Giacomo Casanova
Erinnerungen, Band 4
Achtes Kapitel Geschickte Gaunerei. – Passano in Livorno. – Pisa und die Corilla. – Meine Ansicht über Schielaugen. – Florenz. – Ich finde Teresa wieder. – Mein Sohn. – Die Cotticelli.
eingestellt: 1.8.2007
Während vier Pferde vor meinen Wagen gespannt wurden, stand ich einige Schritte von diesen entfernt; ein Mensch redete mich an und fragte mich, ob ich die Fahrt vorher oder beim Pferdewechsel bezahlen wollte. Ohne den Mann anzusehen, antwortete ich ihm, ich wollte vorausbezahlen, gab ihm einen Portugaleser und sagte ihm, er solle mir den Rest herausgeben.
»Sofort!« antwortete er mir, und damit verschwand er im
Gasthof.
Als ich einige Minuten darauf gerade den Rest meines Geldes verlangen wollte, kam der Postmeister und forderte von mir das Fahrgeld.
»Ich habe schon bezahlt und warte auf den Rest, den ich auf einen Portugaleser herausbekommen soll. Habe ich das Goldstück nicht Ihnen gegeben?«
»Mir? Nein, mein Herr, da bitte ich sehr um Entschuldigung.«
»Aber wem habe ich denn das
Goldstück gegeben?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Zum Donnerwetter! Ich kann es doch nur Ihnen oder einem von Ihren Leuten gegeben haben.«
Ich schimpfte; man bildete einen Kreis um mich.
»Hier sind alle meine Leute!« sagte der Postmeister; zugleich fragte er, ob irgend jemand von mir einen Portugaleser erhalten habe. Alle versicherten, dies sei nicht
der Fall, und schworen mit so aufrichtiger Miene, daß ich an ihrer Ehrlichkeit gar nicht zweifeln konnte. Ich fluche, ich schimpfe; man läßt mich fluchen und schimpfen.
Schließlich sah ich ein, daß ich unrecht hatte, bezahlte zum zweitenmal und lachte über den geschickten Gauner, der mich so fein geprellt hatte. So sammelt man Erfahrungen. Man erlebt immer wieder Neues und weiß nie genug. Seitdem habe ich niemals Postgeld bezahlt,
ohne richtig aufzupassen.
In keinem Lande gibt es schlauere Gauner als in Italien; doch ist davon Griechenland auszunehmen, und zwar das alte wie das neue.
In Livorno stieg ich im besten Gasthof ab; man sagte mir, es werde Theater gespielt, und unglücklicherweise bekam ich Lust, hinzugehen. Einer von den Schauspielern erkannte mich, redete mich an und sprach mir seine Freude über unser Wiedersehen aus; er stellte mir einen seiner Kameraden
vor, einen angeblichen guten Dichter und großen Feind des Abbate Chiari, den ich nicht liebte, weil er eine beißende Satire auf mich gedichtet hatte, für die ich mich noch nicht hatte rächen können. Ich lud sie ein, mit mir zu Abend zu essen, und solche Herren lassen sich eine derartige gute Gelegenheit nicht gerne entgehen. Der angebliche gute Dichter war Genuese und hieß Giacomo Passano. Er sagte mir, er habe gegen Chiari dreihundert Sonette gedichtet, und wenn
er diese drucken lassen könnte, würde der Abbate vor Wut platzen. Als ich unwillkürlich über die gute Meinung lächelte, die der Mann von sich selber hatte, erbot er sich, mir zu meiner Ergötzung einige von ihnen vorzulesen. Er hatte das Manuskript bei sich, und so mußte ich wohl oder übel die Qual über mich ergehen lassen. Er las mir etwa ein Dutzend vor, die ich ohne Ausnahme mittelmäßig fand; ein mittelmäßiges Sonett ist aber
notwendigerweise schlecht, denn in dieser Gattung der Dichtkunst kann nur Erhabenes gelten. Daher kommt es, daß unter den Tausenden von Sonetten, die in Italien täglich gemacht werden, nur selten einmal ein gutes ist.
Hätte ich mir die Zeit genommen, die Physiognomie des Mannes, der etwa fünfzig Jahr alt sein mochte, mir genauer anzusehen, so hätte ich in ihm ohne Zweifel einen Spitzbuben erkannt; aber die Leidenschaft macht blind; seine
Sonette gegen Chiari hatten mir den Blick getrübt.
Ich warf einen Blick auf den Titel seines Manuskriptes und las:
La Chiareide di Ascanio Pogomas.
»Dies ist«, sagte er, »das Anagramm meines Tauf- und Familiennamens. Bitte bewundern Sie die glückliche Kombination!«
Auch über diese Dummheit mußte ich lachen.
Jedes einzelne dieser Sonette war
eine platte Schimpferei und schloß mit den Worten:
LAbbate Chiari e un coglione
Abbate Chiari ist ein Lumpenkerl.
Er bewies nicht, daß der Abbate dies war, er wiederholte es nur immer kraft des Dichtervorrechtes der Übertreibung und der Lüge. Sein Zweck war, dem breccianischen Abbate wehzutun, der durchaus kein »Lumpenkerl« war, wie dieser Passano ihn nannte, sondern im Gegenteil ein Mann von Geist und
Herz, und ein guter Dichter dazu; wenn er die Bühne gekannt hätte, so hätte er Goldoni übertroffen, denn er beherrschte die Sprache besser als dieser.
Aus Höflichkeit sagte ich zu Passano, er solle doch seine Chiareide drucken lassen.
»Das täte ich gern,« antwortete er mir, »wenn ich einen Verleger finden könnte; denn ich selber bin nicht so reich, um die Kosten tragen zu können, und die
Buchhändler sind lauter Lumpen oder Dummköpfe. Außerdem ist die Presse nicht frei; die Zensur würde den Beinamen, mit welchem ich meinen Helden schmücke, nicht durchgehen lassen. Wenn ich nach der Schweiz gehen könnte, bin ich sicher, die Sache dort machen zu können; aber ich besitze nicht die sechs Zechinen, die ich brauche, um die Reise zu Fuß zu machen.«
»Und wenn Sie nun in der Schweiz wären, wo es doch kein
Theater gibt – wovon würden Sie dort leben?«
»Ich würde Miniaturen malen ... Sehen Sie!«
Er gab mir eine Anzahl kleiner Elfenbeinplättchen, worauf obszöne Gegenstände schlecht gezeichnet und ebenso schlecht gemalt waren.
