Giacomo Casanova
Erinnerungen, Band 4
Fünfzehntes Kapitel Mein Aufenthalt in Paris und meine Abreise nach Straßburg, wo ich die Renaud finde. – Mein Unglück in München und trauriger Aufenthalt in Augsburg.
eingestellt: 1.8.2007
Erfrischt durch das angenehme Gefühl, wieder in dem so unvollkommenen Paris zu sein, das aber doch so anziehend ist, daß keine Stadt der Welt ihm den Namen der Stadt der Städte streitig machen kann, begab ich mich um zehn Uhr morgens zu meiner lieben Frau von Urfé, die mich mit offenen Armen empfing. Sie sagte mir, der junge dAranda befinde sich wohl, und wenn es mir recht sei, werde sie ihn am nächsten Tage mit uns speisen
lassen. Ich sagte, dies werde mir angenehm sein, und versicherte ihr hierauf, die Operation, durch die sie zum Mann werden solle, werde vollzogen werden, sobald Quérilinte, eines der drei Häupter der Rosenkreuzer, aus den Gefängnissen der Lissaboner Inquisition befreit sein werde. »Aus diesem Grunde,« fuhr ich fort, »muß ich im Laufe des nächsten Monats nach Augsburg gehen, wo ich unter dem Vorwande eines Auftrages, den ich mir von der
portugiesischen Regierung verschafft habe, Verhandlungen mit dem Grafen Stormon zu führen habe, um die Befreiung des Adepten zu bewirken. Zu diesem Zweck, Madame, werde ich einen Kreditbrief auf Uhren und Tabaksdosen brauchen, um zu rechter Zeit Geschenke machen zu können; denn wir werden Profane bestechen müssen.«
»Dieses alles nehme ich recht gerne auf mich, mein lieber Freund; aber Sie brauchen sich nicht zu beeilen, denn der Kongreß wird
erst im September zusammentreten.«
»Er wird niemals stattfinden, Madame, glauben Sie mir! Aber die Gesandten der kriegführenden Mächte werden sich trotzdem versammeln. Sollte gegen meine Erwartung der Kongreß gehalten werden, so würde ich mich genötigt sehen, eine Reise nach Lissabon zu machen. Für alle Fälle verspreche ich Ihnen, daß wir uns diesen Winter wiedersehen werden. Die vierzehn Tage, die ich hier verbringen
werde, sind notwendig, um eine Kabale des Grafen St.-Germain zunichte zu machen.«
»St.-Germain! Der wird niemals wagen, nach Paris zurückzukehren.«
»Ich bin im Gegenteil gewiß, daß er in diesem Augenblick hier ist; aber er hält sich verborgen. Der Regierungsbote, der ihm befahl, London zu verlassen, hat ihn überzeugt, daß der englische Minister sich von dem Auslieferungsbegehren, das Graf
dAffry im Namen des Königs an die Generalstaaten lichtete, sich nicht hat täuschen lassen.«
Diese ganze Erzählung war aus der Luft gegriffen, aber sie gründete sich auf Wahrscheinlichkeiten; wie man sehen wird, hatte ich richtig geraten.
Frau von Urfé machte mir hierauf ein Kompliment wegen des reizenden Mädchens, das ich aus Grenoble nach Paris geschickt hätte. Valenglard hatte ihr alles geschrieben. »Der
König betet sie an, und sie wird ihn binnen kurzem zum Vater machen. Ich habe ihr mit der Herzogin von Lauraguais in Passy einen Besuch gemacht.«
»Sie wird einen Sohn zur Welt bringen, der Frankreich glücklich machen wird. Nach dreißig Jahren werden Sie wunderbare Sachen sehen, die ich leider vor Ihrer Mannwerdung nicht sagen darf. Haben Sie mit ihr über mich gesprochen?«
»Das nicht; aber ich bin
überzeugt, Sie werden es möglich machen, sie zu sehen, wäre es auch nur bei Frau Varnier.«
»Sie täuschen sich nicht.«
Ein merkwürdiger Zufall trat ein, um die Verrücktheit der ausgezeichneten Dame immer noch mehr zu steigern.
Nachdem wir bis vier Uhr von meiner Reise und unseren Plänen geplaudert hatten, bekam sie Lust, ins Boulogner Wäldchen zu fahren. Sie bat mich, sie zu
begleiten, und ich kam ihren Wünschen nach. In der Umgegend von Madrid stiegen wir aus, gingen in den Wald hinein und setzten uns dann unter einen Baum.
»Heute vor achtzehn Jahren,« erzählte sie mir, »schlief ich auf diesem selben Platze, wo wir uns jetzt befinden, allein ein. Während meines Schlummers stieg der göttliche Horosmadis von der Sonne herab und leistete mir bis zu meinem Erwachen Gesellschaft. Als ich die Augen aufschlug, sah
ich ihn mich verlassen und wieder zum Himmel emporschweben. Er ließ mich mit einem Mädchen schwanger zurück, das er mir vor zehn Jahren geraubt hat, ohne Zweifel, um mich dafür zu bestrafen, daß ich mich einen Augenblick so weit vergessen habe, mich in einen Sterblichen zu verlieben. Meine göttliche Iriasis ähnelte ihm.«
»Sie sind vollkommen sicher, daß Herr von Urfé nicht ihr Vater war?«
»Herr von Urfé hat mich nicht mehr erkannt, seitdem er mich an der Seite des göttlichen Anael ruhen sah.«
»Er ist der Genius der Venus. Schielte er?«
»Außerordentlich. Sie wissen also, daß er schielt?«
»Ich weiß auch, daß er in der Liebesekstase nicht mehr schielt.«
»Darauf habe ich nicht geachtet. Er verließ
mich ebenfalls wegen eines Fehltrittes, den ich mit einem Araber beging.«
»Dieser war Ihnen durch den Genius des Merkur zugesandt worden, der Anaeis Feind ist.«
»So muß es wohl sein. Ich habe viel Unglück gehabt.«
»Nein; dieses Zusammentreffen hat Sie zur Mannwerdung tauglich gemacht.«
Wir begaben uns nach unserem Wagen, als plötzlich St.-Germain sich
unseren Blicken zeigte; aber sobald er uns bemerkte, verschwand er in einem anderen Baumgang.
»Haben Sie ihn gesehen?« rief ich. »Er arbeitet gegen uns, aber unsere Genien haben ihm Furcht eingejagt.«
»Ich bin starr vor Erstaunen. Morgen früh werde ich nach Versailles fahren, um dem Herzog von Choiseul diese Nachricht zu bringen. Ich bin neugierig, was er dazu sagen wird.«
Am Eingang vor Paris
verließ ich die Dame und ging zu Fuß zu meinem Bruder, der an der Porte St. Denis wohnte. Er empfing mich mit Freudengeschrei; nicht minder freute sich seine Frau, die ich sehr hübsch, aber auch sehr unglücklich fand, denn der Himmel hatte ihrem Gatten die Gabe versagt, ihr zu beweisen, daß er ein Mann war, und sie hatte das Unglück, in ihn verliebt zu sein. Ich sage das Unglück – denn weil sie ihn liebte, blieb sie ihm treu; sonst hätte sie
leicht ein Heilmittel gegen ihr Unglück finden können, da ihr Mann sie sehr gut behandelte und ihr volle Freiheit ließ. – Sie wurde von Kummer verzehrt, weil sie die Ohnmacht meines Bruders nicht ahnte und sich einbildete, er erfülle ihre Wünsche nur darum nicht, weil er ihre Liebe nicht erwidere. Sie war zu entschuldigen, denn ihr Mann glich einem Herkules, und er war es in allem, nur in dem Punkte nicht, worin sie ihn gern als solchen erkannt hätte. Vor
Kummer bekam sie die Schwindsucht, an der sie fünf oder sechs Jahre später starb. Sie starb nicht, um ihren Gatten zu bestrafen, aber ihr Tod war, wie wir später sehen werden, für ihn eine wahre Strafe.
Am nächsten Tage besuchte ich Frau Varnier, um ihr den Brief der Frau Morin zu überbringen. Sie empfing mich ausgezeichnet und hatte die Güte, mir zu sagen, es gebe auf der ganzen Welt keinen Menschen, dessen Bekanntschaft sie so sehr
gewünscht habe wie die meinige, denn ihre Nichte habe ihr so viel erzählt, daß sie im höchsten Grade neugierig geworden sei. Bekanntlich ist die Neugier die am meisten verbreitete Frauenkrankheit. Sie schloß mit den Worten: »Sie werden meine junge Nichte sehen, mein Herr, und von ihr selber erfahren, wie es mit ihren Angelegenheiten und mit ihrem Herzen steht.«
Sie schrieb ihr sofort einen Brief, in welchen sie das Schreiben der Frau
Morin einlegte.
