Giacomo Casanova
Erinnerungen, Band 4
Zwölftes Kapitel Mein Wagen zerbricht. – Mariuccias Heirat. - Flucht des Lord Limore. – Meine Rückkehr nach Florenz und meine Abreise mit der Corticelli.
eingestellt: 1.8.2007
Ich schlief fest an Don Ciccio Alfanis Seite in einem ausgezeichneten vierspännigen Wagen, dem mein Spanier vorausritt, als plötzlich ein heftiger Stoß mich weckte. Man hatte mich um Mitternacht, mitten auf der Landstraße, vier Meilen von Sant Agata, jenseits Francolisa, umgeworfen.
Alfani lag unter mir und schrie aus vollem Halse, denn er glaubte den linken Arm gebrochen zu haben; glücklicherweise war dieser
aber nur verrenkt. Leduc war umgekehrt und sagte mir, die Postillone seien geflohen, und es sei wohl möglich, daß sie Straßenräuber herbeiriefen, wie es ja im Kirchenstaat und im Königreich Neapel so oft vorkommt.
Es gelang mir leicht, aus dem Wagen herauszukommen; der arme Alfani jedoch, ein dicker alter Herr, dazu verwundet und halbtot vor Angst, vermochte sich nicht ohne Hilfe zu befreien. Wir brauchten eine Viertelstunde, bis es uns gelang. Ich
mußte über den Unglücklichen lachen, als er mitten unter Geschrei und Flüchen heiße Gebete an seinen Schutzpatron, den heiligen Franz von Assisi, richtete.
Ich war an derartige Unfälle gewöhnt und hatte nicht den geringsten Schaden genommen; denn es kommt viel darauf an, wie man im Wagen sitzt. Don Ciccio hatte sich wahrscheinlich den Arm verrenkt, indem er ihn im Augenblick des Sturzes ausstreckte.
Ich holte meinen
Degen, meinen Karabiner und meine Sattelpistolen aus dem Wagen und legte diese Waffen nebst meinen Taschenpistolen so zurecht, daß ich den Räubern, falls welche kommen sollten, kräftigen Widerstand leisten konnte; hierauf befahl ich Leduc wieder zu Pferde zu steigen und in der Umgegend für Geld bewaffnete Bauern zu suchen, die uns aus der Verlegenheit helfen könnten.
Während Don Ciccio über das Unglück stöhnte, spannte ich die
vier Pferde aus. Ich war entschlossen, mein Geld und mein Leben teuer zu verkaufen. Mein Wagen stand neben einem Graben; ich band die Pferde mit Stricken an die Räder der rechten Seite, an die Deichsel und an das Hinterteil des Wagens fest, und stellte mich mit meinem Wagen so auf, daß die Pferde einen Wall bildeten.
Nachdem ich mich auf diese Weise auf alle Möglichkeiten vorbereitet hatte, war ich ganz ruhig; mein unglücklicher Reisegefährte
aber fuhr fort zu stöhnen, zu beten und zu fluchen; denn in Neapel wie in Rom schließt das eine das andere nicht aus. Da ich ihm keine Erleichterung verschaffen konnte, so beklagte ich ihn; zugleich aber lachte ich unwillkürlich zum großen Ärger meines armen Abbate, der einem auf den Strand geworfenen Delphin glich, denn er lag unbeweglich am Grabenrande. Man denke sich seinen Zustand, als die eine Stute, deren Hinterteil ihm zugewendet war, einem natürlichen
Drange folgend, die ganze Flüssigkeit, womit ihre Blase überfüllt war, über seinen armen Leichnam auslehrte! Hiergegen gab es keine Abhilfe, und die Sache war so komisch, daß ich wider meinen Willen laut lachen mußte.
Ein starker Nordwind machte indessen unsere Lage außerordentlich unangenehm. Beim geringsten Geräusch rief ich: Wer da? und drohte auf jeden, der sich nähern würde, Feuer zu geben. Ich hatte in dieser
tragikomischen Lage zwei lange Stunden verbracht, als endlich Leduc herangaloppierte und mir schon von weitem zurief, daß ein Trupp bewaffneter Bauern mit Laternen herannahe.
In weniger als einer Stunde waren der Wagen, die Pferde und Alfani wieder in gehörigen Stand versetzt. Zwei von den Bauern behielt ich als Postillone bei mir; die anderen gingen, sehr zufrieden mit der Störung ihres Schlafes, nach Hause. Bei Tagesanbruch kam ich in Sant Agata an; ich
machte einen Höllenlärm vor der Tür des Postmeisters, forderte einen Notar, um ein Protokoll aufzunehmen, und drohte die Postillone hängen zu lassen, die mich absichtlich mitten auf einer breiten und schönen Landstraße umgeworfen hätten.
Ein Stellmacher, der herbeigerufen wurde, besichtigte meinen Wagen, fand die Achse gebrochen und sagte mir, ich müßte mindestens einen Tag an dem Ort verweilen.
Don Ciccio,
der einen Wundarzt nötig hatte, suchte, ohne mir ein Wort zu sagen, den ihm bekannten Marchese Galiani auf. Dieser beeilte sich mich aufzusuchen und bat mich, bei ihm zu verweilen, bis ich meine Reise fortsetzen könnte. Ich nahm sein Anerbieten mit großem Vergnügen an, und diese Einladung trug viel dazu bei, meine üble Laune zu verscheuchen, die im Grunde weiter nichts war als ein gewisses Bedürfnis, wie ein großer Herr Spektakel zu machen.
Der Marchese befahl zunächst meinen Wagen in seinen Schuppen zu schaffen; dann nahm er mich unter den Arm und führte mich nach seinem Hause. Er war ein ebenso gelehrter wie höflicher Kavalier und durch und durch Neapolitaner, das heißt: ohne alle Umstände. Er hatte nicht den glänzenden Geist seines Bruders, den ich in Paris gekannt hatte, als er unter dem Grafen Cantillana-Montdragon Gesandtschaftssekretär war; aber er hatte ein gesundes Urteil, das er
durch ein eindringliches Studium der alten und neuen Klassiker weiter gebildet hatte. Besonders war er ein guter Mathematiker; er schrieb damals einen Kommentar zum Vitruv, den er später erscheinen ließ.
Der Marchese stellte mich seiner Frau vor, von der ich bereits wußte, daß sie die vertraute Freundin meiner Lucrezia war. Sie hatte etwas Engelhaftes an sich, und umgeben von drei oder vier kleinen Kindern bot sie den Anblick einer heiligen
Familie.
Don Ciccio wurde sofort zu Bett gebracht, dann ließ man einen Wundarzt rufen, der ihn untersuchte und mit der Versicherung tröstete, es sei eine einfache Verrenkung und er werde in wenigen Tagen wiederhergestellt sein.
Um die Mittagsstunde hielt ein Wagen vor der Tür, und Lucrezia stieg aus. Nachdem sie die Marchesa umarmt hatte, wandte sie sich auf die ungezwungenste Weise zu mir, streckte mir die Hand entgegen und rief:
»Durch welchen glücklichen Zufall sind Sie hier, mein lieber Don Giacomo?«
Hierauf sagte sie ihrer Freundin, ich sei ein Freund ihres verstorbenen Gatten und sie habe mich mit dem größten Vergnügen bei dem Herzog von Matalone wiedergesehen.
Als ich mich nach Tisch mit diesem reizenden, zur Liebe geschaffenen Weibe allein befand, fragte ich sie, ob es nicht möglich wäre, uns eine glückliche Nacht zu
verschaffen. Sie wies mir nach, daß dies unmöglich sei, und ich mußte mich darein ergeben. Noch einmal bot ich ihr an, sie zu heiraten.