Ich sagte ihm: »Ich werde Ihnen Empfehlungen nach Bern geben,« und gab ihm wirklich nach dem Abendessen einen Brief und sechs Zechinen. Er wollte
mir durchaus einige von seinen Machwerken aufdrängen; ich wies diese jedoch zurück. Ich beging die Dummheit, ihn an den Vater der niedlichen Sarah zu empfehlen, und sagte ihm, er solle mir nach Rom an die Adresse des Bankiers Belloni schreiben.
Am nächsten Tage reiste ich von Livorno ab und traf zum Mittagessen in Pisa ein, wo ich zwei Tage blieb. Ich machte dort die Bekanntschaft eines Engländers, der mir einen schönen Reisewagen verkaufte und mich
zu der berühmten Dichterin Corilla führte, die ich gerne kennen lernen wollte. Sie nahm mich sehr gut auf und war so freundlich, über verschiedene Gegenstände zu improvisieren, die ich ihr vorschlagen durfte. Sie bezauberte mich, weniger durch ihre Anmut und Schönheit als durch die hübschen Gedanken, die sie in eine vollendet schöne Sprache einkleidete. Wie schön erscheint eine Sprache, wenn sie, mit klarem, reinem Akzent vorgetragen, in der
sorgfältigen Wahl der Ausdrücke sich von Nachlässigkeit ebenso fernhält wie von Geziertheit. Eine schlechte Aussprache ist selbst in einem schönen Munde unerträglich, und ich habe stets den gesunden Sinn der Griechen bewundert, die von den Ammen ihrer Kinder Reinheit der Stimme, der Betonung und der Sprache verlangten. Wir sind weit davon entfernt, ein so schönes Beispiel zu befolgen; wie oft werden einem aber auch, selbst in der vielfach mit Unrecht so
genannten guten Gesellschaft die Ohren zerschunden!
Corilla war
straba, wie die Alten Venus malten; warum, das habe ich niemals begreifen können. Denn eine Frau, die schielt, mag im übrigen noch so schön sein, sie ist in meinen Augen nichtsdestoweniger mit einem Mangel behaftet; und ich bin überzeugt, wäre Venus eine Göttin gewesen, sie hätte ganz gewiß den sonderbaren Griechen, der zuerst sie schieläugig
darzustellen wagte, ihren Unwillen fühlen lassen. Wenn Corilla sang – so hat man mir versichert – brauchte sie nur ihren schielen Blick auf einen Mann zu heften, um ihn zu erobern, Gott sei Dank machte sie sich wahrscheinlich aus mir nichts, denn sie sah mich nicht ein einzigesmal fest an.
In Florenz quartierte ich mich im Gasthof »de la Carrajo« ein, dessen Besitzer, Doktor Vannini, sich gern ein unwürdiges Mitglied der
Academia della Crusca nannte. Ich nahm eine Wohnung, deren Fenster nach dem Arnoufer hinausgingen und mit einer herrlichen Terrasse in Verbindung standen. Ich nahm ferner einen Mietswagen und einen Lohndiener an, den ich sofort wie den Kutscher in eine blau und rote Livree kleiden ließ. Dies waren die Farben des Herrn von Bragadino, und ich glaubte, mich ihrer bedienen zu können, nicht, um mir eine besondere Wichtigkeit beizulegen, sondern nur um zu prunken.
Am nächsten Tage ging ich allein im Überrock aus, um mir Florenz anzusehen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Am Abend ging ich ins Theater, um den berühmten Harlekin Rossi zu hören, aber ich fand mit Recht, daß sein Ruf größer war als seine Leistung. Das gleiche Urteil fällte ich über die so viel gerühmte Deklamationsweise der Florentiner: sie fand nicht meinen Beifall. Mit Vergnügen sah ich Pertici: nun, da er alt
war und nicht mehr singen konnte, spielte er Komödie, und zwar gut – was selten vorkommt, denn Sänger sowohl wie Sängerinnen verlassen sich darauf, daß sie ihre Stimme behalten werden, und vernachlässigen die Schauspielkunst; so kommt es, daß ein einfacher Schnupfen ihre Leistungen sehr mittelmäßig werden läßt.
Am nächsten Tage suchte ich den Bankier Sasso-Sassi auf, bei dem ich ein großes Guthaben
hatte. Nachdem ich vorzüglich zu Mittag gespeist hatte, machte ich große Toilette und ging in die Oper, in der »Via della Pergola«. Ich nahm eine Loge neben dem Orchester, mehr um die Künstlerinnen zu beäugeln als die Musik zu hören, von der ich niemals ein begeisterter Freund war.
Der Leser stelle sich meine Überraschung und Freude vor, als ich in der ersten Sängerin den falschen Bellino, Teresa, erkannte, die ich zu Beginn
des Jahres 1744 in Rimini verlassen hatte, die reizende Teresa, die ich ganz gewiß geheiratet haben würde, wenn mich nicht der Herr von Gages in Arrest gesetzt hätte. Sie hätte meinem Schicksal notwendigerweise eine ganz andere Richtung gegeben. Es war siebzehn Jahre her, seit ich sie gesehen, aber sie erschien mir auf der Bühne ebenso entzückend schön wie in dem Augenblick, da ich sie verlassen hatte. Ich konnte meinen Augen nicht trauen, denn es schien
mir vollkommen unmöglich zu sein, daß sie sich gar nicht verändert hätte. Schließlich begann ich zu glauben, daß ein eigentümlicher Zufall eine solche wunderbare Ähnlichkeit geschaffen hätte; aber am Schlusse einer Arie, die sie zum Entzücken sang, warf sie ihre Augen auf mich und wandte sie nicht mehr ab. Nun konnte ich nicht mehr zweifeln, daß es wirklich Teresa war, denn ich sah, daß sie mich wiedererkannt hatte. Als der
Auftritt zu Ende war, ging sie nach der meiner Loge entgegengesetzten Seite ab, blieb in der Kulisse stehen und gab mir mit dem Fächer ein Zeichen, daß ich sie besuchen möchte.
