Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Fünfte biographische Belustigung
eingestellt: 9.8.2007
Trauer einer guten Tochter - Neujahrstag - Derbystoner-Vase - Zweck der Ehe - Argwohn
Ich glaube, unsrer Adeline konnte der lange Katakombengang ihrer Zukunft nicht neblichter und bergiger vorkommen als Schottland, noch finsterer, als das Gesicht war, womit die Schwester des Grafen ihr bis auf eine Stunde vor Glasgow entgegenfuhr. Jane Gladuse (Johanna Klaudia) war nämlich in ihrer Jugend von ihrem Eheherrn
wieder freigelassen worden, bloß mit dem Ehe-Ring signiert, als Zeichen ihrer verlornen Freiheit, wie man die von Falken gefangnen Reiher mit einem Ringe, der den Fürsten und den Datum des Fanges entdeckt, wieder fliegen läßt. Sie war eine verwitibte junge Dame von 49 Jahren und gehörte unter die Witwen, die man, wie den grünen Tee, fünfmal aufgießen (nämlich heiraten) kann, ohne sonderlichen Verlust ihrer aromatischen Kraft. Nun saß gerade jetzt ein zweiter Aufgießer oder Abonnent auf ihr
Exemplar in London, der bald die Winterlustbarkeiten mit den Frühlingskuren zu Glasgow zu vertauschen versprach. Nicht die Ankunft ihres Bruders, den sie so innig liebte wie ihren zweiten Abonnenten und Prätendenten, sondern seine mitreisende Trauerschleppe war ihr verhaßter als Robespierres Schweif: denn an seiner Heirat zerschellte wahrscheinlich die ihrige. Ihr fiel, wenn er ein Hagestolz blieb, die Hälfte der durch sein Leben gehenden Transito-Güter anheim, als eine aufs Zölibat
gelegte Taxe. Bisher hatten ihn nun nicht nur alle Mädchen, wie wir wissen, durch die gedrohte Anwartschaft der täglichen Gefängnisfieber vor der Conciergerie der Ehe gewarnt, sondern auch Jane selber: denn Lismore war Zeuge gewesen, daß seine Schwester mit ihrem Eheherrn ganz anders als Xanthippe mit Sokrates zusammengelebt; denn der Grieche hatte bekanntlich Geduld und die Griechin Kinder. Aus dem Anblicke ihrer Ehe und aus deren Kontraste mit den romantischen Hoffnungen, die sich der Graf vom
Glücke der seinigen und von der möglichen Identität zwischen Braut und Gattin machte, kann ich mir ja viel besser als aus andern Gründen eine recht stachlichte Verzierung seines Saals erklären: man weiß nämlich, wenn in der einen Nische eines Saals eine Statue steht, die man einheizt, so muß nach dem Stuben-Rhythmus in der andern eine gegenüberstehen, durch die das Schloß (wie z. B. des Fürsten v. Esterhazy seines) abbrennt, wenn der Ofenheizer Feuer anmacht. Zu diesen zwei Ofenpuppen wählte der
Graf in der einen Blende einen Amor, den man heizte, und in der andern den Hymen, in den nie ein Schwefelfaden kam.
