Jean Paul
Der Komet
Ur- oder Belehnkapitel
eingestellt: 14.7.2007
worin die Beleihung der Leser mit der Geschichte vorgeht, nämlich die Investitur durch Ring und Stab
In der Markgrafschaft Hohengeis liegt das Landstädtchen Rom, worin der Held dieser vielleicht ebenso langen als bedeutenden Geschichte, der Apotheker Nikolaus Marggraf, jetzo im Belehnkapitel von weitem auftritt. Auch der Unwissendste meiner Leser, der nie ein Buch gesehen, kann dieses Hohengeiser Rom
weder mit jenem großen italienischen verwechseln, das so viele Helden und Päpste aufzog, noch mit dem kleinen französischen , das sich bloß durch Eselzucht auszeichnet. Verständige Leser suchen ohnehin meine Städte und Länder selten auf der Karte, weil sie schon wissen, daß ich meistens, wenn auch nicht verfälschte Namen, doch ganz neue angebe, zu welchen erst spätere Reisebeschreiber die Örter und die Stiche liefern.
Sämtliche Romer nun - so, aber nicht Römer hießen sie sich, noch
ehe Wolke so zu schreiben vorgeschlagen - konnten unter dem einzigen ausgemachten Narren, unter dem Großkreuz der Narren ihres Städtchens, sich niemand anders vorstellen als den Apotheker Henoch Elias Marggraf - wegen der Hoffnungen von seinem Sohne - also gerade den Vater eines Helden, für welchen der Verfasser dieses mehre Jahre seines Schreiblebens, wie die Verlagbuchhandlung mehre Ballen ihres Schreibpapiers, aufzuwenden entschlossen ist. Ob aber Rom recht hat, oder der Verfasser und die
Buchhandlung und der Apotheker, dies wird die Zeit lehren, - die man auf das Lesen dieser Geschichte verwendet. Der alte Henoch Elias war nun ein Männchen, das nicht mit bloßen Federn, sondern über seine ganze kurze Länge hinab mit lauter Flügelchen von Tag-, Abend- und Nachtfaltern besetzt war - überall oben oder unten hinausfahrend und wieder zurückfahrend und sich dann setzend als Apotheker der Stadt. Aufgeräumter, gesprächiger, toller war niemand in Rom als er. Aber diese springende
Lebhaftigkeit eines Affen wird in einem schönern Licht erscheinen, wenn man die gesetzter Denkenden versichert, daß er hinter ihr bloß eine andere Ähnlichkeit, nämlich Hab- und Greifsucht eines Affen geschickt verbergen wollte, weil er alle leere Plätzchen (volle hatt er gar nicht) sowohl in seiner Apotheke als in seiner Kasse so zu benutzen suchte wie die Bienen die ihrigen, welche jede Zelle, sogar eine eben vom ausgekrochnen Bienenwurm ausgeleerte, sogleich mit Honig nachfüllen. Lustigkeit
ist die beste Fledermausmaske des Nehmens, sogar des Geizes; und der Apotheker setzte in seinen lebhaften, aufflackernden, italienischen Lustfeuern wohl häufig Ehre und Verstand beiseite, aber niemals einen Profit.
Zum Glücke hatt er nun in seinen Mitteljahren, als er den Erbprinzen von Hohengeis als Reiseapotheker nach den warmen Bädern von Margarethahausen begleitete, auf eine reizende italienische Sängerin getroffen, welche gerade an den Hopstänzen seiner Glieder und Worte
besondern Gefallen fand. Da er dieses Gefallen und noch dazu ihre zwei Hände voll Ringe und diese wieder voll Steine sah, so entschloß er sich, Hände und Ringe zu wechseln, bloß aus Liebe gegen ihre Hände (denn an seinem Ringfinger und Fingerring steckte fast nichts), um die Reisende heimzuführen. In der Tat konnte die schöne Sängerin - von welcher die Nachtigall wohl die Stimme hatte, aber nicht Augen und Schönheit - ihr Wachsen, wie Bäume und Tierhörner das ihrige, nach Ringen messen und
abzählen; denn welchen hohen Ohren sie vorgesungen, diese lieferten steinreiche Ringe, wenn auch nicht Ohrringe, an ihre Ohrfinger, Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen ab.