»Wenn Sie die Antwort zu erfahren wünschen, die ich von meiner Nichte erhalten werde,« sagte Frau Varnier zu mir, »so lade ich Sie hiermit zum Mittagessen ein.«
Ich nahm an, und sie ließ sofort hinaussagen, daß sie für niemanden zu sprechen sei.
Der kleine Savoyarde, der den Brief nach Passy getragen hatte, kam um vier Uhr mit der Antwort wieder, die folgendermaßen
lautete: »Der Augenblick, wo ich den Herrn Chevalier de Seingalt wiedersehen werde, wird einer der glücklichsten meines Lebens sein. Veranlassen Sie, daß er übermorgen um zehn bei Ihnen ist, und teilen Sie mir bitte mit, falls er um diese Stunde nicht sollte kommen können.«
Nachdem ich dieses Briefchen gelesen hatte, versprach ich der Frau Varnier, pünktlich zu kommen, und begab mich dann zu Madame du Rumain, die mich nötigte, ihr einen ganzen Tag zu versprechen, um eine Menge Fragen zu beantworten, die sie an mich zu richten hatte und zu deren Beantwortung der Beistand meines Orakels erforderlich war.
Am nächsten Tage erzählte mir Madame dUrfé die scherzhafte Antwort, die der Herzog von Choiseul ihr
gegeben hatte, als sie ihm ihr Zusammentreffen mit dem Grafen St.-Germain mitgeteilt hatte.
»Das wundert mich nicht,« hatte der Minister zu ihr gesagt, »denn er hat die Nacht in meinem Kabinett verbracht.« Der Herzog, ein geistreicher Mann und vor allen Dingen ein Weltmann, war von mitteilsamer Natur und wußte ein Geheimnis nur zu bewahren, wenn es sich um Sachen von hoher Wichtigkeit handelte. Er war in dieser Hinsicht sehr verschieden von
den Durchschnittsdiplomaten, die sich wichtig zu machen glauben, indem sie mit allerlei Erbärmlichkeiten geheimnisvoll tun, deren Geheimhaltung ebenso gleichgültig ist wie ihre Verbreitung. Allerdings kam es selten vor, daß Herrn von Choiseul eine Angelegenheit wichtig erschien; und in der Tat: wenn die Diplomatie nicht die Kunst des Ränkeschmiedens und des schlauen Lügens wäre, wenn die Staatsangelegenheiten auf Sittlichkeit und Wahrheiten beruhten – wie es
von Rechts wegen sein müßte – so wäre die Geheimtuerei mehr lästig als notwendig. Der Herzog von Choiseul hatte zum Schein St.-Germain in Frankreich in Ungnade fallen lassen, um ihn in London als Spion zu halten; aber Lord Halifax ließ sich davon nicht anführen, er fand sogar die List zu plump. Dies sind aber so gewisse kleine Liebenswürdigkeiten, die die Regierungen sich gegenseitig erweisen und vergelten, damit sie einander nichts vorzuwerfen
haben.
Der kleine Aranda überhäufte mich mit Liebkosungen und bat mich, mit ihm in seinem Pensionat zu frühstücken; er versicherte mir, Fräulein Viard werde mich mit Vergnügen sehen.
Am nächsten Morgen verfehlte ich natürlich nicht, pünktlich zu der von der schönen Roman angesetzten Stunde zu erscheinen. Eine Viertelstunde vor der Ankunft der blendend schönen Brünette war ich bei Madame Varnier.
Ich erwartete sie mit einem Herzklopfen, das mir bewies, daß die kleinen Gunstbezeigungen, die ich mir hatte verschaffen können, nicht genügt hatten, um das Feuer zu löschen, das sie in mir angefacht hatte. Als sie erschien, erfüllte ihr gesegneter Leib mich mit Ehrfurcht. Eine Art von Achtung, die ich einer fruchtbaren Sultanin schuldig zu sein meinte, verhinderte mich, ihr mit Bezeigungen von Zärtlichkeiten zu nahen. Aber sie dachte nicht daran, sich für
achtungswürdiger zu halten als zu jener Zeit, da ich sie arm, aber unbemakelt in Grenoble gekannt hatte. Sie sagte mir dies in deutlichen Worten, nachdem sie mich herzlich umarmt hatte.
»Man hält mich für glücklich, alle Welt beneidet mich um mein Los; aber kann man glücklich sein, wenn man seine Selbstachtung verloren hat? Seit sechs Monaten lächle ich nur mit den Mundwinkeln, während ich in Grenoble, als ich arm war und beinahe
das Notwendigste entbehrte, mit offener Fröhlichkeit und ohne jeden Zwang lachte. Ich habe Diamanten und Spitzen, einen prachtvollen Palast, Wagen und Pferde, einen schönen Garten, Dienerinnen, eine Gesellschaftsdame, die mich vielleicht verachtet – aber obwohl ich von den ersten Damen des Hofes, die mich freundschaftlich besuchen, wie eine Prinzessin behandelt werde, vergeht kein Tag, daß mir nicht irgendeine Kränkung zuteil würde.«
»Kränkungen?«
»Ja; man überreicht mir Eingaben, worin man um Gnadenbeweise nachsucht. Ich muß diese zurückweisen und mich mit meiner Einflußlosigkeit entschuldigen; denn ich wage nichts vom König zu verlangen.«
»Aber warum wagen Sie dieses nicht?«
»Weil es mir nicht möglich ist, mit meinem Geliebten zu sprechen, ohne den Herrscher vor Augen zu haben.
Ach! nur Einfachheit macht glücklich, Luxus nicht!«
»Man ist glücklich, wenn man an der richtigen Stelle steht, und Sie müssen sich bemühen, sich zur Höhe jener Stelle emporzuschwingen, die das Schicksal Ihnen angewiesen hat.«
»Das kann ich nicht; ich liebe den König und fürchte stets, ihm zu mißfallen. Ich finde immer, er gibt mir zu viel für mich, und darum wage ich ihn für
andere um nichts zu bitten.«
»Aber ich bin überzeugt, der König würde glücklich sein, Ihnen seine Liebe zu beweisen, indem er ihnen für Leute, an denen Sie Anteil zu nehmen scheinen, Gnaden bewilligte.«
»Ich glaube es wohl, und es würde mich glücklich machen, aber ich kann mich nicht überwinden. Ich habe monatlich hundert Louis Nadelgeld; diese verteile ich als Almosen und Geschenke, aber
mit sparsamer Einteilung, um bis zum Ende des Monats zu reichen. Ich habe mir eine Idee in den Kopf gesetzt, die ohne Zweifel falsch ist, mich aber wider meinen Willen beherrscht: ich denke nämlich, der König liebt mich nur, weil ich ihn nicht belästige.«
»Und lieben Sie ihn?«
»Wie wäre es möglich, ihn nicht zu lieben! Er ist über alle Maße höflich, gut, sanft, schön, an jeder
Kleinigkeit Anteil nehmend und zärtlich; er besitzt alle Eigenschaften, um das Herz einer Frau zu besiegen. Unaufhörlich fragt er mich, ob ich mit meiner Einrichtung, mit meinen Kleidern, mit meinen Leuten, mit meinem Garten zufrieden bin; ob ich irgendwelche Veränderungen wünsche. Ich umarme ihn, danke ihm und sage, alles sei ganz vortrefflich, und bin glücklich, wenn ich ihn dann zufrieden sehe.«
»Spricht er mit Ihnen niemals über
den Sprößling, mit dem Sie ihn beschenken werden?«
»Er sagt mir oft, in meinem Zustande müsse ich vor allen Dingen sorgfältig auf meine Gesundheit achten. Ich hoffe, er wird meinen Sohn als Prinzen von Geblüt anerkennen; da die Königin tot ist, muß er als gewissenhafter Mann dies tun!«
»Zweifeln Sie nicht daran!«
»Oh! Wie teuer wird mein Sohn mir sein! Welches
Glück für mich, sicher zu sein, daß es nicht ein Mädchen sein wird! Aber ich sage zu keinem Menschen ein Wort davon. Wenn ich dem König vom Horoskop zu erzählen wagte, so bin ich überzeugt, er würde Sie kennen lernen wollen; aber ich fürchte die Verleumdung.«
»Ich auch, meine liebe Freundin; schweigen Sie auch fernerhin davon. Möge nichts ein Glück stören, das sich nur immer noch steigern kann. Ich bin
glücklich, es Ihnen verschafft zu haben.«
Als wir uns trennten, konnten wir unsere Tränen nicht zurückhalten. Sie entfernte sich zuerst, nachem sie mich umarmt und ihren besten Freund genannt hatte. Ich blieb allein bei Frau Varnier, um mich etwas zu erholen, und sagte zu ihr: »Anstatt ihr das Horoskop zu stellen, hätte ich sie heiraten sollen.«
»Sie wäre glücklicher geworden. Sie hat vielleicht ihre
Schüchternheit und ihren Mangel an Ehrgeiz nicht vorausgesehen.«
»Ich kann Ihnen versichern, gnädige Frau, ich habe weder auf ihren Mut noch auf ihre Engherzigkeit gerechnet. Ich habe mein eigenes Glück außer acht gelassen, um nur an das ihrige zu denken. Aber es ist nun einmal geschehen. Ein Trost würde es allerdings für mich sein, wenn ich sie vollkommen glücklich sähe. Ich hoffe, auch dieses Glück wird noch
kommen, besonders, wenn sie einen Sohn zur Welt bringt.«
Nachdem ich bei Frau von Urfé gespeist hatte, beschlossen wir, dAranda in seine Pension zurückzuschicken, um uns ungestört unseren kabbalistischen Arbeiten widmen zu können. Hierauf ging ich in die Oper, wohin mein Bruder mich bestellt hatte, um mit mir zum Abendessen zu Madame Vanloo zu gehen. Diese empfing mich mit lauten Beteuerungen ihrer Freundschaft und sagte zu mir: »Sie werden
das Vergnügen haben, mit Frau Blondel und ihrem Gemahl zu speisen.«
Dies war, wie der Leser sich erinnern wird, Manon Baletti, die ich hätte heiraten sollen.
