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Hans Christian Andersen

Märchensammlung

Des Junggesellen Nachtmütze

eingestellt: 24.7.2007



Da gibt es in Kopenhagen eine Gasse, die den wunderlichen Namen "Hyskengasse" trägt. Und weshalb heißt sie so, was hat es zu bedeuten? Es soll deutsch sein, aber damit tut man den Deutschen unrecht. "Häuschen" müßte es heißen und das bedeutet: kleine Häuser. Diese hier waren damals, und das ist viele Jahre her, eigentlich nichts anderes als hölzerne Buden, fast wie man sie heutzutage auf den Märkten aufgestellt sieht. Ein wenig größer waren sie wohl und mit Fenstern versehen, aber die Scheiben waren aus Horn oder Blasenhaut, denn in jener Zeit waren gläserne Scheiben zu teuer für die Häuser. Aber die Zeit liegt so weit zurück, daß Urgroßvaters Urgroßvater, wenn er davon sprach, es auch schon die alten Zeiten nannte. Es ist mehrere hundert Jahre her. Damals trieben die reichen Kaufleute in Bremen und Lübeck den Handel in Kopenhagen. Sie selbst kamen nicht herauf, sie sandten nur ihre Handlungsgehülfen, und diese wohnten in den Holzbuden der "Kleinhäuschengasse" und besorgten den Verkauf von Bier und Gewürz. Das deutsche Bier war so gut, und es gab so viele Sorten: Bremer, Prysinger, Emser Bier - ja, Braunschweiger Mumme, und dann alle die Gewürze wie Safran, Anis, Ingwer und besonders Pfeffer. Dieser spielte die Hauptrolle hier, und daher trug er auch den deutschen Handlungsgehülfen in Dänemark den Namen "Pfefferschwengel" ein. Sie mußten sich zuhause sonderbarerweise verpflichten, sich hier oben nicht zu verheiraten. Viele von ihnen wurden hier alt; selbst mußten sie für sich sorgen, im Hause umherpusseln und kramen, selbst ihr Feuer machen - daher wurden einige ganz eigenartige alte Burschen mit wunderlichen Gedanken und Gewohnheiten. Nach ihnen nannte man bald jede unverheiratete Mannsperson, die in ein gesetzteres Alter kam, einen "Pfefferschwengel". Alles dies muß man wissen, um die Geschichte zu verstehen.

Man macht sich über den Junggesellen lustig und sagt, er solle sich seine Nachtmütze über die Ohren ziehen und zu Bett gehen:

"Schneidet Holz zu Schwellen,
Ihr alten Junggesellen.
Die Nachtmütz liegt bei Euch im Bett,
Doch kein Feinsliebchen weich und nett."

Ja, so singt man von ihnen! Man verspottet den Junggesellen und seine Nachtmütze - just weil man ihn und sie so wenig kennt - ach, die Nachtmütze soll

man sich nie herbeiwünschen! Und weshalb nicht? Ja, hört nur! Die Kleinhäuschengasse war in jenen früheren Zeiten nicht gepflastert, die Leute traten von einem Loch in das andere; es war so enge dort, und die Häuser lehnten sich über die Gasse hinweg so dicht zueinander, daß oft von einem Haus zum anderen ein Seil gespannt wurde, und immer war in dieser Enge ein gewürziger Geruch von Pfeffer, Safran und Ingwer. Hinter dem Tische standen nicht viel junge Leute, meist waren es alte Burschen, doch waren sie nicht, wie wir sie uns denken, mit Perücke oder Nachtmütze bekleidet oder mit Kniehosen und hoch hinaufgeknöpften Westen und Röcken, nein, so ging Urgroßvaters Urgroßvater gekleidet, und so steht er noch heute auf dem gemalten Bilde, die Pfefferschwengel hatten nicht die Mittel, sich malen zu lassen, und doch wären sie es wert gewesen, daß man von ihnen ein Bild aufbewahrt hätte, so wie sie dort hinter den Tischen standen und im Feiertagsrocke zur Kirche wanderten. Der Hut war breitkrempig und hatte einen hohen Kopf, oft schmückte ein junger Gesell ihn mit einer Feder. Das wollene Hemd war von einem heruntergeklappten Leinenkragen bedeckt, das Wams war eng anliegend und fest zugeknöpft, der Mantel hing lose darüber und die Hosen reichten bis in die breiten Schnabelschuhe hinab, denn Strümpfe trugen sie nicht. Im Gürtel steckten Messer und Löffel und meist noch ein großes Messer, um sich damit wehren zu können, davon mußte man in jenen Zeiten oft Gebrauch machen. Ganz, wie eben beschrieben, ging an den Feiertagen der alte Anton, einer der ältesten Pfefferschwengel der Kleinhäuschengasse, gekleidet, nur hatte er nicht den hochköpfigen Hut, sondern eine Kapuze auf, und unter dieser noch eine gestrickte Mütze, eine richtige Nachtmütze. An die hatte er sich so gewöhnt, daß sie immer auf seinem Kopfe sitzen blieb. Er besaß zwei Stück davon. Er war zum Malen wie geschaffen; dürr wie ein Stock, mit tiefen Runzeln um Mund und Augen, hatte er lange, knochige Finger und buschige, graue Augenbrauen. Über dem linken Auge hing ein zottiges Büschel Haare, schön war es nicht, aber man konnte ihn sogleich daran erkennen. Man wußte von ihm, daß er aus Bremen war, und doch kam er eigentlich nicht daher, nur sein Herr wohnte dort. Er selbst stammte aus Thüringen, aus der Stadt Eisenach, dicht unter der Wartburg. Davon pflegte der alte Anton nicht viel zu sprechen, desto mehr dachte er daran.

