Frei Lesen: Erinnerungen, Band 3

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Kapitelübersicht

Erstes Kapitel Ich erhalte ein Nachtlager im Hause des ... | Zweites Kapitel Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten. -- Der ... | Drittes Kapitel Graf Tiretta aus Treviso. -- Abbé Ceste, -- Die ... | Viertes Kapitel Abbé de la Ville. -- Abbé Galiani. -- Charakter der ... | Fünftes Kapitel Graf de la Tour d'Auvergne und Frau d'Urfé. -- ... | Sechstes Kapitel Frau von Urfé macht sich irrtümliche und ... | Siebentes Kapitel Mein Glück in Holland. -- Ich kehre mit dem jungen ... | Achtes Kapitel Schmeichelhafter Empfang von Seiten meiner Gönner. -- ... | Neuntes Kapitel Fortsetzung meiner Liebelei mit dem reizenden ... | Zehntes Kapitel Neue Zwischenfälle. -- J.J. Rousseau. -- Ich gründe ... | Elftes Kapitel Ich werde verhört. -- Ich gebe dem Gerichtsschreiber ... | Zwölftes Kapitel Porträt der angeblichen Gräfin Piccolomini. -- ... | Dreizehntes Kapitel Ich kläre Esther auf. -- Ich reise nach ... | Vierzehntes Kapitel Das Jahr 1760. -- Die Maitresse Gardella. ... | Fünfzehntes Kapitel Ich beschließe Mönch zu werden. --- Ich beichte. ... | Sechzehntes Kapitel Meine Abreise von Zürich. --- Komisches Erlebnis ... | Siebzehntes Kapitel Mein Landhaus. -- Frau Dubois, -- Die ... | Achtzehntes Kapitel Fortsetzung des vorigen Kapitels. --- Meine ... | Neunzehntes Kapitel Bern. -- Die Matte. -- Frau de la Saone. -- ... | Zwanzigstes Kapitel Albrecht von Haller. -- Mein Aufenthalt in ... | Einundzwanzigstes Kapitel Herr von Voltaire; meine Unterhaltungen ... |

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Giacomo Casanova

Erinnerungen, Band 3

Siebentes Kapitel Mein Glück in Holland. -- Ich kehre mit dem jungen Pompeati nach Paris zurück

eingestellt: 27.6.2007





Unter den Briefen, die ich auf der Post fand, war auch einer vom Generalkontrolleur, der mir schrieb, Herr dAffry habe für zwanzig Millionen königliche Wertpapiere in Händen und werde sie mit einem Verlust von höchstens acht Prozent hergeben. In einem zweiten Brief riet mir mein freundlicher Beschützer, Abbé von Bernis, die Papiere so vorteilhaft wie möglich zu verwenden; ich könne mich darauf verlassen, daß der Gesandte auf seinen Bericht vom Minister Befehl erhalten werde, dem Abschluß zuzustimmen, wenn der Preis nur nicht hinter dem zurückbliebe, was man an der Pariser Börse würde erhalten können. Boas war erstaunt über den vorteilhaften Verkauf meiner sechzehn Gotenburger Aktien; er sagte mir, er wolle sich verpflichten, mir die zwanzig Millionen gegen Aktien der Schwedisch-Indischen Kompagnie zu diskontieren, wenn ich den Gesandten veranlassen wollte, ein Schreiben zu unterzeichnen, wodurch ich mich verpflichten müßte, die französischen Staatspapiere mit zehn Prozent Verlust herzugeben und dafür die schwedischen Aktien zum Kurse von 115 zu übernehmen, wie ich meine sechzehn verkauft hätte. Ich würde seinem Vorschlage zugestimmt haben, wenn er nicht verlangt hätte, daß ich ihm drei Monate Zeit ließe, und daß mein Vertrag auch dann in Kraft bleiben müßte, wenn während dieser Zeit der Friede geschlossen werden sollte. Ich bemerkte bald, daß meine Interessen mich nach Amsterdam zurückriefen, aber ich hatte Teresa versprochen, sie im Haag zu erwarten, und ich wollte ihr mein Wort nicht brechen. Zum Glück kam sie schon am nächsten Tage; sie schrieb mir sofort, sie erwarte mich zum Souper. Ich erhielt ihr Briefchen im Theater, und der Bediente, der es mir überbrachte, sagte mir, er würde auf mich warten, um mich zu ihr zu führen. Ich schickte meinen Lakaien nach Hause und begab mich zu ihr.