»Weiß sie, daß ich hier bin?« fragte ich.
»Nein, ich wollte mir das Vergnügen vorbehalten, ihre Überraschung zu sehen.«
»Ich danke Ihnen, daß Sie nicht auch an der meinigen sich haben weiden wollen. Wir werden uns wiedersehen, meine Gnädige; aber für heute
sage ich Ihnen Lebewohl; denn als Ehrenmann glaube ich mich niemals freiwilig an einem Ort befinden zu dürfen, wo Frau Blondel sein wird.«
Alle Anwesenden waren stumm vor Überraschung. Ich verließ das Haus, und da ich nicht wußte, wohin ich gehen sollte, nahm ich einen Fiaker und fuhr zu meiner Schwägerin, die sich außerordentlich freute, mich zu sehen. Aber während des ganzen Abendessens beklagte die reizende Frau sich
fortwährend über ihren Mann, der sie nicht hätte heiraten dürfen, da er gewußt hätte, daß er nicht imstande wäre, sich bei einer Frau als Mann zu zeigen.
»Warum haben Sie nicht einen Versuch mit ihm gemacht, bevor Sie ihn heirateten?«
»Wäre es denn schicklich gewesen, wenn ich die ersten Schritte getan hätte? Wie hätte ich denn auch glauben können, daß ein so
schöner Mann zu gar nichts gut ist? Die Geschichte kam so: Wie Sie wissen, war ich Tänzerin bei der Italienischen Komödie und wurde von Herrn de Sauci, dem Schatzmeister der geistlichen Pfründen, unterhalten. Dieser führte Ihren Bruder bei mir ein. Er gefiel mir, und es dauerte nicht lange, so bemerkte ich, daß er mich liebte. Mein Liebhaber machte mich darauf aufmerksam, daß der Augenblick gekommen sei, durch eine Heirat mein Glück zu machen.
Infolgedessen beschloß ich, ihm nichts zu bewilligen. Er kam morgens zu mir und fand mich oft allein im Bett; wir plauderten; er schien in Feuer zu geraten; aber zum Schluß gabs nichts als Küsse. Ich erwartete von ihm eine Erklärung in aller Form, um dadurch den Zweck zu erreichen, den ich damals sehnlichst wünschte. Herr de Sauci setzte mir eine lebenslängliche Rente von tausend Talern aus; infolgedessen zog ich mich vom Theater zurück.
Als die schöne Sommerzeit herankam, lud Herr de Sauci Ihren Bruder ein, einen Monat auf dem Lande zu verbringen. Er nahm auch mich mit, und damit alles in anständiger Form vor sich ginge, wurde abgemacht, daß ich als seine Frau vorgestellt werden sollte. Casanova gefiel dieser Vorschlag; er sah darin nur einen Scherz und dachte vielleicht nicht, daß Folgen daraus entstehen könnten. Er stellte mich also der ganzen Familie meines Liebhabers sowie auch dessen Verwandten
als seine Frau vor. Diese Verwandten waren Parlamentsräte, Offiziere, Lebemänner, und ihre Damen gehörten zur großen Welt. Er fand es scherzhaft, daß er im Geiste unserer Komödie verlangen könnte, mit mir zusammen zu schlafen. Ich konnte mich dessen nicht weigern, wenn ich nicht eine sehr traurige Figur spielen wollte; außerdem verspürte ich durchaus keine Abneigung gegen solches Zugeständnis, sondern sah darin nur ein Mittel, schnell an das
Ziel aller meiner Wünsche zu gelangen.
Was soll ich Ihnen weiter sagen? Ihr Bruder war zärtlich und gab mir tausendfach seine Liebe zu erkennen; aber obgleich er mich dreißig Nächte hintereinander in seinem Besitz hatte, kam er niemals zu dem Schluß, der unter derartigen Verhältnissen nur natürlich erscheinen konnte.«
»Da hätten Sie merken müssen, daß er nicht dazu imstande war; denn wenn
er nicht von Marmor war oder ein Keuschheitsgelübde getan hatte, das ihn zwang, sich den heftigsten Versuchungen auszusetzen, war sein Verhalten unmöglich.«
»Das glauben Sie; tatsächlich aber war es so, daß er sich weder fähig noch auch unfähig zeigte, tatsächliche Beweise seiner Liebe zu geben.«
»Warum haben Sie sich nicht selber davon überzeugt!«
»Ein Gefühl von Eitelkeit, ja von falschem Stolz erlaubte mir nicht, mir Gewißheit zu verschaffen. Ich ahnte die Wahrheit gar nicht, sondern machte mir tausend Ideen, die meiner Eitelkeit schmeichelten. Ich glaubte, wenn er mich wirklich liebte, so wäre es wohl möglich, daß er sich scheute, mit mir zu verkehren, bevor ich seine Frau wäre. Dies hielt mich davon ab, den demütigenden Versuch zu machen, mir Aufklärung zu verschaffen.«
»Es hätte, liebe Schwägerin, wenn es auch recht ungewöhnlich gewesen wäre, wohl so sein können, wenn Sie ein junges unschuldiges Mädchen gewesen wären, aber mein Bruder wußte recht gut, daß Sie Ihr Noviziat längst hinter sich hatten.«
»Das ist ja wahr; aber was setzt sich nicht eine verliebte Frau in den Kopf, wenn sie von Eitelkeit ebensosehr angestachelt wird wie von Liebe?«
»Sie denken sehr richtig, aber es ist ein bißchen spät.«
»Das weiß ich leider nur zu gut – kurz und gut, wir kehrten nach Paris zurück, er in seine Wohnung, ich in mein Häuschen. Er machte mir immer noch den Hof; ich empfing ihn und begriff sein sonderbares Benehmen nicht. Herr de Sauci wußte, daß nichts Ernstliches zwischen uns stattgefunden hatte; er stellte alle möglichen Vermutungen an,
konnte aber das Rätsel nicht lösen. ›Ohne Zweifel fürchtete er, dir ein Kind zu machen‹, sagte er zu mir, ›und dadurch gezwungen zu sein, dich zu heiraten.‹ – Ich begann dies ebenfalls zu glauben, aber ich fand solche Denkweise seltsam für einen Verliebten. –
Ein Offizier der französischen Garde, Herr de Nesle, Gatte einer hübschen Frau, die mich auf dem Lande kennen gelernt hatte, ging zu Ihrem Bruder, um
mir einen Besuch zu machen. Als er mich nicht fand, fragte er ihn, warum ich nicht mit ihm zusammen lebte. Er antwortete ihm in aller Unschuld, ich sei nicht seine Frau, und die ganze Geschichte sei nur ein Spaß gewesen. Herr de Nesle kam zu mir und erkundigte sich, ob dies wahr sei; und als er den Sachverhalt erfuhr, fragte er mich, ob es mir unangenehm sein würde, wenn er Casanova nötigte, mich zu heiraten. Ich antwortete ihm, er werde mir im Gegenteil einen großen
Gefallen damit tun. Mehr wollte er nicht. Er ging zu Ihrem Bruder und sagte ihm, seine Frau würde niemals eingewilligt haben, mit mir als ihresgleichen zu verkehren, wenn ich ihr nicht von ihm selber als seine Gattin vorgestellt wäre; durch diesen Titel hätte ich alle Vorrechte der guten Gesellschaft erlangt; seine Täuschung wäre eine Beschimpfung für die ganze Gesellschaft, und er müßte sein Unrecht wieder gut machen, indem er mich binnen acht Tagen
heiratete, oder er müsse sich mit ihm auf Leben und Tod schlagen. Sollte er in diesem Kampf unterliegen, so würde er durch alle Männer gerächt werden, die durch sein Verhalten in gleicher Weise beleidigt wären wie er. Casanova antwortete ihm lachend: er dächte nicht daran, sich zu schlagen, um mich nicht heiraten zu müssen, sondern wäre im Gegenteil bereit, eine Lanze zu brechen, um mich zu gewinnen. ›Ich liebe sie‹, sagte er zu dem Offizier,