Die alten Handlungsgehülfen in der Gasse kamen selten zusammen, jeder blieb in seinem Laden, der zeitig am Abend geschlossen wurde. Dann sah es dort düster aus, nur ein matter Lichtschein drang durch das kleine Hornfenster am Dache hinaus, hinter dem gewöhnlich der alte Gesell mit seinem deutschen Gesangbuche auf dem Bettrand saß und sein Abendlied sang. Mitunter ging er auch bis tief in die Nacht hinein im Hause umher und pusselte allerlei Kram zurecht, kurzweilig war es sicherlich nicht. Fremd im fremden Lande leben zu müssen ist ein bitteres Los, niemand bekümmert sich um einen, außer, wenn man jemandem im Wege steht.

Oft, wenn draußen die Nacht so recht dunkel war und der Regen herniederströmte, konnte es hier gar schauerlich und öde sein. Laternen gab es nicht, außer einer einzigen, die sehr klein war; sie hing gerade vor dem Bilde der heiligen Jungfrau, das an dem einen Ende der Gasse an die Wand gemalt war. Man hörte nur das Regenwasser laufen und die Tropfen gegen das Balkenwerk schlagen. Solche Abende waren lang und einsam, wenn man sich nicht etwas vornahm. Auspacken und einpacken, Tüten drehen und die Waagschale putzen ist nicht jeden Tag notwendig, aber dann nimmt man etwas anderes vor, und das tat der alte Anton. Er nähte sich selbst seine Sachen zurecht oder Dickte seine Schuhe. Wenn er dann endlich ins Bett kam, so behielt er nach seiner Gewohnheit seine Nachtmütze auf, zog sie noch ein wenig tiefer über den Kopf, aber sogleich schob er sie wieder hinauf, um zu sehen, ob auch das Licht gut gelöscht wäre. Er befühlte es, drückte noch einmal auf den Docht, legte sich dann auf die andere Seite und zog die Nachtmütze wieder herab. Doch oft kam ihm im gleichen Augenblick der Gedanke, ob wohl auch unten im Laden jede Kohle in dem kleinen Öfchen ganz ausgebrannt und gut abgedämpft sei. Ein kleiner Funke könne vielleicht doch zurückgeblieben sein, sich entzünden und Schaden anrichten. Und so kroch er wieder aus seinem Bette heraus und kletterte die Leiter hinunter, denn eine Treppe konnte man es nicht nennen. Kam er dann zum Ofen, so war dort kein Fünkchen mehr zu sehen, und er konnte wieder umkehren. Doch oft mußte er auf halbem Wege stehen bleiben, denn plötzlich war es ihm ungewiß, ob er auch die eiserne Stange vor die Tür gelegt und die Fensterläden verriegelt habe. Ja, dann mußte er auf seinen dünnen Beinen wieder hinab. Er fror und die Zähne klapperten ihm, wenn er wieder ins Bett kroch, denn die Kälte tritt erst dann richtig zutage, wenn sie weiß, daß sie nun fort soll. Er zog das Bett höher hinauf, die Nachtmütze tiefer über die Augen und wandle die Gedanken fort von des Tages Werk und Beschwer. Aber zu einer richtigen Behaglichkeit kam es doch nicht, denn nun kamen die alten Erinnerungen und hingen ihre Gardinen auf, darinnen stecken manchmal Stecknadeln, an denen man sich sticht, daß einem die Tränen in die Augen treten. Und so geschah es auch dem alten Anton oft; es kamen ihm heiße Tränen, die klarsten Perlen. Sie fielen auf die Bettdecke oder auf den Fußboden nieder und erklangen schmerzlich wie eine zerspringende Herzenssaite. Sie verdunsteten und loderten dabei zu einer hellen Flamme empor, die ein Lebensbild beleuchteten, das nie aus seinem Herzen schwand. Trocknete er dann seine Augen mit der Nachtmütze, so wunden Träne und Bild zerdrückt; doch die Quellen versiegten nicht, sie lagen in seinem Herzen. Die Bilder kamen nicht, wie sie in der Wirklichkeit aufeinander gefolgt waren. Oft kamen allein die schmerzlichen, oft aber leuchteten auch die wehmütig frohen auf, aber just diese waren es, die die stärksten Schatten warfen.

