Jean Paul
Der Komet
Vorrede zum zweiten Bändchen
eingestellt: 14.7.2007
nebst wichtigen Nachrichten vom neuen Traumgeber-Orden
Der neue Traumgeberorden ist für uns alle eine Erscheinung von einem so umgreifenden, überschwemmenden Einflusse, daß ich, da man auf ihn die Augen der Welt nicht eilig genug richten kann, nicht nur diese ganze Vorrede dazu benütze, in der ich ohnehin sonst nichts zu sagen habe, sondern auch das Morgenblatt, welches diese Vorrede noch einige Monate vor der Erscheinung des
»Kometen« liefern kann.
Wahrlich dieser Bund ist auch ein Komet oder Bartstern, aber sein Bart, fürcht ich, droht ganz andere Umwälzungen als ein körperlicher mit dem längsten Schweife.
Ich las nämlich im neuesten Archiv für den tierischen Magnetismus einen Brief, worin Herr Wesermann in Düsseldorf, Regierungs-Assessor und Ober-Weginspektor, Mitglied der Rotterdamer, Jenaer und Düsseldorfer gelehrten Gesellschaften, dem Herrn Professor Eschenmayer die Nachricht
mitteilt, daß er durch bloßes Wollen seine Gedankenbilder den Schlafenden als Träume zuführen könne und sie in der Entfernung von 1/ 8 Meile bis zu 9 Meilen träumen lasse, was er, wolle. So stellte er z. B. einem Hofkammerrat G. , der in 13 Jahren weder ihn noch eine Zeile von ihm zu Gesicht bekommen, auf einer Reise zu ihm seine Ankunft im Traume mit völligem Gelingen dar. So setzte er einem Doktor B., der von ihm eine Probe dieser
Traum-Einimpfung begehrte, in der Ferne einer Achtelmeile eine nächtliche Schlägerei in den schlafenden Kopf, und dieser träumte sie wirklich. Auch zweien Freunden (erzählt er), dem Geheimrate H. und dem Doktor der Rechtswissenschaft W., seien ähnliche Versuche geglückt , andern jedoch weniger.
Ich kann mir nicht denken, daß irgendein Mensch diese Erfindung der Traumbildnerei kann gelesen haben, ohne über die Gewalt, womit nun in fremde Seelen einzugreifen ist, fast noch mehr in
Sorge als in Freude zu geraten. Was wären dagegen die Erfindungen der Luftschifferei oder der Flugkunst, welche stets nur im Reiche der Körper, nicht der Seelen umzuwälzen vermöchten! - Meine eignen Begriffe darüber hab ich wohl nirgend so stark ausgedrückt als in einem Briefe an den Herrn Polizeidirektor Saalpater in ...., den ich deshalb zweimal abdrucken lasse, als wär er bloß für das Publikum geschrieben.
Der so geschickte Saalpater ist freilich nur in einem Ländchen
angestellt, das unter den jetzigen 39 deutschen Staaten nicht nur das 40ste, sondern auch das allerkleinste ist, da es zur jetzigen Ostermesse, für welche wir Bayern hundertundzweiundfunfzig Werke geliefert, nicht imstande war, so viele Werke wie Kurhessen zu steuern, das bekanntlich (nach dem Meßkatalog) ein einziges - es war ein Volksmärchen - in die Welt geschickt; der kleine Staat mußt es mit ganz und gar nichts bewenden lassen.
Inzwischen kann sich das Ländchen doch einen
Minister des Innern und einen Minister des Äußern halten, wovon der eine, da das Innere nur ein Punkt ist, nicht sonderlich viel vorstellt, der andere aber desto mehr, da das Äußere - das überall größer ist als das Innere - ganz Deutschland und so viel von Europa in sich faßt, als man will. Mit diesem großen Minister berät nun der Polizeidirektor Saalpater das Wohl des Ländchens und Europas selber bisher so geschickt, daß beide bestehen, und alles bleibt, wie es ist. Saalpater ist nicht bloß
Unter- und Oberzensor aller im Ländchen verfaßten Bücher, sie mögen herauskommen oder nicht - und der Zeitungen ohnehin -, sondern auch der Verfasser eines mehr gründlichen als gemäßigten Werkes gegen die Preßfreiheit und Bücher-Umtriebe, das nächstens erscheinen wird, und das schon die Zensur des Unter- und Oberzensors selber passiert hat.
Nun weiß ich nicht, an wen ich mich mit meinen Bedenklichkeiten über einen möglichen neuen Traumbund oder Traumgeberbund hätte schicklicher wenden
können als an einen Mann wie Saalpater, der als Zensor und als Autor im Bilde die Verdienste zweier Seevögel verknüpft, nämlich indem er als Fregatte (Pelicanus aquilus) mit vierzehn Ellen breiten Flügeln in der größten Höhe den kleinsten Fisch, welcher auffliegt, wahrnimmt und stößt, und als Sturmvogel sich auf den Mastbaum setzt und dem Schiffer die Sturmwinde anmeldet. -
Ein solcher Mann bringt es, als ein wahres politisches Wetter-, ja Donnerwettermännchen, am besten heraus, wo
Traumgebergesellschaften aufkommen, wie sie zu Werke gehen, wie ihnen zu wehren; denn hier kommt es so unglaublich viel auf Einziehung unbedeutender Nachrichten, auf Eigenmachen seltener Kleinigkeiten an, durch welches ein warmer Kopf eben dem Schörl oder Aschenzieher gleich wird, der, heiß gerieben, die Spreu und Asche, womit der Wind nur spielt, sich anzieht und umlegt, ganz und gar vom Magnete verschieden, der nur Schweres sich und seinesgleichen anzieht und abstößt. Dabei hatt ich noch die
Nebenabsicht, sein patriotisches, aber überflüssiges Handeln und Schreiben gegen den Geist der Zeit - welcher wie eine überladene Büchse sogar unter dem Zerspringen doch seine Ladung dem Ziele zutreibt - lieber auf eine neue Gefahr hinzulenken, wo gegen Traumgeber noch viel, ja alles zu tun ist, was nur ein Mann in seinen Verhältnissen - denn nicht jeder Saalpater hat einen Minister des Äußern zur Stütze - durchzusetzen vermag.
Hier ist nun mein Schreiben an den Polizeidirektor, das
erst nachher durch dessen Antwort den rechten Wert für die Welt bekommt.
