Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Vorrede zum satirischen Appendix
eingestellt: 9.8.2007
oder Extrakt aus den Gerichtsakten des summarischen Verfahrens in Sachen der Leser, Klägern, contra Jean Paul, Beklagten, Satiren, Abhandlungen und Digressionen des letztern betreffend.
Ich habe den Extrakt, den ich hier mache, eigenhändig vidimieret, um ihn glaubwürdiger zu machen; es können aber zu jeder Stunde die Akten selber von beiden Parteien in meiner Stube, in Hof, nachgesehn werden.
Den ersten hujus reicht
ich bei der fürstlich scheerauischen Berghauptmannschaft - die ich bekanntlich bekleide - als Anwalt und Mandatarius meiner Herren und Frauen Mandanten und Mandantinnen, sämtlicher Leser und Leserinnen, das Klagelibell, das von so großen Folgen war, gegen den Verfasser der unsichtbaren Loge, des Hesperus und alles dessen ein, was der Mandatarius drucken lassen. Als ich einmal vor 13 Jahren las, daß ein Beklagter in der Schweiz, da er selber in der Zeit des Mähens keine hatte, vor Gericht
zu erscheinen, seinen Kläger gebeten, an seiner Statt die nötigsten Einreden zu machen: so dacht ich damals wohl nicht daran, daß ich einmal im nämlichen, obwohl umgekehrten Falle sein und von den Lesern als ihr eigner Anwalt gegen mich in Sachen, wo ich noch dazu selber richte, würde aufgestellt werden; es läßt sich darüber disputieren, wem ein solches Vertrauen mehr Ehre mache, den Klienten oder dem Patronus selber. Wem meine Triumvirats-Rolle auffällt, der ist noch mit wenigen Justitiarien
(Gerichtshaltern) von Belang umgegangen: ein Gerichtshalter, der z. B. Vize-Re und Kommandeur über zwei Gerichtshaltereien ist, fertigt, wenn aus der einen ein Insaß in die andre vorzuladen ist, häufig ein Requisitorialschreiben an den Gerichtshalter der ersten aus - welches er selber ist -, wiewohl freilich weniger um den Kerl zu haben als die Gebühren. - Nun zum Extrakt des Libells!
»Es sei leider bekannt genug, wie der Büchermacher und Biograph in Hof, Jean Paul, bisher seine Leser
und Käufer hintergangen, indem er unter seine Historien die längsten Satiren und Untersuchungen eingeschwärzt, so daß er, wie einige österreichische Fabriken, die inländische Ware nur darum zu machen geschienen, um die verbotne satirische damit zu emballieren und abzusetzen. Besagter Paul habe ferner oft Lesern ins Dampfbad der Rührung geführt und sogleich ins Kühlbad der frostigen Satire hinausgetrieben, da doch wenige darunter Russen wären, die es ausständen. Überhaupt schieb er, anstatt, wie
es einem guten Autor geziemt, dem Teufel nachzuahmen und nichts zu erregen als Leidenschaften, überhaupt schieb er, wenn er sich auf einigen Bogen gut gestellt, sofort eine breite Satire oder Untersuchung unter dem böslichen Namen eines Extrablattes etc. als Ofenschirm zwischen die besten Kaminstücke und Freudenfeuer ein. Er mache sich dadurch unzählige Feinde. Klägere bekennen, sie wüßten nicht, wie überhaupt eine solche Zumutung mit ihren unter allen deutschen Regierungen bestätigten
Freiheitsbriefen, die sie von allen Satiren lossprächen, es betreffe das Machen oder das Lesen oder das Fassen derselben, zu reimen sei und wie es damit bestehe, daß man ihnen ganze Kräuter- und Hopfensäcke voll satirischer Gewächse auflade. Habe der besagte Büchermacher aus Hof eine genugsame Anzahl Stachel- und andere Schriften beisammen und vorzusetzen: so komm ihnen vor, er könne solche allezeit viel schicklicher in ein besondres, ehrlich betiteltes Buch aufscharren und
aufschichten, damit Klägere, die Leser, nicht mit dergleichen Sachen für den Buchhändler behelligt und belästigt würden.
Klägerischer Anwalt bitte daher, in Rechten zu erkennen und auszusprechen,
daß der Biograph Jean Paul in seinen künftigen Historien geradeaus wie ein Kernschuß zu gehen schuldig, ohne Anspielungen, ohne Reflexionen und mit Ernst ohne Spaß, überhaupt daß er unter dem Vortrage seiner biographischen Partitur hinter seinem Notenpult eine
satirische Pantomime gegen sämtliche Zuhörerschaft zu ziehen sich ernstlich zu enthalten und alle diesfalls kausierten Schäden zu tragen verbunden.