"Schön sind die Buchenwälder Dänemarks" hieß es, doch schöner noch erhoben sich vor Antons innerem Auge die Buchenwälder um die Wartburg. Mächtiger und ehrwürdiger erschienen ihm die alten Eichen droben um die stolze Ritterburg, wo die Schlingpflanzen über Felsen und Steinblöcke hinabhingen. Süßer dufteten dort des Apfelbaumes Blüten als im dänischen Land; lebhaft fühlte und empfand er es noch immer. Eine Träne rollte, erklang und leuchtete auf. Deutlich konnte er in dem klaren Schein zwei kleine Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, spielen sehen. Der Knabe hatte rote Wangen, blondes Lockenhaar und ehrliche blaue Augen, das war des reichen Krämers Sohn, der kleine Anton, er selbst; das kleine Mädchen hatte braune Augen und schwarzes Haar; keck und klug sah sie aus, es war des Bürgermeisters Tochter, Molly. Die beiden spielten mit einem Apfel, sie schüttelten ihn und horchten, wie innen die Kerne klapperten. Dann schnitten sie ihn mitten durch, und jedes bekam ein Stück. Die Kerne teilten sie zwischen sich und aßen sie auf bis auf einen, der sollte in die Erde gelegt werden, meinte das kleine Mädchen.

"Dann sollst Du einmal sehen, was daraus wird; es wird etwas daraus, was Du Dir gar nicht denken kannst! Ein ganzer Apfelbaum wird daraus, aber nicht gleich."

Den Kern pflanzten sie in einen Blumentopf, beide waren sehr eifrig bei der Sache. Der Knabe bohrte mit seinem Finger ein Loch in die Erde, das kleine Mädchen legte den Kern hinein und beide bedeckten ihn mit Erde.

"Nun darfst Du ihn aber morgen nicht wieder herausnehmen, um zu sehen, ob er Wurzeln bekommen hat," sagte sie, "das darf man nicht. Ich habe es mit meinen Blumen auch getan, aber nur zweimal, ich wollte sehen, ob sie wüchsen. Damals wußte ich es nicht besser, und die Blumen starben!"

Der Blumentopf blieb bei Anton, und jeden Morgen, den ganzen Winter lang, sah er nach ihm, doch es war nur die schwarze Erde zu sehen. Nun kam das Frühjahr, die Sonne schien warm, da sproßten aus dem Blumentopf zwei kleine grüne Blättchen hervor.

"Das bin ich und Molly!" sagte Anton, "ist das hübsch, ach, ist das einzigschön!"

Bald kam auch ein drittes Blatt; wen sollte das bedeuten? Da kam wieder eins und noch eins. Jeden Tag und jede Woche wurde das Pflänzchen größer und schließlich wurde es ein ganzer Baum. Alles spiegelte sich in der einen Träne ab, die zerdrückt wurde und verschwand. Aber sie konnte wieder hervorquellen - aus des alten Antons Herzen.

Dicht bei Eisenach dehnt sich eine Kette steiniger Berge aus, einer von ihnen ist stumpf und rund und trägt weder Baum noch Strauch noch Gras, er wird der Venusberg genannt. In seinem Innern wohnt Frau Venus, eine Göttin aus heidnischer Zeit, die auch Frau Holle genannt wird; das wußte und weiß noch jetzt jedes Kind in Eisenach. Zu sich hinein hatte sie den Ritter Tannhäuser gelockt, den Minnesänger aus der Wartburg Sängerkreis.