Euer Hochwohlgeboren
übersende ich anliegend wieder ein Stück des Eschenmayerschen Archivs; diesmal jedoch in der Besorgnis, daß Sie einen wichtigern, ja stärkern Feind darin zu bekämpfen finden, als der Magnetismus ist, dessen endliche Unterdrückung Ihnen in Ihrem Lande so überaus schön gelungen; was sonst in der Arzneikunde eben nicht so leicht der Fall ist; denn
obgleich z. B. in Heidelberg 1580 nach den Statuten jeder Doktor einen Eid abzulegen hatte, innerlich nie Quecksilber und Spießglas einzugeben ; oder obgleich in Dijon Einimpfung der Menschenblattern mit 300 Livr. bestraft wurde : so war und ist später doch nichts so häufig in und an Kranken zu finden als Quecksilber und Impfpocken. - Allein da zieht ein ganz frischer Feind - obwohl ein Absenker und Nachkömmling des Magnetismus -, nachdem alles geschlagen ist, von neuem
ins Feld und harceliert Polizeidirektoren; und wir haben eine wahrhaft skandalöse Zeit. Zwar schon Paracelsus versprach und verstand, jedem die Leute, die er im Traume sehen wollte, darin erscheinen zu lassen; aber hier kam es doch auf den Mit-Willen des Schläfers an. Aber dagegen halten Sie nun, bester Polizeidirektor, was der Herr Ober-Weginspektor Wesermann verkündigt und durchsetzt! Er selber freilich ist ein guter Mann und schwärzt in fremde Köpfe beliebige Träume nur als ausländische
Waren aus den Gewürzinseln des Lebens ein. Auch werd ich selber am Ende des Briefes Ihnen mehre Heilkräuter und Freudenblüten aufzeigen, deren schlafendes Knospenauge ein wohlwollender Traumgeber in den fremden Schlaf einimpfen kann; aber wiegt wohl - und brauch ich dies einen in Geschäften grau gewordnen Saalpater noch zu fragen - einiger mögliche gute Gebrauch den grenzenlosen Mißbrauch auf, der mit Traumgeben zu treiben ist? Ist es hier mit Träumen wohl anders beschaffen als mit Büchern? Auch
diese teilen Lichter und Freuden und Sitten und Herzstärkungen in jeder Messe aus - und ich liefere ja selber jedes Jahr meine Werke, wenn auch nicht die allerbesten -; aber was kann auf der andern Seite leichter und weiter Irrtümer, Beleidigungen, freche Anfälle aller Art, Herzschwächungen und Herzgifte und kurz alles Böse verbreiten als gerade die Bücher; und wer verkennt dies weniger als ein Saalpater, der sie so oft verbieten muß?
Die Gewalt ist nie zu berechnen, die ein
Traumbildner über jeden hat, der im Bette liegt; denn kein Nachtriegel und kein Nachtlicht sichert, und niemand kann sich wehren gegen die Träume, die jener in den Kopf wie Nachtraubvögel fliegen läßt, und die alles wegtragen können. Der Traummacher kann jedem, sobald er seine Nachtmütze aufsetzt, die Bischofmütze abnehmen - den Koadjutorhut - den Doktorhut - die Lorbeerkrone - die Krone; und die unschuldigsten und angesehensten Leute von der Welt kann er so lange hänseln, als er will und die
Leute die Augen zuhaben.
Einer kann z. B., wenn er ein boshafter Rezensent und Traumbaumeister zugleich ist, mir meine Schlafmütze zu einer Sanbenitomütze verdrehen und mich jede Nacht träumen und lesen lassen, daß gegenwärtiges neuestes Werk »der Komet, eine komische Geschichte« - um ein altes bekümmert sich ein Schriftsteller weniger - zu matt gepriesen und zu stark herabgesetzt, daß es gevierteilt wird vom Kramladen und autodafeziert von Pfeifenköpfen, weil ich darin -
könnt er mich träumen lassen - jeden andern mehr überträfe als mich. Wäre dies freilich christlich gedacht?
Traumeinbläser (die Bettlade ist ihr Souffleurkasten) sind imstande, die ersten feurigsten Liebhaber der Theaterzeitungen als bloße Lampenputzer auf der Traumbühne anzustellen, und die Theaterdirektoren und -könige als Statisten; wer wehrts ihnen? Oder ein bürgerlicher Traumbildner macht sich nichts daraus, nimmt einen langen Knotenstock und prügelt damit den vornehmsten
Staboffizier, der ihm in seinem ganzen Leben nichts gesagt und angetan als bloße Beleidigungen, welche höchstens ein Edelmann und ein Offizier übelzunehmen und zu ahnden hat, aber keineswegs ein Bürgerlicher, einen solchen hohen Beleidiger prügelt der niedrige Beleidigte so lange in dessen Bette mit Händen ohne einen adeligen Bluttropfen im Pulse durch, bis der Mann grimmig aus der Haut und aus dem Bette fährt ohne alle Genugtuung.
Wenn der Regierungsassessor Wesermann einer Madam W.
ein ganzes Gespräch, das er mit zwei andern Personen über ein Geheimnis hielt, durch die Traumpost ins Bette ablieferte: so schließen Sie leicht, mein Saalpater, bis wie weit eine ordentliche Traumgeberbrüderschaft die Sachen zu treiben vermöchte. Es ist aber eigentlich eine sehr klägliche Aussicht. Ein paar Traumgeber können sich verabreden, einander meilenweit Staats-Geheimnisse anzuvertrauen; denn sie machen miteinander gegenseitige Wach- und Schlafzeiten für die Traumtelegraphen aus -
Spionen aller Art sind gar nicht zu zählen noch zu fangen - Generale schlafen zu bestimmten Nächten in ihren Zelten, und die Spionen träumen ihnen die feindlichen Stellungen vor, und alles wird geschlagen. - Die gefährlichsten Grundsätze und freiesten Bücher werden umsonst verboten, sie werden von Kopfkissen zu Kopfkissen verbreitet und machen die eifrigsten Anhänger, und ein Nonnen-Dormitorium wird zuletzt eine Propaganda von allem. Denn Träume, sobald sie oft genug wiederkommen, bekehren
allerdings, wie das Beispiel des vorigen Heiden und nachherigen Kirchenvaters Arnobius beweiset ; ja man sollte - es nebenher zu sagen - fast vermuten, daß manche geschickte Kanzelredner, von Arnobius Beispiel ermuntert, ihre Zuhörer absichtlich in den Schlaf bringen, um sie darin mit den nötigen Träumen zu bekehren.