›und wenn ich ihr gefalle, bin ich gerne bereit, ihr meine Hand zu reichen. Wollen Sie nur die Sache anbahnen! Ich stehe Ihnen zur Verfügung, sobald es Ihnen beliebt.‹ Herr de Nesle umarmte ihn, versprach ihm, alles zu besorgen, und überbrachte mir die gute Nachricht, die mich mit hoher Freude erfüllte; binnen einer Woche war alles in Ordnung. Herr de Nesle gab uns an unserm Hochzeitstage ein prachtvolles Souper. Seit jenem Tage bin ich dem Namen nach Ehefrau; aber
dies ist ein leerer Titel, denn trotz der feierlichen Einsegnung und dem verhängnisvollen Ja bin ich nicht verheiratet, weil ja Ihr Bruder vollständig impotent ist. Ich bin unglücklich, und daran ist er ganz allein schuld, denn er mußte sich kennen. Er hat mich in abscheulicher Weise betrogen.«
»Aber er ist dazu gezwungen worden! Er ist mehr zu beklagen als zu verurteilen. Ich beklage auch Sie von Herzen; und doch müßte ich Ihnen
unrecht geben; denn nachdem Sie einen ganzen Monat bei ihm geschlafen hatten, ohne daß er eine einzige Probe seiner Mannheit ablegte, konnten Sie nicht umhin, die Wahrheit zu mutmaßen. Selbst wenn Sie vollkommen unerfahren gewesen wären, hätte de Sauci Ihnen den Sachverhalt erklären müssen; denn er muß doch wissen, daß es einem Mann nicht möglich ist, so lange Zeit im Bett neben einer hübschen Frau zu liegen, sie nackt in seine Arme zu
schließen, ohne in einen solchen körperlichen Zustand zu geraten, daß er selbst gegen seinen Willen gezwungen ist, jeden Schleier fallen zu lassen, wenn er nicht gänzlich der Fähigkeit beraubt ist, die das Wesen der Mannheit ausmacht.«
»Wenn Sie es so sagen, erscheint das alles mir vollkommen wahr; aber wir haben tatsächlich alle beide nicht daran gedacht; denn wenn man ihn sieht, muß man ihn für einen Herkules halten.«
»Ich sehe gegen Ihr Unglück nur ein einziges Mittel, meine liebe Schwägerin; entweder lassen Sie Ihre Heirat für ungültig erklären oder nehmen Sie einen Liebhaber. Ich halte meinen Bruder für zu
vernünftig, als daß er Ihnen Hindernisse in den Weg legen sollte.«
»Ich bin vollkommen frei, aber ich kann weder an einen Liebhaber noch an eine Scheidung denken, denn der abscheuliche Mensch behandelt mich so gut, daß meine Liebe zu ihm immer größer wird, wodurch sich ohne Zweifel auch mein Unglück vermehrt.«
Ich sah die arme Frau so unglücklich, daß ich gerne bereit gewesen wäre, sie zu
trösten; aber daran durfte ich nicht denken. Durch ihre Beichte hatte sie immerhin für den Augenblick ihren Schmerz erleichtert; ich wünschte ihr Glück dazu, und nachdem ich sie auf eine Art umarmt hatte, die ihr bewies, daß ich nicht mein Bruder war, wünschte ich ihr gute Nacht.
Am andern Tage besuchte ich Frau Vanloo; sie sagte mir, Frau Blondel habe sie beauftragt, mir dafür zu danken, daß ich nicht geblieben sei; der Gatte
dagegen habe sie gebeten, mir zu sagen, es tue ihm sehr leid, mich nicht gesehen zu haben, um mir seine volle Dankbarkeit ausdrücken zu können.
»Offenbar hat er seine Frau vollkommen jungfräulich gefunden; aber das ist nicht mein Verdienst; er ist dafür nur Manon Valetti Dank schuldig. Man hat mir erzählt, er habe ein hübsches Kindchen und wohne im Louvre, während sie in einem anderen Hause an der Rue Neuve des Petits-Champs
wohne.«
»Das ist richtig; aber er speist jeden Abend bei ihr.«
»Eine sonderbare Ehe!«
»Eine sehr gute, kann ich Ihnen versichern. Blondel will seine Frau nur als Liebhaber besitzen. Er sagt, das mache die Liebe dauerhaft; da er niemals eine Geliebte gehabt habe, die würdig gewesen sei, seine Frau zu sein, so sei er sehr froh, eine Frau gefunden zu haben, die würdig sei, seine Geliebte zu
sein.«
Den ganzen nächsten Tag widmete ich der Frau du Romain, die mich bis zum Abend mit sehr heiklen Fragen in Anspruch nahm. Sie war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Die Heirat ihrer Tochter, Mademoiselle Cotenfau, mit Herrn de Polignac, die fünf oder sechs Jahre später vollzogen wurde, war die Folge unserer kabbalistischen Berechnung.
Die schöne Strumpfstrickerin aus der Rue des Prouvères, die ich so sehr geliebt
hatte, war nicht mehr in Paris. Ein gewisser Herr de Langlade hatte sie entführt; ihr Mann befand sich im Elend. Camilla war krank; Corallina war Marquise und anerkannte Maitresse des Grafen de la Marche, Sohnes des Prinzen von Conti, geworden. Sie hat ihm einen Sohn geschenkt, den ich zwanzig Jahre später als Malteserritter unter dem Namen eines Chevalier de Montreal gekannt habe. Mehrere andere junge Mädchen, die ich früher gekannt hatte, hatten sich als angebliche Witwen
nach der Provinz zurückgezogen oder waren unzugänglich geworden.
So war Paris zu meiner Zeit. Mädchen, Liebesverhältnisse, Prinzipien wechselten ebensoschnell wie die Moden. Einen ganzen Tag widmete ich meinem alten Freund Baletti; er hatte nach dem Tode seines Vaters eine hübsche Figurantin geheiratet und sich von der Bühne zurückgezogen. Er arbeitete mit Melissenkraut und hoffte den Stein der Weisen zu finden.
Zu
meiner angenehmen Überraschung sah ich im Foyer der Comédie Française den Dichter Poinsinet, der mich wiederholt umarmte und mir erzählte, daß in Parma du Tillot ihn mit Wohltaten überhäuft habe. Einen Platz habe er ihm allerdings nicht gegeben, weil man in Italien mit einem französischen Dichter nichts anzufangen wisse.
»Wissen Sie etwas von Lord Limore?«
»Ja; er hat von Livorno aus seiner
Mutter geschrieben, er wolle sich nach Indien einschiffen; wenn Sie nicht die Güte gehabt hätten, ihm tausend Louis zu geben, würde er jetzt in den römischen Gefängnissen sein.«
»Ich nehme großen Anteil an seinem Schicksal und würde gerne mit Ihnen bei Mylady einen Besuch machen.«
»Ich werde Sie melden, und ich bin überzeugt, sie wird Sie zum Souper dabehalten, denn sie hat die
größte Lust, mit Ihnen zu sprechen.«
»Wie geht es Ihnen hier; sind Sie zufrieden mit Ihrem Apoll?«
»Er ist nicht der Gott des Paktolus; ich besitze keinen Heller, ich habe nicht einmal ein Zimmer und werde gern ein Souper annehmen, wenn Sie mich einladen wollen. Ich werde Ihnen den Cercle vorlesen, den die Schauspieler angenommen haben. Ich habe das Stück in der Tasche und bin sicher, daß es Erfolg
haben wird.«
Dieser Cercle war ein kleines Stück in Prosa, worin der Dichter sich über die Sprechweise des Arztes Herrenschwand lustig machte, dessen Bruder ich in Solothurn gekannt hatte. Das Stück hatte wirklich einen großen Augenblickserfolg.