Die kleine Molly und Anton standen oft an dem Berge, da sagte sie einmal: "Getraust Du Dich anzuklopfen und zu rufen: Frau Holle, Frau Holle, mach auf, hier ist Tannhäuser" Doch das wagte Anton nicht. Molly wagte es. Doch nur die Worte: "Frau Holle! Frau Holle" rief sie laut und deutlich, den Rest ließ sie im Winde verfliegen, so undeutlich, daß Anton überzeugt war, daß sie eigentlich gar nichts gesagt habe. So keck sah sie dabei aus, so keck wie zuweilen, wenn sie mit anderen Mädchen ihm im Garten begegnete, die ihn alle küssen wollten, gerade weil sie wußten, daß er nicht geküßt sein wollte und um sich schlug; sie allein wagte es.

"Ich darf ihn küssen!" sagte sie stolz und nahm ihn um den Hals; darin lag ihre Eitelkeit, und Anton fand sich darein und dachte nicht weiter darüber nach. Wie reizend sie war und wie keck! Frau Holle im Berge sollte auch schön sein, aber ihre Schönheit, sagte man, sei die verführerische Schönheit des Bösen. Die höchste Schönheit dagegen sei die der heiligen Elisabeth, der Schutzheiligen des Landes, der frommen thüringischen Fürstin, deren gute Taten in Sage und Legende so manchen Ort hier umraunten. In der Kapelle hing ihr Bild von silbernen Lampen umgeben; - doch sie glich Molly nicht im entferntesten.

Der Apfelbaum, den die beiden Kinder gepflanzt hatten, wuchs Jahr für Jahr; er wurde so groß, daß er in den Garten in die frische Luft gepflanzt werden mußte, wo der Tau fiel, die Sonne warm herniederstrahlte und er Kräfte bekam, um dem Winter zu widerstehen. Nach des Winters Drangsal war es im Frühjahr gleichsam, als setze er vor Freude Blüten an, und im Herbst trug er zwei Äpfel, einen für Molly, einen für Anton, weniger hätten es auch nicht sein dürfen.

Der Baum war lustig emporgeschossen, und Molly hielt es wie der Baum, sie war frisch wie eine Apfelblüte; aber nicht lange durfte er die Blüte schauen. Die Zeiten wechseln, alles wechselt! Mollys Vater verließ die alte Heimat, und Molly zog mit ihm, weit fort. Ja, in unserer Zeit ist es nur eine Reise von wenigen Stunden, doch damals brauchte man mehr als Nacht und Tag, um so weit östlich von Eisenach, ganz an die äußerste Grenze von Thüringen nach der Stadt, die noch jetzt Weimar genannt wird, zu gelangen.

Und Molly weinte und Anton weinte; - alle die Tränen rannen in einer einzigen Träne zusammen, und diese hatte den rötlichen, lieblichen Schimmer der Freude. Molly hatte ihm gesagt, sie mache sich mehr aus ihm als aus aller Herrlichkeit Weimars.

Es verging ein Jahr, es vergingen zwei, drei Jahre, und in dieser ganzen Zeit kamen zwei Briefe, den einen brachte ein Fuhrmann, den anderen hatte ein Reisender mitgenommen. Sie hatten einen langen, beschwerlichen Weg, mit vielen Umwegen an Städten und Dörfern vorbei, hinter sich.

Wie oft hatten nicht Anton und Molly zusammen die Geschichte von Tristan und Isolde gehört, und ebenso oft hatte er dabei an sich selbst und Molly gedacht, obwohl der Name Tristan bedeuten sollte, daß "er mit Trauer geboren war", und das paßte nicht auf Anton. Niemals wollte er auch, gleichwie Tristan, den Gedanken hegen müssen, "sie hat mich vergessen." Doch auch Isolde vergaß ja nicht den Freund ihres Herzens, und als sie beide gestorben und einzeln zu beiden Seiten der Kirche begraben waren, wuchsen die Lindenbäume aus ihren Gräbern über das Kirchendach hin und trafen einander dort blühend. Das erschien Anton so schön und doch zugleich so traurig - aber mit ihm und Molly konnte es nicht traurig ausgehen, und deshalb flötete er ein Lied des Minnesängers Walther von der Vogelweide:

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