Adeline schloß ein nachsichtiges freundschaftliches Herz für die Schwester auf, deren Bruder ihr noch außer dem seinigen so viel gegeben: sie war überhaupt die schöne Gegenfüßlerin der meisten Mädchen, die gegen Herren sich nicht genug bücken und gegen Mitschwestern sich nicht genug zurückwerfen können und die Zurückhaltung und Gefälligkeit an die
unrechten Geschlechter verteilen. Mir geht die junge Dame, Jane Gladuse, nahe: denn eh beide zum Tore einfuhren, mußte sie - sie setzte sich vergeblich dagegen - wahrhaftig die bleiche Emigrantin von Herzen lieben. »Die gute Fremdlingin hat ja auf ihrem Gesichte das Spanisch-weiß und Perl-weiß und Orgelmacher-weiß beisammen, und betrübter und betränter könnte man gar nicht aussehen«, dachte Gladuse, und aus der totalen Sonnenfinsternis ihres eignen Gesichts wurde eine partiale. Denn sie war
ebenso mitleidig als neidisch oder verlogen, und die aufrichtigsten Tränen entflossen ihr so leicht wie die falschesten Worte. Überhaupt wünschte sie von Herzen, daß es ihrem Nebenmenschen - sie konnte sonst keinen mitleidigen Anteil an ihm nehmen - recht jämmerlich erging: denn sie war die beste Freundin in der Not und half so lange, bis man heraus war; dann erst fing sie an zu beneiden und anzufeinden; sie konnte nie, wie der kahle Hofmann, dem Glücklichen ihre Freundschaft schenken. - -
Eine weibliche emigrierte Dienerschaft, die schon vor Adeline über den Kanal geschwommen war, hatte das achte Stockwerk im Hause des Grafen - denn in Schottland haben die Gebäude, z. B. in Edinburg, oft 12 Stockwerke - schon besetzt und zurecht gemacht. Ihrem hohen Stockwerke diente und zinsete, wie einem Throne, die ganze Gegend um Glasgow mit ihrem Reize und ihrem Clide-Fluß; daher räumte ihr der Graf es aus: die weite Perspektive sollte ihre Wehmut zerteilen; aber in einem
fremden Lande tut eine große Aussicht oft das Gegenteil. Als sie heute zum erstenmal in den neuen Zimmern einsam war, weinte sie recht von Herzen, und zwar in dem Zimmer, das schon lange für ihre Mutter zugerichtet war; aber sie legte sich freilich die anklagende Frage vor, wie sie allezeit dem edelmütigen Grafen für die balsamischen Blumenbeete, womit er den ganzen Weg ihres Lebens umbaue, in dem Grade danken könne, den sein Feuer begehren werde.
- Ich wollte, ich könnte jetzt den
Winter, wo die Natur die stärkende Frühlingskur gebraucht, so aus Adelinens trübem Leben ausstreichen, wie er in warmen Ländern fehlt. Wie die Krankheiten des Frühlings sich im Winter entspinnen: so umzog sie der Winter mit einem Dunstkreis voll Krankheitsmaterie, in dem jeder Atemzug dem Frühlingsfieber ihres Herzens verarbeitete. Du Unglückliche! Denn gerade im künftigen Frühling hatte der Graf deiner Mutter zugesagt, das Vermählungsfest der großen Natur mit seinem eignen zu feiern und in die
Flitterwochen des Wetters die seinigen zu verweben. - -
- Adeline war unter der See- und Landreise, ausgenommen den ersten Tag, weniger in sich gewandt - gefaßter - und aufmerksam auf ihn gewesen, und er konnte den schönen Fluß seiner Stunden, den der Schiffspöbel bloß mit Sand- und Trinkgläsern maß, nach den sanften Blicken berechnen, die ein dankbares Auge, wenn es sich abgetrocknet hatte, auf ihn warf. Er erwartete in Glasgow, diesem sogenannten schottischen Paradies, den
Wachstum seines eignen - aber hier schloß sich sein kleiner Himmel wieder zu: was Adeline gewesen war, ist ihrem ganzen Geschlechte auf Reisen eigen, weil es da der männlichen Brustwehr bedürftiger ist. Aber in den bessern Zimmern, in denen sich so traurig die schönen ihrer Jugend und die letzten schlechten ihrer Mutter abspiegelten, hörte die kurze Meerstille ihrer Seele auf. Der Jammer ergriff ihr geschwollnes Herz und drückte aus ihm jede Träne, die auf der Reise nicht vergossen wurde. Die
Schwester des Grafen, die ohnehin der Pfeilerspiegel ihrer Nächsten war und die zwar nie zuerst, aber auch nie zuletzt mitweinte, machte die Weiche noch weicher. Beim kleinsten Sandkorndrucke eines Gedankens einer Ähnlichkeit flossen ihre gedrückten Augen über. Konnte sie in die Untertasse ihrer Teeschale, worein eine Rose und zwei Rosenknospen eingebrannt waren, hineingehen, ohne an ihre Mutter zu denken, die immer wahre Rosen getragen und gepflegt und der sie eine seidne auf die zerfallende
Brust in der Stunde ihres letzten und tiefsten Untersinkens angesteckt hatte, weil die wahren schon vor ihr entblättert waren? - Konnte sie ihre Hand auf ihr Herz legen, ohne es an die weiche Locke, an der es schlug und die nicht von ihrem, sondern vom begrabnen Haupte dahin gefallen war, wie in tausend Dornen zu drücken? - Ach! schoben nicht hundert andre Zufälligkeiten die Hoffnung des Grafen auf, ihr in die bedeckte Höhle der Geliebten hinabgesunknes Herz, das am geliebten zerstäuben wollte,
wieder in den Sonnenschein des Lebens heraufzuziehen? Nur ein Beispiel!
