Jean Paul
Der Jubelsenior
Zweiter Hirten- und Zirkelbrief
eingestellt: 30.7.2007
Gravamina der deutschen Schauspielergesellschaften, die mörderischen Nachstellungen der deutschen Tragiker betreffend
Teuerster Freund!
Viele Regisseurs der bessern deutschen Theater lagen mich schon sei langem an, daß ich dem Reichskorpus die Füsilladen und Mordtaten, welche die Autoren jeden Schauspielabend unter ihnen verüben, einmal ernsthaft und fiskalisch und klägerisch vortrüge.
Ich ließ mich nicht bereden, sondern gab sogar im Reichsanzeiger die Antwort, ich müßte besorgen, die sämtlichen Reichstagskollegien nähmen meine gravamina für Spaß, gesetzt auch, die Klage wäre von allen den Akteurs und Aktricen unterschrieben, die von den Tragikern schon totgeschlagen worden. Indessen setzt ich doch die Klage auf, schickte aber nichts nach Regensburg. Zum Glücke für die dezimierten und lanternisierten Theatertruppen wurden jetzt im September die Reichstagsakten - ehe die
Franzosen sie zur Einsicht abfoderten - inrotuliert und verschickt aufs Rathaus zu Hof im Voigtland. Ich ging da um diese papierne Bergkette mit sonderbaren Gedanken herum; denn die eingesargte papillotierte Zukunft ganzer Reichskreise stand in den Würfeln vor mir. Auf einmal fiel ich auf die frappante Idee, mein fiskalisches Klagschreiben zu einem Quartanten durch Emballage aufzuschwellen und den Quader unter die Blöcke zu schieben. Es kann sein, daß ich ohne den französischen
Gelehrten Chaterinot gar nicht darauf gekommen wäre, der seine Werke, weil sie liegen blieben, selber einsteckte und mit dieser Taschenausgabe in den Pariser Buchläden herumschlich und, sooft der Buchhändler den Rücken wandte, einige Exemplare unter andere Werke einschwärzte.
Unter dem Inkorporieren selber macht ich mich dadurch herzhafter, daß ich mir auf der einen Seite den Jammer der umfallenden Spieler ausmalte, die jetzt (es war abends) eine Tragödie wie sonst der 108. Psalm
totbetet, und auf der andern die Bürgerkrone meines innern Menschen, die er aufbekäme, brächte der Erzkanzler wirklich das Schreiben zur Diktatur.
Die tägliche sizilianische Vesper und Aufreibung der besten Schauspieler gehöret meines Erachtens zur Reichspolizei; und ich habe mich oft auf dem Parterre gewundert, wenn der Generalreichsfiskal selber in der Frontloge heraussah und den Menschenmord sah, ohne sich oder seine Feder zu regen. Ich weiß es, den Unterrichtern (den
Kunstrichtern) kömmt es zu, den tragischen Würgengeln und Mordtaten zu steuern; aber wenn diese das Ihrige vergeblich getan haben, dann ist man offenbar von einer hohen Reichsversammlung gewärtig, daß sie sich dareinschlage, die öffentliche Sicherheit der Theater herstelle und den Musensöhnen den tragischen Degen abfordere. Ist es hier nicht so wie mit Irrlehrern, denen am Ende, wenn Fakultäten und Konsistorien sie nicht zum Schweigen bringen konnten, Fürsten eines auferlegen müssen? Ja im
Notfall wurden oft solche phosphoreszierende Lichtputzer selber statt der Gassen- Reverberen aufgehangen oder aufgehenkt.
Hier ist indes die Kopie des zu den Akten gelegten Klageschreibens, worin ich alle Kurialien vertausche gegen die Formel: das hohe Reichscorpus.
*
Die Gravamina der Akteurs etc.