Hier teil ich noch einen Argwohn mit, der einen Saalpater vielleicht auf mehr Gedanken bringt. Ich bin nämlich seit dem Lesen des Archivs - denn jetzo pass ich mehr auf
- völlig überzeugt, daß eine Traumgebergenossenschaft wirklich existiert, und daß sich daraus sehr wichtige Erscheinungen erklären. Wenn man nämlich manche Staaten ansieht, wo nichts versäumt wird, um sie nicht bloß mit einer China-Mauer, sondern auch mit einem Kirchengewölbe oder einer Bleibedachung hinlänglich zu bedecken gegen außen; wo aber doch jedes Jahr neue Lichtmaterie durchsickert, weil Völker die Zahl ihrer Geburtjahrhunderte, wie die Menschen die ihrer Geburttage, durch die Zahl der
Lichter auf dem Kuchen, oder (bei Königen) durch die der Kanonenschüsse, also durch Lichter und Feuer zugleich anzeigen; - wenn man, sag ich, dennoch so gut verwahrte Staaten so hell findet: so stutzt man anfangs. Man fragt sich mit Recht: wozu dients, daß man die einsichtigsten Geschäftmänner hat, welche den Grenzstein des Stehenbleibens, den wahren terminus , der des Kapitoliums Grundstein war, mit ihren Gansfedern bewachen, wenn die Zeit als Saturn den Stein immer wieder
verschlingt? - Und der beste Staatsdiener und Saalpater wird dabei endlich matt und der Sache satt.
Aber ich wittere eben hier Fußstapfen der Traumbündler, welche die Bettladen zu Treib- und Lohkästen ihres fliegenden Unkrautsamens machen und den Leuten vor dem Angesichte aller Zensur- und Mautbeamten ihre Grundsätze vorträumen und sie jede Nacht mehr aufklären. Der Nachträumer der Aufklärung wird es dann wie der Nordamerikaner machen und wird nach dem Erwachen alle Gaben des Traumes
in der Wirklichkeit haben wollen, so daß die Polizei die Leute ordentlich wie die Falken am Schlaf hindern müßte, um sie zu bändigen.
Es ist bekannt, und betrübt, daß keine Personen auf ihren Lagern mehr von wahren Vorhöllenträumen besucht und gebraten werden als Leute von Stand, denen gerade traumloser heiterer Schlaf der Landleute noch nötiger ist als dem gesunden Volke. Linsen sinds schwerlich, die hier etwa als Samenkörner von Traum-Distelköpfen aufgingen, da hohe Herrschaften
für ganz bessere Linsengerichte, als Esau seine Erstgeburt, ihre Wiedergeburt verkaufen; ob aber nicht boshafte Traumbündler, die selber wenig zu beißen und zu schlucken haben, die unschuldigen Großen mit Schaugerichten verzerrter Träume bewirten - dies, mein Polizeidirektor, ist wenigstens eine Frage, die sehr Ihre Prüfung verdient.
Seit ich das neueste Stück des magnetischen Archivs gelesen, kann ich mich der Vermutung nicht erwehren, daß manche Mönche, wenn sie so oft die sündhaftesten, ihrem Gelübde der Enthaltsamkeit mehr entsagenden als zusagenden Träume ausstehen, wohl von boshaften protestantischen Traumgebern verfolgt werden. - Aus nichts anderem wäre es sonst erklärlich; denn die Patres haben die reinsten Sitten und die reinsten Lehren - genießen viel öfter als andere den
Umgang mit Nonnen, deren Beispiel und Anblick schon Weltliche auf andere Gedanken bringt - sind überhaupt mehr die Lampenputzer als die Ofenheizer ihres von ihnen verachteten Leibes, weil schon das Gelübde der Armut allein ihr Fleisch genugsam kreuzigt - - Und nun, woher soll es denn kommen, daß Männer, die vom Volke noch früher kanonisiert werden als vom Papste, daß solche, gleich dem betrunknen Alexander, gerade im Schlafe merken, wie die Menschen sind, und daß sie ordentlich an sich selber
des Schwärmers Gichtel Meinung von Adam bestätigen, der zuerst im Schlafe Magen, Gedärme, Leber und alles in sich hineinbekommen; von wem, sag ich, kann ein solches Nachtgarn des Teufels über die frommen Männer gezogen werden? Lutheraner, vermut ich, die sich aufs Traumgeben verstehen, erfischen sie mit dem Garne.
Jedoch will ich nicht eben alle Katholiken vom Traummitarbeiten freigesprochen haben; ich bin ein so redlicher Protestant wie Sie. Sehr gut könnten z. B. katholische
Beichtkinder von Stande, aber aus dem Traumgeberbunde, wenn sie etwa zu schwer an ihren Sündenlasten (wie leicht sind am Hofe dagegen die Staatslasten!) zu tragen hätten, ihren frommen Hofbeichtvater die Nacht vorher alle ihre Sünden im Traume in eigner Person begehen lassen, um sich am Tage aus Zartheit teils die umständlichere Beichte zu ersparen, teils die härtere Pönitenz.
- Und ich will es Ihnen nur von mir selber gestehen, schätzbarer Herr Polizeidirektor, daß ich seit der
Bekanntschaft mit dem Ober-Weginspektor Wesermann gleichfalls meine schwachen magnetischen Kräfte zu zwei Traum-Einimpfungen nicht ohne Glück, aber zu sehr wohltätigem Zweck, versucht habe; in der einen legt ich einen ehelichen Zwist bei, in der andern hieb ich mich mit einem Husaren. Da ich nämlich hörte, daß ein Ehepaar in nichts einig war als in dem Wunsche und Vorbereiten der Ehescheidung: so strengte ich mich an, daß ich mehre Nächte hindurch die Leute förmlich voneinander schied, als ein
vollständiges ganzes geträumtes Konsistorium mit allen Räten, Akten und Kosten und was dazu gehört. Seit meiner wiederholten Scheidung im Bette mehr als vom Bette hör ich nun in allen Teezirkeln, daß die Leute sich einander am Tage wieder zu lieben anfangen; - was wohl am besten beweiset, daß mir das Vorträumen gelungen, und daß sie wirklich auf den wächsernen Flügeln des Traums auseinandergeflogen und sich und die Sache auseinandergesetzt. Denn bekanntlich ist Scheidung ein
gutes Ehe-Aphrodisiakum und der Scheidebrief eine Auffrischung des ersten Liebebriefes, indem es mit einem bösen Gatten wie mit einem bösen Zahne geht , welcher, sobald man ihn ausgezogen und in die Kinnlade - beinahe Bettlade hätt ich gesagt - wieder einsetzt und einbeißt, nicht im geringsten mehr schmerzet, sondern nur schmückt.