- Und Margaretha - so wiedertaufte die Italienerin sich deutsch, wie Mara sich welsch - versprach dem unschuldigen Henoch-Elias (der Ringrenner oder -stecher und Steinschneider oder -gräber erstaunte selber) wirklich Hand und Hände zu geben, sobald sie sich nur durch die anwesenden hohen Badgäste hindurchgesungen
habe. Der selige, gen Himmel fahrende Henoch! - Diesen Aufschub seiner Seligkeit wünschte eben still sein Herz, weil jetzo unerwartet immer so viele Fürsten in Margarethahausen eintrafen, welche anzusingen waren, daß das Margarethahäuser Badwasser, nur schöner als das Karlsbader, versteinern und die Hand mit Juwelen inkrustieren konnte.
Glücklicherweise für die Verlobten bekam die allda badende Fürstenbank auf einmal so viele Feste zu feiern - teils Freuden-, teils Trauerfeste,
weil Eilreiter mit Nachrichten sowohl geborner Erbprinzen als gestorbner Apanage-Prinzen eintrafen -, daß die Sängerin fast nichts zu tun hatte, als nur einigermaßen vor ihnen ihre sämtlichen hohen Freuden und Leiden durch die Singstimme auszusprechen. Mitten unter diesen Festgelagen händigte unerwartet Margaretha, reichlich beschenkt, halb von Feierlichkeiten übertäubt, halb vom Singen entkräftet, vielleicht der Fürsten und Höfe selber satt, dem treuen Bräutigam ihre weiße Hand mit den feinen
langen Fingern ein; sie wollte lieber den Hoffer und Harrer mit einem prosaischen Ja eilig beglücken als länger mit einem poetischen Sirenen-Nein. Diese schmeichelhafte Eile war dem guten Henoch Elias noch nie begegnet. Und dabei eine solche Göttin an sich zu haben! - Er sah mit ihrer glänzenden und mit seiner närrisch-kurzen Gestalt so kostbar und unbeholfen aus wie ein gesprenkelter Frosch, dem ein aufgeschnappter Schmetterling mit den breiten Flügeln, die der Frosch schwer hineinzustopfen
vermag, das grüne runde Maul beflügelt. - Und dabei besaß er an seiner so fürstlich beschenkten Margaretha noch gleichsam jenen schwedischen Bergknappen zur Ausbeute, welcher nach vielen Jahren mit allen reichen Erzadern durchschossen und durchwachsen aus dem Stollen gezogen wurde.
Noch im Bade wurd er priesterlich eingesegnet.
Nach neun kurzen Februar- oder Hornung-Monaten gab die Sängerin dem Reiseapotheker schon die schöne Frucht ihres Brunnen-Ja zu
pflücken, den Helden dieses Werkes, namens Nikolaus, er, wie eine Amphions-Baute, gleichsam eine Schöpfung der Töne.
