Jean Paul
Der Komet
Drittes Vorkapitel
eingestellt: 14.7.2007
wie Nikolaus fürstlich erzogen wird - und der Pater Josephus geheilt - und der Armgeiger de Fautle getränkt und ausgefragt
Ich habe im Belehnkapitel den Apotheker Marggraf am Grabe seiner Gattin in lauter Freude über das Glück stehen lassen, daß Fürsten, welche an bloßen bürgerlichen Hofbedienten das Mitmachen der Hoftrauer bestrafen, diesen doch zuweilen an Hoffreuden und ersten Wiegenfesten kleiner Prinzen schönen Teil
vergönnen; denn der Apotheker hatte seinen guten Teil, den Prinzen, im Hause. In manchen frohen Stunden konnte Marggraf sich nicht enthalten, mit unglaublicher Schlauheit und Vieldeutigkeit auf Nikolaus hinzuweisen und zu sagen: »Ja, ja! Da, da! Der liebe Nikel! - Ich habe hier ein kleines Markgräfchen, aber nicht jeder hats.« - Da er nun selber Marggraf hieß, der Markgraf von Hohengeis aber noch keinen Prinzen hatte: so konnt er so sehr mißverstanden und verstanden werden, als er nur wollte.
Ehrverlust spürte er nicht viel mehr als andere Leute Blutverlust, die ein fliegender Hund im Schlafe anbeißt. Zum Glück haben überhaupt Männer, die durchaus etwas vor sich bringen wollen, es sei an Höfen oder im Handel, die Naturgabe, daß sie mit ihren breitesten Ehrenwunden den Helden der Walhalla gleichen, die jeden Tag aus Gefechten die gefährlichsten Wunden mit ihren luftigen Leibern holen, jedoch jeden Morgen sie wieder zugeschlossen antreffen.
Elias Henoch hatte nun einen
kleinen Potentaten von drei oder vierthalb Fuß zu erziehen vorbekommen und solchen freilich künftig gut ausgearbeitet abzuliefern; aber wie er es machen sollte, da in der ganzen Nachbarschaft aus Prinzenmangel kein einziger Prinzenhofmeister zu haben war, der ihm etwas hätte vormachen können, dies wäre für den Apotheker eine wahre Aufgabe gewesen, hätt er solche sich gemacht; denn er konnte ebensogut einen Elefanten (was die Römer getan) auf dem Seile tanzen lehren, als einen Potentaten
regieren.
Inzwischen schickt er ihn vor der Hand in die Stadtschule.
Zum Glück bekam er einen pädagogischen Formschneider in die Hand. Es traf sich nämlich herrlich, daß der Exjesuit und Pater Josephus, der als künftiger Prinzeninstruktor des *** Kronprinzen nach dessen Hofe durch Rom gehen wollte, allda von seinem eignen Körper als einem Schlagbaum angehalten wurde, welcher ihn in die Marggrafsche Apotheke als ein heimliches Kontumazhaus auf einige Wochen einwies. Der Hof,
wohin er ging, wurde von reinen strengen Sitten beherrscht, welche gewöhnlich mehr unter einer Fürstin als unter einem Fürsten regieren. Da nun der gute Josephus, wie Proserpina, unter dem Blumenpflücken der Freuden in eine dumme Art von Orkus geraten war: so wollt er vorher inkognito im Landstädtchen Rom bei dem verschwiegnen Apotheker sich so gut herstellen lassen, als in diesem, wenn nicht unschuldigen und goldnen, doch quecksilbernen Zeitalter möglich ist. Dädalus gab einer
hölzernen Venus durch Quecksilber lebendige Bewegung ; und noch bleibt dieses Halbmetall stets in heilsamer Verbindung mit der Göttin und hilft auf die Beine.
Der Exjesuit oder der Dominus ac Redemptor noster-Jesuit kannte überhaupt seine zweifache Würde, als Jesuit von der großen Observanz und als Prinzenlehrer, viel zu gut, als daß er nicht als ein ungefallner reiner Engel - und wie wohlgebildet, gesittet, jugendlich und freundlich war nicht sein feines Gesicht! - hätte
auftreten sollen; daher ließ er sich mit Freuden von der Krätzmühle des Apothekers zermahlen und sein Gold mit Quecksilber verquicken, um aus ihr nach dem Verrauchen des Quecksilbers ganz schlackenlos herauszukommen als gereinigtes glänzendes Gold.
- Und einen solchen treffenden Prinzenlehrer und Schatz besaß nun der Apotheker umsonst im Hause und konnte ihm unbesorgt seine ehelichen Geheimnisse anvertrauen, da er dessen uneheliche als Faustpfänder des Schweigens in Händen hatte.