Hochwürdige, Hochgeborne, Hoch- und
Wohlgeborne, auch Wohl- und Hochedelgeborne, Hochedelgestrenge, Fest- und Hochgelahrte, Gnädige, auch Hochgeneigte und Hochgeehrteste Herren!
Sub Litteris A B C D. werden Zeugenrotuls von 8000 Personen angebogen - gerade die Zahl der Subskribenten unter der formula concordiae -, die es für wenige Groschen oder Gulden gesehen und gezählet haben, wie oft Endesunterschriebene - trotz der karolinischen Halsgerichtsordnung und der französischen Kunstrichter - erschossen, erstochen,
erdrosselt worden: unschuldige Akteurs, sie mögen den ganzen Tag gelebt und memorieret haben, wie sie wollen, bedecken abends, von Federmessern abgemäht oder vom Fliegengift des Dintenpulvers gefallen, die Bühnen. Die deutschen Tragiker, die oft von uns und unsern Benefizstücken leben, sind es, die uns selber verwehren zu leben und die gleich einem römischen Triumphator nicht eher den Lorbeerkranz zu verdienen meinen, als bis sie 5000 Mann getötet - anstatt gespeiset - haben. Nicht nur das ganze
weibliche Publikum sitzt dabei und labt sich sehr und hat solche ludos funebres gern, die den römischen gleichen, worin jedem Magnaten einige hundert Gladiatoren nachstarben: sondern sogar die Rechts- und Schöppenstühle, judices a quibus und ad quos, Leuteranten, dritte Instanzen und deren Aktuarien, die vom Herzen bis zum Kopfe mit Karolinen und Theresianen vollgeschlichtet sind, sogar Edelleute, die mit der obern Gerichtsbarkeit belehnt sind und sonst mit Henkergeldern knickern, alle diese
erlegen gern die peinlichen Kosten unter dem Namen Entreegelder und wünschen herzlich wie der Pöbel bei Hinrichtungen den Frais- und Todesfall, um nur die Freude einer müßigen Rührung zu haben.
Das ist es ganz kurz, was wir einem hohen Reichscorpus weitläuftig vorzutragen willens sind.
Vor 45 Jahren sahen wir allerdings nicht ein, was wir damals hatten auf unserem hölzernen Planiglob: jeder Spieler war da seines Lebens sicher - reimend kam er in die tragische Welt - reimend
fuhr er wieder hinaus - den Helden machten nicht Schlachten, Wunden, aktives und passives Ermorden, sondern eine in Tränen gesäete und in Reimen geerntete Liebe - Racine und Schlegel brachten selten einen Nebenchristen um und köpften wenigstens gar zu große Spitzbuben nur wie Große heimlich, und selber Voltaire machte ehrliche Spieler lieber verächtlich und lächerlich als tot. Das war unser saturninisches philanthropisches Zeitalter.
Jetzt leben wir im poetischen Terrorismus. Deutsche
Landfriedensbrecher zielen aus den Krähenhütten ihrer Museen und pürschen uns herab. Alle Todesstrafen, die Beccaria aufhob, indem er aus dem Schwert der Themis bloße Hand- und Beinschellen schmiedete, werden auf dem Theater durch den Dolch der Muse vollstreckt, und die poetische Gerechtigkeit wird von grausamern und weniger aufgeklärten Frais- und Zentherren gepflegt als die peinliche. Einer hohen Reichsversammlung kann nicht unbekannt sein, daß wir oft im Weggehen von
diesem Tyburn und Greveplatz - das ist die deutsche Bühne - die Hand an den Kopf gelegt: das taten wir bloß, wie jener türkische Minister bei dem Weggehen vom Sultan, um zu fühlen, ob er noch auf dem Halse sitze.
