Frei Lesen: Der Komet

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Jean Paul

Der Komet

Neunzehntes Kapitel In einem Gange

eingestellt: 14.7.2007

Beratschlagungen über einen Gang an den Hof

Historiographen fürstlicher Personen genießen ein besonderes Vergnügen auf dem Papier, wenn sie eine endlich vor ihresgleichen stellen können, so wie jetzo für mich die Hoffnung aufgeht, daß Nikolaus in seinem Leben zum ersten Male vor eine fürstliche Person gelangen werde, und zwar, was noch mehr ist, vor eine weibliche. Die Sache kann den größten Einfluß auf ihn selber haben, wenn sie wirklich geschieht; denn das erste Sprechen mit einem Fürsten tönt unglaublich lange ins Leben nach und hinaus; wie ja sogar eines mit jedem ersten Menschen, z. B. mit dem ersten General - ersten Minister - ersten Hoflakai - Schriftsteller oder Negersklaven, der auch, wie jener, ein Schwarz auf europäisches Weiß ist - und mit dem ersten Urangutang.

Seit der Graf eine der Begleiterinnen Amandas am Schloßhoffenster ersehen, wußte der Reisemarschall so wie der Hofprediger nicht, was sie anfangen sollten mit ihm; denn er wollte sich ihr durchaus vorstellen; »er wisse ganz gewiß,« sagte er, »daß sie ihn zum Teil noch kenne, und wäre es auch nur durch die göttliche Amanda, die ihr so wahrscheinlich von dem ersten entscheidenden Begegnen im Park das Kleinste oft genug wird wieder vor die Seele geführt haben. - Von wem aber könn er besser und früher den Aufenthalt und Thron der Geliebten erfahren als von ihrer Freundin? - Und dabei, wen könn er schöner überraschen als sie, wenn er ihr sich als den liebenden Dieb der prinzeßlichen Wachsbüste mit allen Beweisen darstelle und so seinen bisherigen Mantel der Liebe ganz zurückschlage und aufmache?« Frohauf Süptitz sah als ein tapferer Mann jede Gefahr schon von weitem und schwitzte, wie die römische Viktoria, prophetisch vor einer Niederlage; »denn da der Raub der Durchlaucht«, sagte er zu Worble, »in die besonnene Zeit Herrn Marggrafs falle, und da leider er selber und Herr Worble von der Sache etwas wüßten: so seh er für sie alle nichts Besseres als Schandstrafen, wenn nicht Kerker voraus.«

Unglücklicherweise hatte in Marggrafs Feuer noch der Stößer Stoß durch das Freudengeschrei geblasen, das er von Nikolopolis zurückbrachte und erhob über die »adeligsten goldensten« Kutschen, die im Städtchen gehalten, und über die vornehmsten Prinzessinnen, die daraus gestiegen und die in mehre Fenster spazierend hineingeblickt. »Gott,« sagte Nikolaus, »wie die treue Freundin alles, auch das Unbedeutendste, nach Amandenlust - so heißt sehr wahrscheinlich der Herrlichen Frühlingsitz - haarklein hinterbringen wird, und ich muß hier sitzen und weiß von nichts.«

Der Reisemarschall, auf welchem jetzo viel Ausgang ruhete, erbat sich ein ganz besonderes Gehör bei dem Fürsten, und zwar darum, weil dieser eben jede Minute zu ihm kommen konnte. »Durchlaucht,« - fing er an - »vielleicht muß ich zu ernsthaft sein wider meinen Willen. Sie wünschen nach einem allgemeinen Vernehmen noch vor der Ausstellung Ihrer Porträte den Lukas-Städter Hof mit Ihrer eignen Aus- und Vorstellung zu beehren. - - Einige Schwierigkeiten hat es, bekenn ich frei. Das winzige Höflein hier hat das Eigne so mancher andern Höfe und besonders großer, daß man da - etwa Geld abgerechnet - alles leichter erhält als Zutritt. Unter allen Ämtern wird wohl das alte Reichserbtürhüteramt am besten und strengsten verwaltet, in Hinsicht des Einlassens; - und der künstliche Augsburger Einlaß, der jetzo für Augsburg zu keinem mehr zu brauchen ist, ist am Hofe wohl an Ort und Stelle. Ein Kammerherrnschlüssel sperrt nur zu, und an allen Türen des Lukas-Städter Hofes hangen Kombination- und Vexierschlösser. Was ich von ihm vernommen, so wie von noch mehr als einem und dem andern deutschen Hofe, übertrifft jede Vorstellung, am meisten die Ihrige; denn Ihro Durchlaucht denken freilich anders und höher.