Sie antwortete: »Kaufe dir ein Gut im Königreich Neapel, und ich will mein Leben bei dir verbringen, ohne daß wir den Beistand eines Priesters nötig haben; es wäre denn, daß wir Kinder bekämen.«
Ich konnte mir nicht verhehlen, daß Lucrezia sehr
vernünftig dachte; ich hätte mir leicht ein Landgut in Neapel kaufen und dort reich und glücklich leben können; aber der Gedanke, mich irgendwo unwiderruflich festzusetzen, war mir so widerwärtig, ein verständiger Lebenswandel war so gegen meine Natur, daß ich unvernünftigerweise mein törichtes Landstreichertum allen Vorteilen vorzog, die unsere Vereinigung mir verschafft hätte. Und auch Lucrezia hatte im Grunde nichts dagegen. Nach dem
Abendessen verabschiedete ich mich von allen, und mit Tagesanbruch reiste ich ab, um am nächsten Tage in Rom zu sein. Ich hatte auf einer sehr schönen Straße nur fünfzehn Poststationen zurückzulegen.
Als ich in Carigliano ankam, sah ich einen jener zweiräderigen Karren, die im ganzen Lande unter dem Namen Mantice bekannt sind; man bespannt sie mit zwei Pferden, ich brauchte jedoch vier. Als ich aufstieg, hörte ich meinen Namen rufen und
drehte mich um. Zu meiner nicht geringen Überraschung sah ich in dieser Mantice ein hübsches junges Mädchen und die Signora Diana, die Sängerin des Fürsten von Cassaro, die mir dreihundert Unzen schuldig war. Sie sagte mir, sie reise nach Rom und sehe mit großem Vergnügen, daß wir zusammenreisen würden. »Wir werden die Nacht in Piperno verbringen, nicht wahr, mein Herr?«
»Nein, meine Gnädige, ich habe die
Absicht, ohne Aufenthalt bis Rom zu fahren.«
»Aber wir kommen ebenfalls morgen dort an.«
»Das weiß ich; aber ich schlafe besser in meinem Wagen als in den schlechten Betten, die man in den Herbergen findet.«
»Ich wage nicht bei Nacht zu reisen.«
»Nun, Signora, so werden wir uns in Rom wiedersehen.«
»Das ist grausam. Wie Sie sehen, habe ich nur einen einfältigen Bedienten und mein Kammermädchen bei mir, die nicht mutiger ist als ich;
außerdem ist es so kalt, und ich habe einen offenen Wagen. Ich werde Ihnen in dem Ihrigen Gesellschaft leisten.«
»Es ist mir unmöglich, Sie aufzunehmen, denn den Rücksitz nimmt mein alter Sekretär ein, der sich vorgestern den Arm gebrochen hat.«
»Ist es Ihnen recht, wenn wir zusammen in Terracina zu Mittag essen? Wir können dort plaudern.«
»Gern.«
Wir hielten eine gute Mahlzeit in diesem Städtchen, das hart an der Grenze des Kirchenstaates liegt. Da wir erst tief in der Nacht in Piperno ankommen konnten, bat die Künstlerin mich von neuem auf das dringendste, mit ihr dort den Tag abzuwarten. Sie war jung und schön; trotzdem aber gefiel sie mir nicht; sie war sehr blond und zu fett. Ihr Kammermädchen dagegen, eine schöne schlanke Brünette mit runden Formen und lebhaften Augen, erregte in hohem Maße
meine Begehrlichkeit. Eine unbestimmte Hoffnung auf ihren Besitz milderte meinen Widerstand, und schließlich versprach ich der Signora, mit ihr zu Abend zu speisen und sie vor meiner Abreise dem Wirt zu empfehlen.
In Piperno fand ich Gelegenheit, der jungen Schwarzäugigen zu sagen: wenn sie mir erlauben wolle, in aller Stille zu ihr zu kommen, würde ich nicht weiter reisen. Sie versprach mir, mich zu erwarten, und ließ mich eine Anzahlung nehmen, die
gewöhnlich ein Unterpfand vollständiger Gefälligkeit zu sein pflegt, wenn man weiter nichts wünscht.
Wir speisten zu Abend; hierauf wünschte ich den Damen gute Nacht und begleitete sie in ihr Zimmer. Ich merkte mir das Bett der Schönen; ich konnte mich nicht täuschen. Ich verließ sie und kam eine Viertelstunde darauf wieder. Da ich die Tür offen fand, glaubte ich meiner Sache sicher zu sein; ich trat heran, aber statt meiner
appetitlichen Zofe fühlte ich die Signora. Offenbar hatte die junge Schelmin ihrer Herrin die Geschichte erzählt, und diese hatte es für gut befunden, deren Stelle einzunehmen. Eine Täuschung meinerseits war ausgeschlossen; denn wenn ich auch nichts sehen konnte, so genügten doch meine Hände, mich zu überzeugen.
Sofort schossen zwei verschiedene Gedanken mir durch den Sinn: entweder mich ins Bett zu legen und von der einen zur anderen zu
gehen, oder augenblicklich nach Rom abzureisen. Dieser zweite Gedanke behielt die Oberhand. Ich weckte Leduc, gab ihm meine Befehle und war unmittelbar darauf unterwegs; ich weidete mich an der Enttäuschung der beiden Spitzbübinnen, denen es jedenfalls sehr leid tun mußte, daß sie mich nicht hatten anführen können. In Rom sah ich die Signora Diana drei- oder viermal von ferne; wir grüßten uns, sprachen aber nicht miteinander. Hätte ich glauben
können, daß sie mir die vierhundert Louis bezahlen würde, die sie mir schuldete, so würde ich mir die Mühe genommen haben, ihr einen Besuch zu machen; aber ich wußte, daß Kulissenköniginnen die schlechtesten Schuldnerinnen in der Welt sind.
Meinen Bruder fand ich munter und guter Dinge, desgleichen auch den Ritter Mengs und den Abbate Winkelmann. Costa war hoch erfreut, mich wiederzusehen. Ich schickte ihn sofort zum Scopatore
maggiore Seiner Heiligkeit, um ihm Bescheid zu sagen, daß ich bei ihm die Polenta essen würde; er brauchte sich um weiter nichts zu bekümmern, als daß er ein gutes Abendessen für zwölf Personen besorgte. Ich war sicher, Mariuccia bei ihm zu finden, denn Momolo hatte, wie ich wußte, bemerkt, daß ich sie gerne sah.
Da am nächsten Tage der Karneval begann, so mietete ich für die ganzen acht Tage einen prachtvollen Landauer.
Die Landauer sind in Rom viersitzige Wagen, deren Verdeck nach Belieben heruntergelassen werden kann. Man fährt in ihnen, maskiert oder unmaskiert, während der acht Tage des Karnevals von einundzwanzig bis vierundzwanzig Uhr immerzu den Korso auf und ab.
Seit Jahrhunderten ist während dieser Narrenswoche der römische Korso das eigentümlichste, seltsamste und ergötzlichste Ding von der Welt. Die barberi sprengen in sausendem Galopp von
der Piazza del Popolo den Korso entlang bis zur Trajanssäule, zwischen zwei Reihen von Wagen, die gegen die viel zu engen, mit Masken und Neugierigen aller Stände überfüllten Bürgersteige gedrängt sind. Alle Fenster sind besetzt. Sobald die barberi vorüber sind, fahren die Wagen im Schritt; die Mitte der Straße wimmelt von Masken zu Fuß und zu Pferde. Man bewirft sich mit Konfetti aus Zucker oder aus Gips, mit Pamphleten und Paskinaden;
man schleudert sich tausend schlechte Witze zu. Die größte Freiheit herrscht in dieser Menge, die aus den feinsten und den niedrigsten Kreisen Roms zusammengesetzt ist. Sobald um vierundzwanzig Uhr der dritte Kanonenschuß von der Engelsburg den Tagesschluß angekündigt hat, würde man nach fünf Minuten auf dem Korso vergeblich einen einzigen Wagen oder eine Maske suchen. Die ganze Menge hat sich in die anliegenden Straßen ergossen und erfüllt nun
die Theater, die ernste und komische Oper, die Komödie, die Seiltänzer- und Puppentheaterbuden, nicht zu vergessen Speisewirtschaften und Schenken. Alles ist überfüllt; denn während dieser acht Tage tun die Römer nichts anderes als essen, trinken und ihr Leben auf alle Art genießen.