Wieder andere tragische Dichter ziehen sich abends elend an und verstecken sich von 6 bis 8 Uhr in Kulissen und passen, wie englische Räuber mit Schießgewehr, wie Feimer mit Stricken, wie Ärzte mit Krankheitsmaterien bewaffnet und wie Türken und Wilde durch Getränke zu
finstern Werken gestärkt, so passen sie Spielern beiderlei Geschlechts böslich auf und machen ihnen den Garaus, bloß um vom Ertrage dieser Gewalttätigkeiten einmal zu soupieren, so wie man nach Dapper täglich 200 Menschen für die Tafel des Königs von Macoco schlachtet. Ein solcher Tragikus nimmt oft in seinem Wolfshunger den fettesten Akteur aus dem Ankleidezimmer und wirft ihn in den Hungerturm und lässet ihn da elendiglich vor den Augen des Publikums in drei Stunden verhungern.
Heißet das christlich, jüdisch, türkisch gedacht? -
Es kann dargetan werden, daß oft hart nach der Ouvertüre ein frischer neugeborner Akteur, der kaum das Licht der - Bühne erblickte, schon vom Theater und mit Tod abgehen mußte: das rufende Taufglöcklein wurde seine Zügen- und Totenglocke, und er sah dann nur als revenant aus der Kulisse heraus. Andere fristen ihr Leben ein paar Akte länger, aber mit verdammter aqua toffana im Geäder - und am langsamen schleichenden Gift welken sie in
einigen Stunden ab. Kömmt vollends das Ende der Tragödie heran: so kennen wir außer dem Kriegstheater nichts Schrecklichers als ein deutsches - wie am Ende des Herbstes, wo der ganze Bienenkorb gemeinschaftlich am Drohnenmord arbeitet, so gehts da her - es hilft kein Flehen, kein Geschlecht, kein Stand, alles, das Kind im Mutterleibe, wird ausradiert und harpuniert vom tragischen Dolch - der Held oder König ohnehin zuerst, wie die Raubbienen zuerst den Weisel des Stocks erbeißen - aber auch alle
seine Verwandte und Bekannten - unbescholtene, gesunde, rote Leute, die sich vergeblich durch die fünf Zonen der Akte durchgeholfen haben - es ist freie Pürsch, alles muß fallen...... nur ein einziges Wesen kömmt davon, über welches die Todessense, wie über Gras im Tritte eines Hufs, ohne Schaden wegfährt: es ist der Souffleur, der in seinem Seitenhöhlchen und Dachskessel ohne Wunden hockt und lachen kann.
Wie weit dieser Jammer in deutschen Städten gediehen ist, das mag vielleicht
ein oder der andere Personalist, falls er sie gelesen, aus der Grabschrift noch besser ermessen haben, die wir einem bekannten Akteur mit dem Spitznamen Peter Schwenz setzen ließen und die so lautet:
»Hier liegt Peter Schwenz, deutscher Regisseur, der - nachdem er anfangs natürlichen, dann gewaltsamen Todes (nicht zu gedenken des geistlichen) verfahren, nachdem ihn zwei tödliche Apoplexien und im nächsten Abend darauf eine Hemiplegie getroffen, nachdem er geköpfet und kurz darnach
gehangen, nachdem er zweimal von seinen Kameraden und dreimal von sich selber erschossen worden, nachdem er die stärksten Gifte und Krankheiten gehabt und neben seiner Julie beigesetzt worden als ein Würmerfraß - endlich weniger lebens- als sterbenssatt das Theater der Welt verlassen hat, um hier unten zu privatisieren.« -
Meistens sind die Tragiker, die das Recht des türkischen Kaisers exerzieren, täglich 14 Menschen aus Inspiration zu töten, blutjunge Menschen und
ebenso viele Belege zur Bemerkung, die Voltaire in einem Brief an Friedrich II. macht, daß immer Jünglinge fanatische Königsmörder (z. B. Heinrichs IV. etc.) gewesen. Weiber begehen zwar Zungen-, aber selten Federtotschlag, wie denn unter 100 justifizierten Mördern nur 4 Weiber sind. Bekanntlich macht ein Verfasser solcher erhabenen Werke auf das Privilegium eines maitre des hautes oeuvres Anspruch, der sich ehrlich und zum Doktor richtet, wenn er 110 Personen entkörpert und entseelet. Ein
tragischer maitre des hautes oeuvres fragt nichts nach fremden Leiden, wenn er nur imstande ist, sich aus einem Autor zu einem Genie und seine Broschüren, die Stempelgeld erlegen, zu Broschürensammlungen, die keines geben, hinaufzutöten.