Der Führer ließ mich in einem armseligen Hause bis zum vierten Stock emporsteigen, und dort sah ich die seltsame Frau in einem Kämmerchen mit ihrer Tochter und mit ihrem Sohn. Ein Tisch, der mitten im Zimmer stand, war mit einem schwarzen Tuch bedeckt und zwei Kerzen zierten diese Art von Traueraltar. Da der Haag eine Residenzstadt ist, so war ich reich gekleidet, und mein glänzender Luxus bildete einen sehr traurigen Kontrast zu meiner ganzen Umgebung. Teresa in ihrem schwarzen Kleide, zwischen ihren beiden Kindern hinter diesem Tische sitzend, kam mir vor wie eine Medea. Man konnte nichts Schöneres und Interessanteres sehen, als diese beiden jungen Geschöpfe, die gewissermaßen der Schande und dem Elend geweiht waren. Ich schloß den Knaben in meine Arme und drückte ihn zärtlich gegen meinen Busen, indem ich ihn meinen Sohn nannte. Seine Mutter sagte ihm, von diesem Augenblick an müßte er in mir seinen Vater sehen. Der kluge Knabe erkannte mich wieder. Er erinnerte sich, mich in Venedig im Mai 1753 bei Frau Manzoni gesehen zu haben, und dies machte mir eine große Freude. Er war klein, schien aber von ausgezeichneter Körperbildung zu sein. Er war gut gewachsen und hatte ein kluges Gesicht. Er war dreizehn Jahre alt.



Seine Schwester saß unbeweglich da und schien darauf zu warten, daß auch sie an die Reihe käme. Ich setzte sie auf meinen Schoß und erblickte in dem Vergnügen, das es mir machte, sie zu küssen, einen Fingerzeig, daß sie meine Tochter sei. Sie nahm meine Liebkosungen schweigend hin, aber es war leicht zu sehen, daß sie sich darüber freute, meine Teilnahme mehr zu erregen als ihr Bruder. Sie hatte nur ein sehr leichtes Röckchen an. Ich fühlte ihre hübschen Formen und küßte alle Teile ihres reizenden Körpers, entzückt, daß ein so liebenswürdiges Geschöpf mir sein Dasein verdankte.



»Nicht wahr, liebe Mama, dieser schöne Herr ist derselbe, den wir in Amsterdam gesehen haben und den man für meinen Papa gehalten hat, weil ich ihm ähnlich sehe? Aber das ist nicht möglich, denn Papa ist ja tot.«



»Das ist wahr, meine reizende Freundin, aber ich kann doch dein allerbester Freund sein; willst du mich?«



»Oh, gewiß!«



Und mit diesen Worten umschlang das liebe Kind mich mit seinen hübschen Ärmchen und gab mir tausend Küsse, die ich ihr mit Wonne zurückgab.



Nachdem wir gelacht und gescherzt hatten, setzten wir uns zu Tisch, und die Heldin gab mir ein ausgezeichnetes Souper mit den allerbesten Weinen.



»Ich habe«, sagte sie zu mir, »selbst den Markgrafen bei den kleinen Soupers, die ich ihm unter vier Augen gab, niemals besser bewirtet.«



Um den Charakter ihres Sohnes keimen zu lernen, den ich mit nach Paris zu nehmen versprochen hatte, richtete ich oft das Wort an ihn und sah bald, daß er falsch, verschlossen und immer auf der Hut war; daß er seine Antworten sorgfältig überlegte, und daß sie infolgedessen niemals so klangen, wie sie gelautet haben würden, wenn er sich der Natur überlassen hätte. Alles, was er sagte, trug einen Anstrich von Höflichkeit und Zurückhaltung, der von ihm ohne Zweifel darauf berechnet war, mir zu gefallen. Ich sagte ihm, sein System könnte unter Umständen wohl gut sein, aber es gebe Augenblicke, wo der Mensch nur glücklich sein könne, wenn er sich von jedem Zwange frei mache, und nur in solchen Augenblicken könne man ihn liebenswürdig finden, wenn er es wirklich seiner Charakteranlage nach wäre.