- Müßt ich mich nur nicht zu weit rückwärts schreiben in einer Woche und Geschichte, wo ich noch nicht einmal vorwärts gekommen: wahrlich, Winke - Schlüssel - Nachschlüssel - Grubenlichter - Notae ad usum Delphinorum - versiones interlineares - Ergänzblätter - Supplement-Bände - complementa possibilitatis und mehr wollt ich hier einschieben und darüber mich
ausbreiten; aber Verfasser langer Werke müssen sich leide ins kurze ziehen, um nicht den kürzern zu ziehen. -
Die Ehe fing schon mit Unehe an; denn mehre Glanzsteine in den Ringen, die der Apotheker zu Bausteinen seines Glücks zu vermauern gedacht, wurden als Meteorsteine befunden oder unecht und der helle farbige Regenbogen auf ihren Fingern, der ihm heitres trocknes Wetter versprochen, ergrauete erbärmlich und wurde selber zu Wasser; nur die Vorsteckringe verblieben echt, nämlich
von Gold. Der Apotheker, der in seinem Leben nie etwas verschenkt hatte als diesesmal seine Hand selber, mußte seine Ergebenheit bereuen und den ganzen Tag unbeschreiblich sauer zu allem sehen; und wenn er, der immer vor andern ein aufprasselndes, durcheinander fahrendes, lustiges Feuerwerk war, sich vor Margaretha als das abgebrannte, rauchige, geschwärzte Gerüst hinstellte: so war dies nur ein Anfang. Denn als vollends noch dazu sein Erstgeborner kam: so wußte die arme Sängerin ein Lied davon
zu singen von seiner losplatzenden selbzünderischen Natur; wohin sie nur griff, in jedem Winkel und Schiebfache, in jedem Fleisch- und Zuckerfasse, in jeder Hauben- und jeder Pillenschachtel und Nadelbüchse und Bratenpfanne, saß er als Bombardierkäfer und knallte los wenn sie ihn anrührte, ihr ganzer Lebensweg war voll Selbschüsse gelegt, womit er vor ihr unversehens auffuhr.
Die Ursache war, sie liebte ihren Erstgebornen, den kleinen Nikolaus, ganz übermäßig, nicht einmal zu erwähnen
- weil dies erst später eintreten konnte -, daß sie es vier Jahre lang hintereinander tat, als sie schon zwei Töchter nachgeboren und auf das vierte Kind jede Stunde aufsah. Der Kleine hatte zwei medizinische Merkwürdigkeiten, die ihn von seinem Vater so wie von tausend andern unterschieden. Er hatte nämlich auf der Nase zwölf Blatternarben auf die Welt gebracht, als hätt ihn die Natur schon ungeboren mit diesen Stigmen (Wundenmalen) für das Leben gestempelt und tätowiert, was aber nicht gewesen
sein kann, da er später die wahren Pocken bekam und also die Narben früher als die Wunden hatte. Das zweite Wunder war, daß sich im Dunkeln, schon in der Wiege, eine Art Heiligenschein um seinen Kopf ansetzte, besonders wenn er schwitzte, oder später, wenn er sehr betete oder sich ängstigte. Dieser Heiligenschein war wohl weiter nichts als die Bosische Beatifikation , nur daß bei ihm das elektrische Laden und Ausstrahlen von selber sich machte, so wie z. B. bei Castilhon in Bouillon, der sich
und seinen Schlafrock oft in Flammen stehen sah und überall aus sich mit Fingern Funken ziehen konnte.
Seine Mutter gab nun der Blatternase und dem Heiligenscheine einen Mann zum Vater, an welchem sie sich in Margarethahausen nach der Hochzeit versehen habe, als sie durch ein Zimmer gegangen und der Mann im Finstern zufällig einen so heftigen Heiligenschein aus den Haaren geschossen, daß alle zwölf Blätternarben auf seiner Nase plötzlich erleuchtet geworden und zu zählen gewesen.
So schön-natürlich sie aber alles ableitete, so verübte doch in ihr als einer Erzkatholikin die Heiligensucht eine solche Blendgewalt, daß sie die Stigmen und den Nimbus um ihren kleinen Nikolaus heimlich für Titelvignetten und Buchdruckerstöcke, für Vorbilder eines künftigen Heiligen ansah, bei welchem der Körper dem Geiste gleichsam vorangewachsen und vorausgelaufen.