Als sie am Neujahrsvormittage mit seiner Schwester ein wenig bald in die Kirche fuhr: war diese ausgeleert; aber unter dem Fußboden zitterte ein unverständlicher melancholischer Gesang, so ungefähr als wenn aus den zusammengefallnen Toten in den Kirchen-Begräbnissen unterirdische Stimmen gingen. Von welchen Ähnlichkeiten wurde Adeline am Morgen des ersten verwaiseten Jahres angefallen! - Das Singen kam daher: in
Schottland haben die Kirchen zwei, oft drei Stockwerke. - Derselbe Prediger hält in den Frühkirchen zwei Predigten (oft über einen Text) hintereinander, die bloß der Gesang und das Stockwerk voneinander trennen. Adeline hatte also im zweiten das Souterrain-Getöne des ersten gehört... Das Schicksal hatte einmal beschlossen, den ersten Tag des Jahres mit lauter dicken schottischen Wolken zu überziehen: denn als sie aus dem Tempel ging, lagen im Kirchhof zehn Menschen, rufend und zuckend,
auf den beschneiten Hügeln. Zehn Gespenster hatten schon Adelinens Herz mit kalten Händen gefaßt und erkältet, eh ihr die Begleiterin sagen konnte, daß es nur Konvulsionärs wären, die man aus der Kirche dahin trage und die nach einer Viertelstunde von selber davongingen, ohne in ihrem Gedächtnis oder an ihrem Körper eine Spur davon mitzunehmen.
Der gute Graf, durch dessen Herz alle Dolche des ihrigen drangen, konnte nicht erraten, wie manchen er leicht hätte abwenden können. Wenn sie
abends mit jener freundlichen Helle trauriger Augen, die mich so betrübt, in ihr Schlafzimmer fortgegangen war: so kam sie doch morgens mit erhitzten, trüben daraus zurück, und das bloß eines - Hutmachers und eines Stecknadelhändlers wegen. Dieser wohnte ihr gegenüber im dritten, und jener im zweiten Stockwerke des nämlichen Hauses. Auf der gewöhnlichen gelben Grundierung desselben war nun - wie in mehrern schottischen Städten, z. B. in Edinburg, Sitte ist - die Ware, womit jeder handelte, nicht
herausgehangen, sondern angemalt. Oben auf dem Hintergrunde, nämlich im dritten Stockwerke, standen Farbenköpfe , und unter den unbedecktem Köpfen im Mittelgrunde, im zweiten, gleichsam die herabgefallnen Hüte. Ach! verarget es einer in die Fremde gerißnen, zwischen den Schatten zweier Grabmäler trauernden Waise nicht, wenn ihr Auge, das der Traum zwar schließt, aber nicht trocknet, zwischen dem gemalten kahlen Kopfe und zwischen dem enthaupteten ebenso traurige
und so tödliche Ähnlichkeiten ausfindet, als die waren, womit der Aufgang der Sonne den Aufgang ihrer Mutter beschleunigte! - Ich sage, verdenkt ihrs nicht; und ihr könnt auch nicht, wenn ihr noch hört, daß jeder Traum ihr die Mutter in die Hände gab, die allemal eine frische Rose voll Tau neben dem silbernen Busen-Kruzifix stecken hatte und die zu ihr sagte: »Adeline! wo muß unser Graf (Adelinens Vater) so lang in Paris bleiben? Wir wollen ihm doch entgegen.«
- Ach, beraubter Mensch!