Ich trug zunächst mein Geld zu Herrn Belloni und nahm bei ihm einen Kreditbrief auf Turin, wo ich den Abbate Gama finden und den Auftrag des
Portugiesischen Hofes für den von ganz Europa bestimmt erwarteten Kongreß erhalten sollte. Hierauf besichtigte ich mein Stübchen hinter der Trinità deMonti, wo ich am nächsten Morgen die schöne Mariuccia zu sehen hoffte. Ich fand alles in guter Ordnung.
Am Abend empfingen Momolo und seine ganze Familie mich mit Freudengeschrei. Die älteste Tochter sagte mir lachend, sie sei überzeugt, mir ein Vergnügen zu machen, indem sie
Mariuccia holen lasse.
»Da täuschen Sie sich nicht,« antwortete ich ihr; »ich sehe die schöne Mariuccia mit Vergnügen.«
Einige Minuten darauf trat sie mit ihrer frommen Mutter ein; diese grüßte mich ehrerbietig und sagte mir, ich solle mich nicht wundern, wenn ich ihre Tochter besser gekleidet sehe; sie werde sich nämlich in drei oder vier Tagen verheiraten. Ich wünschte ihr Glück dazu, und
Momolos Töchter fragten sie sofort, mit wem? Errötend ergriff Maria das Wort und sagte bescheiden zu einer von ihnen: »Es ist einer, den ihr kennt, der Soundso; er hat mich hier gesehen und wird einen Friseurladen aufmachen.«
»Der würdige Vater Barnabas«, fuhr die Mutter fort, »hat diese Heirat zustande gebracht; er hat vierhundert Skudi in Verwahrung, die meine Tochter ihrem künftigen Gatten als Mitgift zubringt.«
»Er ist ein anständiger Junge,« sagte Momolo; »ich schätze ihn sehr hoch, und er würde eine von meinen Töchtern geheiratet haben, wenn ich ihr eine solche Mitgift hätte geben können.«
Bei diesen Worten senkte die Tochter, von der die Rede war, errötend die Augen.
»Trösten Sie sich, meine Liebe,« sagte ich zu ihr, »die Reihe wird auch an Sie
kommen.«
Sie nahm diese Worte für bare Münze, und ihr ganzes Gesicht strahlte vor Freude. Sie dachte, ich hätte erraten, daß sie in Costa verliebt war, und sie wurde in diesem Gedanken bestärkt, als ich meinem Bedienten sagte, er solle am nächsten Tage meinen Landauer nehmen und Momolos Töchter gut vermummt auf den Korso führen. Da niemand sie in einem Wagen erkennen dürfe, dessen ich mich selber bedienen wolle, so solle er
bei einem Juden schöne Kostüme leihen; ich würde diese bezahlen. Hierüber war die ganze Familie fröhlich.
»Und Signora Maria?« fragte die Eifersüchtige mich.
»Signora Maria«, antwortete ich ihr, »wird sich verheiraten; sie darf an keinem Fest ohne ihren Mann teilnehmen.«
Die Mutter gab mir Beifall, und die schlaue Maria stellte sich, als ob sie gekränkt wäre. Ich wandte mich nun an den Vater Momolo und bat ihn, er möchte mir das Vergnügen machen und Marias Bräutigam znm
Abendessen einladen. Hierüber war die Mutter sehr erfreut.
Da ich sehr müde war und bei Momolos nichts mehr zu tun hatte – denn Manuccia hatte mich ja gesehen –, so bat ich die Gesellschaft, mich zu entschuldigen, wünschte ihr guten Appetit und ging.
Am nächsten Morgen war ich schon in aller Frühe auf den Beinen. Ich begab mich gegen sieben Uhr nach der Kirche, brauchte jedoch nicht einzutreten; denn Mariuccia hatte
mich von weitem bemerkt, folgte mir, und bald waren wir beisammen in unserem Stübchen, das Liebe und Wollust zu einem prachtvollen Palast machten. Gern hätten wir uns süßem Geplauder überlassen; da wir jedoch nur eine einzige Stunde der Liebeslust widmen konnten, so gingen wir sofort ans Werk, ohne auch nur unsere Kleider abzulegen. Nach dem letzten Kuß, der den dritten Angriff besiegelte, sagte sie mir, sie werde sich am Rosenmontag verheiraten. Ihr Beichtvater
habe alle Anordnungen getroffen. Sie dankte mir dafür, daß ich Momolo gebeten hätte, ihren Bräutigam einzuladen.
»Wann werden wir uns wiedersehen, mein Engel?«
»Am Sonntag, den Tag vor meiner Hochzeit; wir werden vier Stunden beieinander sein.«
»Köstlich! Ich verspreche dir, du sollst ohne Verlegenheit die Liebkosungen deines Gatten empfangen können.«
Lächelnd entfernte sie sich, und ich warf mich auf das Bett, um mich eine gute Stunde auszuruhen.
Auf dem Heimwege begegnete ich einem schnellfahrenden vierspännigen Wagen, dem ein Läufer vorauseilte, ein junger Herr saß darin. Ein blaues Ordensband zog meine Blicke auf sich; ich sah ihn an, er rief meinen Namen und ließ halten. Zu meiner großen Überraschung erkannte ich Lord Talon, den ich in Paris bei seiner Mutter, der
Gräfin Limore, kennen gelernt hatte. Sie lebte von ihrem Gatten getrennt und wurde vom Erzbischof von Cambray, Herrn von St.-Albin, unterhalten. Er war ein sehr wenig würdiger Nachfolger des tugendhaften Fénélon, aber er hatte den Vorzug, ein Bankert des Herzogs von Orléans, Regenten von Frankreich, zu sein. Lord Talon war ein hübscher Junge, voll Geist und Talent; aber er hatte alle zügellosen Leidenschaften und alle Laster. Ich wußte,
daß er wohl den Titel, aber nicht das Vermögen eines Lords hatte, und war daher überrascht, ihn in einer so glänzenden Equipage zu sehen; noch mehr wunderte ich mich über sein blaues Band. Er sagte mir in aller Eile, er fahre zum Diner beim Prätendenten, werde aber zu Hause zu Abend speisen. Ich nahm seine Einladung an.
Nach Tisch machte ich einen Spaziergang und ging dann zu meiner Ergötzung in die Komödie Giordinana, wo Momolos
Töchter sich mit Costa brüsteten; dann begab ich mich zum Lord Talon, wo ich zu meiner angenehmen Überraschung den Dichter Poinsinet traf. Er war ein kleiner, junger Mann, häßlich, aber voll Feuer und guter Laune und von großer Begabung für die Bühne. Fünf oder sechs Jahre später fiel der Unglückliche in den Guadalquivir und ertrank. Er war nach Madrid in der Hoffnung gegangen, dort sein Glück zu machen.