Dagegen haben wir nun folgendes:
Der Schauspieldichter steht kaum in geistlicher Seitenverwandtschaft mit dem Schauspieler. Der Dichter erbauet sein Kunstwerk, sein Zauberschloß, ohne dazu den Spieler weder als Gerüste noch Baumateriale
nötig zu haben; der Spieler verdoppelt nur das Kunstwerk und verdichtet das Luftschloß zu einem Schauspielhaus. Die Rollen, die im Schauspiel zu machen sind, können nicht schwieriger sein als die im längern Heldengedicht und Roman - und diese werden recht gut von einer chamäleontischen Aktrice gemacht, von der Phantasie des Lesers. Kurz die theatralische Verwandlung der Bilder in Statuen soll das dramatische Kunstwerk weder fortsetzen noch vollenden, sondern nur begleiten und
kopieren, wie die Liedermelodie das Gedicht und der Chodowieckische Kupferstich die Romanszene. Kurz man kann Virgils geschilderten Laokoon und sein Nattern-Gewinde recht gut genießen, ohne den steinernen dazu neben das Lesepult aufgestellt zu haben.
Aber ebensowenig steht die Schöpfung und der Genuß des gemeißelten Anthropolithen in Verbindung mit dem Virgilianischen Exemplar: der Schauspieler ist ein vom Schauspiele des Dichters ganz verschiedenes abgesondertes Kunstwerk. Seine von der Schönheitslinie der Tanzkunst und Malerei umschriebene Mimik entlehnet ihren Wert ebensowenig vom dargestellten Gegenstande - vom dichterischen Kunstwerk -, als ein historisches Gemälde den seinigen von irgendeinem
Historiker borgt: ihre Darstellung behielte den Glanz, wenn auch der Gegenstand derselben ein schlechtes Kunstwerk oder eine prosaische Szene aus dem wirklichen Leben wäre. Das mimische Kunstwerk und das dramatische formen sich nach ganz verschiedenen Gesetzen: ihre Vereinigung oder ihr Simultaneum fordert ein drittes Gesetzbuch, so wie überhaupt bisher nur für die Alleinherrschaft einer Kunst, nicht für die vermischte Regierungsform von zweien, z. B. von der Ton- und Dichtkunst,
Grenzen und Regeln geboten.