denkst du denn nicht daran, wenn du abends vor dein Bette, diesen Tempel der prophetischen Orakel, trittst, daß mitten im Totentanze unsrer Horen, mitten auf der Erde, diesem Zergliederungshause der Zeit, die mit ihrer Haarsäge unser kleines Jahrfunfzig in Sekunden auftrennt und alle feste Gestalten in Pastellgebilde, denkst du denn nicht daran, daß der Traum die Pastellgemälde unsrer Geliebten fixiert, daß dieses Echo der Zeit uns alle begrabnen Stimmen wiedergibt, die in schönern Tagen
harmonisch in die unsrige einfielen und die nun klingen zu hoch über uns oder zu tief unter uns? - Ach! ohne den Traum, der um den im Schlagflusse Erblindeten musivische Welten voll Tulpen und Juwelen stellt, und der die umgeworfnen Lebenden mit aufgerichteten Toten umzingelt, ach! ohne ihn würd es ja zu lange, bis wir unsre Brüder und Eltern und Freunde wiedersähen; wir würden ja durch den Tod um uns her mit jedem Jahre zu sehr verarmen, wenn nicht die Träume den Schlaf, das Vorzimmer der
Gruft, mit den Brustbildern derer, die im zweiten Leben wohnen, behingen. Freilich, arme Adeline, arme Julie! gehört ein ganzer Tag dazu, um eine Nacht zu vergessen, worin ihr unten im wogenden Wasser-Spiegel des Traums das geschloßne Grab und die geschloßne Wunde von neuem und zu weit aufgerissen wiedersahst. - -
Da Lismore nur heftigen, nicht dauerhaften Kummer leicht mit dem andern teilte - weil die Sympathie mit jenem bloß Feuer, die mit diesem
kalte Vernunft begehrt und weil seine eigne Standhaftigkeit überhaupt auf eine fremde drang -: so konnt er anfangs nichts tun - ob er gleich mit Freuden alle fressende Gifttropfen ihres Grams aus ihrer Seele in seine gesogen hätte -, als ihren Schmerz vergrößern, um ihn mitzuempfinden. Er warf sichs vergeblich hinterher vor, daß er in allen Unterredungen seine Beredsamkeit verwende, sie untröstlich zu machen; aber er konnte den Strömen seiner Gefühle nicht Einhalt tun. Am meisten tadelte er sich
über das neue Jahr.
Er ging nämlich mittags zu ihr hinauf und machte das arme gepreßte Herz seiner Geliebten, deren Kirchweg heute schon durch eine Zypressen-Allee gelaufen war, durch sein Neujahrsgeschenk noch schwerer. Es bestand nach der vornehmen Londner Sitte in einer Derbystoner-Vase. Das Gemälde darauf war seine eigne sonderbare und doppelsinnige Erfindung. Die Venus Urania, neben der als ihr Abzeichen ein Schmetterling flattert, ruht mit der Hand vor dem Auge an
einer Begräbnis-Urne, und Amor beugt sich gegen sie und nimmt mit der einen Hand ihre vom Auge, um sie zu wecken, weil die Aurora mit ihren zwei geflügelten Rossen herauszieht, und hält mit der andern die Fackel umgestürzt, um sie auszulöschen oder abzukehren, damit sie den Schmetterling nicht versenge, der über einem auf der Erde liegenden Blumenkranze schwebt. Aber alles das konnte auch heißen: Adeline verhüllt ihr weinendes Auge - der Blumenkranz, der letzte Schmuck der griechischen Leichen
und Tränen-Urnen, lag für den Schmetterling, das Bild der abgeschiednen Seele, zur Nahrung da - Amors Fackel funkelte aus, um den Kranz und die Psyche zu schonen, aber er wollte die Weinende fortziehen, damit nicht Aurora, deren Raube die Griechen das Sterben der Jugend schuld gaben, die Geliebte ereile und nehme. - Der Graf sagte, als ers Adelinen gab, nur den schönen Wunsch: »in diesem Jahre möge sie (die Vase) den schönern Sinn haben.« - Adeline fand sich sogleich in den
mythologischen Doppelsinn - denn Leute ihres Standes haben ja an jedem Zimmer einen Hör- und Bildersaal der Götterlehre - und gab, indem ihr langer warmer Blick mit dem violetten Amethystgoldsand auf dem transparenten Silber des Flußspats schwimmend zitterte, ihm lächelnd außer dem Danke die unerwartete Antwort: »Es könnte auch einmal noch einen dritten Sinn bekommen, wenn es deren zwei hat. Man könnte einmal denken: die Aurora sei schon bei der Entschlafnen gewesen - der Schmetterling sei eben
aus ihr geflogen - den Genius, der die eine Hand zur andern gefaltet niederlegen will, den kennt man ja an der umgestürzten Fackel.« Und als sie es gesagt hatte, konnte sie ihre wärmsten Tränen nicht mehr zurückhalten.
