu verlieren -- denn der Kutscher fuhr schnell -- ergriff ich ihre Hand und gab ihr einen sanften Druck. Ich fühlte einen leisen Gegendruck; o Glück! Ich zog sie an meine Lippen und bedeckte sie mit stummen zärtlichen Küssen. Ich war ungeduldig, sie von meiner Glut zu überzeugen, und ich glaubte, ihre Hand würde mir einen süßen Dienst nicht verweigern ... aber im entscheidenden Augenblick sagte La Tour-dAuvergne zu mir: »Ich bin Ihnen recht dankbar für eine in Ihrem Lande übliche Höflichkeit, deren ich nicht mehr würdig zu sein glaubte; hoffentlich ist es kein Mißverständnis.«



Betroffen von diesen schrecklichen Worten streckte ich die Hand aus und fühlte seinen Rockärmel. Die größte Geistesgegenwart konnte mir in einem solchen Augenblicke nichts nutzen, zumal da ein stürmisches Gelächter unmittelbar auf diese Worte folgte; so etwas genügt, um den Unerschrockensten still zu machen. Ich konnte weder lachen, noch die Tatsache leugnen, und diese Lage war entsetzlich; sie wäre noch entsetzlicher gewesen, wenn nicht glücklicherweise die Dunkelheit meine Verwirrung verdeckt hätte. Babet fragte unaufhörlich den Grafen, warum er so lache; aber so oft er zu sprechen beginnen wollte, packte ihn das Gelächter von neuem, was mir im Grunde meines Herzens sehr angenehm war. Endlich hielt der Wagen vor meiner Tür; mein Bedienter öffnete den Schlag, und ich stieg eiligst aus, indem ich ihnen gute Nacht wünschte, was La Tour-dAuvergne unter beständigem Lachen erwiderte. Ganz verdutzt ging ich auf mein Zimmer, und erst eine halbe Stunde später begann ich über den eigentümlichen Vorfall ebenfalls zu lachen. Unangenehm war mir nur die Aussicht auf die schlechten Witze, die man darüber machen würde; denn ich konnte natürlich vom Grafen keine Verschwiegenheit erwarten. Vernünftigerweise faßte ich den Entschluß, wenn auch nicht mit den Lachenden zu lachen, so doch wenigstens mich nicht über die Scherze zu ärgern, deren Zielscheibe ich werden mußte. Dies ist in Paris stets das beste Mittel, die Lacher auf seine Seite zu bringen.



Ich ließ drei Tage hingehen, ohne den liebenswürdigen Grafen zu sehen; am vierten aber beschloß ich, gegen neun Uhr ihn aufzusuchen und um ein Frühstück zu bitten; denn Camilla hatte zu mir geschickt und sich nach meinem Befinden erkundigen lassen. Diese Geschichte durfte mich nicht von ferneren Besuchen bei ihr abhalten. Auch hätte ich gerne gewußt, wie man den Spaß aufgenommen hatte.



Sobald la Tour-dAuvergne mich sah, lachte er laut auf; ich stimmte ein, und wir umarmten uns herzlich, wobei er scherzhafterweise so tat, als ob er ein Mädchen wäre.



»Mein lieber Graf, vergessen Sie diese Dummheit; es wäre kein Ruhm für Sie, mich anzugreifen; denn ich weiß nicht, wie ich mich verteidigen soll.«



»Wie kommen Sie, mein Lieber, auf den Gedanken, sich verteidigen zu wollen? Wir alle haben Sie lieb und finden das komische Abenteuer köstlich; wir lachen jeden Abend darüber.«

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