Frei Lesen: Der Komet

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorrede | Ur- oder Belehnkapitel | Erstes Vorkapitel | Zweites Vorkapitel | Drittes Vorkapitel | Viertes Vorkapitel | Fünftes Vorkapitel | Sechstes und letztes Vorkapitel | Ernste Ausschweife des Urkapitels für Leserinnen | Ernste Ausschweife des ersten Vorkapitels für Leserinnen | Ernste Ausschweife des zweiten Vorkapitels | Ernste Ausschweife des dritten Vorkapitels | Ernste Ausschweife des vierten Vorkapitels | Ernste Ausschweife des fünften Vorkapitels | Ernste Ausschweife des sechsten Vorkapitels | Vorrede zum zweiten Bändchen | Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Achtes Kapitel | Neuntes Kapitel | Zehntes Kapitel | Elftes Kapitel | Zwölftes Kapitel | Dreizehntes Kapitel | Vorerinnerung | Vierzehntes Kapitel | Fünfzehntes Kapitel in drei Gängen | Sechzehntes Kapitel In einem Gange | Siebzehntes Kapitel in drei Gängen | Achtzehntes Kapitel In drei Gängen | Neunzehntes Kapitel In einem Gange | Zwanzigstes Kapitel in zwei Gängen | Einundzwanzigstes Kapitel in einem Gange | Zwanzig Enklaven zu den vorstehenden zwanzig Kapiteln |

Weitere Werke von Jean Paul

Das Kampaner Tal | Der Jubelsenior | Das heimliche Klaglied der jetzigen Männer | Leben Fibels | Freiheits-Büchlein |

Alle Werke von Jean Paul
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der Komet) ausdrucken 'Der Komet' als PDF herunterladen

Jean Paul

Der Komet

Vorrede zum zweiten Bändchen

eingestellt: 14.7.2007

nebst wichtigen Nachrichten vom neuen Traumgeber-Orden

Der neue Traumgeberorden ist für uns alle eine Erscheinung von einem so umgreifenden, überschwemmenden Einflusse, daß ich, da man auf ihn die Augen der Welt nicht eilig genug richten kann, nicht nur diese ganze Vorrede dazu benütze, in der ich ohnehin sonst nichts zu sagen habe, sondern auch das Morgenblatt, welches diese Vorrede noch einige Monate vor der Erscheinung des »Kometen« liefern kann.

Wahrlich dieser Bund ist auch ein Komet oder Bartstern, aber sein Bart, fürcht ich, droht ganz andere Umwälzungen als ein körperlicher mit dem längsten Schweife.

Ich las nämlich im neuesten Archiv für den tierischen Magnetismus einen Brief, worin Herr Wesermann in Düsseldorf, Regierungs-Assessor und Ober-Weginspektor, Mitglied der Rotterdamer, Jenaer und Düsseldorfer gelehrten Gesellschaften, dem Herrn Professor Eschenmayer die Nachricht mitteilt, daß er durch bloßes Wollen seine Gedankenbilder den Schlafenden als Träume zuführen könne und sie in der Entfernung von 1/ 8 Meile bis zu 9 Meilen träumen lasse, was er, wolle. So stellte er z. B. einem Hofkammerrat G. , der in 13 Jahren weder ihn noch eine Zeile von ihm zu Gesicht bekommen, auf einer Reise zu ihm seine Ankunft im Traume mit völligem Gelingen dar. So setzte er einem Doktor B., der von ihm eine Probe dieser Traum-Einimpfung begehrte, in der Ferne einer Achtelmeile eine nächtliche Schlägerei in den schlafenden Kopf, und dieser träumte sie wirklich. Auch zweien Freunden (erzählt er), dem Geheimrate H. und dem Doktor der Rechtswissenschaft W., seien ähnliche Versuche geglückt , andern jedoch weniger.

Ich kann mir nicht denken, daß irgendein Mensch diese Erfindung der Traumbildnerei kann gelesen haben, ohne über die Gewalt, womit nun in fremde Seelen einzugreifen ist, fast noch mehr in Sorge als in Freude zu geraten. Was wären dagegen die Erfindungen der Luftschifferei oder der Flugkunst, welche stets nur im Reiche der Körper, nicht der Seelen umzuwälzen vermöchten! - Meine eignen Begriffe darüber hab ich wohl nirgend so stark ausgedrückt als in einem Briefe an den Herrn Polizeidirektor Saalpater in ...., den ich deshalb zweimal abdrucken lasse, als wär er bloß für das Publikum geschrieben.