Klägerischer Anwalt wolle übrigens mit keinem überflüssigen Beweise beladen sein, bedinge sich, daß seine Klage nicht für ein zierliches Libell, sondern für eine schlechte Erzählung angesehen werde, und habe keinen animum injuriandi desuper nobile.« -
Es ist ein Wunder, daß man von Gerichts wegen ein sonderbares Annexum, das ich
noch an das Klaglibell anstieß, nicht von den Akten removiert hat. Es lautet völlig so:
»Niemand verdient wohl mehr, daß die Gesetze ihre Regen-, Donner- und Sonnenschirme über seinen Kopf ausspannen, als die S. T. Klägerinnen oder Leserinnen, die zu so vielen Leiden im Gethsemane-Garten geboren werden und zu so kurzer Gartenlust, mehr zu Werthers Leiden als Freuden, und die sich so oft zwischen dem scharfen Treibeis der männlichen Herzen blutig stoßen. Klägerischer Sachwalter hält es
für unschicklich, in einem Klagschreiben es weiter auszuführen, wie viele Schwielen einer Leserin oft schon die Athleten-Hände von Verfassern drücken, die sie geheiratet hat, und wie unbillig es wäre, wenn vollends die übrigen, die sie nur kauft, es noch weit ärger machten, wenn es nicht genug wäre an den Schlägen des schweren Tiefhammers des Schicksals, an dem Pochwerke jeder Minute und so vieler Satansfäuste, sondern wenn noch die Schattenspiele an der Wand der Gehirnkammern, wenn
die Schnee- und Strohmänner und alle Marionetten auf dem Druckpapier ihre kalten Schattenhände aufheben wollten gegen ein so oft verletztes, zwischen Wunden und Narben lebendes Geschlecht. In Büchern sollt es nicht die Schmerzen wiederfinden, vor denen es aus dem äußern Leben in jene floh; und die Autoren sollten die Ältesten aus der Familie Baker sein, die diesen Königinnen bei der Überfahrt über den trüben Kanal ihrer Tage, vom neblichten Lande ins wärmere blaue, den Kopf, den Dornenkronen
niederziehen, aufrecht halten. Satiren sind aber selber nur Girlanden aus Dornen.
Mandatarius muß gestehen, es ist seinen Mandantinnen äußerst unangenehm, daß der Büchermacher die beste Geschichte immer versalzt, verpfeffert und verwässert durch seine Manier, daß er sie oft erst nach zehn Prologen anfängt, daher viele, wie in London, erst beim dritten Akt in die Tragödie gehen, und daß man zu seiner Kirchenmusik erst durch lange Predigten zu waten hat. Anwalt geht jetzt die zwei
Hauptmängel durch. Klägerinnen müssen es unter seinen philosophischen heiligen Kasualreden stets wie die Kantores machen, die unter der Predigt aus der Kirche gehen und zur Musik wiederkommen. Denn Mandantinnen halten es für Klugheit, seit Evas Trauerfalle, sich vom Giftbaum des Erkenntnisses, der so viele Blitzschläge auf die Erde lockt, so weit abzustellen, als seine Wurzeln laufen: die Kritik sitzt als Schlange droben zwischen den Ästen und rezensiert günstig und käuet unbedenklich das Obst,
das den Magen einer Eva verdirbt. Es waltet freilich ein besondrer Glücksstern über Leserinnen ob, daß sie ihren Männern, die, gleich dem Teufel vor Einsiedlern, sich in so viele Gestalten - z. B. von Romanschreibern, Biographen, Taschenkalendermachern - bisher verkleidet haben, um sie in naturhistorische, geographische, astronomische etc. Hör- und Büchersäle nachzulocken, glücklicherweise niemals nachgegangen sind. Aber meistens nur Leserinnen aus den mittlern Ständen dürfen sagen, daß sie
durch den Überzug mit Lumpen- und Rosenzucker, worin man bisher ihnen den Mißpickel und Fliegenstein der Wissenschaften versetzte, sich doch nicht haben reizen lassen, an den wissenschaftlichen Arsenik zu lecken, indes Weiber aus höhern Klassen häufig in die Arsenikhütten der Lehrgebäude zogen.