Einen andern Traumfall hatt ich mit einem Husarenrittmeister, einem Gelehrtenfeind, der sich schon seit Jahren gern mit mir gehauen hätte - weil er den
kleinsten satirischen Hieb auf sich zu lenken weiß -, wenn es nicht gegen seine Ehre liefe, wie er sagte, einem elenden Bürgerlichen oder Bücherschreiber mit dem Säbel den Kopf zu spalten oder auch nur einen Finger wegzuhauen. Diesen Rittmeister fodere ich nun jede Nacht, wenn wir beide die Schlafhauben aufhaben - gleichsam unsere Sturmhauben -; und er muß sich mir im Bette stellen, und ich adle mich nicht einmal, was ich so leicht im Traume könnte. Nun ist es aber kläglich, dabeizustehen und es
anzusehen, wie ich den Husaren zurichte mit meinem Säbel - rechts und links, in die Quer und die Länge, vierfingerig, dreifingerig, zweifingerig, einöhrig wird er gehauen in den verschiedenen Nächten, und nur den Schädel läßt man ihm sitzen als Untersatzschale der Husarenmütze und des Lebens. Darauf lass ich ihn um Schonung flehen und mir mehr als einen Dank sagen, daß ich ihn meines Säbels und des Durchhauens gewürdigt. - Es muß aber mein Traumgefecht wirklich in ihm vorfallen - fragen will ich
ihn nicht -, weil er, wenn ich ihm begegne und als Sieger ihm etwas stolz ins Gesicht schaue, mich äußerst erbittert anblickt, was dem gedemütigten Husaren gern zu vergeben ist, da er sich für seine Demütigungen nicht räche kann. -
Allerdings sieht ein einsichtvoller und rücksichtloser Mann wie Sie von selber, daß die Traumbildnerei gerade wie die Schriftstellerei sich auch zu guten herrlichen Zwecken (ich möchte mir schmeicheln, in der einen und in der andern Beispiele gegeben zu
haben) verwenden läßt. Ein Benediktiner, erzählt Isibord (Breviar. num. 26.), hatte in der Nacht vor dem Morgen, an welchem er eine Purganz nehmen wollte, den Traum, daß er die Sache schon im Leibe habe; und siehe da, am Morgen war auch die Wirkung vorhanden, und die gekauften äußern Pillen brauchte er gar nicht zu verschlucken. - Nun ließe sich recht gut denken, daß ein Arzt die Abführmittel und Brechmittel, die er dem Patienten verschreibt, ihm so lange vorträumte, bis sich Wirkung einstellte.
Ein Hofmedikus könnte zarten höheren Personen statt der ekeln Pillen Träume eingeben, und in öffentlichen Krankenanstalten könnte der Staat manchen Apothekerzettel in der Tasche behalten, wenn der Spitaldiener oder Krankenwärter als Vorträumer der Arzeneien anzustellen wäre und man nichts in der Apotheke zu machen brauchte. Oder man könnte auch der Staatskasse (wie schon jetzt, aber ohne Vorteil der Kranken geschieht) Arzeneien ansetzen, die gar nicht gegeben worden, sondern nur geträumt. - Die
Ekelkur, die mancher Arzt oft bei Wachenden ohne seine Absicht durch sein Äußeres macht, könnte er bei Schlafenden, wo es nötig, durch sein Inneres ausführen; und so würden die Jünger des Äskulaps, den schon die Griechen den Traumsender genannt, sich des Meisters durch die Träume würdig zeigen, die sie uns unmittelbar und ohne Druckpapier vormachten. Ja, ob man nicht auf Schiffen und in Festungen, wo zuweilen die Arzeneien ausgehen, statt dieser die Apotheker selber verschreiben könnte, da ihre
treffliche Einbildkraft gewiß ohne Kräuter gute Brech- und Abführmittel machen könnte: dies würde bald die Zeit lehren, nebst den erfoderlichen Nächten.
Allenthalben vermißt man noch an Höfen und auf Thronen gerade für die ganze eine Hälfte des Lebens alle Hoflustbarkeiten, Spektakel und Hoffeste, und nur die andere hat dergleichen einige, die wache; so daß mithin die schlafende noch ein ganz unentdecktes Amerika oder eine neue Welt der Himmelkugel oder Glückkugel blieb, weil hohen
Herrschaften in der Kunst, allzeit fröhlich zu sein, (der ars semper gaudendi) jeden Tag zehn Stunden fehlen, wenn nicht mehre. Dagegen gibts nun kein anderes Mittel, weil der Hof nicht in einem fort für das Vergnügen wach bleiben kann, als einen geschickten Vorträumer, ders den Frommen im Schlafe beschert. Ein solcher wäre als der wahre eigentliche maitre de plaisirs für die Nacht anzustellen, wo jeder seine Himmelfahrt nach dem Betthimmel hielte und in der Ruhe das rechte rheinische
Lustschloß Monrepos anträfe. Da nun ein Nacht- und Traumfreudenmeister oder Intendant des plaisirs lauter Freuden anordnete, die keinen einzigen Gulden kosteten - weil alle unmittelbar von Gehirn an Gehirn abgeliefert werden -: so könnten auch die Landstände und die Kammern gegen die Freudenfeste und diese Lustlager ohne Soldaten nichts haben; denn keine Landes-Schulden würden gemacht, weil der maitre de plaisirs ein wohlfeiler Fliegenschwamm wäre, womit die Kamtschadalen sich durch dessen
Aufgüsse wahre Edenträume und sich die Bettlade zur Nektar-Braupfanne machen.
Wenn ich weiter nachdenke, lieber Polizeidirektor, wahrlich das schwere Beglücken der Menschen würde gar zu himmlisch leicht gemacht, sobald man es ganz in seine Gewalt bekäme, bloß durch Träume zu erfreuen - Wunden zu schließen nach dem Schließen der Augen und den geplagten Menschen, wenigstens solange er liegt, aufrecht zu erhalten. Wahrlich, ich würde keinem Schläfer als eine gebratene Taube in den
Mund und Magen fliegen, sondern ich würde mehr den kostbaren Rubin vorstellen, der die lieblichsten Träume erzeugt. Einem Blinden setzte ich so lange gute Augen ein, als er sie zuhätte, und herrliche Nachtstücke des Frühlings und Sternenhimmels wollt ich um ihn herhängen. Und da der Traum uns gerade verlorne Gestalten unserer wärmsten Sehnsucht am hartnäckigsten verweigert: so wäre mein erstes, einer sehnsüchtigen Mutter die Tochter wieder an das Herz zu führen, die auf höhern Welten lebt, oder
auf eine Nacht den Sohn nach Hause zu bringen, der auf fernen Schlachtfeldern übernachtet. Gott weiß, was ich noch täte; unschuldigen Gefangenen nähme ich ohnehin in der Nacht die Kettenringe ab; und zarten Prinzessinnen steckt ich schöne Eheringe an und ließe einer schlafenden Diana-Göttin einen wachen Endymion erscheinen. - Ich triebe es weit.