Ich hatte
ihn in Paris gekannt und redete ihn daher als alten Bekannten an: »Ei, was machen Sie denn in Rom, lieber Freund? Wo ist Lord Talon?«
»Er ist im Nebenzimmer; aber er ist nicht mehr Lord Talon, denn sein Vater ist gestorben, und er ist jetzt Graf Limore. Wie Sie wissen, war er Anhänger des Prätendenten. Ich bin mit ihm von Paris gekommen, denn es war mir sehr angenehm, ohne Kosten nach Rom reisen zu können.«
»Der Graf ist also reich geworden?«
»Noch nicht, aber er wird es sein; denn er ist der Erbe seines Vaters, der unermeßliche Reichtümer hinterlassen hat. Allerdings ist alles mit Beschlag belegt; aber das tut nichts, denn seine Ansprüche sind unbestreitbar.«
»Er ist also reich an Ansprüchen und Aussichten. Aber wie ist er denn Ritter des Ordens von Frankreich geworden?«
»Sie scherzen. Es ist das blaue Band des Michaelsordens, dessen Großmeister der verstorbene Kurfürst von Köln war. Milord,der, wie Sie wissen, ausgezeichnet Geige spielt, hat bei seinem Aufenthalt in Bonn dem Kurfürsten ein Konzert von Tartini vorgespielt. Der Fürst wußte nicht, wie er ihm seine Anerkennung für den erhaltenen Genuß ausdrücken sollte, und schenkte ihm das Ordensband, das Sie sahen.«
»Ohne
Zweifel ein schönes Geschenk.«
»Sie glauben nicht, welches Vergnügen Milord daran hat! Wenn wir nach Paris zurückkommen, werden alle, die es sehen, glauben, er trage den Orden vom heiligen Geist.«
Wir betraten den Saal, worin sich der Lord mit der Gesellschaft befand, die er zum Abendessen eingeladen hatte. Sobald er mich sah, ging er mir entgegen, umarmte mich, nannte mich seinen lieben Freund und stellte mir alle
Gäste vor. Es waren sieben oder acht schöne Mädchen, drei oder vier Kastraten, die auf den römischen Theatern Frauenrollen spielten, und fünf oder sechs Abbaten, die die Männer aller Frauen und die Frauen aller Männer waren, sich damit brüsteten und an Unzüchtigkeit mit den Mädchen wetteiferten. Diese Mädchen waren allerdings keine öffentlichen Dirnen, sondern vollendete Dilettantinnen in unzüchtiger Musik, Malerei und Philosophie.
Der Leser wird sich von der Art der Gesellschaft einen Begriff machen können, wenn ich ihm sage, daß ich mich in ihr als Neuling fühlte.
»Wohin, Fürst?« fragte der Lord einen Herrn von anständigem Aussehen, der nach der Tür ging.
»Ich befinde mich nicht wohl, Milord, und muß mich entfernen.«
»Was ist das für ein Fürst?« fragte ich ihn.
»Es ist der Subdiakonus Fürst Chimay, der, um seine mit dem Erlöschen bedrohte Familie zu erhalten, sich um eine Heiratserlaubnis bemüht.«
Ich bewunderte seine Vorsicht oder sein Zartgefühl, hatte aber nicht die Kraft, es ihm nachzutun.
Wir waren vierundzwanzig bei Tisch, und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß hundert Flaschen vom besten Wein geleert wurden. Alle Gäste waren betrunken,
außer mir und Poinsinet, der nur Wasser getrunken hatte. Nach der Mahlzeit begann eine wüste unflätige Orgie, wie ich sie mir nie hätte träumen lassen, und die keine Feder getreulich schildern könnte; nur ein großer Wüstling könnte sich eine Vorstellung davon machen, indem er die wollüstigsten Farben wählte, die die Palette bietet.
Ein Kastrat und ein Mädchen von ungefähr gleichem Wuchs machten den
Vorschlag, sie wollten sich im Nebenzimmer, nackt und das Gesicht bis zum Halse zugedeckt, nebeneinander auf den Rücken legen. Sie forderten alle Anwesenden heraus, sie anzusehen und ihr Geschlecht zu erraten.
Wir traten alle ein, niemand wagte jedoch ein Urteil abzugeben, da man nur auf seine Augen angewiesen war. Ich schlug dem Lord eine Wette um fünfzig Taler vor, daß ich das Weib herausfinden würde. Er nahm sie an, und ich riet richtig; aber von
Bezahlung war keine Rede.
Dieser erste Akt der Orgie endete mit der Preisgebung der beiden Individuen, welche alle Anwesenden zum großen Werk herausforderten. Mit Ausnahme von Poinsinet und mir versuchten alle es, aber vergeblich.
Im zweiten Akt gab man uns das Schauspiel von vier oder fünf Paarungen auf der Kehrseite der Medaille. Bei diesen schamlosen Kämpfen glänzten am meisten die Abbaten, indem sie bald die aktive, bald die
passive Rolle spielten. Ich war der einzige, der verschont blieb.
Der Lord, der während der ganzen Orgie kein Lebenszeichen gegeben hatte, griff plötzlich den armen Poinsinet an, der sich vergeblich verteidigte; er mußte sich entkleiden lassen und neben ihn legen, der nackt wie alle anderen war. Wir bildeten einen Kreis um sie herum; plötzlich nahm der Lord seine Uhr und versprach sie demjenigen, dem es zuerst gelingen würde, ein gewisses Zeichen des Gefühls bei Poinsinet hervorzurufen. Die Lust, diesen Preis zu
gewinnen, brachte die ganze schmutzige Bande in Aufruhr: Kastraten, Dirnen und Abbaten bemühten sich um die Wette. Jeder wollte der erste sein, schließlich mußte gelost werden. Dies war für mich der interessanteste Teil des Stückes. Ich hatte bei dieser ganzen unglaublichen Orgie nicht die geringste Erregung an mir bemerkt, obwohl ich bei jeder anderen Gelegenheit sicherlich einem jeden dieser Mädchen meine Huldigung dargebracht haben würde. Aber ich lachte,
besonders als ich sah, wie der arme Dichter sich fürchten mußte, den Stachel des Fleisches zu verspüren; denn der schamlose Lord hatte geschworen, ihn der viehischen Lust aller Abbaten zu überlassen, wenn er durch seine Schuld die Wette verlieren sollte. Er kam mit der Furcht davon, und wahrscheinlich schützte ihn gerade seine Furcht.
Die unzüchtige Szene nahm ein Ende, als niemand mehr da war, der sich Hoffnung auf den Gewinn der Uhr
machen konnte. Die Kunst der Lesbierinnen wurde indessen nur von den Abbaten und Kastraten in Anwendung gebracht. Die Mädchen machten keinen Gebrauch davon, um die anderen, die sich dieses Mittels bedienten, verachten zu können. Ohne Zweifel handelten sie mehr aus Stolz als aus Schamgefühl; denn ich vermute, daß sie es erfolglos anzuwenden fürchteten.
Mein Gewinn bei dieser elenden Ausschweifung war Ekel und eine größere Selbsterkenntnis.
Ich konnte mir nicht verhehlen, daß mein Leben in Gefahr gewesen war; denn ich hatte nur meinen Degen bei mir, aber ich hätte mich sicher desselben bedient, wenn es dem Lord in seiner bacchantischen Wut eingefallen wäre, mich zur Teilnahme zu nötigen, wie den armen Poinsinet. Ich habe niemals begreifen können, warum er sich bewogen fühlte, mich zu verschonen, denn er war betrunken und in einem Zustand von Raserei.
Beim Abschied versprach ich
ihm, ihn zu besuchen, sowie er mir Bescheid sagen ließe, aber ich nahm mir selber fest vor, seine Wohnung nicht wieder zu betreten.
Am nächsten Nachmittag kam er zu Fuß zu mir, und da wir keine Lust hatten den Wettlauf der barberi zu sehen, so lud er mich ein, einen Spaziergang nach der Villa Medici zu machen.