Satire dient ihnen nun vollends zu nichts als zum bessern Fortkommen im Buche, indem sie sie überblättern: denn bei den weiblichen Fehlern gilt das, was Unzer von den Hühneraugen sagt, daß jede
Methode, sie zu vertreiben, unrichtig sei, sobald sie schmerzhaft ist. Sie haben längst ein Surrogat und einen Ersatz für die Satire, die mehr für Männer gehört, und das ist die Medisance, die den Weibern recht knapp und schön am innern Menschen anliegt, wie der alte Adam, unser allgemeiner Berghabit beim schmutzigen Einfahren ins goldreiche Leben. Klägerischer Mandatarius will hierüber nur einige Gedanken ausschweifungsweise, wie der Beklagte öfter tut, hinwerfen. Eine Leserin findet
die Satire, die allezeit ganze Stände oder unzählige Menschen auf einmal herabsetzt, viel zu hart: sie weiß, mit einer bloßen Verleumdung fällt sie nur einen einzigen Menschen und ohne Witz und nur historisch an, und weiter ist Sanftmut nicht zu treiben. Die satirischen Pfefferkörner halten ferner, wie das süße Manna, sich nicht zwei Tage und werden leicht anbrüchig; so wie Boerhave von der Galle (der Essigmutter der Satiren) angemerkt, daß sie unter allen Feuchtigkeiten des menschlichen Körpers
zuerst anfaule. Aber von mündlichen, kurzen Satiren, d. h. von Verleumdungen, kann man doch jede Stunde, wenn es die Besserung und der Vorteil des Nächsten begehrt, neue Lieferungen nachschießen, nicht bloß jede Stunde, in jeder Stube, in jedem Fenster, vor jedermann. Der Satiriker drückt meistens Wehrlose, Gebrechliche, Sünder und Toren und ist öffentlich parteiisch für Fromme und Weise; aber die Medisante ist unparteiisch gegen diese und zieht gerade aus klassischen Menschen die Druckfehler am
ersten heraus, wie man nur für klassische Werke (z. B. die Messiade) einen Dukaten für den Fund eines Erratums aussetzt: hingegen lobt sie mit Pirchheimer das Podagra, mit Erasmo die Narrheit, mit Marcian den Rettich, mit Archippo den Eselsschatten und mit Bruno den Teufel. Von zwei verdächtigen Inkulpanten wird, wie Franziskus Vallesius sagt, der häßlichste zuerst gefoltert: das ist ferne von Medisanten, die stets unter zwei Frauen der schönsten zuerst die peinliche Frage zuerkennen,
weil jede selber weiß und fühlt, wie viele Fehltritte ein schönes Füßchen tue und wie viel Fehlgriffe eine schöne Hand. -
Endlich ist sich auf echte Verleumdung mehr zu verlassen als auf Satire, die immer Leute malt, die nie gesessen. Beaumarchais hat aus einem Mantel, den er im Pantheon zu London gefunden, Alter, Füße, Reize, Taille, Neigungen der Eignerin prophetisch verraten: man gibt nun zu bedenken, was eine rechtschaffene Medisante zu erraten und zu beurteilen und zu
verurteilen vermöge, wenn sie alles vor sich hat an der andern, nicht bloß den taftnen Mantel, sondern das ganze schwarze Ballkleid, alle Perlen, sogar die echten, die goldne Hemdnadel, die brillantierte Hutnadel, die Garnierung und das Brustbouquet und die Uhren und die Strumpfzwickel und die Rosette auf dem Schuh und kurz die ganze Frau! - - Wann nun Klägerinnen an der Dispensation und Steuerfreiheit von allen gedruckten Satiren sonderlich gelegen: also ergehet an die fürstlich scheerauische
Berghauptmannschaft die Bitte, in Rechten zu erkennen und auszusprechen:
daß oft besagter Büchermacher und Biograph Jean Paul in Hof sich aller und jeder Satiren, wes Namens und Standes sie auch seien, in allen seinen Historienbüchern gänzlich zu enthalten habe. Desuperimplorando et ulteriora reservando.« -
Ich kann nicht weiter extrahieren, bevor ich in meinem eignen Namen noch einen Grund für echte Verleumdung beigebracht, der ungemein fruchtbar und selber scharfsinnig ist. In unsern Staaten werden nämlich nach und nach die
Ehrenstrafen in Geldstrafen umgesetzt, dafür aber werden - denn sonst kämen wir endlich durch Abschaffung der Infamienstrafen um alle Ehre, die doch in Monarchien sitzen muß als Prinzip, wie Montesquieu schön bewiesen - die Geldprämien zu Ehrenzeichen erhoben, der Ehrensold zu Ehre, das Glückseligkeitssystem zu reiner Würde, von Kant, so daß freilich ein Mensch, der nicht viel im Vermögen hat, schlecht mit letzterem wegkömmt, es sei, daß