Inzwischen bleibt es doch ebenso wahr als gefährlich - denn wenige würden so vorträumen wie ich -, daß die Erfindung des Traumgebens, wie die
des Bücherschreibens und Druckens, die Entdeckung einer neuen Welt und dadurch die Verdopplung und Umkehrung der alten ist - -; und dies ists eben, worüber man einen Saalpater hören will und zu Rate ziehen. Unmöglich können Sie in Ihrem künftigen Werke gegen die gewöhnliche Preßfreiheit über die Gefahren der ähnlichen Traumgeberei wegschlüpfen; Sie müssen die wichtige Sache erwägen, und wärs auch nur in einem magern Appendix. In solcher Hoffnung verharr ich etc.
Dr. Jean Paul Fr. Richter
Kaum hatt ich den 1sten April diesen Brief an Herrn Polizeidirektor Saalpater abgeschickt, so bekam ich von ihm - dem fast von Akten erdrückten Geschäftmanne - schon in diesem Monate die Antwort; und zwar eine so unerwartete und wichtige, daß ich gewiß nicht getadelt werde, wenn ich der Welt nicht erst in dieser Vorrede zum zweiten Kometenbande, sondern schon im frühern Morgenblatte die Beweise überlieferte, daß der so
sehr bedenkliche Traumbund wirklich existiert und schon tätig ist.
Saalpaters Schreiben leg ich hier wörtlichtreu und vollständig dem Publikum vor und lasse nur da, wo ichs zweckdienlicher finde, Bedeutendes aus. Denn da Saalpater den guten, langen, weiten, breiten deutschen Reichsstil fertig schreibt, von welchem (wie ich hoffe) in den deutschen öffentlichen Kongreß- und Bund-Verhandlungen noch nicht so viel untergegangen als vom Reiche selber: so war bequem jede Seite auszulassen,
wenn auf der abgedruckten dasselbe stand, so daß auf diese Weise nur der Nachdruck, nicht der Nach druck wegblieb. Hier ist der Brief.
Wohlgeborner Herr,
besonders hochzuverehrender Herr Legationrat!
Ew. werden gar bald aus den öffentlichen Blättern ersehen, welche heilsame Wirkungen Dero geehrtes vom 1sten April hervorgebracht. Schon seit geraumer Zeit hielten nämlich fünf magnetische Studenten aus Berlin sich in
unserem Staate bloß zu ihrem Vergnügen, wie sie im Fremdenbuche des Gasthofs vorgespiegelt, auf; und zogen solche schon dessentwegen mein ganzes Augenmerk auf sich, weil sie sich die fünf Vokale nannten und sich niemalen anders schrieben als Ah, Eh, Ih, Oh und Uh. Dabei war doch manches nicht zu verkennen, was seit ihrem Aufenthalte im Staate Wunderliches vorfiel, ohne daß es recht zu erklären gewesen; denn Träume der verdrießlichsten Art fingen seit dem Übernachten der angeblichen Vokale
nächtlicherweise im ganzen Lande an einzureißen, wovon drei Exempel von Schlafenden Euer Wohlgeboren anstatt aller übrigen dienen mögen. Nämlich Seine Exzellenz der Herr Minister der auswärtigen Angelegenheiten wurden überaus gemartert mit unschicklichsten Träumen, als wären Solche in Ungnade gefallen, ohne Pension entlassen, Dero hohe Familie vom Hofe verwiesen. Auch mir unwürdigen Subjekte kam es drei Nächte hintereinander vor, ich würde unter vielem Freudengeschrei auf dem Schloßplatze
geköpft und trüge darauf den enthaupteten Kopf, nachdem man mir vorher einen hohen, hinten ausgehöhlten halben Maskenkopf aufgesetzt, mit beiden Händen ans Schloßtor, um ihn bei den Ohren neben einem angenagelten Hühnergeier anzunageln. Endlich wurden sogar Seine Durchlaucht mit den unehrerbietigsten Träumen beunruhigt, indem es wenige Dienerversehen und Untertanenklagen im Lande gibt, welche bisher jeder treue Diener vor seinem Fürsten aus pflichtschuldigster Schonung geheimgehalten, die nicht
Höchstdenselben in allen Träumen vorgekommen wären, seit die Vokale da sind, ordentlich als wären die Landstreicher Landstände, welche einem höchsten Herrn alles Elend ausplaudern, wenn es nur wahr ist, ohne sich darum zu bekümmern, wie es einem alle Untertanen liebenden Fürsten schmerzet.