Der so geschickte Saalpater ist freilich nur in einem Ländchen angestellt, das unter den jetzigen 39 deutschen Staaten nicht nur das 40ste, sondern auch das allerkleinste ist, da es zur jetzigen Ostermesse, für welche wir Bayern hundertundzweiundfunfzig Werke geliefert, nicht imstande war, so viele Werke wie Kurhessen zu steuern, das bekanntlich (nach dem Meßkatalog) ein einziges - es war ein Volksmärchen - in die Welt geschickt; der kleine Staat mußt es mit ganz und gar nichts bewenden lassen.

Inzwischen kann sich das Ländchen doch einen Minister des Innern und einen Minister des Äußern halten, wovon der eine, da das Innere nur ein Punkt ist, nicht sonderlich viel vorstellt, der andere aber desto mehr, da das Äußere - das überall größer ist als das Innere - ganz Deutschland und so viel von Europa in sich faßt, als man will. Mit diesem großen Minister berät nun der Polizeidirektor Saalpater das Wohl des Ländchens und Europas selber bisher so geschickt, daß beide bestehen, und alles bleibt, wie es ist. Saalpater ist nicht bloß Unter- und Oberzensor aller im Ländchen verfaßten Bücher, sie mögen herauskommen oder nicht - und der Zeitungen ohnehin -, sondern auch der Verfasser eines mehr gründlichen als gemäßigten Werkes gegen die Preßfreiheit und Bücher-Umtriebe, das nächstens erscheinen wird, und das schon die Zensur des Unter- und Oberzensors selber passiert hat.

Nun weiß ich nicht, an wen ich mich mit meinen Bedenklichkeiten über einen möglichen neuen Traumbund oder Traumgeberbund hätte schicklicher wenden können als an einen Mann wie Saalpater, der als Zensor und als Autor im Bilde die Verdienste zweier Seevögel verknüpft, nämlich indem er als Fregatte (Pelicanus aquilus) mit vierzehn Ellen breiten Flügeln in der größten Höhe den kleinsten Fisch, welcher auffliegt, wahrnimmt und stößt, und als Sturmvogel sich auf den Mastbaum setzt und dem Schiffer die Sturmwinde anmeldet. -

Ein solcher Mann bringt es, als ein wahres politisches Wetter-, ja Donnerwettermännchen, am besten heraus, wo Traumgebergesellschaften aufkommen, wie sie zu Werke gehen, wie ihnen zu wehren; denn hier kommt es so unglaublich viel auf Einziehung unbedeutender Nachrichten, auf Eigenmachen seltener Kleinigkeiten an, durch welches ein warmer Kopf eben dem Schörl oder Aschenzieher gleich wird, der, heiß gerieben, die Spreu und Asche, womit der Wind nur spielt, sich anzieht und umlegt, ganz und gar vom Magnete verschieden, der nur Schweres sich und seinesgleichen anzieht und abstößt. Dabei hatt ich noch die Nebenabsicht, sein patriotisches, aber überflüssiges Handeln und Schreiben gegen den Geist der Zeit - welcher wie eine überladene Büchse sogar unter dem Zerspringen doch seine Ladung dem Ziele zutreibt - lieber auf eine neue Gefahr hinzulenken, wo gegen Traumgeber noch viel, ja alles zu tun ist, was nur ein Mann in seinen Verhältnissen - denn nicht jeder Saalpater hat einen Minister des Äußern zur Stütze - durchzusetzen vermag.

Hier ist nun mein Schreiben an den Polizeidirektor, das erst nachher durch dessen Antwort den rechten Wert für die Welt bekommt.