er seine Ehre aufopfern will - denn er muß sie behalten und büßt noch Geld ein -, oder daß er etwas mit ihr vor sich bringen will - denn er bringt nichts mit ihr vor sich als sie selber. Die Strafen an der Ehre sind von unsern Zeiten besonders zwei verwandten Personen ganz erlassen worden, denen, die mit fremden Geldern, und denen, die mit ihren Reizen fallieren, d. h. Bankerottierern und Geschwächten. Beide wurden sonst meistens am Kopfe signiert. Ich hätte viele alte Juristen auf dem Tische
vor mir, aus denen ichs jetzt schreiben könnte, wenn ich wollte und es nicht schon wüßte, daß sonst in Rom, Paris und Frankfurt am Main nicht nur die Bankerottierer, sondern auch Leute mit Moratorien und Quinquenellen grüne Hüte tragen mußten - in Sachsen aber gelbe, nicht zu gedenken des Gelbfärbens der Häuser, des Läutens der Schandharmonika, des Sitzens auf dem Lasterstein und der Schandgemälde, welches ich alles weiß. Jetzt tragen diese Leute ihren feinen, schwarzen Hut wie ich. In
Rücksicht falliter Mädchen ist uns allen bekannt, daß sie sonst Strohkränze und Hauben bei uns tragen mußten; in Rom aber eben darum letztere nicht nach Serv. in 7. Aeneid. Virg. Jetzt brauchen sie nicht einmal Strohhüte aus Italien aufzusetzen. - Diese zwei Menschenklassen würden nun mit einem Kopf, der in einem Kopfzeug von lauter Lorbeerblättern steckte, eingesargt und eingegraben werden, hätte nicht der Staat seine Medisantinnen bestellt, die dergleichen Volk in Empfang
nehmen und handhaben. Und wie tun sie das? Sie fallen darüber her über den Fallierer und über die Fallite und greifen zu - sie malen an das Paar selber die Schandgemälde - sie läuten in jeder Repetieruhr die Schand- und Armesünderglocke über ihnen - sie lassen vor jedem Altar in der großen Kirche der Natur die eine die Kirchenbuße tun und den andern auf dem Lasterstein knien - und erwerfen beide halb an der Pillory des Fensters und erwürgen sie halb mit dem Halseisen der Zunge - und dann reißen
sie der armen Falliten, um ihr das Alexis- oder Demutskleid anzulegen, fast alles ab, was sie etwan, als Diplome beßrer Jahre, von Ehrenkleidern und blauen Hosenordensbändern an ihrem Leibe an sich gesammelt hat.... Beim Himmel! sie würden nachlassen, wenn sie das arme Ding einsam in seiner Kammer mit dem Schnupftuch stehen und über manches weinen sähen....
Das Gericht hätte zwar jetzt nach der Überreichung des Libells dem Beklagten eine Ladung in faciem insinuieren sollen, daß er
zu rechter früher Tageszeit entweder in Person oder durch einen Gevollmächtigten vor der Berghauptmannschaft erscheinen, mit Klägern gütlichen Vergleich pflegen oder rechtlichen Bescheid gewärtigen sollte; das war aber gar nicht nötig, weil ich schon längst erschienen war und ja erst vor einigen Augenblicken mein Klagelibell übergeben hatte.
Ich stand demnach schon im Termin in Person, verwarf vorher Güte und befestigte sogleich den Krieg rechtens, oder deutlicher: ich kontestierte
Litem. Ich hatte meine Ursachen, das Klaglibell nicht lange inept, voll kumulierter und generaler Klagen zu nennen: jura novit curia, d. h. bei einer respektablen Berghauptmannschaft kann ein Beklagter alles voraussetzen, was er selber weiß, sobald beide eine und dieselbe Person ausmachen. Ich rezessierte demnach von Mund aus in die Feder dergestalt:
»Vor der fürstlich scheerauischen Berghauptmannschaft erscheint Beklagter und setzet
zuvörderst dem angeblichen Mandatarius der Klägere exceptionem deficientis legitimationis entgegen, indem noch keine gehörige Vollmacht für ihn bei den Akten zu sehen ist; er bittet daher zu erkennen:
daß der angebliche Anwalt seine Vollmacht binnen der Michaelis-Messe ad acta zu liefern verbunden.
Ferner opponiert er den unbefugten Klägern exceptionem nondum praestitae cautionis pro expensis; da sie in ganz Deutschland zerstreuet angesessen sind, Beklagter aber
wegen der Inseratgebühren und des Ehrensoldes Sicherheit braucht; hoffet daher, den Klägern werde auferlegt werden,
Kaution oder Vorstand für den auflaufenden Ehrensold durch eine Buchhandlung zu bestellen.