Der dramatische Dichter als Dichter kennt so wenig Schranken der Zeit, des Raums und überhaupt der wirklichen Welt als der epische - die Einheit des Interesse bedeckt und vergütet die mangelnde des Ortes und der Zeit - die Phantasie des Lesers verträgt Ugolinos Hungerturm, Kents ausgeleerte rote Augenhöhle, vollgeblutete Tücher, abgehauene Hände, Schlachtfelder und eine aneinandergedrängte fliehende Leichenprozession totenblasser Szenen. - Aber das Auge des
Zuschauers versöhnet sich mit einer solchen blutigen Wirklichkeit nicht. Wie schon Gorgonen und Mißgestalten nicht aus dem Reiche der Malerei in das Gebiet der Bildhauerkunst auswandern dürfen: so dürfen sich noch viel weniger gewisse tragische Kolossen aus der unermeßlichen Geisterwelt der epischen Kunst in das enge hölzerne Rund der Bühne drängen, da der Unterschied des Umfangs zwischen dem epischen und mimischen Reiche größer ist als der zwischen dem malerischen und
plastischen. Ja die Malerei kann sich erlauben, was sich die Mimik untersagen muß. Große körperliche Zerreißungen, lange Gegenwart eines Leichnams werden auf der Bühne entweder lächerlich oder schmerzhaft; denn entweder die Illusion wird vollendet - und dann tritt die Wirklichkeit mit ihren Schmerzen ein -, oder sie wird vertilgt - und dann quälet uns der Streit komischer Anwandlungen und ernsthafter Wünsche. Die schwerfällige Verkörperung des Theaters hebt alle Brüche der Einheit des Ortes und
der Zeit stärker heraus; die Statuen-Gruppierung hält alle eilende Leidensstationen mit einer schmerzlichen Versteinerung fest, vergrößert und verknöchert alle Wunden und Tränen und beschwert überhaupt die ätherischen Gestalten des Dichters, alle seine verklären Leiber mit einem massiven Kubikinhalt und Blei-Inguß. Daher werden die meisten Tragödien mit schönerer Wirkung gelesen als aufgeführt; die Lustspiele aber umgekehrt. Besonders büßen zwei Tragödien durch die theatralische parastatische
Verkörperung ein: die, worin der Zuschauer von einem Sturzbad und Blutbad wilder Szenen ins andere fället, z. B. Lear; und die bessern, worin statt der äußern oder körperlichen Aktion die innere oder psychologische verwaltet, ohne die im Grunde jene keine ist, z. B. Goethes Tasso. Die theatralische Tragödie würde die Diagonallinie zwischen beiden entgegengesetzten Stößen gehen. Die bessern Schauspiele waren bisher immer die, deren dazu nötige Theaterkasse, Anziehstube, Theaterpersonale bloß in
einem - Kopfe war.
Nach diesen Grundsätzen werden die Sterbebetten hinter die Kulissen geschoben, wenn man nicht gar auf den Dolch der mimischen Melpomene die Inschrift der Siener-Schwerter schreibt: ne occidas. Die Mimik legt bei einem theatralischen Tode die Poussiergriffel weg und überträgt dem weichern Pinsel der Phantasie den letzten gräßlichen Zug. Eine Totenglocke ist zehnmal mehr auf einer Bühne wert als zehn Sterbebetten.
Das ist aber nicht der einzige Grund, den
wir den theatralischen Neuntätern entgegenzusetzen haben.
Zweitens setzen die häufigen Theatermorde einen ebenso gewissen, obwohl dünnern Kallus auf weichen Herzen an als Fechtermorde, Tierhatzen, Bürgerkriege. Nichts wird leichter kallös und schwielicht als das mitleidige Gefühl. Daher härten große Städte durch die Wiederholung schrecklicher Taten ab, deren eine ein Dorf, besser wie eine Mord-Predigt das Gewissen, wach und wund erhält. Dazu kömmt, daß eine
dichterische Blutschuld immer auf ihre Nachahmung in der Wirklichkeit einigen verschönernden Dichter-Glanz wirft.
Drittens erhellet aus dem fünften Gebot und aus der Karolina und den Reichsabschieden, daß man nichts totschlagen soll: derselben Meinung fallen auch angesehene peinliche Rechtslehrer bei, ein Böhmer, Berger, Carpzov, Meister passim und unter den Neuern Quistorp. Ja das Ordensreglement der Franziskaner willigt nicht einmal in das Entleiben einer Laus, geschweige ihres
Territorialherrn. Schon darum allein sollte man das tragische Blut nicht öfter als das des heiligen Januars in Fluß bringen.
