Frei Lesen: Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorrede | Erste biographische Belustigung | Zweite biographische Belustigung | Dritte biographische Belustigung | Vierte biographische Belustigung | Fünfte biographische Belustigung | Sechste biographische Belustigung | Vorrede zum satirischen Appendix | Erster Appendix |

Weitere Werke von Jean Paul

Das Kampaner Tal | Der Komet | Der Jubelsenior | Museum | Über die deutschen Doppelwörter |

Alle Werke von Jean Paul
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin) ausdrucken 'Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin' als PDF herunterladen

Jean Paul

Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin

Erste biographische Belustigung

eingestellt: 9.8.2007

Die bleierne Jungfer Europa - das Schlachtfeld - die Melancholie - der Frühling.
 

Auf der Chaussee, den 28. April 1795.

Auf nichts ist die Welt in Büchern so erpicht als auf das, wovor ihr auf den Theatern so ekelt - aufs Erzählen. Der Leser hat sich kaum in sein Schlaf-, Lese- und Schreibkanapee gesetzt und ich mich in meinen Reisewagen: - sofort soll ich eintunken und meine Historie anfangen. Ich beteur es ihm, ich erzähl ihm eine - und die außerordentlichste dazu; - aber hier auf dem Schreibetische des Reisewagens ist nicht daran zu denken: es muß abgewartet werden, bis ich die erste biographische Belustigung zu Ende gebracht, die nicht länger währen kann als der Weg nach Waldkappel. Bin ich freilich in diesem Lustschlosse, das prächtig wie ein Obeliskus in der Schultheißerei Neuengleichen steht, übermorgen ausgestiegen: so setz ich mich - ich verpfände mein Ehrenwort darauf - nieder und erheitre mein Auge an den entfalteten Pfauenspiegeln der Auen, an der Goldlasur des Horizonts und an den kouleurten grünen und weißen Lustfeuern des so eilig abbrennenden Frühlings und zeichne dann, mitten in diesen Lichtern, der Nachwelt die sonderbare Geschichte des vorigen Winters ab, die man schon im ersten Kapitel verlangte. Ich könnte sie auch unmöglich hier im Fürstentume Flachsenfingen, wo ich fahre, schon geben, hier, wo ich noch alle Gerüste, Kulissen und Opernkleider der ausgespielten Szenen samt dem eng zusammengerollten Theatervorhang der vergangnen Zukunft um mich sehe. Ach ich dürfte ja nur das Wagenfenster niederlassen und hinausschauen: so würde der Wagen gerade vor der Stätte vorüberrollen, wo meine Seele in dem Erdbeben zitterte, von dem meine Feder, wie ein von Salsano in Neapel erfundner Erdbebenmesser, die Richtung, die seine Stöße nahmen, jetzt auf dem Papiere nachmalt!....

Solang ich fahre, schreib ich oder schlaf ich: denn unter der ganzen Fahrt kömmt der Wagenfenster-Vorhang nicht weg, und ich werfe keinen Blick hinaus; und das bloß deswegen:

Es ist aus astronomischen Gründen erweislich - im Grunde darf man nur die Augen auftun -, daß in Flachsenfingen heute, den 28sten April, wo ich abreisete, die dekollierte Allee noch aussah wie abgewetzte Besemen, womit der Winter den Frühlingshimmel rein gefegt - daß der Hofgärtner noch alle Gemüser aus den Mistbeeten liefern mußte - und daß die Wiesen, wodurch ich diesen Morgen kam, nichts Bessers waren als lebendige Herbarien mit der aufgeklebten falben flachsenfingischen Flora; die Faun ist noch nicht einmal aus der Erde. Das ist nun besser, als ich mirs wünschen konnte.