Er könnte auch die Einrede mehrerer Litis-Konsorten - ferner die des dunkeln Libells - sogar des inepten, da einige Nebensachen darinnen stehen - entgegensetzen und könnte also den wohllöblichen Gerichtsstand bitten,
Klägere zu
Einreichung eines schicklichem Libells anzuhalten.
Aber Beklagter ist mit dem Libell ganz zufrieden und hofft, daß schon in Betracht der zwei ersten Einreden werde erkannt werden,
daß Beklagter auf die Klage sich nicht einzulassen brauche, Klägere aber alle Ehrensolds-Kosten ihm zu erstatten schuldig.
Inzwischen läßt er sich doch ein, freilich eventualiter und protestierend.
Er negiert vieles. Er hofft aber, da der Generalsuperintendent
Jakobi, Doktor Miller und Herr Oemler einem Geistlichen anraten, in gesellschaftlichen Religionsstreitigkeiten mit nichts zu antworten als mit Witz: so werde Beklagtem noch weit mehr nachgelassen und verstattet sein, in einer bloßen gerichtlichen sich reichlich mit Witz zu wappnen und damit auszufallen.
Beklagter negiert gänzlich, daß Klägere seine eingeschalteten Digressionen, Satiren etc. lesen müssen: er warnt sie vielmehr stets durch Überschriften oder Leuchtfeuer vor solchen
gefährlichen Sandbänken und Skagerraks, und es ist ihre Schuld, wenn sie diese Riffs nicht umfahren, d. h. umschlagen. Überhaupt wird das Wort Leser in wenig deutschen Städten recht gebraucht, außer in Wetzlar: beim dasigen Reichsgerichte, wo die Einteilung in die Kanzlei und in die Leserei üblich ist, bedeutet es Menschen - ein Paar sind es -, die alle einlaufende Schriften aufbewahren, ohne sie zu lesen; denn letzteres kömmt den Kammergerichtsbeisitzern
zu, aber nicht der Leserei. Anstatt nun, was allein von einem Leser gefordert werden kann, gleich den Großen ein Buch zu kaufen und es wohlkonditioniert aufzubewahren, die Blätter aufzuschneiden oder auseinanderzuziehen, lesen solches viele und tun es den Buchbindern nach, die es unter dem Beschneiden und Planieren auch oft lesen. Und das ists ja eben und allein, was die besten Leser oft so kalt gegen ihre besten Dichter und Weisen macht, daß sie, anstatt sich, wie die zwei Wetzlaer Leser, auf
bloßes Konservieren einzuschränken, mit dem Zeigefinger, wie mit einem Setzers-Zeilenweiser, solche dicke Werke ordentlich durchrutschen, gleich als arbeiteten sie in der Druckerei als Setzer, Korrektores und Autores, die freilich die Sachen lesen müssen. Daher kömmt es auch, daß viele Mädchen viel billiger und mit mehr Lobe über gute und schwere Werke richten, weil sie solche nicht sowohl lesen - sie schauen jede Seite nur gut an - als reinlich und wohlkonditionierlich erhalten und von vornen
durchblättern wie Karten-, Rock-, Rindspsalter- und Tulpenblätter. Beklagter leitet dieses heillose Vorurteil von der griechischen Kirche her, wo der Leser der erste Priestergrad ist und wirklich zu lesen hat. Man möchte aber wohl fragen: hat denn irgendein Autor einen profanen Leser, wie der russische Bischof den kanonischen, ordentlich ordiniert? Hat er, wie der Bischof, ihm die Hand auf den Kopf gelegt und gebetet: ›O Herr, gib Stärke deinem Knecht, der erwählt hat, deine Geheimnisse zu
bekleiden und die Kerze vor ihnen herzutragen‹? Und hat er ein Buch auf seinem Kopfe aufgemacht, die Haare des letztern kreuzweis abgeschnitten, ihm die Hand zum Kusse und eine Lampe gegeben? - -
Gleichwohl merkt Beklagter wohl, daß noch immer das Lesen, d. h. das Aufschneiden und Durchblättern eines Buchs, das oft 300 Blätter hat, zu einer Anstrengung nötige, die dem Flore des Buchhandels eben nicht sonderlich forthelfen kann. Wär es hingegen möglich, eine Lesemaschine
zusammenzusetzen, die ungefähr nach dem herkulanischen Instrumente, das die alten Bücherrollen monatlich um eine Spanne aufrollt, modelliert wäre und die in Form einer Buchbinder-Heftlade statt der Finger der Leser arbeitete und vikarierte und die lesenswürdigern Meßprodukte aufschnitte oder aufzöge; wäre das zu machen und im Buchladen zu Kaufe: so möcht es wohl wenige Meisterwerke mehr geben, die nicht von einer Hand in die andre gingen, und die deutsche lesende Welt und die gelehrte dazu wären
dann weiter, als man sie gegenwärtig sieht. - -
Ferner negiert Beklagter, daß Klägere und Klägerinnen Satiren nicht fassen könnten. Anlangend Klägere, so halten solche das ganze Jahr die politischen Zeitungen - wenigstens die Erlanger, die Wiener, die Prager, die Baireuther und das politische Journal - mit, welches wohl die feinsten Satiren sind (aber auch die bittersten eben darum), die auf den ganzen Welt- und Zeitlauf können geschrieben werden, gesetzt auch, vieles wäre in besagten
Blättern wörtlich wahr.