Sie setzte sich matt in das Fenster-Kanapee (Window-Stool) - Leolin stand vor ihr, voll stürmischer Gefühle und voll Haß gegen jeden Trost. Das Fenster, oder vielmehr die gläserne hohe Pforte, schauete gegen Mittag. Die großaugige Wintersonne hing tief über den
schillernden Bergen - über die von einem Tizian weißgrundierte schimmernde Erde legte sich die grenzenlose Nacht eines tiefern Himmelblaues herüber, und in die einsame, starre, stille Welt hing gleichsam die Lilienglocke eines fernen, unendlichen Frühlings, nämlich die Sonne, weiter herein - und dann quoll in der Menschenbrust eine warme, schmerzliche Sehnsucht auf. Nie war seine Seele weicher und sehnsüchtiger, nie rückten Wonne und Schmerz darin Tag und Nacht näher zusammen als an
einem hellen Winternachmittage, wo gerade der Tag der Erde und die Nacht des Himmels, der alsdann nur einen Stern trägt, schneidend übereinander stehen. Aber doch, Lismore, hättest du deine furchtsam Adeline nicht vor das tobende Meer in deinem Geiste führen sollen! Warum lässest du auf der einen Seite so zärtlich den weiß-seidnen Vorhang nieder und ziehst ihn hinter ihren Sitz ans Fenster gegen die blendende Sonne vor, indes du auf der andern auf ihre Wunden alle Brennpunkte deiner
heftigen Seele richtest? Wenn du deine glühende Hand durchs auseinandergelaßne Fenster in das Kühlbad der Jennerluft hinaustauchst: warum entzündest du mit deiner andern deiner Geliebten ihre zu größern Schmerzen, und o! warum kannst du zu ihr sagen: »Im Winter betrübt mich die Gegend nach Süden - ich denke nicht bloß an die südlichen Polarländer, denen die matte, tiefe Sonne einen immerwährenden Tag und einen kargen Frühling gibt - ich denke an das schönere Land, das uns unsre Berge verdecken,
an unser Frankreich. Und dann kömmt mir der Obeliskus dort wie ein Epitaphium vor. - - Teuerste, aber Sie müssen sich trösten: denn Sie versehrt und zerrüttet der Schmerz; und nur in meiner Seele kann er ruhig seinen Dolch umwenden, sie stirbt nicht daran. Ich male mir es oft, wenn die Sonne über diese Berge steht, hier mittags aus, was ich und Sie dort verloren haben - ich stelle mir Sie neben unsrer Unvergeßlichen stehend vor, wie Sie neben ihr blieben als ihre letzte gute Tat,
wie man über Raffaels Bahre sein letztes Meisterstück, die Verklärung, stellte.« - Adeline hatte sich in der Marter der Erinnerung auf Lismorens Hand gebückt, und ihr Auge deckte mit ihr sich und tausend Tränen zu. Ach! er fuhr gerührt fort: »Gequälte! warum fragen Sie etwas nach dem Schicksal oder nach den Schmerzen, die es reißet? Beim Himmel! ein so dürres und trocknes Leben voll Stacheln und Wolken wie das menschliche, eines, das so klein ist wie ein Epigramm und das am Ende eine
Giftspitze hat, das verlohnt Ihres Weinens nicht, Adeline!.... Ein Geist wirft uns von oben herein in das Leben, und dann zählt er 70 oder 80, wie wenn wir einen Stein in einen tiefen Krater werfen, und beim 70sten Pulsschlag oder Jahre hört er unsern dumpfen Auffall unten im Grabe. - - Aber ich quäle dich und wollte dich trösten; wahrlich, ich meint es anders......«
- Aber am Ende führte ihre Trauer ihn auf einen Zweifel, der seine Tage noch mehr verfinsterte, als es der Jennerhimmel
tat, auf den, ob sie ihn auch liebe, da die tote Gestalt der seinigen wenig Platz oder wenig Licht in ihrem mit Flor verhangnen Herzen lasse. Hätte sie ihm die Unterredung mit ihrer Mutter, die soviel für ihn tat, anvertrauet: so würde er lieber Öl in die um die erblaßte Gestalt angezündete Begräbnislampe nachgefüllt haben, anstatt es auszugießen. Dazu kam, daß Adeline ihm ihre Liebe gleichsam wie eine zweite Selbstliebe, wie ein inneres Frohsein zu bekennen scheuete im Kummer, und daß
die Gegenwart seiner Schwester und die Abwesenheit ihrer Mutter ihr dieses Bekennen noch saurer machte. Er übersah, daß sie aus denselben Gründen handle und fehle, aus welchen er sie mit Vorwürfen ihres Fehlers und sogar mit Tröstungen verschonte: seine Ehrfurcht gegen ihre trauernde Uneigennützigkeit untersagte seinem unschuldigsten Eigennutze, dieser einen Vorwurf zu machen; aber sie verbot aus denselben Gründen ihrem Eigennutze, einem solchen Vorwurfe auszuweichen.