Ich nahm ihn mit zum Abendessen, und der arme Musensohn aß für vier. Am nächsten Tage meldete er mir, die Gräfin Limore erwarte mich zum Souper.
Ich fand diese noch immer schöne Dame in Gesellschaft des Erzbischofs von Cambray, Herrn de St. Albin, ihres bejahrten Liebhabers, der für sie die ganzen Einkünfte des Erzbistums ausgab. Dieser würdige Kirchenfürst war ein natürlicher Sohn des Herzogs von Orléans, des berühmten Regenten von Frankreich, und einer Schauspielerin. Er speiste mit uns, öffnete jedoch den Mund nur zum Essen, und seine Geliebte sprach mit mir nur über ihren Sohn,
dessen Geist und Talente sie bis in den Himmel hob, während Lord Limore in Wirklichkeit nur ein Taugenichts war. Ich glaubte jedoch in ihr Lob einstimmen zu müssen, denn es wäre grausam gewesen, ihr zu widersprechen. Beim Abschied versprach ich ihr zu schreiben, wenn ich ihrem Sohn irgendwo begegnen sollte. Poinsinet, der obdachlos war, verbrachte die Nacht in meinem Zimmer; am nächsten Morgen ließ ich ihn zwei Tassen Schokolade trinken und gab ihm Geld, um sich ein
Zimmer zu mieten. Ich habe ihn nicht wiedergesehen; denn ein paar Jahre später ertrank er, nicht in der Hippokrene, sondern im Guadalquivir. Er sagte mir, er habe acht Tage bei Herrn von Voltaire zugebracht und sei dann schleunigst nach Paris zurückgekehrt, um den Abbé Morellet aus der Bastille zu befreien. Ich hatte in Paris nichts mehr zu tun und wartete, um abzureisen, nur auf die Kleider, die ich mir bestellt hatte, und auf ein mit Diamanten und Rubinen besetztes Kreuz des
Ordens, womit der Heilige Vater mich ausgezeichnet hatte.
Dies alles sollte ich binnen fünf oder sechs Tagen erhalten; aber ein Unfall nötigte mich, Hals über Kopf abzureisen. Ich beschreibe dieses Ereignis nur widerwillig, denn es war eine Unvorsichtigkeit von meiner Seite, die mir beinahe Leben und Ehre gekostet hätte, mehr als hunderttausend Franken gar nicht zu rechnen. Ich beklage die Dummköpfe, die mit dem Schicksal hadern, wenn sie ins
Unglück geraten, während sie sich doch nur an sich selber halten sollten.
Ich ging gegen zehn Uhr morgens im Tuileriengarten spazieren, als ich unglücklicherweise der Dangenancour mit einem anderen Mädchen begegnete. Diese Dangenancour war eine Opernfigurantin, mit der ich vor meiner letzten Abreise von Paris vergeblich eine Bekanntschaft anzuknüpfen gesucht hatte. Ich freute mich des glücklichen Zufalls, der sie mir so zu gelegener Stunde in
den Weg führte, sprach sie an und brauchte sie nicht lange zu bitten, um sie zur Annahme eines Diners in Choisy zu bewegen.
Ich ging nach dem Pont-Royal und nahm dort einen Fiaker. Nachdem ich das Essen bestellt hatte, gingen wir in den Garten, um einen kleinen Spaziergang zu machen. Nach einer kurzen Weile kamen in einem anderen Fiaker zwei Abenteurer, die ich kannte, und zwei Mädchen, die mit meinen Begleiterinnen befreundet waren. Die unglückselige Wirtin,
die in der Tür stand, sagte uns: Wenn wir zusammen speisen wollten, würde sie uns eine ausgezeichnete Mahlzeit bereiten. Ich sagte nichts, oder vielmehr ich fügte mich in das Ja meiner beiden lockeren Mädchen. Wir aßen wirklich ausgezeichnet; nachdem ich bezahlt hatte, bemerkte ich in dem Augenblick, wo wir nach Paris zurückfahren wollten, daß ich einen Ring nicht hatte, den ich während des Essens vom Finger gezogen hatte, um ihn einem von den beiden
Abenteurern, namens Santis, auf seinen Wunsch zu zeigen. Es war eine sehr hübsche Miniatur, deren Brillanteneinfassung mir fünfundzwanzig Louis gekostet hatte. Ich bat Santis sehr höflich, mir meinen Ring wiederzugeben; er antwortete mir sehr kaltblütig, er habe ihn mir zurückgegeben.
»Wenn Sie ihn mir zurückgegeben hätten,« versetzte ich, »so hätte ich ihn; ich habe ihn aber nicht.«
Er bestand auf seiner Behauptung; die Mädchen sagten nichts, aber der Freund des Santis, ein Portugiese namens Xavier, wagte mir zu sagen, er habe gesehen, wie er ihn mir zurückgegeben habe.
»Sie lügen!« rief ich; zugleich packte ich Santis an der Halsbinde und sagte ihm,
er würde nicht herauskommen, bevor er mir meinen Ring zurückgegeben hätte. Da zu gleicher Zeit der Portugiese aufsprang, um seinem Freund zu Hilfe zu kommen, so trat ich einen Schritt zurück und wiederholte meine Drohung mit dem Degen in der Hand. Als die Wirtin dazu kam und ein großes Geschrei erhob, sagte Santis mir, wenn ich zwei Worte unter vier Augen anhören wollte, würde er mich überzeugen. Ich glaubte einfältigerweise, er schämte
sich, mir meinen Ring in Gegenwart von all den Leuten zurückzugeben, werde ihn aber unter vier Augen mir zurückerstatten; ich steckte daher den Degen ein und rief ihm zu: »Gehen wir hinaus!«
Xavier stieg mit den vier Dämchen in den Fiaker und fuhr mit ihnen nach Paris zurück.
Santis folgte mir hinter das Schloß, dort fing er plötzlich an zu lachen und sagte, er habe, um einen Spaß zu machen, seinem Freunde
meinen Ring in die Tasche gesteckt; aber er werde ihn mir in Paris wiedergeben.
»Das ist ein Märchen! Ihr Freund behauptet, gesehen zu haben, wie Sie ihn mir wiedergaben, und Sie haben ihn abfahren lassen. Halten Sie mich für so grün, mich von einem solchen Spaß anführen zu lassen? Sie sind alle beide Spitzbuben!«
Mit diesen Worten streckte ich die Hand aus, um seine Uhrkette zu ergreifen; er wich zurück und zog
seinen Degen. Ich zog ebenfalls und hatte kaum ausgelegt, so machte er einen Ausfall und führte einen Stoß, den ich parierte; ich stürzte mich auf ihn und durchbohrte ihn durch und durch. Er fiel und schrie um Hilfe. Ich steckte meinen Degen wieder ein, ohne mich weiter um ihn zu bekümmern, ging nach meinem Fiaker und fuhr nach Paris zurück.
Auf der Placc Maubert stieg ich aus und ging zu Fuß auf einem Umwege nach meinem Gasthof. Ich war
sicher, daß mich niemand in meiner Wohnung suchen würde, denn nicht einmal mein Wirt wußte meinen Namen.
Den Rest des Tages war ich damit beschäftigt, meine Koffer zu packen; nachdem ich Costa befohlen hatte, sie auf meinen Wagen zu schnallen, ging ich zu Frau von Urfé. Ich erzählte ihr mein Abenteuer und bat sie, die für mich bestimmten Sachen, sobald sie fertig wären, meinem Diener Costa zu übergeben, der mir nach Augsburg
nachreisen würde. Ich hätte sie bitten sollen, mir alles durch einen ihrer Diener zu schicken; aber an jenem Tage hatte mein guter Geist mich verlassen, übrigens hielt ich Costa nicht für einen Dieb.
Ich kehrte hierauf in den Gasthof zum Heiligen Geist zurück und gab dem Schelm meine Instruktionen; ich legte ihm ans Herz, schnell zu reisen und verschwiegen zu sein; zugleich gab ich ihm das nötige Reisegeld.