Ich gratulierte ihm zu den ungeheuren Reichtümern, die er geerbt haben müßte, um so glänzend
leben zu können; er lachte aber und antwortete mir, er besitze nur etwa fünfzig Taler; sein Vater habe nur Schulden hinterlassen, und er selber sei bereits drei- oder viertausend Scudi schuldig.
»Ich wundere mich, daß man Ihnen Kredit gibt.«
»Man gibt mir Kredit, weil alle Welt weiß, daß ich einen Wechsel von zweihunderttausend Franken auf Paris gezogen habe. Aber in vier oder fünf Tagen wird der Wechsel
mit Protest zurückkommen, und dann werde ich mich schleunigst aus dem Staube machen.«
»Wenn Sie bestimmt wissen, daß der Wechsel protestiert werden wird, so rate ich Ihnen, noch heute abzureisen; denn da es sich um eine so große Summe handelt, so wäre es möglich, daß die Nachricht durch besondere Boten geschickt würde.«
»Nein, denn ich habe noch eine kleine Hoffnung. Ich habe meiner Mutter
geschrieben, ich sei verloren, wenn sie es nicht möglich mache, dem Bankier, auf den ich gezogen habe, die erforderlichen Mittel zu liefern; in diesem Fall würde der Wechsel honoriert werden. Wie Sie wissen, liebt meine Mutter mich.«
»Ja; aber ich weiß auch, daß sie nicht reich ist.«
»Allerdings nicht; aber Herr von St.-Albin ist reich, und ich halte ihn, unter uns gesagt, für meinen Vater.
Unterdessen sind meine Gläubiger beinahe ebenso ruhig wie ich. Alle jene Mädchen, die Sie bei mir gesehen haben, würden mir auf meinen Wunsch all ihr Hab und Gut geben, denn sie erwarten alle, im Laufe der Woche ein reiches Geschenk von mir zu erhalten. Ich will jedoch ihr Vertrauen nicht mißbrauchen. Betrügen – da ich nun einmal betrügen muß – werde ich nur einen Juden, der mir diesen Ring für dreitausend Zechinen abkaufen will, während
ich weiß, daß er nur tausend wert ist.«
»Er wird Sie verfolgen lassen.«
»Das soll er nur tun.«
Dieser Ring trug einen strohfarbenen Solitär von neun bis zehn Karat. Der Lord verließ mich mit der Bitte, nichts davon zu sagen. Der törichte Verschwender erregte in mir kein Gefühl des Mitleids, denn ich sah in ihm nur einen freiwilligen Unglücklichen, der sein Leben in
einem Gefängnis beschließen mußte, wenn er nicht den Mut hatte, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen.
Ich ging zu Momolo, bei dem ich den Bräutigam meiner schönen Mariuccia fand; sie selber war nicht da. Sie hatte dem Scopatore Santissimo sagen lassen, ihr Vater sei von Palestrina gekommen, um ihrer Hochzeit beizuwohnen, und deshalb könne sie nicht das Vergnügen haben, zum Abendessen zu kommen. Ich bewunderte ihre Klugheit; ein
junges Mädchen braucht nicht studiert zu haben, um eine gute Politikerin zu sein, wenn ihr Herz es verlangt: die Natur zeichnet ihr den Weg vor, und sie folgt diesem mit der Gewißheit, sich nicht zu täuschen. Beim Essen beschäftigte ich mich ausschließlich mit dem jungen Mann; ich fand in ihm einen in jeder Beziehung passenden Gatten für Mariuccia: er war hübsch, bescheiden und verständig; alle seine Worte trugen das Gepräge der Aufrichtigkeit und
der Vernunft.
Er sagte mir in Gegenwart von Momolos Tochter Tecla, diese würde ihn glücklich gemacht haben, wenn sie imstande gewesen wäre, ihm zur Begründung eines Geschäftes zu verhelfen; er müsse Gott danken, daß er Maria kennen gelernt habe, die in ihrem Beichtvater einen wahren Vater in Gott gefunden habe. Ich fragte ihn, wo er die Hochzeit feiern würde. Er antwortete mir: »Bei meinem Vater, einem Gärtner, der auf
der anderen Seite des Tibers wohnt; da er arm ist, so werde ich ihm zehn Skudi geben, um die Kosten zu bestreiten.«
Ich bekam sofort Lust, ihm die zehn Taler zu geben. Aber wie sollte ich dies anfangen? Ich würde mich verraten haben.
»Ist Ihres Vaters Garten hübsch?« fragte ich ihn.
»Man kann ihn nicht hübsch nennen; aber er ist sehr gut gehalten. Da er den Platz besaß, hat er einen Garten
daraus gemacht, der ihm jährlich zwanzig Skudi einbringt. Er möchte ihn gern verkaufen, und ich wäre glücklicher als ein Kardinal, wenn ich ihn kaufen könnte.«
»Wieviel kostet er?«
»O, viel, gnädiger Herr! Zweihundert Taler.«
»Das ist billig. Hören Sie mich an: Ich habe hier Ihre Braut kennen gelernt und gefunden, daß sie in jeder Beziehung wert ist,
glücklich zu sein. Sie verdient einen ehrenwerten jungen Mann wie Sie. Sagen Sie mir, was würden Sie machen, wenn ich Ihnen auf der Stelle zweihundert Taler schenkte, um Ihres Vaters Garten zu kaufen?«
»Ich würde ihn als Witwengut zur Mitgift meiner Frau hinzufügen.«
»Hier sind zweihundert Taler, die ich dem Abbate Momolo anvertraue, weil ich Sie nicht gut genug kenne, obgleich Sie mir viel Vertrauen
einflößen. Der Garten gehört Ihnen als Mitgift Ihrer künftigen Gattin.«
Momolo nahm das Geld und verpflichtete sich, den Garten gleich am nächsten Tag zu kaufen. Der junge Mann vergoß Tränen der Freude und Dankbarkeit, fiel vor mir auf die Knie und küßte mir die Hand. Alle Mädchen weinten und ich auch, denn Tränen, die aus dem Herzen kommen, wirken ansteckend. Indessen flossen nicht alle diese Tränen aus
der gleichen Quelle, sie waren aus einer Mischung von Laster und Tugend hervorgegangen, und rein waren nur die des jungen Mannes. Ich hob ihn auf, umarmte ihn und wünschte ihm eine glückliche Ehe. Er faßte sich den Mut, mich zur Hochzeit einzuladen, aber ich lehnte ab, indem ich ihm herzlich dankte. Ich sagte ihm: wenn er mir ein Vergnügen machen wollte, käme er am Sonntag vor seiner Hochzeit zu Momolo zum Essen, und ich bat den ehrenwerten Scopatore, Mariuccia
nebst ihrem Vater und ihrer Mutter einzuladen. Ich war sicher, daß ich sie am Sonntag früh noch ein letztes Mal sehen würde.