Ich möchte sagen, wenn es nicht unschicklich wäre, am Lukas-Städter Staats-Körper geb es, wie am Menschen-Körper, eine Stelle, die der Schließmuskel (Sphincter) immer verschlossen erhält, nämlich den Hof, Und doch, wenn man mit dem japanischen Kaiser und Hof, an welchen schon zu schreiben Hochverrat ist (an den Gouverneur muß man alles adressieren), oder mit so manchen orientalischen Fürsten und Dalai-Lamas, die man nicht essen, ja nicht einmal existieren sehen darf, den luxstädtischen oder andere Höfe zusammenhält: so gewinnen diese freilich viel und erscheinen als wahre Glasflaschen, in denen man allen Inhalt sehen kann, sogar durch den Glasstöpsel hindurch, der zusperrt. - Und doch bei alledem, was fodert man nicht, ihr Götter, für ein Vorfahren bei dem Oberhofmarschall von Lukas-Stadt - für ein Anmelden - ein Entgegenfahren - ein Einladen - ein Antichambrieren und Chambrieren, bis endlich ein Christ mit seinen Schuhsohlen unter der Fürstentafel auffußt!

So stehts bloß mit dem Lukas-Städter Fürsten - nämlich mit den tausend Altarstufen zu dem Tischaltare -

Aber mit den Fürstinnen ist der Teufel gar los; diese hangen vollends als Altarblätter überm Altar; und man müßte auf diesen selber steigen, um ihnen die gemalte Hand zu küssen. Ich glaube nicht, daß es andere Prinzessinnen als verwünschte gibt, so sehr haben sie Schloßarrest, Thronarrest, Hauptstadtarrest, ja Sophaarrest; und je höher, je enger; in der uneingeschränktesten Monarchie such ich für meine Person die eingeschränkteste Monarchin; etwa in Ländern, wo repräsentiert wird, mag Präsentieren leichter gehen. Ich kann mich nicht überzeugen, daß jemand anders als etwa ein Präsident oder Geheimrat oder ein Adeliger bei der Luxstädter Fürstin einen Teelöffel bekommt, mache aber auch, solange Ihre Durchlaucht mich noch nicht nobiliert haben, nicht den geringsten Anspruch darauf. - Was vollends für Umstände erforderlich sein mögen, um gar vor eine fremde Prinzessin am hiesigen Hofe vorzurücken, an welchem noch dazu eben eine allerhöchste Kindbetterin liegt, das weiß niemand weniger als ich; nur so viel weiß ich durch Zeitungen, daß ich als ein fürstlicher Bräutigam die hohe Braut früher abgemalt als verkörpert zu Gesicht, geschweige in die Hand bekäme - - Allein ich wollte etwas anderes sagen, aber in der Eile verfitzt sich der Mensch.«

Er hatte die Farben in seinem Hofgemälde etwas breit durcheinanderrinnen lassen, weil er selber noch keine Höfe gesehen - ausgenommen die wenigen auf dem Leipziger Theater vom Parterre aus -, und weil ihm, wie so vielen Tausenden, von einem Fürsten nichts als Gefolg und Anhängsel zu Gesicht gekommen war, wie den Italienern und Spaniern von dem großen Kometen 1702 nichts aufging als nur der lange Schwanz; aber Worble tat doch seine Striche ganz keck im Bilde, weil er wußte, daß sein Graf ebensowenig davon verstand wie er; und so ist es immer ein wahrer Vorteil für jede sprechende Unwissenheit, wenn sie auf eine hörende rechnen darf.

Allein der Graf war überall aus allem leichter siegend zu treiben als aus seinen Einbildungen, die er immer mit neuen umschanzte - diesesmal mit einem ganzen Heere, das am römischen Hofe und unter den Abmalern geworben war -, und er stellte daher, lächelnd über des Reisemarschalls unzeitige Ängstlichkeit, diesem weiter nichts entgegen als die simple Frage: ob er denn nicht Graf von Hacencoppen sei und folglich schon als solcher ohne weiteres courfähig? In Paris wählt man für venerische Säuglinge ähnliche Ammen, um diesen die Arzeneien für jene einzugeben und zu überliefern; - so verwandelte sich Worble zum Patienten, um durch Selbertäuschung die fremde anzugreifen, und erklärte entschieden: »und nach einem so langen stummen Inkognito komme das Vorstellen sehr spät, und der Hof werde für das vergebliche lange Erwarten sich vielleicht rächen; doch woll er vorher durch die fünfte, sechste Hand den Oberhofmarschall ausforschen.«

»Jetzo hab ers doch,« sagte er auf einmal, »den ganzen feinsten Ausweg; er schlage nämlich dem Grafen vor, am Tage der Ausstellung gerade in der Stunde den Bildersaal zu besuchen, wann der Hof und mithin die Prinzessin anwesend seien, worauf sich, da er zugleich in Bildnissen und in eigner Person selber da sei, alles auf das schönste entwickeln müsse.«

Aber ein besonderer geheimer Artikel, den bloß Worble kannte, und ohne welchen alles ein Teufel gewesen wäre, war bei dem Vertrage dieser: durch Ab- und Zuläufer am Hofe für ein paar Taler alles so zu karten, daß Hacencoppen gerade dann in den Bildersaal einträte, wenn der Hof schon wieder abgetreten.