Wie ich nun die fünf Studenten schon längst politischer Umtriebe für verdächtig gehalten, so war vollends nach den eingegangenen Fingerzeigen in Ihrem Schreiben, hochverehrtester Herr Legationrat,
weiter kein Zweifel mehr, daß die Personen zu einem neuen Traumbunde gehörten und sich träumerische Umtriebe erlaubten. Ich nahm daher vor allen Dingen die fünf Vokale in Verhaft und ihre Papiere in Beschlag. - Und siehe da, schon aus ihren Tagebüchern wies sichs sonnenklar aus, daß sie zur neuen geheimen Gesellschaft der Traumbündler gehörten; es ist aber solches Komplott das gefährlichste und strafwürdigste unter allen, angesehen ein Traumbündler nächtlicherweise durch gewaltsamen Einbruch in
die verschlossenen Schlafkammern dringt und allda sein politisches und sonstiges Gaukelspiel in allen Köpfen treibt und weder durch Wache noch Schlösser abzuhalten ist. - Nicht zu spät wurden darauf die fünf Bündler zu Protokoll genommen, so wie aus den Tagebüchern die dienlichsten Extrakte gemacht; und biege Ihnen sowohl Verhöre als Auszüge hier an. - -
*
Aber ich beuge vielleicht besser hier den Verhören vor, da ein Jurist, als
Wörterlatitudinarier, für das schöne blatt- und stachelreiche Gesträuch, worein er seine Beeren kleidet, mehr Platz bedarf, als Morgenblätter und Vorreden übrig haben. Der Auszug der Protokolle folgt jedoch:
Die fünf Traumdirektoren geben zu Protokoll, daß sie unterwegs in verschiedenen Städten sich aufgehalten, aber bloß um da zu übernachten und zu wachen. - Auch leugnen sie ganz, daß sie dem Minister und dem Polizeidirektor böse Träume
gemacht, aber sie sind erbötig, die Träume von Kopfverlieren, Ehreverlieren, Stelleverlieren und dergleichen aus beider geistigen und körperlichen Natur durch physiologische Kettenschlüsse befriedigend abzuleiten. - Ferner tun sie sämtlich die Frage, wer ihnen, wenn jemand greulich geträumt, beweisen könne, daß sie gerade gewacht, oder wer ihnen verbieten wolle, die Welt, wenn nicht durch Predigten, doch durch Träume selig zu machen und sogar, wie Titus für einen Tag getan, es zu beklagen, wenn
sie eine Nacht ohne Beglücken vorübergelassen. - Und endlich wollen sie, versichern solche, nichts weniger als fünf Vokale oder Selbstlauter für hebräische unpunktierte Staaten voll lauter Mitlauter vorstellen, da diese an Kabinett-Ordres und Inquisitionen und an jeder Pairie und Mairie ihre guten matres lectionis hätten; welche Ausdrücke Saalpater mit Recht ebenso anzüglich als unverständlich fand.
Hiemit hätt ich denn den protokollarischen Sachzwergen die juristischen Pump- und
Pluderhosen des reichen schönen Vortrags ausgezogen; aber die Welt wird sich schon mit den Zwergen begnügen.
Auch aus Saalpaters Auszügen der traumbündlerischen Tagebücher geb ich deren hier fünf, von jedem Studenten nur
ein Vortraumstück und Nachtstück; aber die Welt wird sich mit Saalpater nicht genug verwundern können, daß diese Vokale, die sich für die fünf Treffer des Staats und des Schlafs ausgeben, immer nur Nieten jeden Schläfer ziehen ließen.
Der
magnetische und traumgeberische Student
Ah erzählt in seinem Tagebuch den Vortraum, daß er einem ebenso reichen als behutsamen Sparhalse, der ohnehin nicht viel Schlaf genoß, das bißchen davon versalzte, indem er ihn darin in einem fort zu verschenken zwang. Der Mann, der nichts lieber verdauet hätte als, gleich dem Krebse, seinen eignen Magen, wurde durch den Studenten genötigt, jeden fremden zu füllen und die halbe Stadt, nämlich die hungernde, zu Gaste zu bitten, ja seine schönsten
Kapitalien, die er alle auf sein Testament als auf den Adelbrief seines Gewissens aufhob, an öffentliche Anstalten, Schulen und Arbeithäuser zu verschwenden. Dabei stand nun der Menschenfreund nicht etwa bloß die nächtliche Qual der verschenkende Traumbilder aus, sondern am Tage mußt ihn auch die Besorgnis verfolgen, daß er sich durch dergleichen gegen das Geld abhärte und zuletzt es wirklich herzugeben anfange.
Der Student
Eh gesteht in seinem Tagebuche die
gemeinschaftliche Mißhandlung eines begüterten Landpfarrers. Sie ließen den exemplarischen Seelenhirten drei Sonnabende hinter einander seinen aufgehäuften zweijährigen Sackzehend in seinem Bette um den jetzigen Spottpreis an Juden verhandeln, zu einer Zeit, wo gewiß noch nicht jede Hoffnung eines Mißjahrs und nassen Sommers verschwunden ist; - was aber dem Seelsorger dermaßen zusetzte, daß er die an sich frohen Osterpredigten mit einer so kläglichen Stimme vortrug, als sei ihm schon das Brot
gebacken; und in der Tat waren nicht, wenn nach der alten Sage Ameisen dem schlafenden Midas Getreide auf dem Munde ansammelten, die Studenten vielmehr Ameisen, die es dem Pfarrer vom Maule forttrugen? Wollen die fünf Vokale sogar fünf Gerstenbrote sein und auf diese Weise das Volk abspeisen? - Unerhört!
Sämtliche magnetische Studenten aus Berlin überhaupt gingen unterwegs nicht redlich mit Weibern um, welche sich zugleich kostbar und nackt kleideten, sondern sie taten, als wären sie
als die fünf klugen Jungfrauen für die fünf törichten beordert. Wenn einige von diesen, indes die ersten Eltern nach dem Genusse des verbotnen Apfels sich ihrer Nacktheit schämten, sich der ihrigen gerade rühmten und freueten: so trugen ihnen dies die magnetischen Studenten nach, bedachten aber nicht, daß eine heutige Eva gerade umgekehrt die Schlange zum Anbisse des verbotenen Apfels verführen will, ich meine die eleganten männlichen Brillenschlangen, welche jedoch die Brille nicht, wie die
naturhistorische, auf dem Rücken gemalt, sondern auf die Nase gesteckt tragen. Die Studenten waren vielleicht über die Mode, welche für Brust und Rücken nur den halben Anzug nimmt, nur aus dem Grunde verdrießlich, aus welchem Kotzebue und Hufeland darüber klagten, daß man die Selterflaschen nur mit
halben Korken zugemacht verschicke, weil dadurch der halbe Geist des Wassers verfliege.