 
Euer Hochwohlgeboren

übersende ich anliegend wieder ein Stück des Eschenmayerschen Archivs; diesmal jedoch in der Besorgnis, daß Sie einen wichtigern, ja stärkern Feind darin zu bekämpfen finden, als der Magnetismus ist, dessen endliche Unterdrückung Ihnen in Ihrem Lande so überaus schön gelungen; was sonst in der Arzneikunde eben nicht so leicht der Fall ist; denn obgleich z. B. in Heidelberg 1580 nach den Statuten jeder Doktor einen Eid abzulegen hatte, innerlich nie Quecksilber und Spießglas einzugeben ; oder obgleich in Dijon Einimpfung der Menschenblattern mit 300 Livr. bestraft wurde : so war und ist später doch nichts so häufig in und an Kranken zu finden als Quecksilber und Impfpocken. - Allein da zieht ein ganz frischer Feind - obwohl ein Absenker und Nachkömmling des Magnetismus -, nachdem alles geschlagen ist, von neuem ins Feld und harceliert Polizeidirektoren; und wir haben eine wahrhaft skandalöse Zeit. Zwar schon Paracelsus versprach und verstand, jedem die Leute, die er im Traume sehen wollte, darin erscheinen zu lassen; aber hier kam es doch auf den Mit-Willen des Schläfers an. Aber dagegen halten Sie nun, bester Polizeidirektor, was der Herr Ober-Weginspektor Wesermann verkündigt und durchsetzt! Er selber freilich ist ein guter Mann und schwärzt in fremde Köpfe beliebige Träume nur als ausländische Waren aus den Gewürzinseln des Lebens ein. Auch werd ich selber am Ende des Briefes Ihnen mehre Heilkräuter und Freudenblüten aufzeigen, deren schlafendes Knospenauge ein wohlwollender Traumgeber in den fremden Schlaf einimpfen kann; aber wiegt wohl - und brauch ich dies einen in Geschäften grau gewordnen Saalpater noch zu fragen - einiger mögliche gute Gebrauch den grenzenlosen Mißbrauch auf, der mit Traumgeben zu treiben ist? Ist es hier mit Träumen wohl anders beschaffen als mit Büchern? Auch diese teilen Lichter und Freuden und Sitten und Herzstärkungen in jeder Messe aus - und ich liefere ja selber jedes Jahr meine Werke, wenn auch nicht die allerbesten -; aber was kann auf der andern Seite leichter und weiter Irrtümer, Beleidigungen, freche Anfälle aller Art, Herzschwächungen und Herzgifte und kurz alles Böse verbreiten als gerade die Bücher; und wer verkennt dies weniger als ein Saalpater, der sie so oft verbieten muß?

Die Gewalt ist nie zu berechnen, die ein Traumbildner über jeden hat, der im Bette liegt; denn kein Nachtriegel und kein Nachtlicht sichert, und niemand kann sich wehren gegen die Träume, die jener in den Kopf wie Nachtraubvögel fliegen läßt, und die alles wegtragen können. Der Traummacher kann jedem, sobald er seine Nachtmütze aufsetzt, die Bischofmütze abnehmen - den Koadjutorhut - den Doktorhut - die Lorbeerkrone - die Krone; und die unschuldigsten und angesehensten Leute von der Welt kann er so lange hänseln, als er will und die Leute die Augen zuhaben.

Einer kann z. B., wenn er ein boshafter Rezensent und Traumbaumeister zugleich ist, mir meine Schlafmütze zu einer Sanbenitomütze verdrehen und mich jede Nacht träumen und lesen lassen, daß gegenwärtiges neuestes Werk »der Komet, eine komische Geschichte« - um ein altes bekümmert sich ein Schriftsteller weniger - zu matt gepriesen und zu stark herabgesetzt, daß es gevierteilt wird vom Kramladen und autodafeziert von Pfeifenköpfen, weil ich darin - könnt er mich träumen lassen - jeden andern mehr überträfe als mich. Wäre dies freilich christlich gedacht?

Traumeinbläser (die Bettlade ist ihr Souffleurkasten) sind imstande, die ersten feurigsten Liebhaber der Theaterzeitungen als bloße Lampenputzer auf der Traumbühne anzustellen, und die Theaterdirektoren und -könige als Statisten; wer wehrts ihnen? Oder ein bürgerlicher Traumbildner macht sich nichts daraus, nimmt einen langen Knotenstock und prügelt damit den vornehmsten Staboffizier, der ihm in seinem ganzen Leben nichts gesagt und angetan als bloße Beleidigungen, welche höchstens ein Edelmann und ein Offizier übelzunehmen und zu ahnden hat, aber keineswegs ein Bürgerlicher, einen solchen hohen Beleidiger prügelt der niedrige Beleidigte so lange in dessen Bette mit Händen ohne einen adeligen Bluttropfen im Pulse durch, bis der Mann grimmig aus der Haut und aus dem Bette fährt ohne alle Genugtuung.