Viertens ist es betrübt und bekannt, daß außer einem Friedensschluß wohl nichts auf der ganzen alten Welt zerbrechlicher ist als ein Akteur und seine Frau: ein Tropfen Dinte strecket sie hin, wie der Tropfe, der vom Schwert des jüdischen Todesengels rinnt. Es muß daher den dramaturgischen Stoßvögeln nichts Neues sein, daß der bloße Donnerschall eines Gewitters
den gesündesten und fettesten Akteur, wie einen jungen Kanarienvogel, leichtlich erschlägt; denn der Blitz fährt bekanntlich nur aus Geigenharz und verfängt nichts, höchstens versehrt er nur den innern Menschen ohne Schaden des äußern, wie der obere Blitz nur den Degen, nicht die Scheide zerreißet. War nicht eine hohe Reichsversammlung nach den Sessionen abends Zeuge, daß wir vor wenigen Worten des zischenden Souffleurs, wie Ananias und seine Ehefrau vor denen des Petrus, maustot umgesunken
sind? Haben nicht Front- und Seitenlogen es häufig durch Operngucker angesehen, daß wir - so sehr übermannt uns unsere Phantasie - völlig gleich den Delinquenten, denen man nur die bloße Todesangst anzutun vorhatte, vom bloßen Anstreifen des Richtschwertes erblichen vom Sessel gerollet sind? - Sooft man die giftigen Spezies, die vielleicht schon jeden von uns in die andere Welt gesendet haben, chemisch auseinandertat: so kams heraus, daß es bloßer Fusel oder Danziger Lachs oder gar nichts war,
was den Jammer angestiftet; so leicht lassen sich aus unsern Bühnen die Beispiele der medizinischen Kasusbücher anhäufen, daß unzählige Male bloße Semmelkrumen, nacktes Wasser und dergl. im Patienten als echte Purganzen und Vomitive getrieben, bloß weil der Mann sich vorgestellt, er trinke und schlucke abführende Mittel.
Dennoch erfrechen sich die tragischen Schächter folgender zerstörlichen Exzeption: »Dato lebten und klagten ja die Theatertruppen noch - und nichts wäre lächerlicher
als ihre Beschwerden über ihre Ermordungen. Etwas anders wär es, wären die deutschen Theater die römischen, auf denen (nach Cilano) verurteilte Sklaven zu wahren Todesfällen genützet wurden, wiewohl auch dann das Sachsenrecht für den toten Spieler, der in den Rechten schon vorher tot war, in dem Falle, wo ers ohne Rechte und in der Wirklichkeit war, keine Buß auferlegte als den Schein oder den Schatten eines Mannes.«
Unser dreistündige Tod gilt so gut einem immerwährenden gleich als
ein anderer dreitägiger nach den Theologen dem ewigen. Allerdings sterben wir oft - aber schon Seneka sagt von allen Menschen: mors non una fuit, sed quae rapuit, ultima mors est. Die Hauptsache ist, man setzt immer seine gesunden Glieder zu, wenn man ums Leben kömmt - viele von uns wurden unpäßlich nach einer tödlichen Ration Mäusegift - in unsern Schlachten, worin wir gleich dem Zobel und dem Strauß nicht mit Kugeln, sondern mit Prügeln erleget werden, weil man wie bei jenen die Garderobe
schonen will, in Schlachten bekommen wir immer Schläge - ein zarter Julius Cäsar, den das Riemenstechen von 23 Dolchstichen durchlöchert hatte, wurde mit blutendem Nasenloche fortgetragen - selten wird einer ohne alle Läsion des Kopfes dekolliert, und ein Sturz vom Naxos- oder vom tarpejischen Felsen hat manche Aktrice erschüttert.
Wir schreiten jetzt zu Bitten, die wir einer hohen Reichsversammlung vorzulegen wagen:
Wir halten die erste nicht für ungerecht, daß dem
Tragikus für jeden ermordeten Akteur ein Wehrgeld (ein doppeltes für eine entleibte Aktrice) an seiner Benefiztragödie möge abgezogen werden - Stempelgeld und Totenfall müßt er miteinander abreichen -, wiewohl ihm doch (er bringt sonst das Stück nicht zuwege) zwei steuerfreie Morde, die des Helden und der Heldin, nachgelassen sein können.