Nun war (laut Tagebuch) der Student
Ih in einer Residenz gerade gegen eine
Weltdame besonders erbost, eine junge Sechsundvierzigerin, deren Blütenäste an Spieltischen bis ins Zwanzigste durch Kunst gebogen überhingen, und an welcher, so wie an manchen alten ergänzten Statuen in Rom nur
ein Sechstel alt ist, vielmehr ein ganzes Sechstel jung war. Der Vokal nahm die Dame daher jede Nacht vor einer Ballnacht und führte sie auf einen geträumten Hofball, wo ihr, sooft sie lächelte, die falsche Zahnperlenschnur aus dem Munde rollte auf die Halsperlenschnur herab;
und wenn sie mit ihrem jungen Wangenrot vor einem Spiegel vorbeiging, so war sie - die Schminke mochte noch so unverfälscht aufgetragen sein - aus der Rotgießerin eine Gelbgießerin geworden. Was ihre Kleidung anbelangt, welche dem Busen und Nacken fehlen sollte, weil sie bei ihren Jahren die älteste Mode des Paradieses mit der neuesten der Zeit zu verschmelzen suchte, so ließ ihr dies der boshafte Student Ih im Vortraume nicht zu, sondern er verkorkte, verpetschierte, inkrustierte, emballierte
die Dame auf dem Hofballe so lange, bis er sie zu einem Mädchen in Holland umgesetzt, das der Schönheit und Gesundheit halber gewöhnlich ein Hemd trägt und ein Wollentuch auf der Brust und ein Kamisol dazu, samt einer Weste mit Ärmeln - dann einen Wollengürtel samt Hosen - dann einen wollnen Rock - dann einen kattunenen - darauf eine kattunene Chemise - und einen Mantel mit Watten gefüllt - endlich drei Paar Strümpfe, nebst ein Paar Sockenschuhe mit Pelz darüber als Schluß von unten, und drei
Mützen als Schluß von oben. - Himmel! dergleichen möcht ich nicht einmal in Holland anhaben! - Endlich versteht sich ohnehin, daß der erbitterte Traumvorturner, der bekannten Beobachtung Herders und anderer zum Trotze, nach welcher Träume in das schönste Jugendalter zurückversetzen, die Dame gerade um ebenso viele Jahre auf den Bällen vorausaltern ließ. Zu hart! -
Etwas gelinder - aber nicht viel - wurden vom vierten magnetischen Studenten
Oh Damen in einer kaufmännischen,
an sich gut handelnden, aber bös sprechenden Mittelstadt, wo er mit den andern übernachtete, mitgenommen und traumärztlich behandelt. Je kleiner die Stadt, desto kleinlicher die Nachrede, und nur eine große duldet Großes. Da ein weiblicher Tee- oder Trinkzirkel erstlich sich selber beobachten muß - um alles dem nächsten mitzuteilen -, dann alles dem gegenwärtigen mitteilt, was er in vorigen Zirkeln und Zirkeltangenten beobachtet hatte: so sah in jener Mittelstadt eine Damenreihe mit den vier
Fühlfäden der Ohren für Abwesende und der Augen für Gegenwärtige und mit der Zunge, welche überall ihre Spuren ließ, nicht anders - um ein possierliches Gleichnis vom Studenten Oh zu entlehnen - in ihren weit aufgesperrten Reusenhüten aus als wie ein lebendiges Konchylienkabinett, wo aus den weiten Schneckengehäusen die Köpfchen mit den
vier Fühlfäden schauen und dann alles überziehen, worüber sie ziehen. Keine Namen wurden ganz gelassen als die verschollenen oder begrabenen, die sich
hinter einem Grabstein wehren und decken konnten. Wie schon die Witwe aus der Asche ihres Mannes die beste Lauge für ihren zweiten zu dessen Weißwaschen siedet; ja wie überhaupt die Verstorbenen von Jahrtausenden her gleichsam die
Wäscher und die
Ärzte der Lebendigen werden, so wie die Leichen sich in
Seife verwandeln und die Mumien sonst in Apotheken zu
Arzeneimitteln verschabt wurden: so wurde auch in den gedachten Zirkeln das Verstorbne geschickt zur
Seifenkugel und Laxierpille, zum Wasch- und Heilmittel des Lebendigen verarbeitet. Der Tee war am Ende ein Entweihwasser für Namen, die kein Weihwasser verdienten, oder ein Strafbier, das noch dazu, ungleich dem Strafbier der Handwerker, nicht von dem Gestraften bezahlt wird, sondern von dem Strafenden. - Die Verbreitung solcher Strafurteile war unglaublich und musterhaft - denn jeder Teewasserzirkel floß wieder in neue Zirkel ein, und so hörte es, wie das Ineinandergehen der Wasserringe auf
einem Teiche, gar nicht auf. Der Student Oh tat nun weiter nichts im Vorträumen, als daß er jede Verfasserin oder Verlegerin eines Strafurtels mit einem Gygesring unsichtbar in einen Zirkel nach dem andern stellte, wo man einer jeden den reichlichen Ehrensold (wenns nicht vielmehr ein Unehrensold zu nennen ist) für die gefertigten Urtel gewissenhaft auszahlte - das Gute der Urtelverfasserin wurde von selber vorausgesetzt und bloß ihr Böses hinlänglich dargetan und aufgedeckt; - und so mußte eine
solche bewölkte Sonne den glänzenden Tierkreis von Teezirkeln durchlaufen. - - Jede Mittelstädterin war im Bette außer sich und litt viel und wollte das Hassen von ihren Freundinnen kaum ihren Ohren glauben; denn keine erinnerte sich - obgleich jede dasselbe getan - bei dem Teezirkel, da er eine Art Krieggericht gegen Abwesende ist (das Ätherflämmchen der Teemaschine will das Biwakfeuer vorstellen), daß die sanftesten Wesen von der Welt den Bewohnern der Freundschaftinseln ähnlichen, mit deren
Gutmütigkeit Cook und Forster uns alle beschämen, die aber doch ihre Feinde lebendig verspeisen. Und was ist Namenzerreißen anders als eine subtile Menschenfresserei, zu deren Eingeschneizel der Tee die Tunke und Salzlacke sein mag? -
Im Tagebuche des fünften magnetischen Studenten, namens
Uh, zeichnen sich besonders die Nächte aus, wo er einer Fürstin und ihrer Oberhofmeisterin in einem gewissen Staate statt der Nachtmusiken arge Nachtfröste gibt. Der Staat ist in Rücksicht
der Quadratmeilen nicht näher bestimmt, wo Freiheit und Gleichheit auf schöne Weise geschieden sind und völlige Gleichheit nur außerhalb des Hofs, und wahre Freiheit nur an diesem herrscht, so daß das Land ein Schachbrett ist, auf welchem man mit Steinen oder Dame (nicht mit Figuren) spielt, und wo folglich alle Steine auf allen Stellen einerlei Wert haben, die ausgenommen, welche in die Dame kommen, d. h. an den Hof. Aber eine so uralte, ja adelig-alte Rangordnung wollte dem Selblauter Uh
leider nicht schmecken, sondern er versuchte sie (laut seines Tagebuchs S. 66) wenigstens bei Nacht im Schlafe der - Fürstin und ihrer noch strengern Oberhofmeisterin umzustoßen; er träumte nämlich ihr und der grauen Hofmeisterin drei oder fünf Nächte (die Zahl ist zu unleserlich) vor, daß beide wirklich an der fürstlichen Tafel mit Weibern zusammensäßen, welche entweder von Natur bloße bürgerliche waren, oder doch als Edelfrauen an bürgerliche, wenn auch tafelfähige Diener vermählt. Dem
Fürsten, durch seine männlichen Beamten schon an bürgerliche Gast-Einschiebsel oder Beiessen gewöhnt, wollte der Vokal nichts vorträumen; aber bei der Fürstin und der alten Oberhofmeisterin hatt er offenbar die Absicht, sie gegen die Nähe der Bürgerlichen vorher im Schlafe abzuhärten und den Hof durch Weiber allmählich an Männer zu gewöhnen. Aber freilich weiß ich dann nicht mehr, wenn es den Traumbündlern gelingt, was ein Hof ist, sobald der
Respekt fehlt.