Ich
ließ meinen Wagen mit vier Lohnpferden bespannen, die mich nach der zweiten Poststation brachten; so reiste ich von Paris ab und ohne Aufenthalt weiter nach Straßburg, wo ich Desarmoises mit meinem Spanier fand.
Da ich in Straßburg nichts zu tun hatte, wollte ich sofort über den Rhein fahren, Desarmoises überredete mich jedoch, mit ihm nach dem Gasthof zum Heiligen Geist zu gehen und eine hübsche Dame zu besuchen, die ihre Abreise nach
Augsburg nur in der Hoffnung, wir könnten zusammen reisen, so lange aufgeschoben habe.
»Sie kennen die Dame,« sagte der falsche Marquis; »aber ich habe ihr mein Ehrenwort geben müssen, Ihnen nicht ihren Namen zu nennen. Sie hat nur ihr Kammermädchen bei sich, und ich bin überzeugt, Sie werden sich freuen, sie zu sehen.«
Aus Neugier gab ich nach. Ich folgte Desarmoises und trat in ein Zimmer, wo ich eine
hübsche Frau sah, die ich jedoch anfangs nicht erkannte. Bald aber kam mir eine Erinnerung, und ich sah, daß es eine Tänzerin war, die ich vor acht Jahren am Dresdener Theater reizend gefunden hatte. Sie gehörte damals dem Grafen Brühl, dem Oberhofstallmeister des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen; ich hatte nicht einmal versucht, ihr den Hof zu machen. Da sie mit einer reichen Ausstattung versehen und bereit war sofort nach Augsburg abzureisen, so
malte ich mir aus, daß diese Begegnung mir viel Vergnügen verschaffen müßte.
Nachdem wir in der üblichen Weise gegenseitig unsere Freude über das angenehme Zusammentreffen ausgesprochen hatten, vereinbarten wir, daß wir am nächsten Morgen zusammen nach Augsburg abreisen wollten. Die Schöne wollte nach München; da ich jedoch in dieser kleinen Hauptstadt nichts zu tun hatte, so setzten wir fest, daß sie von Augsburg an
allein reisen sollte.
»Ich bin fest überzeugt,« sagte sie hierauf, »daß Sie sich selber entschließen werden, dorthin zu kommen; denn die Gesandten der Mächte, die den Kongreß halten sollen, werden erst im Laufe des Septembers sich nach Augsburg begeben.«
Wir aßen zusammen zu Abend. Am nächsten Morgen fuhren wir ab; sie in ihrem Wagen mit der Kammerfrau, ich in dem meinigen mit
Desarmoises, während Leduc als Kurier vorausritt. In Rastatt aber änderten wir die Fahrordnung: die Renaud glaubte weniger Neugier zu erregen, wenn sie in meinen Wagen käme, als wenn sie in dem ihrigen bliebe, und Desarmoises nahm gern ihren Platz bei der Zofe ein. Bald waren wir miteinander bekannt. Sie weihte mich in ihre Angelegenheiten ein oder tat wenigstens so, und ich vertraute ihr alles an, was ich nicht für besser hielt, ihr zu verschweigen. Ich sagte ihr, ich
hätte einen Auftrag vom Lissaboner Hof; sie glaubte mir, und ich glaubte ebenfalls, daß sie nur nach München und Augsburg gehe, um dort ihre Diamanten zu verkaufen.
Als das Gespräch auf Desarmoises kam, sagte sie mir, ich könne ihn recht gern in meiner Gesellschaft behalten, dürfe ihm jedoch nicht erlauben, sich den Titel Marquis beizulegen.
»Aber er ist ja der Sohn des Marquis Desarmoises von Nancy.«
»Er ist weiter nichts als ein früherer Kurier, dem das Ministerium des Auswärtigen eine ganz kleine Pension auszahlt. Ich kenne den Marquis Desarmoises, der in Nancy wohnt; er ist nicht so alt wie dieser.«
»Dann kann er allerdings schwerlich sein Vater sein.«
»Der Wirt vom Heiligen Geist hat ihn als Kurier gekannt.«
»Wie haben Sie ihn kennen gelernt?«
»Wir speisten zusammen an der Table dhôte. Nach dem Essen suchte er mich in meinem Zimmer auf und sagte mir, er erwarte einen Herrn, der nach Augsburg reisen wolle, und wir könnten die Reise miteinander machen. Er nannte Ihren Namen, und nachdem ich ihm einige Fragen gestellt hatte, sah ich, daß nur Sie dieser Chevalier de Seingalt sein könnten. So haben wir uns also getroffen, und ich freue mich sehr darüber. Aber hören Sie – ich rate Ihnen,
auf falsche Namen und Titel zu verzichten; warum lassen Sie sich Seingalt nennen?«
»Dies ist mein Name, meine Liebe; das schließt aber nicht aus, daß meine alten Bekannten mich auch Casanova nennen können; denn ich bin eines wie das andere. Das können Sie doch wohl begreifen.«
»Ja, ich begreife es. Ihre Mutter lebt in Prag, und da sie wegen des Krieges ihre Pension nicht ausgezahlt erhält, so
glaube ich, daß es ihr vielleicht nicht zum besten geht.«
»Ich weiß es; aber ich vergesse nicht meine Pflichten als guter Sohn: ich habe ihr Geld geschickt.«
»Das freut mich. Wo werden Sie in Augsburg wohnen?«
»Ich werde ein Haus mieten, und wenn es Ihnen Spaß macht, werde ich Sie zur Herrin selber machen, und Sie werden die Wirtin spielen.«
»Das
ist reizend, lieber Freund! Wir werden gute Soupers machen, und die Nächte hindurch werden wir spielen.«
»Der Plan ist köstlich.«
»Ich erbiete mich, Ihnen eine ausgezeichnete Köchin zu besorgen: die bayrischen Köchinnen sind mit Recht berühmt. Wir werden auf dem Kongreß eine gute Figur machen, und man wird sagen, wir seien bis über die Ohren ineinander verliebt.«
»Aber merke dir, liebes Herz, hinsichtlich der Treue verstehe ich keinen Spaß.«
»In diesem Punkte, mein Freund, verlassen Sie sich nur auf mich! Sie wissen doch, wie ich in Dresden lebte.«
»Ich werde mich darauf verlassen, aber nicht wie ein Blinder, das merke dir. Wir wollen aber doch auf gleichem Fuße miteinander verkehren; nenne mich darum du. Diese Anrede paßt besser für ein Liebespaar.«
»Schön! So umarme mich!«
Meine schöne Renaud reiste nicht
gerne nachts; denn sie liebte reichlich zu Abend zu speisen und erst zu Bett zu gehen, wenn sie etwas benebelt war. Der Weinrausch machte aus ihr eine Bacchantin, die schwer zu befriedigen war; aber wenn ich nicht mehr konnte, bat ich sie, mich in Ruhe zu lassen, und sie mußte mir wohl oder übel gehorchen.
In Augsburg wollten wir im Gasthof Zu den drei Mohren absteigen; der Wirt sagte mir, er werde uns ein gutes Mittagessen auftragen lassen, könne mir jedoch
keine Wohnung geben, weil der französische Gesandte das ganze Haus für sich bestellt habe. Ich beschloß, den Bankier Carli aufzusuchen, bei dem ich ein Guthaben hatte, und dieser besorgte mir sofort ein hübsches möbliertes Haus mit einem Garten; ich mietete es auf sechs Monate, und die Renaud fand es sehr nach ihrem Geschmack.
In Augsburg war noch kein Mensch. Da die Renaud nach München mußte, so überzeugte sie mich, ich
würde mich während ihrer Abwesenheit langweilen, ich täte daher besser, sie zu begleiten. Wir stiegen im Gasthof Zum Hirsch ab, wo wir sehr gut untergebracht waren. Desarmoises wohnte in einem anderen Wirtshaus. Da ich andere Geschäfte vorhatte als meine neue Begleiterin, so gab ich ihr einen Wagen und einen Lohndiener für ihre eigene Person und nahm für mich ebenfalls Wagen und Diener.