Ich verließ meine Loge mit einem außerordentlich starken Herzklopfen, dessen Ursache ich mir nicht erklären konnte; denn ich hatte an Teresa die süßeste Erinnerung bewahrt und fühlte mich ihr gegenüber nicht weiter schuldig, als daß ich auf
ihren letzten Brief, den sie mir vor dreizehn Jahren aus Neapel geschrieben, nicht geantwortet hatte. Ich begab mich auf den Weg nach der Bühne, voller Neugier, zu erfahren, was ihr in dem Zeitraum von siebzehn Jahren, der mir wie ein Jahrhundert vorkam, widerfahren sein möchte, und noch neugieriger, worauf diese Zusammenkunft hinauslaufen möchte.
Ich gelangte an eine kleine Tür, die zur Bühne führte, und erblickte Teresa oben auf der Treppe;
sie sagte dem Mann, der die Tür bewachte, er solle mich einlassen. Ich trat ein. Stumm vor Überraschung standen wir einander gegenüber. Ich ergriff ihre Hand, preßte diese gegen mein Herz und rief: »Fühle, wie es schlägt!«
»Ich kann hier deine Hand nicht an mein Herz legen; aber als ich dich erblickte, glaubte ich, ich würde in Ohnmacht sinken. Unglücklicherweise bin ich zum Abendessen eingeladen. Ich werde die
ganze Nacht kein Auge zumachen. Um acht Uhr erwarte ich dich. Wo wohnst du?«
»Beim Doktor Vannini.«
»Welchen Namen trägst du?«
»Meinen eigenen.«
»Seit wann bist du hier?«
»Seit gestern.«
»Wirst du lange in Florenz bleiben?«
»So lange wie du
willst.«
»Bist du verheiratet?«
»Nein.«
»Verfluchte Einladung! Was für ein Tag! Geh, lieber Freund! Ich muß auftreten. Leb wohl; auf Wiedersehen morgen früh um sieben.«
Sie hatte mir zuerst gesagt, ich solle um acht kommen; aber eine Stunde früher war nicht von Übel: Ich ging ins Parkett und dort fiel mir ein, daß ich sie weder
nach ihrem Namen noch nach ihrer Wohnung gefragt hatte; doch konnte ich dies ja leicht erfahren. Sie spielte die Rolle der Mandane; ich sah sie jetzt in weiterer Entfernung als von meiner Loge aus, und sie entzückte mich durch die Wahrheit ihres Spiels, durch ihren edlen Anstand und die Reinheit ihres Gesanges. Ein sehr gut gekleideter junger Mann stand neben mir; ich fragte ihn: Wie heißt diese ausgezeichnete Sängerin?«
»Sie sind wohl erst seit
heute in Florenz?«
»Seit gestern.«
»Dann ist es zu entschuldigen. Nun, mein Herr, sie heißt wie ich, denn sie ist meine Frau, und mein Name ist Cirillo Palesi, Ihnen aufzuwarten.«
Ich konnte vor Überraschung kein Wort sagen und machte ihm nur eine stumme Verbeugung. Nach seiner Wohnung wagte ich ihn nicht zu fragen, denn er hätte meine Neugier ungezogen finden können. Teresa mit
diesem jungen Mann verheiratet, und gerade ihrem Mann muß ich in die Arme laufen und mich bei ihm nach ihr erkundigen! Gewiß eine eigenartige Verknüpfung von allerlei Zufällen und Stoff zu einer guten Lustspielszene.
Ich konnte es im Theater nicht länger aushalten; ich mußte mit mir allein sein, um in aller Ruhe über dieses schnurrige Abenteuer nachzudenken und über den Besuch, den ich meiner verheirateten Teresa am nächsten
Morgen um sieben und nicht um acht Uhr abstatten sollte, denn ich mußte mich an ihr letztes Wort halten. Ich war höchst neugierig, was für ein Gesicht der junge Ehemann machen würde, wenn er mich wiedererkennen würde; daß er mich nicht wiedererkennen sollte, war unmöglich, denn er hatte mich recht aufmerksam gemustert, während er mir sagte, daß er Teresas Gatte wäre. Ich fühlte auch, daß meine erste Leidenschaft für das
schöne Weib in meinem Herzen wieder erwacht war, und ich wußte nicht recht, ob ich mich darüber ärgern oder freuen sollte, daß sie verheiratet war.
Ich verließ die Oper und befahl meinem Lakaien, meinen Wagen zu rufen.
»Gnädiger Herr, Sie können ihn erst um neun Uhr haben, denn wegen der strengen Kälte hat der Kutscher die Pferde wieder in den Stall gestellt.«
»So wollen wir zu Fuß gehen.«
»Sie werden sich erkälten.«
»Wie heißt die Primadonna?«
»Als sie hierher kam, hieß sie Lanti; aber seit ein paar Monaten nennt sie sich Signora Palesi. Sie hat einen schönen jungen Mann geheiratet, der nichts versteht und nichts hat; aber sie ist reich und anständig, und ich kann Ihnen sagen, daß bei ihr nichts zu
machen ist.«
»Wo wohnt sie?«
»Am Ende dieser Straße. Da ist ihr Haus; sie wohnt im ersten Stock.«
Zufrieden, alles erfahren zu haben, was ich wissen wollte, schwieg ich und verwandte alle meine Gedanken nur darauf, mir den Weg zu merken, damit ich ihn am anderen Morgen allein wiederfinden könnte. Ich nahm in aller Eile ein leichtes Abendessen zu mir und befahl Leduc, mich um sechs Uhr zu
wecken.