Anlangend Klägerinnen, so hätte adversantischerseits angegeben werden müssen, ob solche erwachsen und verehlicht. Denn in diesem Falle stehen sie Tabaksrauchen, Toben, Satiren und alle Unarten der Männer leicht aus. Klägerinnen kommen den Truthühnern nahe, die in der Jugend, zärtlicher als jedes andre Federvieh, in Wärmkörbe gebettet und auf keinem Steintisch - weil sie sich sonst die Schnäbel zerhacken - gefüttert werden müssen, die aber in reifern Jahren Wind
und Wetter und alles vertragen. -
Drittens ist das Gegenteil für Beklagten eine Unmöglichkeit. Addison erzählt von einem Menschen, der, wie Jupiter, eine Ziege zur Amme gehabt und der deswegen noch in seinen reifern Jahren, wenn niemand bei ihm in der Stube war, immer einige Ziegensprünge gemacht. Auf Beklagten hat sich ein dergleichen Bocks fuß statt eines Podagras vererbt, und er muß sich nun immer mit einem oder dem andern Sprunge helfen. Er denkt, es schade ihm nichts
oder weniger als der Ernst, da der lange, ernste Bart des Philosophen dem Barte der Juden gleicht, den sie - anstatt daß den beschornen Wasserpudeln der ihrige zum Schwimmen stehen bleibt - bloß zum Ersaufen behalten. Er läßt vielmehr unverhohlen, was er damit haben will - Untertanen nämlich. Als der Prinz Antiochus Kantemir in seinem zwanzigsten Jahre seine erste Satire - wider den russischen Pöbel, der sich gegen die neue Helle sperrte - ausgearbeitet hatte: so honorierte
ihn die Kaiserin Anna dafür mit einem Ehrensold von 1000 Bauern, wobei für die Druckseite mehr als 70 Bauern gekommen sein können. Beklagter will sich, da er, obwohl im 45sten Kapitel des Hesperus nobilitiert und geadelt, gegenwärtig nichts zu regieren hat als sich selber, nach und nach einige Untertanen und Bauern erschreiben, die ihm die jetzige Zarin leicht abstehen kann, wenn sie bedenkt, was - zumal aus Kurland - sie hat und was er.
Viertens sollte doch jeder lieber
alles aus der Acht lassen als dieses: ein beschriebnes Leben ist von einem geführten bloß im Boden verschieden, worauf die Eigner davon stehen und der bei der Biographie in Lumpenpapier besteht. Das Menschenleben wird nun offenbar unter der Äquator-Linie geführt, die der eilige Wechsel mit Windstille, Sturm, fliegenden Fischen, Himmelsblau und Gewittern bezeichnet: über diesen Wechsel wird die Seele nicht eher erhoben, als bis er verkleinert und zusammengezogen unter ihr liegt. Dem Menschen
kömmt aber seine Qual und seine Freude zu groß vor, weil er erstlich Tage und Wochen braucht, bis eine von beiden sich durch seine Seele gezogen, und zweitens, weil die Mitteltinte und der Halbschatten so breit ist, der sich zwischen beide trennend legt. Wenn nun die Poesie Seufzer und Freudentränen, die fünf bunten und dunkeln Akte des Lebens mit schmalen Mitteltinten, mit verkleinerten Zwischenräumen in wenig Minuten durch die Seele treibt: so stellt sie den Menschen auf die Anhöhe, auf der er
am Ende des Lebens über die eingeschrumpfte Vergangenheit blickt, die vorher eine ausgespannte Zukunft einnahm. Der Mensch ist im Ernste nicht humoristisch genug und im Scherze nicht ernsthaft genug. Nicht nur die Wahrheit besteht aus allen Menschen-Systemen zusammengenommen, wie nach Buffon und Kant die Sonne die verschiednen Materien der verschiednen Planeten, die um sie fliegen, in sich vereinigt befasset: - sondern auch das rechte Herz ist aus allen ungleichen Gefühlen
gebaut und trägt ein Weltall, nicht als Krone, sondern als Stufe.