Abbate Gama hatte mir einen Brief vom Kommandanten Almada
an den englischen Gesandten beim Bayrischen Hofe, Lord Stormon, mitgegeben. Da der Herr in München war, beeilte ich mich, meinen Auftrag auszurichten. Er empfing mich sehr freundlich und versicherte mir, er würde, sobald es Zeit wäre, alles tun, was in seinen Kräften stünde; Lord Halifax hatte ihn von der ganzen Angelegenheit unterrichtet. Nachdem ich meinen Auftrag bei dem britischen Lord ausgerichtet hatte, machte ich dem französischen Gesandten Herrn de Folard
meine Aufwartung und überreichte ihm einen Brief, den Herr de Choiseul mir durch Madame dUrfé hatte zustellen lassen. Herr de Folard war überaus liebenswürdig; er lud mich für den nächsten Tag zum Mittagessen ein und stellte mich den Tag darauf dem Kurfürsten vor.
Während der verhängnisvollen vier Wochen, die ich in München verbrachte, war das Haus des französischen Gesandten das einzige, das ich besuchte. Ich nenne
diese vier Wochen verhängnisvoll, und mit gutem Recht; denn während dieser Zeit verlor ich all mein Geld, versetzte für mehr als vierzigtausend Franken Schmucksachen, die ich niemals eingelöst habe, und verlor endlich – das war das Schlimmste – meine Gesundheit. Meine Mörder waren die Renaud und dieser Desarmoises, der mir so viel verdankte und es mir so übel lohnte.
Am dritten Tage nach meiner Ankunft in München mußte ich
der Kurfürstin-Witwe von Sachsen einen Besuch machen. Mein Schwager, der zum Gefolge der Fürstin gehörte, forderte mich dazu auf, und er sagte mir, ich dürfe diesen Besuch nicht unterlassen, denn die Prinzessin kenne mich und habe sich außerdem bereits nach mir erkundigt. Ich erklärte mich infolgedessen bereit und hatte diesen Besuch nicht zu bereuen, denn die Kurfürstin nahm mich gut auf und ließ sich viel von mir erzählen; sie war neugierig
wie alle müßigen Leute, die sich nicht selbst genügen, weil sie weder in ihrem Geist noch in ihrer Bildung hinlängliche Hilfsquellen finden.
Ich habe in meinem Leben viele Dummheiten gemacht; dies gestehe ich mit gleicher Aufrichtigkeit wie Rousseau, aber mit geringerer Eitelkeit als der unglückliche große Mann; ich habe aber wenig so große und törichte Dummheiten gemacht, als daß ich nach München ging, wo ich nichts zu
tun hatte. Ich war in einer Krisis; es war eine Epoche, wo mein böser Geist mich seit meiner Abreise aus Turin, ja sogar seit meiner Abreise aus Neapel crescendo von Dummheit zu Dummheit trieb. Der nächtliche Sturz aus dem Wagen, die Abendgesellschaft bei Limore, die Verbindung mit Desarmoises, die Lustpartie nach Choisy, mein Vertrauen zu Costa, meine Verbindung mit der Renaud, und mehr als alles meine unbegreifbare Dummheit, mich auf das Pharaospiel einzulassen an einem
Hofe, wo die Bankhalter für die geschicktesten Verbesserer des Glücks in ganz Europa galten – dies waren die Stufen meiner Dummheit. Dort in München befand sich unter anderen auch der berüchtigte, der niederträchtige Affliso, der Teilhaber des Herzogs Friedrich von Zweibrücken, den dieser Fürst mit dem Titel seines Adjutanten schmückte und den alle Welt als den geschicktesten Spitzbuben kannte, den man sich nur denken konnte.
Ich
spielte alle Tage, und da ich oft auf Wort verlor, so verursachte die Verlegenheit, am nächsten Tage bezahlen zu müssen, mir bittere Sorgen. Als ich meinen Kredit bei den Bankiers erschöpft hatte, mußte ich mich an die Juden wenden, die nur auf Pfänder leihen; mein Vermittler war Desarmoises und mit ihm die Renaud, die schließlich alles in ihren Besitz brachte. Aber das war noch nicht der schändlichste Dienst, den sie mir erwies: sie teilte mir ein Leiden
mit, das sie verzehrte, das aber seine Zerstörungen nur im Innern anrichtete und ihr Äußeres völlig unberührt ließ, das daher um so gefährlicher war, da ihre Frische vollkommenste Gesundheit zu zeigen schien. Diese Schlange, die aus der Hölle hervorgekrochen war, um mich zugrunde zu richten, hatte mich dermaßen bezaubert, daß ich einen Monat lang die Krankheit vernachlässigte, weil sie mich zu überzeugen wußte, sie
würde entehrt sein, wenn ich während unseres Aufenthaltes in München einen Wundarzt in Anspruch nähme, da die ganze Hofclique wüßte, daß wir wie Mann und Frau zusammen lebten.
Wenn ich darüber nachdenke, begreife ich selber nicht meine unglaubliche Nachgiebigkeit, besonders nicht, da ich jeden Tag das Gift erneuerte, das sie meinen Adern eingeflößt hatte!
Mein Aufenthalt in München war für
mich eine Art Verdammnis. Ich sah während dieses verhängnisvollen Monats alle Schrecknisse der Hölle vereint, um mir einen Vorgeschmack von den Qualen zu geben, die die Seelen der Verdammten leiden. Die Renaud liebte das Spiel, und Desarmoises hielt als ihr Partner die Bank. Ich weigerte mich stets, mich daran zu beteiligen, denn der falsche Marquis betrog ohne jede Rücksicht und oft mehr unverschämt als geschickt. Er lud schlechte Gesellschaft zu mir ein und bewirtete
sie auf meine Kosten; an ihrem Spieltische kamen jeden Abend ärgerliche Auftritte vor. Die Kurfürstin-Witwe von Sachsen kränkte mich auf das empfindlichste bei Gelegenheit der beiden letzten Male, wo ich die Ehre hatte, mit ihr zu sprechen.
»Man weiß hier, mein Herr, wie Sie mit der Renaud leben,« sagte die Fürstin zu mir, »und welchen Lebenswandel sie bei Ihnen, vielleicht ohne Ihr Wissen, führt; dies schadet Ihnen sehr, und
ich rate Ihnen, ein Ende damit zu machen.«
Sie wußte nicht, daß ich aus allen möglichen Gründen zum Dulden gezwungen war. Seit einem Monat war ich schon aus Paris fort und hatte keine einzige Nachricht weder von Frau von Urfé noch von Costa erhalten. Ich hatte den Grund nicht erraten, aber ich begann die Treue meines Italieners zu beargwöhnen. Auch befürchtete ich, meine gute Madame dUrfé wäre gestorben oder
vernünftig geworden, was für mich auf dasselbe hinausgekommen wäre; der Zustand, worin ich mich befand, machte es mir unmöglich, nach Paris zurückzufahren, um mich nach dem zu erkundigen, was ich so notwendig wissen mußte, um meine Lebensruhe wiederherzustellen und meine Börse wieder zu füllen.
Ich fand mich also in großer Not. Am meisten Kummer bereitete es mir, daß ich mir selber einen Beginn von Abspannung eingestehen mußte, die gewöhnlich mit dem herannahenden Alter verbunden ist; ich besaß nicht mehr jene sorglose Zuversicht, welche Jugend und Kraftbewußtsein verleihen; andererseits aber hatte mich die Erfahrung noch nicht reif genug gemacht, um mich zu bessern.
Ein Überrest der Gewohnheit,
entschlossen zu handeln, veranlaßte mich jedoch, mich plötzlich von der Renaud zu verabschieden und ihr zu sagen, ich würde in Augsburg auf sie warten. Sie gab sich keine Mühe, mich zurückzuhalten, versprach mir jedoch, sobald wie möglich mir nachzukommen, da sie im Begriff stehe, ihre Edelsteine vorteilhaft zu verkaufen. Ich reiste mit Leduc ab und war froh, daß Desarmoises es für gut befand, bei der unwürdigen Kreatur zu bleiben, deren
unglückliche Bekanntschaft ich ihm verdankte. In Augsburg angekommen, legte ich mich in meinem hübschen Hause ins Bett, das ich entschlossen war, nicht eher zu verlassen, als bis ich tot oder von dem mich verzehrenden Gift befreit wäre. Mein Bankier Carli, den ich bei mir vorzusprechen bat, empfahl mir einen gewissen Kefalides, einen Schüler des berühmten Fayet, der mich einige Jahre vorher von dem gleichen Leiden in Paris geheilt hatte. Dieser Doktor galt für den
besten Chirurgen von Augsburg. Nachdem er mich untersucht hatte, versicherte er mir, er würde mich durch schweißtreibende Mittel heilen, ohne zu dem bösen Messer greifen zu müssen. Infolgedessen setzte er mich zunächst auf strengste Diät, verordnete mir Bäder und ließ mir Quecksilbereinreibungen machen. Ich fügte mich dieser Behandlung sechs Wochen lang. Statt aber geheilt zu sein, fühlte ich mich in einem schlimmeren Zustande als zu Anfang der
Behandlung. Ich war von einer schreckenerregenden Magerkeit und hatte zwei Leistengeschwüre von entsetzlicher Größe. Ich mußte mich entschließen, sie öffnen zu lassen, aber diese sehr schmerzliche Operation, die mir beinahe das Leben gekostet hätte, half mir gar nichts. Kefalides schnitt aus Ungeschicklichkeit die Arterie an und verursachte dadurch eine Blutung, die nur mit großer Mühe gestillt werden konnte und die mir das Leben gekostet
hätte, wenn sich nicht der bolognesische Arzt Algaldi, der Leibarzt des Fürstbischofs von Augsburg, meiner angenommen hätte.