Am Sonntag lagen wir schon um sieben Uhr einander in den Armen; wir hatten vier Stunden vor uns. Nach dem ersten Ergusse unserer gegenseitigen Zärtlichkeit sagte sie mir: »Gestern ist in unserem Hause in Gegenwart meines Beichtvaters und Momolos alles vor einem Notar abgeschlossen worden. Nach Aushändigung der Quittung hat der Notar den Garten in den Heiratsvertrag aufgenommen; der gute Vater Barnabas hat mir zwanzig Piaster geschenkt, um die Kosten für den
Notar und die Hochzeit zu decken. So steht alles vortrefflich, und ich bin gewiß, daß ich glücklich sein werde. Mein Bräutigam betet mich an, aber du hast sehr wohl daran getan, seine Einladung nicht anzunehmen, denn du wärest an einen gar zu armseligen Ort gekommen; außerdem würde man über mich geklagt haben, und dies hätte mich vielleicht des Glückes beraubt, auf das ich hoffen darf.«
»Du hast vollkommen
recht, reizende Freundin; aber sage mir, wie wirst du dich aus der Verlegenheit ziehen, wenn dein Gatte findet, daß die Tür schon vor deiner Heirat geöffnet worden ist; denn möglicherweise erwartet er, in dir eine reine Jungfrau zu finden.«
»Ich glaube nicht, daß er mehr davon versteht als ich, bevor du mich zum erstenmal erkanntest. Meine Liebkosungen, meine Zärtlichkeit und mein reines Gewissen – denn dieses hast du nicht
befleckt – erlauben mir nicht einmal daran zu denken, und ich bin überzeugt, er wird ebenso wenig daran denken.«
»Aber wenn er es doch täte?«
»Das wäre kein Zeichen von Zartgefühl; aber warum sollte ich ihm nicht einfach mit der wahren und aufrichtigen Miene der Unschuld antworten, ich wisse nicht, wovon er spreche, und verstehe mich nicht darauf?«
»Du hast recht; dies ist
das beste Mittel. Aber hast du unsere Liebesfreuden gebeichtet?«
»Nein, lieber Freund; denn da ich mich dir nicht in sündiger Absicht ergeben habe, glaube ich Gott nicht beleidigt zu haben.«
»Du bist ein Engel, meine Liebe, und ich bewundere die Klarheit deines Verstandes. Doch höre jetzt: möglicherweise bist du bereits schwanger oder wirst es noch, bevor wir uns trennen; versprich mir, meinem Kinde meinen
Namen zu geben.«
»Ich verspreche es dir.«
Vier Stunden vergingen sehr schnell. Nach dem sechsten Sturm waren wir erschöpft, ohne gesättigt zu sein. Wir trennten uns unter strömenden Tränen und schworen uns, einander die zärtlichsten Gefühle eines Bruders und einer Schwester zu bewahren.
Ich ging nach Hause, nahm ein Bad und ruhte eine Stunde. Dann stand ich auf, machte Toilette und
speiste fröhlich am Familientisch. Am Abend fuhr ich die Familie Mengs in meinem Landauer spazieren; hierauf gingen wir in das Theater Aliberti, in das die ganze Stadt strömte, um den Kastraten zu sehen, der die Rolle der Primadonna spielte. Er war der gefällige Liebling des Kardinals Borghese und speiste jeden Abend mit Seiner Eminenz allein.
Die Stimme des Kastraten war herrlich; noch herrlicher aber war seine Schönheit. Ich hatte ihn als Mann auf der
Promenade gesehen; aber obwohl er sehr hübsch war, hatte sein Gesicht auf mich keinen Eindruck gemacht, denn man sah sofort, daß er ein verstümmelter Mann war. Auf der Bühne dagegen war die Täuschung vollkommen; er entflammte.
In ein gut gearbeitetes Mieder eingeschnürt, hatte er eine Nymphentaille, und sein Busen – es ist fast unglaublich – nahm es an Form und Schönheit mit jedem Frauenbusen auf. Besonders hierdurch richtete
das Ungeheuer Verheerungen an. Obwohl man die negative Natur des Unglücklichen kannte, so übte er doch einen unbeschreiblichen Zauber aus, wenn man aus Neugier seinen Busen ansah: man war wahnsinnig verliebt, bevor man überhaupt merkte, daß man etwas empfunden hatte. Um ihm zu widerstehen oder nichts zu fühlen, hätte man kalt oder prosaisch sein müssen wie ein Deutscher. Wenn er, auf das Ritornell seiner Arie wartend, auf der Bühne auf und ab ging, hatte
sein Gang etwas Majestätisches und zugleich Wollüstiges; wenn er die Logen huldvoll mit seinen Blicken beglückte, dann entzückte der zärtliche und bescheidene Ausdruck seiner schwarzen Augen alle Herzen. Offenbar wollte er die Liebe derjenigen nähren, die ihn als Mann liebten und die ihn wahrscheinlich nicht geliebt haben würden, wenn er ein Weib gewesen wäre.
Das heilige Rom, das auf diese Weise alle Männer nötigt,
Päderasten zu werden, will dies nicht zugeben und stellt sich, als glaube es nicht an die Wirkungen einer Illusion, die es mit allen Kräften zu erwecken sich bemüht.
Als ich im Parkett diese Betrachtungen anstellte, sagte ein Monsignore zu mir, um mich auf eine falsche Fährte zu bringen: »Sie haben ganz recht. Warum erlaubt man diesem Kastraten einen Busen zur Schau zu stellen, auf den die schönste Römerin stolz sein könnte,
während ein jeder wissen muß, daß er ein Mann und nicht ein Weib ist? Wenn man die Bühne dem schönen Geschlecht verbietet, weil man fürchtet, daß seine Reize unzüchtige Begierden erwecken können, warum sucht man dann Männer aus, die durch ihre körperliche Mißbildung eine vollständige Illusion hervorbringen und noch viel sündigere Begierden erregen? Man behauptet hartnäckig, die Päderastie werde mit Unrecht
für weit verbreitet gehalten; lächerlich gering sei die Zahl derjenigen, die durch die Illusion verführt werden; denn sie sähen sich angeführt, wenn es zur Aufklärung komme. Aber viele kluge Leute verfallen dieser Täuschung und finden sie zuletzt so süß, daß sie nicht daran denken, darauf zu verzichten, sondern vielmehr diese Ungeheuer den schönsten Frauen vorziehen.«
»Der Papst würde sich den Himmel
verdienen, wenn er diesen lächerlichen Mißbrauch abschaffte.«
»Das ist nicht meine Meinung. Man könnte nicht, ohne Anstoß zu erregen, mit einer schönen Sängerin unter vier Augen soupieren; aber mit einem Kastraten kann man es. Man weiß freilich, daß nach dem Abendessen dasselbe Kissen ihre Köpfe aufnimmt, aber was alle Welt weiß, wird von aller Welt ignoriert. Man kann freundschaftlich bei einem Mann
schlafen, bei einem Weibe nicht.«
»Das ist wahr, Monsignore: man rettet den Schein, und geheime Sünde ist halb vergeben, wie man in Paris sagt.«
»In Rom sagt man, es ist überhaupt keine. Peccato nascosto non offende – Geheime Sünde erregt keinen Anstoß.«
Diese jesuitische Unterhaltung interessierte mich, denn ich wußte von dem Herrn, daß er ein
erklärter Freund der verbotenen Frucht war.
Da ich in einer Loge die Marchesa Passarini, die ich in Dresden gekannt hatte, und den Fürsten Don Antonio Borghese bemerkte, suchte ich sie auf, um ihnen meine Aufwartung zu machen. Der Fürst, den ich vor etwa zehn Jahren in Paris gesehen hatte, erkannte mich wieder und lud mich für den nächsten Tag zum Essen ein. Ich ging hin, aber der gnädige Herr war nicht zu Hause. Ein Page sagte mir, es sei
für mich gedeckt und ich könne trotzdem speisen; ich drehte ihm den Rücken zu und ging. Am Aschermittwoch schickte er seinen Kammerdiener zu mir und lud mich zum Abendessen bei der Marchesa ein, die er aushielt. Ich ließ ihm sagen, ich würde die Ehre haben, mich pünktlich einzufinden; aber er wartete vergeblich auf mich. Der Stolz ist das Kind der Dummheit und schlägt nie aus der Art seiner Mutter.