Wenn der Regierungsassessor Wesermann einer Madam W. ein ganzes Gespräch, das er mit zwei andern Personen über ein Geheimnis hielt, durch die Traumpost ins Bette ablieferte: so schließen Sie leicht, mein Saalpater, bis wie weit eine ordentliche Traumgeberbrüderschaft die Sachen zu treiben vermöchte. Es ist aber eigentlich eine sehr klägliche Aussicht. Ein paar Traumgeber können sich verabreden, einander meilenweit Staats-Geheimnisse anzuvertrauen; denn sie machen miteinander gegenseitige Wach- und Schlafzeiten für die Traumtelegraphen aus - Spionen aller Art sind gar nicht zu zählen noch zu fangen - Generale schlafen zu bestimmten Nächten in ihren Zelten, und die Spionen träumen ihnen die feindlichen Stellungen vor, und alles wird geschlagen. - Die gefährlichsten Grundsätze und freiesten Bücher werden umsonst verboten, sie werden von Kopfkissen zu Kopfkissen verbreitet und machen die eifrigsten Anhänger, und ein Nonnen-Dormitorium wird zuletzt eine Propaganda von allem. Denn Träume, sobald sie oft genug wiederkommen, bekehren allerdings, wie das Beispiel des vorigen Heiden und nachherigen Kirchenvaters Arnobius beweiset ; ja man sollte - es nebenher zu sagen - fast vermuten, daß manche geschickte Kanzelredner, von Arnobius Beispiel ermuntert, ihre Zuhörer absichtlich in den Schlaf bringen, um sie darin mit den nötigen Träumen zu bekehren.

Hier teil ich noch einen Argwohn mit, der einen Saalpater vielleicht auf mehr Gedanken bringt. Ich bin nämlich seit dem Lesen des Archivs - denn jetzo pass ich mehr auf - völlig überzeugt, daß eine Traumgebergenossenschaft wirklich existiert, und daß sich daraus sehr wichtige Erscheinungen erklären. Wenn man nämlich manche Staaten ansieht, wo nichts versäumt wird, um sie nicht bloß mit einer China-Mauer, sondern auch mit einem Kirchengewölbe oder einer Bleibedachung hinlänglich zu bedecken gegen außen; wo aber doch jedes Jahr neue Lichtmaterie durchsickert, weil Völker die Zahl ihrer Geburtjahrhunderte, wie die Menschen die ihrer Geburttage, durch die Zahl der Lichter auf dem Kuchen, oder (bei Königen) durch die der Kanonenschüsse, also durch Lichter und Feuer zugleich anzeigen; - wenn man, sag ich, dennoch so gut verwahrte Staaten so hell findet: so stutzt man anfangs. Man fragt sich mit Recht: wozu dients, daß man die einsichtigsten Geschäftmänner hat, welche den Grenzstein des Stehenbleibens, den wahren terminus , der des Kapitoliums Grundstein war, mit ihren Gansfedern bewachen, wenn die Zeit als Saturn den Stein immer wieder verschlingt? - Und der beste Staatsdiener und Saalpater wird dabei endlich matt und der Sache satt.

Aber ich wittere eben hier Fußstapfen der Traumbündler, welche die Bettladen zu Treib- und Lohkästen ihres fliegenden Unkrautsamens machen und den Leuten vor dem Angesichte aller Zensur- und Mautbeamten ihre Grundsätze vorträumen und sie jede Nacht mehr aufklären. Der Nachträumer der Aufklärung wird es dann wie der Nordamerikaner machen und wird nach dem Erwachen alle Gaben des Traumes in der Wirklichkeit haben wollen, so daß die Polizei die Leute ordentlich wie die Falken am Schlaf hindern müßte, um sie zu bändigen.

Es ist bekannt, und betrübt, daß keine Personen auf ihren Lagern mehr von wahren Vorhöllenträumen besucht und gebraten werden als Leute von Stand, denen gerade traumloser heiterer Schlaf der Landleute noch nötiger ist als dem gesunden Volke. Linsen sinds schwerlich, die hier etwa als Samenkörner von Traum-Distelköpfen aufgingen, da hohe Herrschaften für ganz bessere Linsengerichte, als Esau seine Erstgeburt, ihre Wiedergeburt verkaufen; ob aber nicht boshafte Traumbündler, die selber wenig zu beißen und zu schlucken haben, die unschuldigen Großen mit Schaugerichten verzerrter Träume bewirten - dies, mein Polizeidirektor, ist wenigstens eine Frage, die sehr Ihre Prüfung verdient.

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
< Ernste Ausschweife des sechsten Vorkapitels
Erstes Kapitel >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.