Denn in Waldkappel, wohin ich übermorgen gebracht werde, ist dafür schon ein ganzer voller lichter Frühling wie eine Sonne aufgegangen, der die dasige Natur mit Brautnächten und Schöpfungstagen überhäuft: alles quillt, blüht, schillert und singt schon dort. Ich kann also, wenn ichs recht mache, aus dem flachsenfingischen braun-gegitterten Sparrwerk des Lenzes auf einmal in den ausgebauten blendenden Sonnentempel desselben treten. Und zu diesem Zwecke wird die erste Belustigung geschrieben; und ich bitte die guten Leser, es gern zu sehen, daß ich mir die Langeweile der drei Tag- und der zwei Nachtreisen dahin, die ich völlig eingemauert unter der Himmelhaut der Kutsche versitze, durch schönes Ausschweifen und Sprechen mit ihnen verkürze: ihnen kömmts ja auch zustatten, wenn ich nachher den Frühling prächtiger nachsteche. Welch ein einfältiger Mann müßte überhaupt der sein, der unter dem Fahren aus dem Wagen gucken und sich von den Ländern, wodurch er rollt, den Frühling heft- und scheibenweise in den Schoß wollte schneiden lassen - zuerst Grasspitzen - dann Staudenblätter - dann sechs gelbe Schmetterlinge und ebensoviel gelbe Blumen - und endlich mehrere grüne Birkengipfel als Bier- oder Birkensaftzeichen! Könnte denn ein solcher Mann nicht bedenken, es sei kein Unterschied, ob er sich von der Zeit oder dem Raum den Frühling wie einen zerlegten Gliedermann Glied vor Glied zubröckeln lasse? - Beim Himmel! die Natur soll übermorgen wie eine riesenhafte Göttin mit allen ihren Strahlen, Adern, Reizen und Girlanden Knall und Fall aufrecht vor mir stehen, und ihren Schleier sollen Frühlingslüfte weit aufheben und über mich wegwehen: ich werde schon zu seiner Zeit, wenn mirs zuviel wird, erblinden und umfallen. - -

Solange Schnee fällt, will der Mensch alle vier Welt-Ecken bereisen; - bricht aber das Frühjahr an, so schlägt er zwei seiner besten Vorsätze aus der Acht, erstlich den, früher aufzustehen, und zweitens eben den obengedachten. Ich bin - das sieht Europa - anders und reise jährlich. Aber in diesem Jahre ist noch dazu der Fall dringend.

Es ist nämlich wenigen Menschen in Deutschland unbekannt, daß ich in der Stadt Flachsenfingen im Schlosse des Fürsten wohne, und zwar (in gewissem Sinn) als apanagierter Prinz: ich darf das bei Deutschen voraussetzen, da ich in den Hundsposttagen, deren Ballen vielleicht heute (den 28sten April) ohne mein Wissen neben ihrem Verfasser vorbei und auf die Ostermesse fahren, über meine wichtigsten Personalien deutlich genug herausgegangen bin. Nun wurzl ich hier am Throne und Hofe, wo man alles in der Welt bequemer machen kann als ein Buch. Man hat keine Zeit - kaum erübrigt man soviel, um noch etwas Wichtigers zu machen, nämlich so viele Besuche wie ein Arzt, deren z. B. der Arzt Antonio Porcio in Neapel täglich dreihundert ablegt. Ich ging also meinen Herrn Vater - ich will Se. Durchlaucht so nennen - um eine Dispensation von der Hoftrauer, d. h. um die Erlaubnis an, nach seinem Lustschlosse Waldkappel zu reisen und da im blühenden singenden Freudenhimmel - worein ohnehin so wenig einer vom Hofstaat will als in den künftigen - das Frühjahr einsam zu verschweigen, d. h. zu verschreiben. Denn in der Tat, da will ich eben gleich der webenden Gartenspinne unter freiem Himmel, und von nichts eingeschlossen als von Blüten, wieder mein biographisches Weberschiff durch historische Fäden werfen. Wahrlich, ich kann nicht genug schreiben, nicht einmal für mich selber; so viel lieset heutigestags ein Mensch.