Respekt nennen
nämlich die Kupferstichhändler den reinen glänzenden Raum, welcher den grauen unscheinbaren Kupferstich umfaßt und hebt, und nach dessen Abschneiden das Blatt um mehre Gulden weniger gilt; - der Stich mit seinen Figuren stellt hier das Volk vor, das vom Glanzraume des Hofes in gewisser Weite bleiben muß, damit dieser es vom goldnen Kron-Rahmen genugsam trenne. - Und was kann am Ende die Folge sein, wenn der magnetische Student das Innere der adeligen oder italienischen Schule mit der Galerie der
bürgerlichen oder niederländischen Schule durchschießt? Die erste Folge ist wechselseitige Verwechslung aus Mangel des Unterschieds; aber die zweite ist die wichtigere für den Bürgerlichen, der immer ein gewisses republikanisches Feuer einbüßt, wenn er am Hofe aufsteigt, wie die an Zepter und Thron angestengelten Hofleute beweisen; daher manche Länder recht verständig den Bürgerlichen so behandeln wie die Welschen den Weinstock , den sie unaufgerichtet auf dem Boden fortkriechen lassen, weil
er da mehr Feuer gewinnt als deutsche Reben, die man am Geländer aufrichtet.
*
Von hier an nimmt statt der Tagebücher wieder Saalpater da Wort und schreibt sein Schreiben zu Ende:
Dahin ist es denn vielleicht bloß durch den Magnetismus, welchen leider noch manche Staaten öffentlich erlauben, endlich gediehen, daß wir einen neuen Orden, einen Traumbund, wirklich vor der Nase haben, der so gewiß existiert als der Tugendbund, falls er nicht gar mit ihm zusammenfällt, wobei nur dies das Aller-Beklagenswerteste ist, daß man den Bündlern weder durch Ohr- und Augenzeugen, noch durch Augenschein, noch durch probatio semiplena, noch major et minor beizukommen vermag, weil ihre Gedanken (oder Vorträume) nicht zu verhaften und vor Gericht zu stellen sind, sondern die Bündler es stündlich ableugnen können, wenn sie auch damit die gefährlichsten Träume angestiftet. Das Beste wäre allerdings, solchen Menschen ohne weiteres das Handwerk, nämlich den Kopf vor die Füße zu legen, was Sie gewiß als guter Jurist auch täten, wenn uns nicht überall die Gesetze bei allem - Guten, was man tun will, im Wege ständen. Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie Ew. Wohlgeboren, als Sie noch in Leipzig praktizierten und schon damals zwei Bände Prozesse drucken ließen - grönländische, glaub ich, denn vorbekommen habe solche nicht, - ich erinnere mich, sag ich, wie Sie mich sehr oft in scherzhafter Anspielung Galgenpater anstatt Saalpater geheißen; aber in der Tat wär ich in jetzigen Umständen nichts lieber als dergleichen, um die fünf magnetischen Vokale zum Galgen zu begleiten. -
Aber werden Sie es nach allem diesen wohl glauben, daß wir jedennoch die fünf Inkulpaten haben frei und ledig der Haft entlassen müssen, ganz ungestraft und unversehrt, ja der Minister mit Pässen, und ich (unter uns) mit einigen Reisegeldern?
Denn solange die Inkulpaten im Kefter saßen, wars nicht auszuhalten im Bette, und ich mußte, um bei meiner Wenigkeit anzufangen, sobald ich mich niederlegte, erwarten, daß ich gevierteilt würde, oder gesäckt, oder mit Zangen gezwickt, oder mindestens mit Ruten gestrichen, so daß das Bette ordentlich mein eigner Rabenstein war. Aber auch nicht mehr wurden Seine Exzellenz der Herr Minister geschont, sondern Solche mit Halseisen und Reichsacht versehen, ferner in effigie aufgehenkt dicht an Denenselben selber, und auf Deren Stern, wie bei einem Stern schießen, geschossen. Ja Seiner Durchlaucht wurden in jeder Nacht aus der Gaukeltasche der Traumgeber neue jammernde schreiende Untertanen vorgestellt, welche noch dazu, was wohl das Betrübteste, wirklich im Lande zu finden waren, sobald man sich darnach erkundigte. Inzwischen wurden die Schuldigen erst nach Ableistung der Urfehde fortgelassen, daß sie sich an einem Staate, der ihnen so väterlich nachgesehen, nicht durch weitere Vorträume vergreifen wollten.
Ew. Wohlgeboren könnten freilich bei Ihren so ausgebreiteten Konnexionen mit Verlegern und Druckern mehr tun als alle Gerichte, wenn Selbige in einem Ihrer nächsten Werke die Augen der Welt auf die Traumbündler lenken wollten. Der ich etc. etc.
Saalpater.
Da nun das nächste Werk kein anderes ist als der zweite Band des Kometen: so hab ich hier, und zwar schon in der Vorrede dazu - ja noch früher im gegenwärtigen Morgenblatte -, die Welt gewarnt und somit meine ganze Pflicht getan.
Was übrigens diesen zweiten Teil von Marggrafs Lebens-Geschichte selber anlangt, so hab ich schon anfangs dieser Vorrede angemerkt, daß ich eigentlich keine Vorrede vorauszuschicken, sondern nur des Helden Geschichte nachzuliefern habe, welche denn in der Tat hier endlich auftritt. - Möcht ich doch selber zu den Traumbündlern gehören, aber nur in der Dichtkunst, diesem ersten und letzten Traumgeberorden, um meinen nachträumenden Lesefreunden nur Schönstes und Bestes vorzuträumen!
Baireuth, den 12ten Mai 1820
Jean Paul Fr. Richter