Auf die schwache
Stelle des Herzens wie des Körpers werfen sich alle andre Krankheitsmaterien: sein Zweifel nahm jetzt so zu, daß er endlich nicht sowohl glaubte, daß der Kummer ihre Liebe verschatte, als daß sie gar keine habe, sondern nur Dankbarkeit. »Denn«, sagt er, »warum kann sie ihn bezwingen und unter ein Lächeln gefangen nehmen, wenn sie in fremden Gesellschaften ist, oder warum stört er sie in ihren kleinen Geschäften nicht?« - Bei ihm fielen alle Strahlen durch zwei untereinandergestellte Brenngläser,
durch den Kopf und das Herz, und zündeten und brachten in Fluß und verkalkten: so war auch seine Liebe; und so sollte (verlangt er) die seiner Adeline sein, und diese sanfte Luna, die er beschien, sollte unter dem erhabnen Glase der Liebe statt des Lichtpunktes einen Brennpunkt bekommen. Sie sollte jetzt - sonst hatt er nicht daran gedacht - heftig, beredt, dichterisch, enthusiastisch sein in der Liebe, sie, die überall nichts war als geduldig und gut, und die statt der Zunge nichts hatte als
ein Herz, statt der Flügel nur ein helles Auge, dem fremden Schwunge nachzusehen. Gleich den Lichtmagneten sog er alle Arten von Glanz und Lichtern ein, nur kein sanftes Mondlicht; aber Adelinen hatte der Himmel als eine Vase von Volterra-Alabaster in das Leben gehangen, deren Lampe durch das durchsichtige Gehäuse nur in Mondlicht überquillt.
Die männliche Eitelkeit kann überhaupt leichter als das männliche Herz die weibliche Liebe ahnden, und jene
präsumiert mehr, als dieses errät; aber am schlimmsten spielen wir jenen stillen Weiberseelen mit, deren Wärme sich nur durch Erdulden der Kälte, deren Liebe sich nur durch Treue offenbart und die dem Brunnen in der Baumannshöhle gleichen, welcher sich, wenn man aus ihm schöpft, immer wieder füllt und der doch niemals überfließt. Ihr Wert blüht erst nach den Flitterwochen, und man muß sie heiraten, um sie zu lieben. - Lismore wollte aber umgekehrt lieben, um zu
heiraten. Juliens Leiche hatte sich ohnehin zwischen die trunknen, lyrischen Blicke und Tage des ersten Findens der Seelen gestellt: jetzt war ihm nach seiner Meinung noch wenig mehr von der Epopöe und lyrischen Blumenlese der Liebe übrig: das Hochzeitkarmen der Flitterwochen geht dann endlich in Hübners Reim-Register über, bis zuletzt, wenige poetische Floskeln und prosaische Freiheiten ausgenommen, Mann und Weib nichts weiter schreiben als einen abscheulichen, welken Kanzleistil.
Das Betragen des Grafen ist vielleicht der deutlichste Beweis, wie wenig noch der Grundsatz, selber unter guten Köpfen, gemein ist, daß der Staat die Ehe eben einsetzt, um die Eheleute zu trennen. Die Absondrung der zwei Geschlechter war guten Gesetzgebern von jeher so wichtig wie dem Moses die Absondrung der Juden von andern Völkern; aber wenn Moses diese (nach Michaelis) am besten durch das Verbot der Speisen, die andre Völker liebten, und durch die Verbote ähnlicher Sitten erhielt: so
konnte hingegen, wenn das Kopulieren etwas zur Entfernung eines Paares wirken sollte, es nur dadurch geschehen, daß man dieses zum immerwährenden Beisammenwohnen, Beisammenessen usw. anhielt, und dieser Gemeinschaft haben wir vielleicht alle noch übrige Gleichgültigkeit der beiden Geschlechter zu danken. Daher gibt man sich beim Altare die Hände zum Zeichen des Streits, wie in England die Leute sie erst einander schütteln, ehe sie sich nachher damit boxen; und das Umarmen ist vielleicht aus
Italien entlehnt, wo die Umarmung der Duellanten unter die 200 Bedingungen gehört, unter denen sie sich schlagen dürfen: wird die Ehe geschieden, so ists auch meistens um die alte Gleichgültigkeit der Eheleute getan, und man muß sie oft zum zweiten Male kopulieren, um sie wieder auseinanderzubringen. Durch die Gemeinschaft des Namens, die sie Verwandten ähnlich setzt, wird zu einer gewissen Uneinigkeit, wie sie zwischen Blutsfreunden herrscht, immer ein wenig ermuntert, wie sich die Fürsten
untereinander, ohne Nachteil ihrer Kriege, Verwandten-Namen geben. Der Staat sollte daher den höhern Personen die physische Trennung, die immer auf Kosten der moralischen geschieht, verbieten und nie verstatten, daß der Mann seinen eignen Haus-Flügel, Tisch, Klub usw. habe und die Frau ihren, so wie unter den Pflanzen nur die wenigsten, z. B. die Kürbisarten, getrennt und auf abgesonderten Stengeln sitzende Geschlechter haben.