Aber die Mutter fand auch einen geistigen Nachtrab des körperlichen Vortrabs schon jetzt an dem bloßen Knaben von
kaum vier Jahren; - darum hatte sie ihn so unsäglich lieb; - und dies waren zwei Vorzüge, welche die katholische Kirche am meisten, und besonders an Heiligen sucht; nämlich der Knabe zeigte erstens eine ans Wunderbare grenzende Mildtätigkeit, ein gänzliches Unvermögen, Schmerzen zu ertragen, die nicht die seinigen waren, und zweitens eine außerordentliche Phantasie, aber eigner und katholisch-heiliger Art - wie etwa die des Ignatius von Loyola -, welche ihre Darstellkraft nicht nach außen,
sondern nach innen gegen den Besitzer selber kehrt und nur ihm, nicht andern vordichtet und vorspiegelt ....... Doch nun kein Tröpfchen Dinte weiter für das Kind vermalt, da es nie mein Vorteil noch Wille sein konnte, im Ur- und Belehnkapitel jemand anders in Handlung vorzuführen als bloß die Eltern. Der Kleine wird noch Kapitel genug füllen als Held.
Dem Pflegevater - so nenn ich mit Bedacht den Reiseapotheker, denn jeder rechte Vater ist ein Pfleger und Pflegevater seines Kindes - behagte am Kleinen noch außer dem Verschenken auch Statur und Nase sehr schlecht, weil er die Länge beider mit seiner eignen Doppelkürze und mit seinem kurznasigen und kurzstämmigen Tochterzwei zusammenhielt und dann seine Gedanken hatte. Er hätte sich, wär er im päpstlichen Rom gewesen, in Margarethens katholischen
Beichtvater eingekleidet, um vielleicht ihrer Beichte so viel Sünden abzugewinnen, daß er ihr die Aussetzung oder Alien-Bill eines ihm fremden Kebs- und Vexierkindes oder Volten- und Hokuspokussohnes als Pönitenz im Beichtstuhle hätte auferlegen können. Gelten ließ ers, daß sie den Kleinen aus Mutterliebe und Mutterkirchenliebe in die päpstliche Kirche hineinzulocken suchte - z. B. durch Vorhalten Augsburgischer Heiligenbilder und besonders des heiligen Nikolaus und der heiligen Maria, ihrer
Schutzpatronin und Namenschwester. Weniger gab sie dafür sich mit seinen Töchtern ab, welche ohnehin nicht so leicht zur Hölle fahren konnten, da sie nach dem Ehevertrage der Mutter in die allein seligmachende Kirche folgen mußten, wie der Sohn dem Reiseapotheker in die protestantische. In einer solchen Ehe sehe ich den Vater ordentlich in einer Halblähmung (Hemiplexie) vor seinen Kindern stehen, mit der fühllosen starren Seite gegen die Töchter gerichtet und mit der andern voll Bewegungen und
Zuckungen gegen die Söhne; - die Mutter ist ebenso gelähmt und geteilt, nur nach den umgekehrten Seiten hin - und die Kinder sind es auch wieder herwärts - - Himmel! wie viele menschliche Gefühle wurden von jeher den Altären geschlachtet!.........
Glücklicherweise trat jetzo der Alexander der dicksten Knoten auf, oder vielmehr der wahre Mattheis, der das stärkste Eis bricht, oder wo es nicht ist, macht - der Tod, oder die Leichenfrau, die viel stärker und schneller als die Hebamme auf
Thronen und andern Höhen die Zeiger der Weltuhr rückt und vorwärts dreht.
Margaretha mußte ihre dritte und schönste und ihr ähnlichste Tochter mit dem Leben erkaufen. Zum Glücke für ihre letzten Stunden, die der alte Elias Marggraf mit keiner Versöhnung versüßte, ging ein Franziskaner-Mönch durch das Städtchen Rom, bei welchem sie die lang entbehrte Beichte ablegen konnte. - Hier fiel dem Reiseapotheker ein, ob er einen alten engen Wandschrank dicht mitten am Bette der Frau, mit einer
Tapetentüre nach dem einen Zimmer und einer nach dem andern, nicht zum letzten Male - er stand oft halbe Nächte darin - mit einigem Gewinn benutzen und betreten könne während der Beichte.