»Aber gnädiger Herr, es wird ja erst um sieben Uhr hell.«
»Das weiß ich.«
»Dann ist es gut.«
Bei Tagesanbruch stand ich vor der Tür der ersten Frau, die ich leidenschaftlich geliebt hatte. Ich stieg eine Treppe hinauf und klingelte; eine alte Frau öffnete mir und fragte mich, ob ich Herr Casanova sei. Auf meine bejahende Antwort sagte sie mir,
die Signora habe ihr gesagt, ich würde um acht kommen.
»Mir hat die gnädige Frau gesagt, um sieben.«
»Nun, das macht nichts. Haben Sie die Güte, in dieses Zimmer einzutreten, ich werde sie wecken.«
Nach fünf Minuten erschien der junge Ehemann in Schlafrock und Nachtmütze; er begrüßte mich sehr höflich und sagte mir, seine Frau werde sofort erscheinen. Plötzlich machte er ein Gesicht, wie wenn er aus den Wolken fiele,
sah mich starr an und sagte: »Aber, mein Herr, waren Sie es nicht, der mich gestern abend fragte, wie meine Frau hieße?«
»Sie täuschen sich nicht, mein Herr; das war ich. Seit langen Jahren hatte ich sie nicht gesehen, und ich glaubte sie wieder zu erkennen. Mein Glück wollte, daß ich mich an ihren Gatten wandte, und die Freundschaft, die mich mit ihr verbindet, wird mich in Zukunft auch mit Ihnen verbinden.«
Gerade, als ich mit diesem schönen Kompliment fertig war, trat Teresa, schön wie Venus, mit offenen Armen ein. Entzückt preßte ich sie an meinen Busen, und wir blieben zwei Minuten innig umschlungen wie zwei Freunde, zwei Liebende, die glücklich sind, sich nach einer langen, schmerzlichen Trennung wiederzusehen. Nachdem wir uns mehrere Male geküßt hatten, bat sie ihren Mann, sich zu setzen, zog mich auf ein Kanapee nieder und ließ ihren Tränen
freien Lauf. Ich weinte ebenfalls und fand diese Tränen köstlich. Schließlich aber trockneten wir uns die Augen und sahen aus einem gleichzeitigen Antriebe auf den Gatten, den wir ganz und gar vergessen hatten. Man stelle sich das lächerliche Erstaunen vor, das sich begreiflicherweise auf seinem Gesichte malte, als wir unwillkürlich beide laut herauslachten. In seinem Erstaunen lag etwas so Komisches, daß nur ein phantasiebegabter Dichter und ein gewandter
Karikaturenzeichner es wiedergeben könnten. Teresa wußte, wie sie den von ihr angerührten Teig zu kneten hatte: sie rief in pathetischem und zärtlichem Tone: »Mein lieber Palesi, du siehst hier meinen Vater, ja mehr als meinen Vater, denn du siehst einen großmütigen Freund, dem ich alles verdanke. Glücklicher Augenblick, nach dem mein Herz seit zehn Jahren schmachtet!«
Als er das Wort »Vater« hörte, sah der
arme Gatte mich an: aber ich lachte nicht, obgleich ich die größte Lust dazu hatte. Teresa, obwohl ausgezeichnet erhalten, war nur zwei Jahre jünger als ich; aber die Freundschaft braucht den süßen Namen Vater in dem Sinne, wie er ihr gerade paßt.
»Ja, mein Herr,« sagte ich zu ihm, »Ihre Teresa ist meine Tochter, meine Schwester, meine Freundin, die ich innig liebe; sie ist ein Engel, und dieser Schatz ist Ihre
Frau.«
Ohne ihm Zeit zu lassen, sich von seinem Erstaunen zu erholen, wandte ich mich an Teresa und fuhr fort: »Ich habe auf deinen letzten Brief nicht geantwortet, meine liebe Freundin ...«
»Ich weiß alles. Du warst in eine Nonne verliebt. Du saßest unter den Bleidächern gefangen, und in Wien vernahm ich von deiner fast wunderbaren Flucht. Ich hatte ein falsches Vorgefühl, daß ich dich dort
wiedersehen würde. Später erfuhr ich, daß du in Paris und in Holland dein Glück gemacht habest, und erst seit deiner Abreise von Paris habe ich niemanden mehr gefunden, der mir von dir hätte erzählen können. Wenn ich dir ausführlich alles erzähle, was mir in diesen zehn Jahren zugestoßen ist, wirst du hübsche Dinge zu hören bekommen. Aber jetzt bin ich glücklich! Dies hier ist mein lieber Palesi, ein Römer, den ich vor ein
paar Monaten geheiratet habe. Wir lieben uns, und ich hoffe, du wirst sein Freund sein, wie du der meinige bist.«
Bei diesen Worten stand ich auf und umarmte diesen Ehegatten, der eine so sonderbare Figur spielte. Er kam mir mit offenen Armen, aber in einiger Verlegenheit entgegen; denn ohne Zweifel wußte er noch nicht recht, was er von einem Manne denken sollte, der gleichzeitig Vater, Bruder und Freund und vielleicht Liebhaber seiner Frau war. Teresa bemerkte
seine Verlegenheit und umarmte ihn nach mir mit allen Kennzeichen lebhaftester Zärtlichkeit, die nun mich meinerseits in Verlegenheit setzte; denn in der letzten halben Stunde war die ganze Liebe wieder erwacht, die mich einst entflammt hatte, als in Ancona Don Sancho Pico mich mit ihr bekannt gemacht hatte.
Durch meine Umarmungen und die Liebkosungen seiner Frau beruhigt, fragte Herr Palesi mich, ob ich ihm die Freude machen wollte, mit ihm eine Tasse ausgezeichneter
Schokolade zu trinken, die er mit ganz besonderem Vergnügen selber zurecht machen würde. Ich antwortete ihm, Schokolade sei mein Lieblingsfrühstück und ich würde sie um so besser finden, da sie von einem Freunde zubereitet wäre. Er ging hinaus, um sich ans Werk zu machen. Der Augenblick des Glücks war da.