Unsere zweite Bitte ist, daß man von Reichs wegen die Autoren anhalte, uns dramaturgisch nur Seelenleiden zu machen: innere Wunden des Herzens,
Verzweiflung, Angst, Selbstverachtung sollen uns willkommen sein, nur keine körperliche Läsion. Unser Gefühl zieht ferner auf dem Theater alle Todesarten einem Backenstreich, den der ehrliebende Deutsche niemals duldet, oder andern Schlägen vor. Mit Freuden sistieren und drängen wir uns wie die alten Blutzeugen zum Tode; ja wie die Bergknappen des Harzes den Tod im Schacht so rühmlich halten, daß sie nach der Stelle eines darin verschütteten eifrig ringen, so nehmen viele von uns gerade
die Rollen am liebsten, in denen ihre Kollegen sterben mußten. Da die tragische Ligue gleich den Pariser Insurgenten aus dem Arsenal der Bellona und Melpomene Waffen aller Art wegschleift und umlegt, womit sie uns aus dem Theater und Leben wegschafft: so sollte das künftig untersagt und uns wie dem Sokrates die Wahl der Todesart verstattet sein; und dann wünschten wir von Herzen, entweder wie Hannibal an Gift oder wie Attikus vor Hunger zu sterben, welche letztere Todesart für uns an ihrer
rechten Stelle (nämlich auf dem Theater) besondere Reize hat, weil sie wie andere sauere Sachen den Appetit schärft.
Auf die dritte Bitte werden wir außer unserer Neigung noch mehr von einem Könige in Dänemark gebracht, der anno 1707 allen jungen Weibspersonen auf der Insel Island vergönnte, sechs Bastarde - weil die halbe Insel ausgestorben war - ohne die geringste Schande zu gebären, damit sich das Eiland wieder füllte. Nun wissen wir nur gar zu gut, daß Zuhörer und Leser wie die
Schweißhunde in Romanen und Tragödien nur verwundetem Wildpret nachlaufen und es aus dem unverletzten ausklauben; mithin werden sie immer unser langsames Sterben wie die Römer das des Fisches Mullus lieben und fodern. Deshalb sind wir erbötig - wenn wir dürfen -, da wir einmal so sehr an der Vergrößerung der Sterbelisten arbeiten, auch das Unsrige für die Vergrößerung der Geburtslisten zu tun, die der vorige König in Preußen so gern durchsah. Hinter den Kulissen, wo
bisher (wenigstens in Frankreich) der theatralische Mord geschehen mußte, setzten wir bisher diesem Mord die einzige mögliche Reaktion in transitorischen Kryptogamien nach Vermögen entgegen und hoben durch miracula restitutionis die Nachteile der tragischen Wunderwerke zeitig weg. Einem hohen Reichskorpus bleibt es, da man bisher in den Kulissen aus Mangel an Aufmunterung weniger agierte als auf der Bühne, überlassen, eine solche unentbehrliche Palingenesie (den besten Antagonismus gegen
theatralische Rasur) durch ausdrückliche Befehle gemeiner zu machen.
Wir schließen unser langes Bittschreiben mit der Hoffnung, von einer hohen Reichsversammlung kein anderes Zeichen zu erhalten als das des - Kains; bescheiden uns aber gern, daß es sich vielleicht nicht eher machen lässet als in der nächsten kaiserlichen Wahlkapitulation - oder auch in der von geistlichen Kurfürsten -, wo man es als einen neuen Artikel leichter einschieben wird, daß des Türken, Papstes und der
Theaterdichter Tyrannei, Gewalt und Blutvergießen gewehret werde. Die wir verharren
Euerer Exzellenzien, Hochwürden, Hochgeboren, Hoch- und Wohlgeboren, auch Wohl- und Hochedelgeboren
untertänigste etc.
*
Ich aber bin (denn jetzt ist die Supplik aus), teuerster Freund, der
Ihrige
J. P.