Von der Oper Aliberti ging ich zu Momolo,
bei dem ich Mariuccia mit ihren Eltern und ihrem Bräutigam fand. Man erwartete mich voller Ungeduld. Es ist nicht schwer, Glückliche zu machen, wenn man aus der Klasse der Wenigbegüterten Menschen auswählt, die es verdienen. Ich befand mich in einer Gesellschaft armer, aber ehrlicher Leute, und ich kann sagen, daß ich köstlich bei ihnen speiste. Es ist möglich, daß meine Befriedigung zum Teil meiner Eitelkeit entsprang, denn ich wußte, daß
ich der Urheber der Freude und Seligkeit war, die auf allen Gesichtern strahlten, ich meine auf den Gesichtern des künftigen Paares und der Eltern der jungen Maria; aber die Eitelkeit ist eine Tugend, wenn sie Gutes bewirkt. Doch bin ich mir selber schuldig, meinen Lesern zu sagen, daß meine Freude rein und von keinem Laster befleckt war.
Nach dem Essen legte ich eine kleine Pharaobank auf, indem ich alle Anwesenden mit Marken spielen ließ, denn niemand von ihnen hatte einen Soldo; ich spielte so unglücklich, daß zu meiner größten Befriedigung jeder von meinen Gästen ein paar Dukaten gewann.
Nach dem Essen tanzten wir, trotz dem Verbot des Papstes, den in Rom niemand für unfehlbar hält; denn er verbietet den Tanz und erlaubt die Glücksspiele.
Sein Nachfolger Ganganelli tat genau das Gegenteil und fand keinen besseren Gehorsam. Um mich nicht verdächtig zu machen, gab ich dem Brautpaare kein Geschenk; aber ich überließ ihnen meinen Landauer, damit sie auf dem Korso den Karneval mitmachen könnten, und befahl Costa, ihnen eine Loge im Capranica-Theater zu mieten. Momolo lud uns alle auf Fastnacht zum Abendessen ein.
Da ich am zweiten Fastentage von Rom abreisen wollte, ging ich zum Heiligen
Vater um zweiundzwanzig Uhr, als die ganze Stadt auf dem Korso war. Seine Heiligkeit empfing mich auf das freundlichste und sagte mir, sie sei überrascht, daß ich nicht wie alle Welt bei der großen Lustbarkeit sei. Ich erwiderte ihm, ich sei ein großer Freund des Vergnügens und habe daher auf alles andere verzichtet, um mir das größte Vergnügen für einen Christen zu verschaffen, nämlich dem wahren Vertreter Jesu Christi meine tiefe Ehrfurcht
zu bezeigen. Er neigte sein Haupt mit einer Miene majestätischer Demut, die die Befriedigung über mein Kompliment durchblicken ließ. Er behielt mich länger als eine Viertelstunde bei sich und sprach von Venedig, von Padua und sogar von Paris, das der gute Mann gerne kennen gelernt hätte. Als ich mich endlich abermals seinem apostolischen Schutze empfahl, um die Gnade der Rückkehr in mein Vaterland zu erlangen, sagte er mir: »Lieber Sohn, wenden Sie sich an
Gott, dessen Gnade wirksamer sein wird als unser Gebet!«
Hierauf gab er mir seinen Segen und wünschte mir gute Reise. Ich sah, daß dieses Haupt der Kirche nicht übermäßig an seine eigene Macht glaubte.
Am Fastnachtstage erschien ich auf einem sehr schönen Pferde, reich als Pulcinella gekleidet, auf dem Korso mit einem riesigen Korb voll Zuckerwerk und zwei Beuteln voll Konfetti, mit denen ich alle schönen
Weiber, die ich sah, bombardierte. Als ich an meinem Landauer vorbeikam, schüttete ich meinen Korb über die Töchter des guten und ehrenwerten päpstlichen Scopatore aus, die Costa mit der Würde eines Paschas spazieren fuhr.
Bei Anbruch der Nacht demaskierte ich mich und ging hierauf zu Momolo, in dessen Hause ich die liebenswürdige und schöne Mariuccia zum letzten Male sehen sollte. Unser Fest glich so ziemlich dem vom vorigen Sonntag; neu
aber und interessant war für mich, daß ich das Mädchen, das mich als Geliebte so sehr interessiert hatte, nun als Gattin sah. Ihr Mann schien mir an diesem Tage viel zurückhaltender gegen mich zu sein als bei unserem ersten Zusammentreffen. Dies war mir peinlich, und ich benutzte daher einen günstigen Augenblick, um mich neben Mariuccia zu setzen und ungestört mit ihr zu plaudern. Sie erzählte mir ausführlich, wie die erste Nacht vergangen war, und
war unermüdlich in Lobpreisungen der Eigenschaften ihres schönen Gatten. Er war sanft, verliebt, von immer gleichem Wesen und sehr zartfühlend. Ohne Zweifel hatte er bemerkt, daß die Blume bereits gepflückt war, aber er hatte nichts darüber gesagt. Er hatte sie veranlaßt, von mir zu sprechen, und sie hatte sich das Vergnügen nicht versagen können, ihm zu erzählen, daß ich ihr einziger Wohltäter sei. Diese Mitteilung hatte ihn nicht
beleidigt, sondern ihr im Gegenteil sein volles Vertrauen gewonnen.
»Aber,« fragte ich sie, »hat er keine versteckten Fragen über unser Verhältnis an dich gerichtet?«
»Nicht die mindeste. Ich habe ihm gesagt, du hättest dich, um mein Glück zu begründen, unmittelbar an meinen Beichtvater gewandt; du hättest mit mir nur ein einziges Mal in der Kirche gesprochen und ich hätte dir dabei
mitgeteilt, welch eine gute Gelegenheit ich hätte, mich mit ihm zu verheiraten.«
»Und meinst du, er hat dir dies geglaubt?«
»Dessen bin ich sicher; aber selbst wenn es nicht der Fall sein sollte, so genügt es, wenn er sich nur so stellt; denn ich werde ihn nötigen, mich zu achten.«
»Vortrefflich gedacht! Ich selber werde ihn darum noch höher achten; denn es ist besser, du bist
mit einem klugen Mann verheiratet als mit einem Tölpel.«
Dies Gespräch machte mir Vergnügen, und als ich mich von der Gesellschaft verabschiedete, da ich am übernächsten Tage abreisen mußte, umarmte ich den Friseur und bat ihn, zum Andenken eine sehr schöne goldene Uhr anzunehmen, die ich aus meiner Westentasche zog, und die er mit allen Zeichen aufrichtiger Dankbarkeit empfing. Dann zog ich von meinem Finger einen Ring, der
mindestens sechshundert Franken wert war, und steckte diesen seiner Frau an den Finger, indem ich ihnen eine glückliche Nachkommenschaft und viel Segen wünschte. Hierauf ging ich zu Bett, nachdem ich Leduc und Costa gesagt hatte, daß wir gleich am nächsten Morgen anfangen wollten, meine Sachen zu packen. Als ich eben aufgestanden war, erhielt ich einen Brief vom Lord Limore, der mich bat, um die Mittagsstunde allein nach der Villa Borghese zu kommen.
Ich konnte mir denken, was er mir zu sagen hatte, und ging hin. Ich konnte ihm einen guten Rat geben, und die Freundschaft, die ich für seine Mutter empfand, machte mir dies zur Pflicht.
Er erwartete mich an einem Ort, wo ich vorüberkommen mußte, ging mir entgegen und gab mir einen Brief zu lesen, den er am Tage vorher von seiner Mutter erhalten hatte. Paris de Montmartel habe ihr mitgeteilt, er habe aus Rom eine Tratte auf zweihunderttausend Franken
erhalten; er werde diese honorieren, wenn sie ihm den Betrag anweisen wolle. Sie habe ihm geantwortet, sie werde ihm in drei oder vier Tagen mitteilen, ob sie imstande sei, diese Summe zu beschaffen. Sie teilte jedoch ihrem Sohn mit, sie habe diesen Aufschub nur verlangt, damit er Zeit gewinne, sich in Sicherheit zu bringen; denn sein Wechsel werde ganz bestimmt mit Protest zurückkommen, da es ihr völlig unmöglich sei, das erforderliche Geld zu beschaffen.