Sobald wir allein waren, warf meine teure Teresa mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe sich in meine Arme. »Oh, mein
Freund! Du, dem mein Herz zum erstenmal geschlagen hat, den ich mein ganzes Leben lang lieben werde, laß mich das Glück empfinden, dich an meinen Busen zu drücken! Umarmen wir uns hundertmal an diesem Tage des Glücks! Aber damit, liebes Herz, sei es genug, denn das Schicksal hat mich zur Frau eines anderen gemacht. Morgen, wenn wir uns wiedersehen, sind wir Bruder und Schwester; heute wollen wir Liebende sein!«
Sie war mit dieser Rede noch
nicht fertig, da war ich schon auf dem Gipfel des Glücks angelangt. Unsere Entzückungen waren gegenseitig, und wir erneuerten sie fast ununterbrochen während der halben Stunde, die wir sicher vor uns hatten. Ihr Morgenkleid und mein Gehrock paßten aufs beste zu den Umständen. Nachdem wir unsere Liebesglut wenigstens zum Teil gestillt und uns überzeugt hatten, daß wir noch so waren wie damals, als wir in Rimini voneinander schieden, atmeten wir auf und setzten
uns auf das Kanapee.
Als sie sich ein wenig gesammelt hatte, sagte sie: »Du mußt wissen, ich bin in meinen Mann noch verliebt und fest entschlossen, ihn niemals zu betrügen. Was ich eben getan habe, war die Bezahlung einer Schuld, die ich meiner ersten Liebe gegenüber eingegangen war. Ich mußte sie begleichen, um dir zu beweisen, wie teuer du mir bist. Aber jetzt wollen wir nicht mehr daran denken. Vergessen wir es, lieber Freund! Laß dir
genügen, zu wissen, daß ich dich lieb habe – woran du ja nicht zweifeln kannst – und lasse mir die süße Überzeugung, daß ich von dir geliebt werde. Aber in Zukunft laß uns die Gelegenheit vermeiden, miteinander allein zu sein; denn dann würde ich unterliegen, und dies würde mir schmerzlich sein. Macht dieser Gedanke dich traurig?«
»Ich finde dich gebunden, und ich bin frei. Wir hätten uns niemals
mehr getrennt. Du hast die Glut meiner ersten Liebe wieder angefacht. Ich bin so verliebt wie damals, als ich dich in Ancona kennen lernte; ich habe dich davon überzeugt, und nun denke dir, wie unglücklich ich bin, dich nicht mehr besitzen zu können. Ich finde dich nicht nur verheiratet, sondern obendrein verliebt! Ach, ich bin zu spät gekommen! Aber wenn ich mich nicht in Genua aufgehalten hätte, wäre ich trotzdem nicht weniger unglücklich. Du sollst
später alles erfahren. Einstweilen werde ich genau tun, was du mir vorschreibst. Dein Gatte weiß, glaube ich, nichts von unserem Verhältnis; ich muß wohl ihm gegenüber vollkommen verschwiegen sein, nicht wahr?«
»Ja, lieber Freund; er weiß nichts von meinen Angelegenheiten, und es ist mir sehr lieb, daß er nicht neugierig danach ist. Er weiß wie alle Welt, daß ich mein Vermögen in Neapel erworben habe,
wohin ich, wie ich überall erzähle, im Alter von zehn Jahren gekommen bin. Dies ist eine unschuldige Lüge, die keinem Menschen Schaden tut; in dem Beruf, dem ich mich widmen mußte, habe ich diese Lüge mehreren Wahrheiten vorziehen müssen, die mir schaden würden. Ich gebe mich für vierundzwanzigjährig aus; was meinst du dazu?«
»Mich dünkt, du sprichst die Wahrheit, obgleich ich weiß, daß du
zweiunddreißig Jahre alt bist.«
»Du willst sagen einunddreißig; denn als ich dich kennen lernte, kann ich nicht mehr als vierzehn gezählt haben.«
»Ich glaubte, du wärest mindestens fünfzehn Jahre alt.«
»Dies ist, unter uns gesagt, möglich; aber sage mir, bitte, ob ich älter aussehe als vierundzwanzig.«
»Ich schwöre dir, du siehst noch nicht einmal so alt aus; aber in Neapel ....«
»In Neapel könnte ein Chronikschreiber wohl die Wahrheit wissen; aber auf diese Art Leute hört kein
Mensch. Doch mache dich, mein lieber Casanova, auf einen Augenblick gefaßt, der einer der interessantesten deines Lebens sein wird.«
»Einer der interessantesten meines Lebens, sagst du? Wann wird dieser Augenblick stattfinden?«
»Gestatte mir darüber zu schweigen; ich möchte mich an deiner Überraschung werden. Sprechen wir von etwas Ernstlichem. Wie steht es mit deinen Verhältnissen? Wenn du Geld
brauchst, so bin ich in der Lage, dir die Summe, die du mir schenktest, zurück zu erstatten, und zwar mit so hohen Wucherzinsen, wie du nur willst! Mein Mann hat nichts zu sagen; alles, was ich besitze, ist mein Eigentum. Ich habe in Neapel fünfzigtausend Reichsdukaten und besitze eine gleiche Summe in Diamanten. Sage mir schnell, wieviel du brauchst; denn die Schokolade wird gleich kommen!«
So war Teresa.
Tiefgerührt wollte
ich ihr antworten, ihr um den Hals fallen, da kam die Schokolade. Ihr Mann kam herein mit einem Mädchen, das eine vollendete Schönheit war; sie trug auf einem Untersatz von vergoldetem Silber drei Tassen Schokolade. Während wir diese tranken, ergötzte Palesi uns, indem er in geistvoller Weise die Überraschung schilderte, die er empfunden hätte, als er sah, daß der Herr, um den er so früh am Morgen sein Bett verlassen mußte, derselbe war, der ihn am
Abend vorher nach dem Namen seiner Frau gefragt habe. Teresa und ich hielten uns die Seiten vor Lachen, denn seine Erzählung war ein Gemisch von Witz und Gutmütigkeit. Dieser Römer mißfiel mir weniger, als er in seiner Eigenschaft als Gatte mir eigentlich hätte mißfallen müssen; denn er schien nur der Form wegen eifersüchtig zu sein.