Daher macht der schnelle Wechsel zwischen Ernst und Scherz nur ernster, und wenn man das Buch eines Engländers, worin dieser Wechsel herrscht, beschließt, denkt man, es sei das Leben.
Daher bringt es den Beklagten öfters auf, daß die arktischen Deutschen, gleich Wunden, in einem fort recht warm (pathetisch) gehalten sein wollen von Autoren. Er erklärt frei, eh er das täte, daß er seine Werke zu
Zundstricken und Lötröhren machte, um Reverberierfeuer anzuschüren, wollt er sie lieber zu Papiersäcken kütten, um eins auszuspritzen. Man scheint auch gegnerischerseits ganz und gar nicht daran gedacht zu haben, daß Beklagtens Werke dem Leben der Menschen gleichen, dessen schöner Wechsel mit schwarzen und weißen Taten auf eine sinnbildliche Art in den Variationen der Gesetze auf Schwarz und Weiß so deutlich nachgeahmt wird, daß solche - hier nistet freilich ein Gleichnis im andern - dem
türkischen Koran nacharten, in dem eine Menge Stellen, die der Teufel dem Propheten inspirierte - weil ihm der Engel zu eilig diktierte -, nach der muhammedanischen Meinung eingeschoben stehen, die aber nichts schaden, weil ihm Gott wenige Seiten darauf wieder Stellen einflößte, die jenen obigen hinlänglich widersprechen. In unsern Gesetz- und andern Büchern arbeitet oft der Teufel erst hinter Gott und schreibt als Beklagter den letzten Satz; und das macht uns alle ungemein konfus.
Beklagter wiederholt nicht nur die obige Bitte, ihn bei seinem Rechte zu schützen und von der Klage zu entbinden wie von allen Schäden, sondern setzt auch die neue hinzu, daß eine löbliche Berghauptmannschaft Klägere ordentlich zum Lesen seiner Satiren, so wie sie durch Gefängnis zum debito conjugali können gebracht werden, durch Stubenarrest anhalten möge; er will sich übrigens seinen Gegenbeweis, fremde Schwüre und allerlei rechtliche Notdurft hiemit vorbedungen haben.
Desuper.«
*
Als ich protokollarisch vernommen war: mußte der klägerische Mandatarius auf alles replizieren. Ich will das ganze Verfahren bis zum Bescheide nur mit halben Worten mitteilen. Ich replizierte als klägerischer Anwalt - duplizierte sofort als Beklagter - sogleich hintendrein war der Anwalt mit einer Triplik bei der Hand - der Beklagte später mit einer Quadruplik - der Anwalt wollte sich noch einmal mit einer Quintuplik in die Höhe richten - aber der Beklagte warf ihn völlig um mit der Sextuplik, nach welchem Verfahren denn endlich recht gut zum Bescheide konnte geschritten werden.
Es wird von keinem gescheuten Manne angefochten werden, daß ich den Bescheid selber erteilte an beide Parteien. Ein solcher Mann schließt: wenn der Mensch in Gewissenssachen Richter und Täter und rechtlicher Beistand und advocatus diaboli zugleich sein darf, so wird er in viel geringern Rechtshändeln noch leichter eine solche Vetterschaft und Sozietät sein können. Warum soll ein Advokat das, was er auf eine ehrliche Weise in drei verschiednen Gerichtshaltereien vereinzelt ist, Richter in der einen, Advokat in der zweiten, Partei in der dritten, nicht in einer und derselben auf einmal in einem Simultaneum vorstellen und so allein ein Kollegium voll vota curiata formieren? - Die Möglichkeit davon leuchtet einem jeden schon aus der Wirklichkeit ein. Ein Fürst stellt nicht nur häufig eine solche Drei-, Vier-, Fünfeinigkeit leicht vor, sondern in der Tat ist seine Person oft ein Personale von einem Herzoge, Markgrafen, Grafen und Ritter auf einmal, nicht zu gedenken, daß er zugleich das ganze Volk und das Oberhaupt desselben repräsentiert, welches letztere er selber erwählt und voziert; daher ist sein Wohl stets das Wohl des repräsentierten Volks. Auch setzt eine solche Korporation in einem Körper, eine solche Einheit des Orts, nicht die geringste Einheit der Handlung voraus: der deutsche Kaiser kann nach dem Staatsrechte derselben Macht als ungarischer König Subsidien schicken in einem mißlichen Kriege, den sie mit ihm als östreichischen Herzog führt, indes er als deutscher Kaiser die höchste bewaffnete Neutralität beobachtet. Noch ein Beispiel: wenn das Regierungskollegium in einigen Ländern Ämter mit gewissen Nutznießungen verliehen hat, so muß man beim Kammerkollegium um ein zweites Dekret, die Sachen zu bekommen, nachsuchen, und die Supplik lautet so: »Da mir Ew. Durchlaucht besagte Nutznießung bewilligt haben, so bitt ich Ew. Durchlaucht, mir solche wirklich zu geben.« Supplizierte Supplikant nicht: so könnte der Fürst dieselbe Sache, die er als die eine moralische Person ihm zugestanden, als eine zweite ihm entziehen. So sind auch ganz verschiedene Gesetze von einem und demselben Wesen, aber von verschiedenen moralischen Personen und Unioten, die es in seiner XXger Union und in seinem Kurverein befasset, statthaft.