Seine Mutter sagte mir, im Glauben, ihn damit zu loben: seine vorzüglichste Eigenschaft sei die Verschwiegenheit; sie habe ihn daran gewöhnt, in allen Dingen und zu jeder Zeit verschwiegen zu sein; sie würde es daher ohne Schmerz ertragen, wenn er gegen sie ebenso zurückhaltend wäre wie gegen alle Welt.



»Das ist abscheulich,« sagte ich ziemlich schroff zu ihr, »Sie haben vielleicht in Ihrem Sohn die kostbarsten Eigenschaften erstickt, mit denen möglicherweise die Natur ihn begabt hat. Er hätte ein Engel sein können, und Sie haben ihn auf den Weg gebracht, ein Ungeheuer zu werden. Ich kann nicht begreifen, wie ein Vater, und wäre er noch so zärtlich, Neigung für einen beständig zugeknöpften Sohn empfinden könnte.«



Dieser etwas heftige Ausfall, der aber nur einem Gefühl der Liebe entsprang, die ich gerne für das Kind hätte empfinden mögen, schien die Mutter ganz betroffen zu machen.



»Sage mir, liebes Kind, ob du dich imstande fühlst, zu mir das volle Vertrauen zu haben, das ein Vater von einem guten Sohne erwarten darf, und ob du versprechen zu können glaubst, mir gegenüber kein Geheimnis zu haben und keine Zurückhaltung zu üben?«



»Ich verspreche Ihnen, daß ich lieber sterben als Sie belügen werde.«



»Dies ist sein Charakter!« sagte die Mutter zu nur. »So groß ist der Abscheu vor der Lüge, den ich ihm einzuflößen verstanden habe.«



»Sehr schön; aber indem Sie Ihrem Sohn einen berechtigten Abscheu vor der Lüge einflößten, konnten Sie ihm eine bessere Richtung geben, die ihn viel sicherer zum Glück geführt haben würde.«



»Könnte man es denn besser machen?«



»Sehr einfach. Man muß nicht Abscheu vor der Lüge einflößen, sondern man muß die Wahrheit lieben lehren, indem man sie im vollen Glänze ihrer Schönheit strahlen läßt. Dies ist das einzige Mittel, sich liebenswürdig zu machen, und wenn man in dieser Welt glücklich sein will, so muß man geliebt sein.«



»Aber«, sagte der Kleine mit lachender Miene, die mir nicht gefiel, seine Mutter aber entzückte, »nicht lügen und die Wahrheit sagen ist das nicht dasselbe?«



»Nein, gewiß nicht! Da fehlt sehr viel daran, denn um nicht zu lügen, brauchtest du nur nichts zu sagen, und würdest du damit die Wahrheit sagen? Du mußt mir deine Seele öffnen, mein lieber Sohn, mußt mir sagen, was in dir und um dich vorgeht, und mußt mir selbst das offenbaren, worüber du zu erröten hättest. Ich werde dir helfen das Erröten zu lernen, und in kurzem wirst du nicht mehr in Gefahr sein, die Enthüllung aller deiner Handlungen und Gefühle befürchten zu müssen. Wenn wir uns besser kennen lernen, mein Sohn, werden wir sehr bald sehen, ob wir zueinander passen. Denn du mußt wissen, es wäre mir unmöglich, dich als meinen Sohn anzusehen, bevor wir uns zärtlich lieben, und ich könnte niemals zugeben, daß du mich als deinen Vater ansähest, wenn du nicht in mir deinen besten Freund erblicktest. Du begreifst, daß ich die Aufgabe habe, dies alles zu entdecken; denn sei überzeugt, ich werde alle deine Gedanken zu erraten wissen, so fein du es auch anstellen magst, sie mir zu verbergen. Sollte ich dich als falsch oder mißtrauisch erkennen, so würde ich dich nicht lieben; und sicherlich würde dies zu deinem Nachteil sein. Sobald ich meine Geschäfte in Amsterdam erledigt habe, werden wir nach Paris abreisen. Ich fahre morgen und hoffe dich bei meiner Rückkehr von deiner Mutter selber über eine Anschauung belehrt zu sehen, die meinen Gefühlen und deinem Glück besser entspricht als deine jetzige.«

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