- Und da hörte er so deutlich wie der Franziskaner, daß ihr Nikolaus der Sohn eines katholischen weltlichen Fürsten sei, dessen Namen sie zu verschweigen beschworen, und der eben seinen Heiligenschein und seine Nasen-Narben auf den Kleinen fortgepflanzt; - und endlich, daß sie für die echten Steine
in den Ringen des Fürsten die ähnlichen falschen hineingesetzt, die rechten Juwelen hingegen hinter dem Bilde des heiligen Nikolaus zwischen dem Papier und dem Holzdeckel samt einem Anweiszettelchen aufgehoben, weil sie durch die Steine künftig für eine katholische und fürstliche Erziehung des armen Wesens besser zu sorgen gedacht. - Und sie bitte nun, ihr an Gottes Statt zu vergeben....
Hier riß Henoch die Schranktüre so weit auf, als das Bett erlaubte, und streckte den Arm darüber
hinein und rief: »Ich vergebe, vergebe. - Hab alles vernommen. - Ich spring nur um die Stube herum und schieße gleich vor dein Bett und versöhne mich.«
Er sprang auch zur entgegengesetzten Tapetentüre hinaus, aber vor allen Dingen zum Bilde des heiligen Nikolaus, um es einzustecken, und dann erschien er vor dem Bette als ein umgestülpter Ehemann voll Liebeblicke. »Dacht ichs nicht längst?« (sagt er) - »Das lass ich mir schon gefallen. Fahre hin in Gottes Namen! Ich will unser Söhnchen
zu einem Fürsten ausbacken, daß sein Durchlauchtigster Herr Vater Ihre Lust daran sehen sollen, wenn ich ihm den Schelm überbringe.... Und Sie, hochwürdiger Herr Beichtvater, sollen mir bezeugen, daß alles wahr ist und die Mutter es wirklich auf dem Sterbbette in der Beichte so ausgesagt.«
- - In meinen jüngern, frischern Jahren in Leipzig hätt ich vielleicht durch langes Jagen ein Gleichnis aufgetrieben, um damit das betroffne Gesicht des Franziskaners notdürftig darzustellen; -
jetzt aber bei so späten in Baireuth ist alles Ähnliche, was ich geben kann, etwa die Maulschelle, welche in Hamburg der Stadtphysikus Paul Marquardt Schlegel von einem Kadaver bekam, der unversehends auflebte, als er ihn eben mit dem Messer auseinanderlegen wollte. - Schlegel selber verschied darüber an einem hitzigen Fieber; der Franziskaner kam bloß mit einem milden Zahnfieber davon, das durch das Knirschen des Gebisses das Naturtreiben eines wachsenden anzeigte. Er stotterte mit rauher
Bauerstimme heraus: »Negatur; der Ketzer versteht nichts vom Sigillum confessionis (Beichtsiegel), das ich der heiligen Dreifaltigkeit selber nicht öffne. Aber den heiligen Nikolaus hat sie der Kirche vermacht; den verlang ich.« - »Ich hab ihn schon in der Tasche,« versetzte Henoch, »und Ihr habt Euer Beichtsiegel gebrochen. Ich verklag Euch künftig, wenn Ihr nicht bezeugt, daß ich die Beichte mitgehört.«
Nun kamen die Hundezähne bei dem Mönche zum Durchbruche, und er rief der
Beichttochter zu, er absolviere sie nicht, wenn sie nicht laut der Kirche die Steine vermache. Glücklicherweise aber hatte Schrecken und Schreien die Schwache schon in die letzte Stunde gesenkt, worin die Sängerin zufolge einzelner Zeichen schon ihre eignen schönen Töne aus alten Blütenwäldern herüberhörte. Da nun ihr Mann immer lauter ihr zuschrie: »s ist vergeben, vergeben; und dein Sohn wird fürstlich erzogen«, so kann sie leicht noch einen Lebens-Endtriller mehr genossen und die eheliche
Stimme für die beichtväterliche genommen haben.