Da ich von Kefalides nichts mehr wissen wollte, machte Doktor Algaldi in meiner Gegenwart neunzig Pillen aus achtzehn Gran Manna. Ich nahm jeden Morgen eine Pille, trank hierauf ein großes Glas verdünnter Milch; eine zweite Pille nahm ich abends und aß nachher eine Gerstensuppe. Dies war meine ganze Nahrung. Dieses
heroische Heilmittel gab mir in zweieinhalb Monaten meine Gesundheit wieder. Ich verbrachte diese Zeit unter großen Leiden und gewann mein gutes Aussehen und meine Kräfte erst gegen Ende des Jahres wieder.
Während dieser Leidenszeit erfuhr ich die näheren Umstände von Costas Flucht. Er war mit den Diamanten, Uhren, Tabaksdosen nebst der Wäsche und den gestickten Kleidern verschwunden, die Frau von Urfé ihm in einem großen Koffer
nebst hundert Louis Reisegeld gegeben hatte. Die gute Dame schickte mir einen Wechsel von fünfzigtausend Franken, den sie zum großen Glück nicht mehr Zeit gehabt hatte, dem Spitzbuben zu übergeben. Diese Summe kam mir sehr gelegen, denn ich war durch mein unvernünftiges Benehmen geradezu in eine gewisse Not geraten.
Zu gleicher Zeit hatte ich einen andern Kummer, der mir sehr zu Herzen ging: ich entdeckte, daß Leduc mich bestahl. Ich
hätte ihm dies verziehen, wenn er mich nicht gezwungen hätte, die Sache in die Öffentlichkeit zu bringen, die ich nur vermeiden konnte, indem ich mich selber bloßgestellt hätte. Trotzdem behielt ich ihn, bis ich zu Beginn des nächsten Jahres zurückkehrte.
Als gegen Ende September feststand, daß der Kongreß nicht zusammentreten würde, reiste die Renaud mit Desarmoises über Augsburg nach Paris zurück; sie wagte
nicht, mich zu besuchen, weil sie fürchtete, ich möchte sie zwingen, meine Sachen herauszugeben, deren sie sich ohne weiteres bemächtigt hatte. Ohne Zweifel nahm sie an, daß ich von dieser Spitzbüberei unterrichtet wäre. Vier oder fünf Jahre später heiratete sie in Paris einen gewissen Böhmer, jenen Juwelier, der dem Kardinal Rohan das berühmte Halsband gab, das er für die unglückliche Königin Marie Antoinette bestimmt glaubte.
Sie war in Paris, als ich dorthin zurückkehrte, aber ich bemühte mich nicht, sie zu sehen; denn ich wollte, wenn es möglich war, alles vergessen. Ich mußte so handeln, denn von allem, was ich während dieses unglückseligen Jahres tat, fand ich am verächtlichsten meine traurige Aufführung und überhaupt mich selber. Den infamen Desarmoises hätte ich allerdings nicht genügend verachtet, um mir das Vergnügen zu versagen, ihm die Ohren
abzuschneiden, wenn er mir Zeit gelassen hätte; aber der alte Schuft machte sich aus dem Staube – ohne Zweifel, weil er voraussah, wie ich ihn behandeln würde. Er ist kurze Zeit darauf in der Normandie im tiefsten Elend an der Schwindsucht gestorben.
Kaum war meine Gesundheit wiederhergestellt, so vergaß ich alles vergangene Unglück und fing wieder an, mich zu amüsieren. Meine ausgezeichnete Köchin, Anna Midel, die so lange Zeit
müßig gegangen war, mußte sich an die Arbeit machen, um meinen gefräßigen Hunger zu befriedigen; drei Wochen lang verzehrte mich ein rasender Hunger, der übrigens meinem Temperament entsprach und notwendig war, um mir die frühere Gestalt wiederzugeben. Mein Wirt, der Kupferstecher, und seine hübsche Gertrud, die ich erst mit mir essen ließ, sahen mich mit einer Art von Erstaunen an und fürchteten böse Folgen meiner
Unmäßigkeit. Mein lieber Doktor Algardi, der mir das Leben gerettet hatte, sagte mir eine Verdauungsstörung voraus, die mich ins Grab bringen würde; ich hörte nicht auf ihn und ich tat recht daran; denn durch das gute Essen gewann ich meine frühere Gesundheit wieder und fühlte mich bald imstande, dem Gotte, um dessenwillen ich so viel gelitten hatte, neue Opfer zu bringen.
Meine Köchin und Gertrud waren beide jung und hübsch. Ich
verliebte mich in sie. Und da ich ihnen zugleich auch dankbar war, so machte ich ihnen meine Liebeserklärung gleichzeitig, denn ich hatte vorausgesehen, daß ich keine von ihnen besiegt haben würde, wenn ich sie einzeln angegriffen hätte. Außerdem wußte ich, daß ich nicht viel Zeit zu verlieren hatte; denn ich hatte mich der Frau von Urfé gegenüber verpflichtet, am Neujahrstag 1762 mit ihr in einer Wohnung zu speisen, die sie in der Rue du Bac
für mich eingerichtet hatte. Sie hatte sie mit prachtvollen Gobelins geschmückt, die René von Savoyen hatte anfertigen lassen und auf denen alle Operationen des Großen Werkes dargestellt waren. Sie hatte mir geschrieben, sie sei in Choisy gewesen und habe dort erfahren, der Italiener Santis, den ich mit einem Degenstich durchbohrt hatte, sei von seiner Wunde genesen und später wegen Gaunerei in Bicètre eingesperrt worden.
Gertrud und Anna
Midel beschäftigten mich angenehm während meines übrigen Aufenthaltes in Augsburg, aber sie fesselten mich nicht in dem Grade, daß ich ihretwegen die gute Gesellschaft vernachlässigt hätte. Ich verbrachte meine Abende auf sehr angenehme Weise beim Grafen Max von Lamberg, der dort als Oberhofmarschall des Fürstbischofs lebte. Seine Gemahlin, eine reizende Frau, besaß alle Eigenschaften, um eine gute und zahlreiche Gesellschaft anzuziehen. Ich machte
bei dem Grafen die Bekanntschaft des Barons von Sellentin, der als preußischer Hauptmann in Augsburg wohnte, um Rekruten für seinen König zu werben. Besonders fesselte mich an dem Grafen Lamberg seine literarische Begabung. Er war ein Gelehrter ersten Ranges und besaß eine umfassende Bildung; er hat mehrere sehr geschätzte Werke veröffentlicht. Er hat mit mir einen brieflichen Verkehr unterhalten, der erst mit seinem Tode aufhörte, als er durch eigene Schuld
vor vier Jahren 1792 starb. Ich sage: durch seine eigene Schuld; aber ich hätte eigentlich sagen sollen: durch Schuld seiner Ärzte, die eine Krankheit, woran Venus keinen Anteil hatte, mit Quecksilber behandelten; sie zogen ihm dadurch nur Verleumdungen nach seinem Tode zu.
Seine liebenswürdige Witwe lebt noch in Bayern, geliebt von ihren Freunden und von ihren Töchtern, die sie an ausgezeichnete Männer verheiratet hat.
Um jene Zeit kam eine armselige kleine italienische Komödiantentruppe in Augsburg an, und ich verschaffte meinen Landsleuten die Erlaubnis, uns in einem schlechten kleinen Theater Vorstellungen zu geben. Da ich bei dieser Gelegenheit eine kleine Geschichte erlebte, die mich ergötzte, weil ich der Held derselben war, so werde ich sie meinen Lesern berichten und hoffe, ihnen dadurch angenehm zu sein.