Demnach konnte gegenwärtiger Verfasser, zumal als natürlicher Dauphin, die elende kleine Verbrüderung von Richter und Parteien als sein eigner Drilling ohne Mühe vorstellen; und die fürstlich scheerauische Berghauptmannschaft erteilte beiden Parteien folgenden merkwürdigen Bescheid:
»Auf Klage, Antwort und erfolgtes Verfahren in Sachen der Leser und Leserinnen, Klägeren, an einem, Jean Paul, Höfer Büchermachers, am andern Teil gibt die fürstlich scheerauische Berghauptmannschaft folgende Resolution:
daß Beklagter, Jean Paul, Büchermacher, nicht befugt sei, in seinen historischen Bildersälen mitten unter Damen Spaß oder Extrasachen oder andere Sprünge mit seinem ererbten Bocksfuße zu machen - daß ihm aber in Betracht, daß er mit besagtem Fuße behaftet und daß alle Völker Traumfeste und Narrenfeste hatten und daß man noch jetzt bei Weinlesen, auf der Themse und beim Ankeraufwinden das Recht hat, Stachelreden vorzubringen, daß in diesem Betrachte Beklagtem unbenommen bleibe, hinten an seinen Bildersaal ein Wirtschafts- und Hintergebäude (obwohl in einiger Entfernung) anzustoßen, um da sein Wesen zu treiben und seinen satirischen Tabaksrauch ohne Schaden der Damen, denen sonst die Schminke abfließet, auszublasen - - ferner resolvieren und erkennen wir:
daß Klägerinnen in Erwägung, daß die Last des Kindergebärens, des Kindersäugens und der Haushaltung sie schon bis an die kalte Erde niederdrücke, von der Lesung seines satirischen Appendixes gänzlich befreiet und eximiert sein sollen -
daß hingegen Klägere ganz und gar gehalten seien, dem Büchermacher in sein Filial nachzufolgen und da zuzusehen, wie er springt und setzt, desgleichen die wenigen Pickelherings-Pillen, die er unter dem Springen zuwirft, zu bezahlen und hineinzuschlucken, angesehen schon bei den Ägyptern das ganze Volk monatlich etwas zum Laxieren nehmen müssen. - Wornach sich zu achten; publiziert Hof, den Schalttag 1796.
Berghauptmannschaft allda.«
*
Mit diesem Dekret eines höchst venerierlichen Gerichtsstandes bin ich jetzt sattsam gedeckt und lasse nun ohne Scheu mein satirisches Hospitalschiff neben der biographischen Silberflotte herlaufen. Das Edikt (edictum perpetuum) des Gerichtshofes nimmt mir zwar die Leserinnen, für die jetzt die Satire nur ein Rückenwind ist - sie zaubern sehr, und schon nach Bodin. l. 2. c. 2. de daemon. können Zauberinnen kein Salz ausstehen -; aber doch sämtliche Leserschaft muß nach dem publizierten Urtel des Justizdepartements in meinem Pulverturm, den ich abgelegen von der biographischen heiligen Stadt erbauen muß, bei mir ausharren und mir zuschauen. Ich erwarte mit einiger unschuldigen Schadenfreude, was nun die kleinen Kunstrichter nach einem solchen Erkenntnisse eines hohen Dikasteriums etwa anzustellen gedenken; ich aber kann kaum die Minute erharren, wo ich mich vor mein Rücken-Positiv setze und meine Murkis vororgle, gänzlich bedeckt von meinem Fetwa und Arret. - Die folgende Satire ist zwar die erste; aber die im nächsten Buche ist die zweite - und so werden in allen meinen Werken die Satiren in fortlaufender Signatur fortgezählt: denn die Appendizes haben sämtlich, wie größere Vulkane, eine geheime Verbindung.