Der Franziskaner renne immer mit einem Schocke von Weisheitzahnfieber-Ausbrüchen davon und uns aus dem Gesicht; uns allen ist hauptsächlich daran zu wissen gelegen, warum Henoch durch dieses Horchen früher in den Himmel gefahren als die Frau, und warum er mit ihr so zufrieden geworden, als hätte sie ihm zum Brautschatze statt eines Fürstleins ein Fürstentum mitgebracht und nachgelassen; denn die abgelauschte Erbschaft der echten
Ringsteine konnt ihn eigentlich mehr gegen sie verhärten als erweichen. Allein der Umstand oder der Mann war dieser: da Henoch ein wahres Knall-Quecksilber von Mensch war, das Schießpulverlärm macht, selten gegen Not und oft ohne Not: so hatt er sich an Margarethens Sterbbette aus ihrem wenigen Goldschlich und Apothekergolde von Wahrheit auf der Stelle eine der längsten Schlußketten geschmiedet, welche für ihn als eine goldne Gnadenkette oder Ziehbrunnenkette in die Zukunft hinunterhing. Denn er
sagte nämlich zu sich - und wahrscheinlich innen in dem Stile, den er außen gebrauchte -: »Kostgelder - Postgelder - Tafelgelder - Lehrgelder - Beichtgelder - Trankgelder verschwend ich auf das kleine Markgräflein Nikolaus; und zwar davon dreimal mehr als auf mein jetziges Tochterdrei; nur daß ich dabei die Ringsteine nicht angreife; denn die Zeit wird kommen, die Stunde, die Minute, das Jahr, wo ich mich hinstelle und das Markgräflein seinem hohen Herrn Vater ganz fertiggemacht hinhalte und des
Ersatzes der Auslagen (sie sind aber sämtlich bescheinigt) samt einigen Gratialen und Verzugzinsen gewärtig bin. Womit mein hoher Sohn mir noch für seine Person erkenntlich ist, will ich erwarten und mit Jubel empfangen.«
Über das künftige Auftreiben eines Vaters zum Markgräflein war, schien es, Marggraf gar nicht in Angst. »Ich gehe«, dacht er, »bloß der Nase nach, nämlich der fürstlichen pockennarbigen, mit welcher ich dann den Vater auf die gleiche kindliche stoßen will. Hab ich
nur erst ein gekröntes Haupt an der seinigen: die Nebenumstände werden sich schon von selber ausweisen.« - Herr v. Benkowitz in seiner mehr herz- als kunstreichen Gemäldeausstellung der klopstockischen Gemäldedarstellungen bernerkt zwar ganz richtig, daß ein Heldengedicht wie die Messiade die Nase als ein zu gemeines Wort nicht einlasse, sondern auslasse - haben doch vielleicht deswegen, möcht ich hinzusetzen, viele Heiden selber dieses alltägliche Gliedmaß im Heldengedichte ihres Lebens an
höhere Schönheiten aufgeopfert -; aber gerade eine Nase erhob des Reiseapothekers gemeines Leben zum Epos, zum Pik mit Nasenlöchern , in welche nicht nur Tabakpflanzungen, sondern ganze Tabakpflanzer gehen.