»Mein lieber Freund,« sagte Teresa endlich zu mir, »um zehn Uhr habe ich
Generalprobe aller Arien der neuen Oper; wenn du willst, kannst du hier bleiben. Ich bitte dich, mir zu erlauben, jeden Tag für dich decken zu lassen, und du wirst mir ein großes Vergnügen machen, wenn du mein Haus als das deinige betrachtest.«
»Für heute,« antwortete ich ihr, »werde ich dich erst nach dem Abendessen verlassen, damit du deinen glücklichen Gatten für dich hast.«
Bei diesen
Worten umarmte Palesi mich mit überströmendem Gefühl, wie wenn er mir dafür danken wollte, daß ich ihm keine Schwierigkeiten machte, seine Gattenrechte auszuüben.
Der junge Mann war höchstens zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre alt; er war blond, gut gewachsen und zu hübsch für einen Mann. Teresa war zu entschuldigen, daß sie sich in ihn verliebt hatte, und ich nahm ihr dies nicht übel, denn ich kannte nur zu sehr die
Macht eines schönen Gesichtes; aber ich fand, daß sie unrecht gehabt hatte, ihn zu ihrem Manne zu machen, denn ein Ehemann, sei er wie er sei, erwirbt doch stets gewisse Herrenrechte, die zuweilen lästig sein können.
Teresas hübsche Kammerjungfer meldete mir, mein Wagen wäre vor der Tür.
»Gestatten Sie,« sagte ich zu meiner Freundin, »daß mein Lohndiener hereinkommt?«
Der Kerl kam.
»Wer hat Ihnen befohlen, mit meinem Wagen hierher zu kommen?«
»Niemand, mein Herr; aber ich kenne meine Pflicht.«
»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich hier wäre?«
»Ich habe es erraten.«
»Rufen sie meinen Kammerdiener und kommen Sie mit ihm herein.«
Als er mit Leduc wieder
eintrat, befahl ich diesem, dem lästigen Menschen den Lohn für drei Tage auszuzahlen, ihm seine Livree abzunehmen und mir von Doktor Vannini einen Diener von gleicher Größe besorgen zu lassen, der nicht die Gabe des Erratens besäße, sondern pünktlich die Befehle seines Herrn auszuführen wüßte. Sehr betrübt über sein Mißgeschick, wandte der Bursche sich an Teresa und bat um ihre Vermittlung; aber als kluge Frau antwortete sie
ihm, sein Herr sei allein imstande, seine Dienste zu schätzen.
Um zehn Uhr kamen alle Sänger und Sängerinnen nebst einer Menge von Theaterliebhabern, die den ganzen Saal füllten. Teresa empfing mit edler Anmut die Handküsse aller ihrer Gäste, und ich sah, daß sie in großem Ansehen stand. Die Probe dauerte drei Stunden und langweilte mich sehr. Um dieser Langeweile zu entgehen, unterhielt ich mich mit Palesi, der mir gefiel, weil er
mit keinem Wort mich fragte, wo, wie und wann ich seine Frau kennen gelernt hätte. Ich sah, daß ihm sein Gefühl sagte, wie er sich in seiner Stellung zu benehmen habe.
Eine junge Parmesanerin namens Redegonda, die eine Männerrolle spielte und sehr gut sang, blieb zum Essen, Teresa hatte außerdem eine junge Bologneserin, namens Corticelli, eingeladen. Die sprossenden Reize dieser hübschen Figurantin machten Eindruck auf mich; indessen war ich
in diesem Augenblick so voll von Teresa, daß ich nicht sehr auf sie achtete. Einen Augenblick später sah ich einen wohlbeleibten Abbate mit gemessenen Schritten eintreten, einen echten Tartüff, der nur Teresa suchte. Als er sie erblickt hatte, schritt er auf sie zu, beugte nach portugiesischer Sitte ein Knie zur Erde und küßte ihr zärtlich und ehrfurchtsvoll die Hand. Teresa ließ ihn mit anmutigem Lächeln zu ihrer Rechten Platz nehmen; ich saß
links von ihr. Seine Stimme und sein ganzes Aussehen sagten mir, daß es ein Bekannter sein mußte, und bald erkannte ich in der Tat den Abbate Gama, den ich vor siebzehn Jahren in Rom beim Kardinal Acquaviva zurückgelassen hatte; aber ich tat, als ob ich ihn nicht erkenne; dies war nicht schwer für mich, denn er war recht alt geworden. Der galante Abbate hatte nur Augen für Teresa; er war nur damit beschäftigt, ihr tausend Schmeicheleien zu sagen, und hatte
noch niemanden der Gesellschaft mit einem Blick beehrt. In der Hoffnung, daß er mich ebenfalls nicht wieder erkennen oder wenigstens es so machen würde wie ich, fuhr ich fort, mit der Corticelli zu plaudern; plötzlich sagte Teresa mir, der Herr Abbate wünsche zu wissen, ob ich ihn nicht erkenne. Ich sah ihn fest an, wie wenn ich in meinem Gedächtnis nachsuche, stand dann auf und fragte ihn, ob ich nicht das Glück hätte, den Herrn Abbate Gama wiederzusehen.
»Ich bins!« rief er, indem er aufstand, mich umhalste und mehrere Male küßte. Er war damit in seiner Rolle als feiner Politiker; der Leser wird wohl noch nicht die Schilderung vergessen haben, die ich im ersten Bande der Erinnerungen von ihm entworfen habe.
Wie man sich denken kann, entspann sich nun ein endloses Gespräch. Er sprach von Barbaruccia, von der schönen Marchesa G., vom Kardinal S. C.; er erzählte mir,
daß er von dem spanischen Dienst in den portugiesischen übergetreten wäre, in welchem er sich noch jetzt befände. Ich ließ mich mit Vergnügen von ihm an eine Menge von Umständen erinnern, die in meiner frühen Jugend lebhaften Eindruck auf mich gemacht hatten, als plötzlich eine völlig unerwartete Erscheinung meine Seele lähmte. Ein Jüngling von fünfzehn bis sechzehn Jahren, kräftig entwickelt, wie ein Italiener in diesem
Alter es nur sein kann, trat mit gewandtem Wesen ein, machte der Gesellschaft eine anmutige Verbeugung und umarmte Teresa. Ich war der einzige, der ihn nicht kannte; aber ich war nicht der einzige, auf dessen Zügen sich Überraschung malte. Teresa stellte ihn mir unverzagt mit der natürlichsten Miene von der Welt vor: »Mein Bruder!« Ich begrüßte ihn auf das freundlichste, aber doch ein wenig verwirrt, da ich keine Zeit gehabt hatte, mich von meiner
Überraschung zu sammeln. Dieser angebliche Bruder Teresas war mein leibhaftiges Ebenbild; nur war seine Gesichtsfarbe etwas heller als die meinige. Ich sah sofort, daß er mein Sohn war; denn niemals war die Natur indiskreter gewesen.