Lismores Glück zerfiel allmählich - er konnte bald alles
nur heftig tun, keine Hand mehr drücken, sondern nur quetschen - lange und schweigend anblicken und dann zweierlei tun: auf dem Eise des Clide-Flusses den schneidenden Winden entgegenfahren, oder statt der physischen Kälte sich mit der philosophischen kühlen und die trockenste Politik studieren. Die Wirbel und Strudel des Bluts besänftigt oft ein Kompendium des Lehnrechts oder der Metaphysik am ersten, wie ich einen Hypochondristen gekannt, der auf der Folterbank seines Trübsinns entweder Youngs
Nachtgedanken oder die Reichsgeschichte von Häberlin las. Die schönsten Akkorde von Adelinens Liebe verkehrte sein innres Ohrenbrausen in die große Septime und kleine Sekunde: z. B. da er sie einst um einige Haare bat, für einen Ring, glaub ich, und da sie ihm mit schöner Zärtlichkeit die eine Locke ihrer Mutter gab: so sah er in dieser schmeichelhaften Erbteilung des mütterlichen Nachlasses fast nichts als die Einkleidung ihres Versagens. Ach! der böse Geist, der sich zwischen das Umfassen
ihrer Seelen drängte, bedeckte alles, was den Grafen beglückt hätte, mit einem Schatten, daß er nicht erriet, wie Adeline aus dem lebendigen Zeitungskomptoire Gladusens sich nur mit Zeitungsartikeln über ihn versah, über seine Jugend, seine Freunde, seine Leibgerichte - wie sie, der bittersten Erinnerungen ungeachtet, am liebsten über den Zeitabschnitt der Revolution zuhörte, wo seine taten- und ruhmdurstige Seele ihren Durst gelöscht hatte - wie sie oft durch einen alten Saal ging,
bloß um seinen Stammbaum zu sehn und um ihre Angst wegen seines Schlittschuhlaufens mit einem Blicke über den Clide-Fluß hinauf zu mildern. - -
Endlich ging ein Tag auf, wo das Schicksal, ich weiß nicht, ob das Labyrinth oder den Faden, der hinein- und hinausführte, verlängerte. Lismore hatte sie nämlich bisher mit dem voll Gewitter hängenden Märznebel seines liebenden Skeptizismus verschont, weil sie ohnehin - trübe genug war, weil sie ohne Farbe und ohne Kräfte war, weil der Kummer
ihren zarten, siechen Körper unter das Opfertor zu führen drohte: der Graf hätte lieber verzweifelt als gesprochen. Aber jetzt, da eine Gesundheitsreise nötig war, um den Herbstwind ihres Lebens gleichsam wieder zu den Frühlingslüften umzuwenden, konnt er leichter auf einer Lustfahrt, die ich in der folgenden Belustigung zeichne, sein ganzes, volles Herz aufdecken.
Die zweite Reise, die er nach dieser machen wollte, war eine zu Pferde nach London, um sich zwei unentbehrliche alte
Freunde zu holen: erstlich den Arzt, damit dieser die fallende Blume vom Mehl- und Honigtau giftig-süßer Tränen befreie, und zweitens den Bräutigam seiner Schwester, der nunmehr den süßen Schlaftrunk der Londner Winterlustbarkeiten ausgeleert und ausgeschlafen haben muß und dessen heitre, gefühlvolle und gewandte Seele (hofft er) für ihn und Adeline die geistigen Rezepte zusammensetzen wird, die den pharmazeutischen des Doktors nachhelfen.