Und sah er nicht noch außer der Nase den väterlichen Heiligenschein vor sich, unter welchem er die Krone, wie unter einem Flämmchen einen Kronschatz, finden konnte, der ihn als Grubenlicht und Feuersäule und Leuchtturm zum Vater führen mußte? - Denn er wollte durchaus alles,
Überreichung des Markgräfleins und der Rechnungen, so lange ersparen, bis beide groß genug gewachsen und erstes gut ausgearbeitet, zugeglättet, ausgeprägt, und Kopf samt Hand zu Kron- und Zepterträgern mit vielen Kosten abgerichtet, dem Potentaten quaestionis zu überreichen war, so daß dieser das Kind mit in den geheimen Staatsrat gehen lassen konnte. Die Freude des vielleicht gar kinderlosen Fürsten, dem er auf einmal einen Stammhalter einpelze, konnt er sich gar nicht unbeschreiblich genug
vormalen und sie keiner andern gleichstellen als seiner eignen darüber, daß er so was von einem apanagierten oder erbenden Prinzen im Meisenkasten seines Ehebettes wirklich gefangen oder mit den Schlagwänden von dessen Vorhängen einen Wappen-Falken erwischt, womit er künftig hohe Jagd auf Beute machen könne, an die wohl niemand denke.
- Und so wäre denn das Ur- oder Belehnkapitel zu Ende gebracht und der stärkste Schritt zum ersten Vorkapitel getan. Im ersten kann der Held selber
auftreten - in jedem Falle reif, zwar nicht für den Thron, aber doch für das Dintenfaß - und kann bestimmter leiden und handeln und überhaupt das Ding führen, was wir Menschen ein Leben nennen. Denn es war nie mein Vorsatz, ihn nur um einen halben Bogen früher vorzuführen, oder anders denn als ein ganz fertiges Kind. Wer wird Embryonen Taufnamen geben, da sie inkognito fortkommen können? Oder wer einem bloßen Fötus ein Ordenband umhängen? Letztes kann erst an die Stelle der abgerißnen
Nabelschnur treten, bei neugebornen Prinzen. Alles dies gälte schon, wenn ich hier auch keine Geschichte schriebe, sondern einen bloßen Roman. Denn die Kindheit, wodurch einige Romanschreiber das Spätleben zu motivieren glauben, braucht ja selber wieder motiviert zu werden. Gestaltet der nackte Geist sich seine Gehirn-Organe? Oder destillieren letzte durch Helm und Kolben sich ihren besondern Geist ab? - Oder formen weiches Gefäß und weicher Teig sich einander gegenseitig durch Erharten? Dies
hieße aber nur die Aufgabe in zwei Hälften auseinanderrücken, ohne sie doch über irgendeine zu lösen. Kurz vom Helden selber - ich rede noch immer vom Helden des Roman-, nicht des Geschichtschreibers - muß mit einem Allmachtschlage das ganze Wunder seines Daseins und Gipfels voll gegeben sein; und die Zeit kann nicht seiner aufplatzenden Aloeknospe, wie einer italienischen Seidenblume, Blatt nach Blatt einsetzen. Wenn nun dieses die Dichtkunst tut, welche nach Aristoteles noch mehr als die
Geschichte belehrt: so muß die wahre Geschichte sich so gut als möglich ihr zu nähern suchen - wie Voltaire in seinen Lebensbeschreibungen Peters und Karls getan -, und ich werde mein Ziel erreichen, wenn ich die historischen Wahrheiten dieser Geschichte so zu stellen weiß, daß sie dem Leser als glückliche Dichtungen erscheinen, und daß folglich, erhoben über die juristische Regel: fictio sequitur naturam (die Erdichtung oder der Schein richtet sich nach der Natur), hier umgekehrt die Natur oder
die Geschichte sich ganz nach der Erdichtung richtet und also auf Latein natura fictionem sequatur.
- Und so stehen wir denn vor der Façade oder Antlitzseite des ersten Vorkapitels, auf dessen Schwelle wir unsern Helden und Kleinen schon so lange spielen sahen mit seinen - Eltern.
Die ernsten Ausschweife für Leserinnen zum Urkapitelsind: Die Ziele der Menschen - Klage des verhangnen Vogels - Die Weltgeschichte - Die Leere des Augenblicks - Die sterbenden
Kinder.