Dies war die Überraschung, welche Teresa mir angekündigt hatte; sie hatte sich das Vergnügen vorbehalten wollen, mich versteinert und zugleich entzückt zu sehen; denn sie wußte wohl, daß mein Herz von dem Gedanken, ihr beim Abschied ein solches Pfand unserer gegenseitigen Liebe zurückgelassen zu haben, tief gerührt sein würde. Ich hatte keine Ahnung davon gehabt, denn in ihren Briefen hatte sie nie etwas von ihrer
Schwangerschaft erwähnt. Wenn ich näher darüber nachdachte, schien mir, Teresa hätte diese Begegnung in Gegenwart fremder Personen vermeiden müssen; denn jeder hatte Augen und weiter war nichts nötig, um beim ersten Augenblick zu erkennen, daß dieser Jüngling nur mein Sohn oder mein Bruder sein könnte. Ich warf ihr einen Blick zu, aber sie wich diesem aus; der angebliche Bruder dagegen sah mich so aufmerksam an, daß er nicht hören konnte,
was sie zu ihm sagte. Die Zuschauer ließen ihre Augen fortwährend von meinem Gesicht zu dem seinigen wandern; und wenn sie der Meinung waren, daß er mein Sohn wäre, so mußten sie notwendigerweise annehmen, daß ich der Liebhaber von Teresas Mutter gewesen war, wenn sie wirklich seine Schwester war; denn bei dem Alter, das sie zu haben schien und das sie sich beilegte, konnte man unmöglich annehmen, daß sie seine Mutter wäre. Ebenso unmöglich
war es sich vorzustellen, daß ich Teresas Vater sei, denn ich sah nicht viel älter aus als sie.
Mein Sohn sprach vorzüglich die neapolitanische Mundart, die nicht ohne Reiz ist; aber er sprach auch sehr gut italienisch, und in allem, was er sagte, zeigte er Geschmack, gesunden Menschenverstand und Geist. Dies gefiel mir sehr. Er war gut unterrichtet, obwohl er in Neapel aufgewachsen war, und hatte sehr vornehme Manieren. Seine Mutter ließ mich bei
Tisch zwischen ihr und ihm sitzen und sagte zu mir: »Seine Lieblingsleidenschaft ist die Musik. Sie werden ihn Klavier spielen hören, mein lieber Freund, und obgleich ich acht Jahre älter bin als er, werden Sie vielleicht finden, daß er besser spielt als ich.«
So zog sie mich mit jenem natürlichen, feinen Zartgefühl, das nur den Frauen eigen und für uns Männer stets unerreichbar ist, aus der Verlegenheit.
Mochte es die Natur oder Voreingenommenheit oder Eitelkeit oder sonst irgend etwas sein – genug, als wir von Tisch aufstanden, war ich so entzückt von meinem Sohn, daß ich ihn mit zärtlichem Entzücken umarmte. Die ganze Gesellschaft klatschte Beifall. Ich lud sie alle ein, nm nächsten Tage bei mir zu Mittag zu speisen, und meine Einladung wurde freudig angenommen; die Cordicelli fragte in unschuldsvollem Ton: »Ich auch?«
»Gewiß, Sie auch.«
Abbate Gama sagte mir nach Tisch, ich möchte am nächsten Morgen zu ihm zum Frühstück kommen oder ihm ein Frühstück bei mir geben, denn er vergehe vor Verlangen, ein paar Stunden mit mir unter vier Augen zu plaudern.
»Ich werde Sie bei mir empfangen, Herr Abbate,« antwortete ich, »und zwar mit großem Vergnügen.«
Als alle
Gäste fortgegangen waren, fragte mich Don Cesarino – so hieß der angebliche Bruder meiner Teresa – ob ich ihn nach der Promenade führen wollte. Ich anwortete ihm mit einer Umarmung, mein Wagen stehe ihm zu Diensten und er könne mit seinem Schwager hinfahren, denn ich wolle mich für diesen Tag nicht von seiner Schwester trennen. Palesi fand diesen Vorschlag sehr gut, und sie fuhren ab.
Sobald wir allein waren, umarmte ich Teresa mit
leidenschaftlicher Glut, indem ich ihr ein Kompliment darüber machte, daß sie einen so hübschen Bruder hätte. »Mein Freund, er ist die süße Frucht unserer Liebe: er ist dein Sohn. Er macht mich glücklich und ist selber glücklich, denn er hat alles, was er dazu braucht.«
»Auch ich bin glücklich, göttliche Teresa! Aber du hast wohl gesehen, daß ich beim ersten Anblick sofort meine Vaterschaft
erriet.«
»Aber, liebes Herz, hast du denn die Absicht, ihm einen Bruder zu geben? Wie leidenschaftlich du bist!«
»Bedenke, angebetetes und anbetungswürdiges Weib, daß du mir gesagt hast, morgen würden wir nur noch Freunde sein.«
Ich war bereits Gatte oder glücklicher Liebhaber; aber der Gedanke, daß ich es zum letztenmal wäre, mischte einige Bitterkeit in die
glühende und süße Wollust, die ich bei dieser Vereinigung empfand, die auf beiden Seiten von Liebe, Zärtlichkeit und Gefühl beherrscht wurde.