Aber auch ohne Dintenfaß und Federbüchse hätt ich nach Neuengleichen fahren müssen, schon bloß des Frühlings wegen: denn hier denke man nur nicht daran, nur in einen Gießbach oder in ein grünes Kabinett auf eine gescheute, d. h. gerührte Art hineinzusehen, ich meine hier unter den durch Glanzpressen und Druckwerke schlank und fein gezognen Hoffiguren, die die Nudelmaschine dieses Säkuls wie Nürnberger Makkaroni in Kellern als zartes Gewürm ins Leben drückte. Ich besiegt es hier mit meinem Ehrenwort, wir warten es allemal ab, bis die Blütezeit in etwas verstrichen ist; dann nehmen wir Pferde und eilen sämtlich in die englischen Anlagen, Villen und Lusthölzer hinaus - dann durchziehen wir in geselligen Marschsäulen die Einsiedleien oder Solituden und suchen, ohne den Transitozoll des Ennui zu umfahren, durch unsern gemeinschaftlichen Genuß das Vorurteil zu schwächen, als ob Höflinge, Damen und Leipziger Lerchen madig würden, wenn sie so gepackt sind, daß sie einander berühren - und endlich schießen wir uns aus den 24 Stunden eines astronomischen Tages gerade die wenigen freien zum Promenieren aus, die zwischen das Dinieren und Spielen fallen. Es würde alles noch besser genossen werden, wenn das Herz des einen und des andern nicht so eng zusammengezogen und eingeschnürt würde durch etwas, was seine Pflicht ist - so eng, daß er in seinen Herzkammern kaum für eine fremde Blume, geschweige für eine ganze Abendsonne, oder eindringende Frühlingswelt, oder gar für einen vollen Sternenhimmel Platz zu machen imstande ist - und dieses pflichtmäßige Etwas, was man ihm ansinnen kann, ist jenes Kaimans-Lauern auf die kleinste moralische Lücke und Blöße, die entweder ein Fürst oder seine Diener geben, und die stets von Bedeutung ist, weil alsdann entweder in den erstern der Saug- und Legestachel, oder in die andern der Giftstachel eingesetzt werden kann. Etwas Ähnliches findet sich - wie ich in Krünitz lese - auf Madagaskar, nämlich ein Insekt, namens Akadandef, das, gleich unsern Roßbremsen, über den Tieren dem Augenblicke des Stallens auflauert, um sofort in ihre Eingeweide zu schleichen, die es zernagen will. Der beste Fürst kann zugleich der Erbfeind, der Augenzeuge und der Blutzeuge oder Märtyrer eines Akadandefs sein. -

Es ist lächerlich; aber ich lasse mir doch jetzt aus einem Gasthofe außer meinem Gouter ein Licht in meinen Wagen geben, weil es hier bei mir wie bei Tal-Insassen früher finster wird. Bei solchen Verleugnungen und Absichten konnt ich daher einem blumigen Kammerherrn - sonst dem glatten Stockknopf des ganzen Kammerherrn-Stabs - unmöglich willfahren, als er mich sonntags anlag, unterweges in Wirzburg auszusteigen und beim Guardian des Minoritenkloster, P. Bonavita Blank, einzusprechen, der die ganze Natur von jedem Bergkessel bis zu jedem Blumenkelch zu seinem Färbekessel und Schmuckkästchen macht. Dieser malerische Pater (das hab ich auch von andern, die alles gesehen) malt oder schafft seine Landschaften nicht aus oder mit Farbenkörnern, sondern aus oder mit ordentlichen Sämereien, gleichsam aus der Musaik des Ewigen - die Vögel aus ihren eignen Federn - Weiberschuhe aus Tulpen-, nicht Schuhblättern - den Staubbach aus Moosen - das Abendrot aus herbstlichem roten Laube - kurz die große Natur aus der kleinen. - - »Der größte Maler,« (sagt ich ernsthaft zum Kammerherrn) »den ich je in diesem Fache noch gesehen und dessen Stücke der Minoriten-Guardian vielleicht in der Schweiz oder in Franken zu studieren Gelegenheit gehabt, dieser Maler, der imstande ist, zu Waldungen keine kleinere trockne Tusche zu nehmen als ganze Fichtenbäume und zu Gebirgen Felsen, zu Menschen Erdschollen und Äther, zu Himmeln Sonnen, dieser Artist, Herr Kammerherr, bei dessen Blättern ich Sie einmal vorzutreten rate, das ist unser Herr Gott.«

Jetzt leg ich mich an den Seitenpolster und schlaf ein und aus.
 

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
< Vorrede
Zweite biographische Belustigung >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.