Der Pater Joseph erklärte zu Marggrafs Freude: er habe Nikolausen bald das Prinzliche angemerkt in den hohen Phantasien, so wie leicht aus den Geistesgaben gemutmaßt, daß er nicht Marggrafs Sohn sei, sondern irgendein Bastard, weil Bastarde nach der Geschichte so viele Talente zeigen. Vor allen Dingen riet er ihm, den jungen Fürsten die Geschichte, und zwar die seines Hauses studieren zu lassen; da aber das letzte noch auszumitteln sei: so möge Nikolaus den gothaischen Taschenkalender
oder sonst einen recht auswendig lernen, nämlich das genealogische Verzeichnis aller regierenden Häuser in Deutschland, ja in Europa. Da man nicht wisse, fuhr er fort, mit welchen von so vielen hohen Häusern der Prinz verwandt sei: so hab er sich die Linien und Seitenlinien jedes einzelnen Hauses und alle Geburt-, Vermähl- und Kröntage samt allen Prinzessinnen einzuprägen, um dann leicht, wenn er zu den Seinigen komme, auch den entferntesten hohen Verwandten mit allen Taufnamen sogleich zu
kennen; dies werd ihn außerordentlich empfehlen, und jeder werde Lunten riechen.
Der dankbare Pater Joseph übernahm, außer den Stunden seiner Verquecksilberung, sogar selber die historische Professur bei dem Prinzen und überhörte ihm gern die verschiednen, vor der Hand noch nicht mutmaßlichen Stammbäume; und der gothaische Taschenkalender war hier ein schöner Plutarch und Schröckh. Dabei frischte der gute Jesuit das äußerst trockne, bloß mit Lettern gezeichnete Namenregister mehr
farbig auf durch die Wappenkunde - diese fürstliche Bilderbibel - und suchte so durch die heraldischen Tiere mehr Leben in die Sachen und Namen zu bringen; denn ein Wappenbuch bleibt um so mehr ein heraldisches Hierozooikon für den Adel, als darin die edelsten Raubtiere ihre Tierherrschaft ihm als dem Löwenwärter und Falkenmeister unterordnen.
Wenn mein Held mir in Zukunft einige Ehre macht und den Lesern lange Freude: so haben wir wohl das Wichtigste davon bloß dem trefflichen
Erzieh- und Studien-Plan des Dominus ac Redemptor noster-Jesuiten zu verdanken; der kostbare Fürstenspiegel, den er während seiner metallischen Kurzeit für den Erzieher Marggraf goß und schliff und mit dem nötigen toten Quecksilber als Folie belegte, stellte den so wahren Grundsatz auf: der Prinz soll kein Vielwisser werden, aber ein Vielerleiwisser; und wie er schon als Soldat in wenig Wochen sich von unten auf bis zum Oben diene und die Stufen von Schildwache - Korporal - Lieutenant -
Hauptmann - Major - Obersten nicht auf einer Schneckentreppe, sondern auf einer Sturmleiter auflaufe, so daß er schon ganz oben herunterschauet, wenn man ihn kaum unten gesehen und die andern Kameraden noch alle auf der Folterleiter liegen: so könne und müsse er noch mehr als Wissenschafter alle Felder des Wissens schnell übersehen aus der Vogelperspektive, wenn er die rechten Luftschiffer von Lehrern gehabt zum Aufsteigen. Non scholae, sed vitae discendum, sagte Josephus; d. h. der Fürst habe
nicht für Lehrstuhl und Schreibepult zu lernen, sondern für die Hoftafel, für den Spieltisch und für die Sessel im Schauspiel und Konzert; wisse er etwas zur Hälfte, so werde immer jemand da sein, der die andere Hälfte voraussetze oder anflicke; daher kenn er selber für eine fürstliche Erziehung keine wichtigern Werke und keine mehr ad usum Delphinorum (zu Kronerben-Gebrauch) als Reallexika oder Sachwörterbücher - denn erstlich werde in ihnen die größte alphabetische Ordnung
beobachtet, bei dem übermäßigen Reichtum an allen Wissens-Artikeln; und zweitens könne ein geschickter Lehrer leicht aus ihr Ordnung nach Sachen zusammenklauben. Er wußte aber damals dem Apotheker aus literarischer Unkunde kein anderes Erziehwerk vorzuschlagen als das Zedlerische Universallexikon.
- Himmel! wäre doch meinet- und des Prinzen wegen schon damals wenigstens die erste Auflage des »Conversationslexikons« bei Brockhaus zu haben gewesen! Wie wäre seine Bildung, auch ohne die
Supplementbändchen, so viel reicher und zeitgemäßer ausgefallen! Denn mit diesem bloßen Lexikon von 10 Bänden getrau ich mir jeden Prinzen oder sonst einen für Hof- und »Konversation« bestimmten jungen Menschen vollständig zu bilden, wenn ichs recht mache und die Artikel der nämlichen Wissenschaft aus dem Zehnersystem der zehn Bände systematisch zusammentrage und geschickt zusammenschweiße; ob ich gleich gern zugebe, daß ein gewöhnlicher Prinzenhofmeister, der den Prinzen bloß nach der festen
Buchstabenordnung des Lexikons ausbilden wollte, anfangs immer nur einen ABC-Schüler liefern würde, bis erst nach langer Zeit ein DEFGHIKLMNOPQuRSTVWXYZ-Schüler dastände.