Als wir etwas ruhiger geworden waren, sagte Teresa zu mir: »Der Herzog, der mich von Rimini mit sich nahm, hat auch unser Kind erziehen lassen; denn sobald ich schwanger war, vertraute ich ihm mein Geheimnis an. Ich kam nieder, ohne daß ein Mensch etwas davon erfuhr, und mein Kind wurde zu
einer Amme nach Sorrent geschickt; der Herzog ließ ihn unter dem Namen Cesare Filippo Lanti taufen. In Sorrent blieb er bis zum Alter von neun Jahren; hierauf wurde er zu einem wackeren Mann in Pflege gegeben, bei dem er etwas Tüchtiges gelernt und sich auch in der Musik ausgebildet hat. Von seiner zartesten Kindheit an hat er in mir stets seine Schwester gesehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als ich sah, daß er dir immer ähnlicher wurde, je
mehr er heranwuchs. Ich habe ihn stets als ein sicheres Pfand unserer Vereinigung angesehen; denn ich glaubte immer, diese würde stattfinden, sobald wir uns wiederträfen, weil ich überzeugt war, daß er auf deine Seele denselben Eindruck machen würde wie auf die meinige. Ich war überzeugt, du könntest diesem reizenden Sprößling unserer Liebe den Namen deines rechtmäßigen Sohnes nicht versagen und würdest seine Mutter
heiraten.«
»Du hast das, was mich glücklich gemacht haben würde, unmöglich gemacht!«
»Das Schicksal hat es so gefügt, lieber Freund; sprechen wir nicht mehr davon. Als der Herzog starb, verließ ich Neapel; Cesarino blieb in derselben Pension unter dem Schutze des Fürsten della Riccia, der ihn stets als seinen Bruder angesehen hat. Dein Sohn besitzt ein Kapital von zwanzigtausend Reichsdukaten,
dessen Zinsen an mich bezahlt werden, und von welchen er nichts weiß; aber du kannst dir wohl denken, daß es ihm an nichts fehlt. Es schmerzt mich nur, ihm nicht sagen zu können, daß ich seine Mutter bin; denn ich glaube, er würde mich noch mehr lieben, wenn er wüßte, daß er mir sein Leben verdankt. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Wonne ich heute empfand, als ich deine Überraschung sah und bemerkte, wie schnell du dich in ihn
verliebtest.«
»Und diese vollkommene Ähnlichkeit?«
»Sie macht mir Freude. Kann man sich wohl etwas anderes dabei denken, als daß du der Liebhaber meiner Mutter gewesen bist? Nun einerlei. Mein Mann glaubt, daß dies der Ursprung der Freundschaft sei, die uns verbindet, und die ihn heute morgen, als er den Ausbruch unseres Entzückens sah, hätte ärgerlich machen können. Er sagte mir gestern,
Cesarino könne wohl mein Bruder von mütterlicher Seite sein, aber ganz gewiß nicht von väterlicher Seite; denn er habe seinen Vater im Parkett gesehen und dieser könne ganz gewiß nicht der meinige sein. Wenn ich von Palesi Kinder bekomme, soll mein ganzes Vermögen nach meinem Tode ihnen gehören; wenn ich keine bekomme, so wird Cesarino mein Erbe sein. Mein Vermögen befindet sich in sicheren Händen, selbst wenn der Fürst della Riccia
sterben sollte.«
»Komm!« rief sie plötzlich, indem sie mich in ihr Schlafzimmer hineinzog. Sie öffnete eine große Kassette, worin sich ihre Diamanten und andere Juwelen und für mehr als fünfzigtausend Dukaten in guten Gülten befanden. Außerdem besaß sie eine Menge sehr schönes Silbergeschirr, und ihr herrliches Talent sicherte ihr die ersten Stellen an allen italienischen Bühnen.
»Weißt du,« fragte ich sie, »ob unser Cesarino schon geliebt hat?«
»Ich glaube es nicht; doch denke ich, daß meine hübsche Kammerjungfer in ihn verliebt ist. Ich werde ein Auge auf sie haben.«
»Sei nicht zu streng.«
»Nein. Aber ein junger Mann darf sich nicht zu früh der Sinnenlust hingeben, worüber er alles andere vernachlässigen würde.«
»Gib ihn mir! Ich werde ihn die Welt kennen lehren.«
»Verlange alles von mir, aber lasse mir meinen Sohn! Ich küsse ihn niemals, weil ich Angst habe, ich könnte mich rasend in ihn verlieben. Wenn du wüßtest, wie ehrenhaft und rein er ist und wie er mich liebt! Aber ich versage ihm ja auch keinen Wunsch. Was wird man in vier Monaten in Venedig sagen, wenn man dort den aus den Bleikammern entsprungenen Casanova um zwanzig Jahre verjüngt wiedersieht?«
»Du gehst also zur Ascensa nach Venedig?«
»Ja. Und du gehst nach Rom?«
»Und nach Neapel, um meinen Freund, den Herzog von Matalone, zu besuchen.«
»Ich kenne ihn sehr gut. Er hat bereits einen Sohn von der Tochter des Herzogs Bovino, die er geheiratet hat. Sie ist eine reizende Frau, die die Macht besessen hat, ihn zum Mann zu machen; denn ganz Neapel wußte, daß er unvermögend war.«
»Wahrscheinlich hat sie nur das Geheimnis besessen, ihn zum Vater zu machen.«
»Das ist auch wohl möglich.«
Wir verbrachten den ganzen Tag in einer abwechselreichen und sehr interessanten Unterhaltung, bis Cesarino und ihr Gatte zurückkamen. Während des Abendessens gewann der liebe Junge vollends mein Herz, denn er war schalkhaft, fröhlich und liebenswürdig und besaß die ganze neapolitanische Lebhaftigkeit. Er setzte sich ans Klavier. Nachdem er einige Stücke mit der glänzenden Meisterschaft eines Virtuosen gespielt hatte, sang er neapolitanische Lieder, über die wir von ganzem Herzen lachten. Meine Teresa hatte nur für ihn und für mich Augen; von Zeit zu Zeit aber umarmte sie ihren Gemahl und rief: »Man ist nur glücklich, wenn man liebt.«
Dieser Tag gehört zu den glücklichsten meines Lebens, und ich zähle deren viele.