Ich
gab ihm den Brief zurück und sagte: »Sie müssen schleunigst verschwinden!«
»Liefern Sie mir die Mittel dazu, indem Sie mir diesen Ring abkaufen. Sie würden nicht wissen, daß er mir nicht gehört, wenn ich Ihnen dieses nicht selber anvertraut hätte.«
Ich verabredete mit ihm ein neues Zusammentreffen und ließ inzwischen den aus der Fassung genommenen Stein von einem der ersten Juweliere Roms
schätzen.
»Ich kenne diesen Stein,« sagte er zu mir; »er ist zweitausend römische Taler wert.«
Um vier Uhr brachte ich dem Lord fünfhundert Skudi in Gold und fünfzehnhundert in Anweisungen auf einen Bankier, der ihm dafür einen Wechsel auf die Amsterdamer Bank geben sollte.
»Sobald es Nacht wird,« sagte er mir, »werde ich allein zu Pferde nach Livorno abreisen; ich
nehme in meinem Mantelsack nur die Sachen mit, die ich durchaus brauche, und mein geliebtes blaues Band.«
»Gute Reise!«
Zehn Tage darauf ließ ich den Stein in Bologna fassen. Am selben Tage erhielt ich einen Empfehlungsbrief vom Kardinal Albani an den Nuntius Onorati in Florenz und einen zweiten von Herrn Mengs an den Ritter Man, den er bat, mich in seinem Hause aufzunehmen.
Ich ging nach Florenz, um die
Corticelli und meine liebe Teresa zu sehen, und ich rechnete darauf, daß der Auditor meine Rückkehr nach Toskana trotz seinem ungerechten Ausweisungsbefehl nicht beachten würde, zumal wenn der Ritter Man mich in seinem Hause hätte.
Am zweiten Fastentage bildete das Verschwinden des Lord Limore das allgemeine Stadtgespräch. Der englische Schneider war zugrunde gerichtet, der Jude, dem der Ring gehörte, war in Verzweiflung, und alle Bedienten des
verrückten Menschen waren in einer trostlosen Lage; denn sie wurden beinahe nackt auf die Straße gesetzt, da der Schneider sich gewaltsam aller Kleider bemächtigte, die er dem Lord, den er einen Gauner nannte, geliefert hatte.
Der arme Poinsinet kam in einem mitleiderregenden Zustand zu mir; denn er trug nur einen Überzieher über seinem Hemd. Der Wirt hatte sich aller seiner eigenen Sachen bemächtigt und ihm sogar gedroht, ihn ins Gefängnis stecken zu lassen, als er ihm gesagt hatte, er wäre nicht im Dienst des Flüchtigen gewesen.
»Ich habe keinen Heller,« sagte der arme Musensohn zu mir; »ich besitze nicht einmal ein zweites Hemd und kenne hier in Rom keinen Menschen. Am liebsten möchte ich mich in den Tiber stürzen!«
Es war ihm vom Schicksal nicht bestimmt, in diesem Flusse zu sterben, sondern im Guadalquivir. Ich beruhigte seine Verzweiflung, indem ich ihm anbot, ihn mit mir nach Florenz zu nehmen; doch machte ich ihn darauf aufmerksam, daß ich ihn dort sich selber überlassen müßte, weil ich erwartet würde. Er quartierte sich sofort bei mir ein und tat bis zum Augenblick der Abreise nichts als Verse machen.
Mein Bruder Giovanni schenkte mir einen sehr schönen Onyx. Es war eine Kamee, die eine Venus im Bade darstellte – eine echte Antike, denn mit einer sehr scharfen Lupe las man darauf den Namen des Steinschneiders Sostrates, der vor dreiundzwanzighundert Jahren lebte. Zwei Jahre später verkaufte ich sie in London dem Doktor Masti für dreihundert Pfund Sterling; vielleicht ist sie noch jetzt im Britischen Museum. Ich reiste mit Poinsinet ab, der mich in seiner Traurigkeit durch die spaßhaftesten Einfälle ergötzte. Am nächstfolgenden Tage stieg ich in Florenz beim Doktor Vannini ab, der bei meinem Anblick kaum seine Überraschung zu verbergen wußte. Unverzüglich begab ich mich zum Ritter Man, den ich allein bei Tisch fand. Er nahm mich sehr freundschaftlich auf, doch sah ich ihn bestürzt, als ich auf seine Frage ihm mitteilte, daß meine Angelegenheit noch nicht in Ordnung sei. Ei sagte mir aufrichtig, ich hätte nicht gut daran getan, nach Florenz zu kommen, und er würde sich bloßstellen, wenn er mir in seinem Hause Unterkunft gäbe. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß ich nur auf der Durchreise in Florenz sei.
»Das ist ganz schön und gut,« antwortete er mir; »aber Sie werden begreifen, daß Sie nicht umhin können, sich dem Auditor vorzustellen.«
Ich versprach ihm dies zu tun und ging nach meinem Gasthof zurück. Kaum war ich auf meinem Zimmer, so erschien ein Polizeibeamter und sagte mir, der Auditor wolle mit mir sprechen und erwarte mich am nächsten Morgen in der Frühe.
Entrüstet über diesen beleidigenden Befehl, beschloß ich, lieber sofort abzureisen als zu gehorchen. Von diesem festen Vorsatze erfüllt, ging ich zu Teresa; sie war nach Pisa gereist. Ich begab mich zur Corticelli, die mir um den Hals fiel und als echte Bologneserin alle den Umständen angemessenen Grimassen schnitt. Das Mädchen war zwar schön, aber sie hatte tatsächlich in meinen Augen kein anderes Verdienst, als daß ich gern über sie lachte. Ich gab der Mutter Geld, um ein gutes Abendessen zurecht zu machen, und nahm die Tochter mit, um mit ihr spazieren zu gehen. Ich führte sie in meinen Gasthof zu Poinsinet; dann ging ich in das Nebenzimmer und ließ Costa und Vannini kommen. In Gegenwart des Doktors befahl ich Costa, am nächsten Tage mit Leduc und meinem Gepäck abzureisen und mich in Bologna im Gasthof »Zum Pilger« aufzusuchen. Der Wirt entfernte sich, nachdem er meine Befehle erhalten hatte. Hierauf befahl ich Costa, mit der Signora Laura und ihrem Sohn von Florenz abzureisen und ihnen zu sagen, ich sei mit der Tochter vorausgereist. Nachdem ich Leduc dieselbe Instruktion gegeben hatte, rief ich Poinsinet, gab ihm zehn Zechinen und bat ihn, am selben Abend noch eine andere Unterkunft zu suchen. Der ebenso anständige wie unglückliche junge Mann weinte Tränen der Dankbarkeit und sagte mir, er werde am nächsten Tage zu Fuß nach Parma aufbrechen, wo Herr du Tillot ihn nicht im Stich lassen werde.
Hierauf ging ich in mein Zimmer zurück und sagte der Corticelli, sie möchte mit mir kommen. Sie folgte mir, in dem Glauben, wir würden zu ihrer Mutter zurückgehen; ich beließ sie dabei, führte sie aber nach der Post, ließ zwei Pferde vor einen Stuhlwagen spannen und befahl dem Postillon, mich nach Uccellatoio, die erste Station auf der Straße nach Bologna, zu fahren.
»Wohin fahren wir denn?« fragte sie.
»Nach Bologna.«
»Und Mama?«
»Wird morgen kommen.«
»Weiß sie es?«
»Nein; aber sie wird es morgen erfahren, wenn Costa es ihr sagt, und wird mit ihm und deinem Bruder uns nachreisen.«
Sie fand den Streich scherzhaft, lachte und stieg in den Wagen. Bald waren wir unterwegs.