Der Graf stellte sich auf der Stelle die Prinzessin und sein Bild vom Kupferstecher und sein eignes Gesicht vor, samt den Erfolgen davon, und versetzte: »Ihr Vorschlag, Herr Marschall, ist mir ebenso unerwartet als höchst angenehm, und er wird vollkommen genehmigt.«

»Denn wenn ich noch nebenher bedenke,« - fuhr Worble, ganz ermuntert durch die schöne Aussicht, fort, daß Nikolaus die Prinzessin und den Hof gewiß verfehlen werde - »wie die herrliche fremde Prinzessin, der Hof ohnehin, einen malerischen Mäzen, von dessen Protektionen der Künstler sie schon so viel vernommen, wird sehen wollen, mitten unter seinen Abmalern und Abbildungen, besonders um das Treffen zu vergleichen - wie sie dabei, da sie selber in Nikolopolis sich umgesehen, auch den architektonischen Mäzen nicht übersieht - wie eine so hohe zarte Prinzessin als die Prinzessin Sie nur von der Seite (zum Scheine) ansehen wird; aber Ihre Porträte desto mehr, aus sehr guten und delikaten Gründen, wärs auch nur, um für irgendeine Freundin das ähnlichste Bild von Ihnen zu wählen - - ich rede nicht aus, Durchlaucht; indes, wenn dergleichen Prozedur nicht tausendmal fruchtreicher ausfällt als tausendfaches Vorstellen durch alle Oberhofmeisterinnen hindurch oder sonst - - - ich rede aber, wie gesagt, absichtlich nicht aus.«

- Es war auch gut, denn es erhitzte den Grafen zu stark. Er fertigte auf der Stelle einen langen Feuerbrief an Amanda ab - Dinte und Feder nahm er nicht dazu, bloß seine Gedanken - und schrieb es ihr voraus, wie ihre Freundin vor ihm in der Ausstellung als die Blumengöttin stehen werde, mit allen Orangeblüten des so eilig entflogenen Paradieses im romischen Park behangen, und wie ihm neben ihr nach einer so langen Unsichtbarkeit sein werde, als säh er sie selber - und er malte den Brief, den er schreiben wollte, mit den Worten aus: »Ja sie wird mich ganz erraten und dir selber schreiben, wie der Orangen-Blütenstaub, den du an jenem Abende in der Wüste meines leeren Lebens gesäet, zu einem Garten aufgegangen und sie ganz mit blühenden Orangen überdeckt.«

- - Und so war denn Hacencoppen ganz im Himmel; aber ich lache nicht über ihn und seinen Himmel. Ob er sich, oder ob Worble ihm das Himmelblau weismachte: die Sache ist doch die, er hält seine Himmelfahrt dahin, und jeder Tag bis zur Ausstellung hebt ihn um eine Staffel höher hinein.

- - Wenn ich sein Glück nicht glauben will, so brauch ich mich in dem Garten, wo ich dieses schreibe, bloß nach den kleinen Mädchen umzusehen, die neben mir spielen und ein ebenso großes Eden gewinnen, indem sie zueinander sagen: »Ida, das soll unser Mehl sein (nämlich der Märzstaub), aber gib der Frau nicht mehr dafür als 3 Dukaten (Scherben) - das soll die Tortenpfanne (nämlich eine Muschel) sein, Fanny - deine Schürze aber, Malchen, die ist der Fenstervorhang - und hier steht unsere Putzstube, Jette, ihr müßt aber nur erst alle Bohnenstecken wegtragen, und dann sollen alle Damen kommen, und der Tee dansant ist parat.«

Wenn man einige Fuß abrechnet, um welche diese Teegesellschaft zu kurz ist, samt der Langweile, die ihr fehlt: so kann sie sich mit jeder erwachsenen messen, sogar im Reden und Afterreden und in jedem geistigen Genuß, zu welchem sogar körperlicher gehört.

- Und so ist an dem Himmel, in welchen Nikolaus blickt und fährt, wenig auszusetzen, da solcher dem allernächsten Menschenhimmel, dem atmosphärischen über unsern Köpfen, gleicht, nach welchem wir Blicke und Seufzer schicken, ob er gleich am Ende nichts ist als die blaue Farbe unserer aufgetürmten Luft, die wir einatmen und ausstoßen. - Aber der blaue Himmel wohnt eben eigentlich in dem himmelblauen Auge, das aufblickt.

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