Endlich, nahm der schöne, wie eine Jungfrau junge und milde Pater Joseph nach dem Ablaufe seiner Verquickungen von dem Apotheker mit vielen weichen Danksagungen Abschied; dieser aber, dem nie mit Worten viel gedient war - ausgenommen mit seinen eignen -, preßte dem entquecksilberten glänzenden Jesuiten noch das
Versprechen ab, daß er ihm durch einen Feldscherer, einen alten Freund in der Hauptstadt, von Zeit zu Zeit die wichtigsten Schritte wolle schreiben lassen, die er dort in der Erziehung des Kronprinzen tue, damit Henoch sie in Rom bei seinem bloßen Erbprinzen gleichen Alters bloß nachzumachen habe. Natürlicherweise mußte Josephus die Sache dem hitzigen Manne zusichern; denn dieser wollte gern in der Erziehung mehr zu viel als zu wenig tun - als Egerie und Gesetzgeber eines künftigen
Gesetzgebers -; er wollte den künftigen Vater mit vielleicht einem bloßen Fürstenhute durch einen Sohn überraschen, der sogar eine königliche Metallkrone zu tragen gelernt und folglich noch leichter sein Fürstenhütchen aufsetzte und schwenkte, so wie bei den Griechen der Läufer seine Kunst in bleiernen Schuhen einübte, um nach Abzuge derselben noch behender zu laufen.
- Und bald fingen nun die pädagogischen Stricknadeln oder Poussiergriffel nach den besten Mustern sich zu bewegen an.
Der Feldscher berichtete, der Potentat habe einen Musiklehrer bekommen: sogleich war der Stadtkantor in der Apotheke, welcher für seine Wassersucht noch die Rechnungen schuldig war, und der vier bis sieben der schwersten Klavierstücke dem kleinen Nikolaus einschmieden mußte, damit seine Finger künftig, wenn er den Zepter darin hätte, durch die Tasten in Erstaunen setzten. Nur zu leichte Stücke lernte er nicht spielen.
Der Feldscher hatte kaum geschrieben, das Französische werde
getrieben: wozu wäre ein alter Tanzmeister in Rom herumgegangen, wenn ihn nicht sogleich Henoch zum Sprachmeister des Markgräfchen installiert hätte, damit er in kurzem keine geringern Wunder täte als Pfingstwunder? Da Henoch nämlich vom Pater Joseph gehört hatte, daß Fürsten an vornehme Fremde, die ihnen vorgestellt werden, bloß Fragen - französische - zu tun haben, nicht aber Antworten zu geben, welche vorzureizen gegen den Respekt laufe: so konnte der Apotheker den französischen Unterricht
vor der Hand fast um die Hälfte ohne die geringste Einbuße des fürstlichen Parlierens abkürzen, wenn der Kleine aus den Gesprächen in der Grammaire bloß die französischen Fragen auswendig lernte ohne die Antworten darauf, welche nur der andere zu geben und zu verstehen hatte.
Der Apotheker griff zu diesen Erzieh-Abbreviaturen aus mehr als einer guten Ansicht; er wollte nicht nur seinen fürstlichen Nestling so früh als möglich fertig und gleichsam auf den Kauf gemacht haben - jede
Minute kann ja der Fürstvater aufs Theater springen aus dem Lager -, sondern er wollte auch künftig recht viel für das Erziehen einnehmen und jetzo recht wenig dafür ausgeben. Ein vernünftiger Sparhals wird zwar zuweilen, wie Friedrich der Einzige, Feste veranstalten; aber ihnen wird, wie nach der Sage denen Friedrichs, immer ein Taler fehlen, wenn er nicht gar lieber mit dem fehlenden Taler das ganze Fest bestreitet; und er erwartet, wenn er auch mit einer Flasche Wein beschenkt, als
vernünftiger Mann die leere Flasche zurück, so wie bei der Vorsetzung von einem Glas Wein natürlich das Glas.
Noch wohlfeiler hatt es Henoch, als aus der Erziehhauptstadt auch die Nachricht einlief, daß der Kronprinz eben Unterricht im Kartenspielen nehme, vielleicht das wichtigste Stück im ganzen Studienplan. Wie dem Fürsten die Jagd als ein Tierkrieg empfohlen wird, so das Spiel als ein Papierkrieg, da die Karten eigentlich Staatpapiere und Territorialmandaten im kleinen sind. Ein
König wird nie auf seinem Frisierstuhle oder am Schreibpulte oder auf dem Sattel Audienz erteilen; aber wohl wird er an feierlichen Tagen am Spieltische hinter der Stuhllehne Große empfangen und Gehör geben; ordentlich als wenn das Bild des Kartenkönigs, den er in der Hand hat und ausspielt, einigermaßen das in den Sitzung- und Audienzzimmern über dem leeren Sessel aufgehangne fürstliche Bildnis vorstellte, so wie er wieder mit den Königbildern der Karte sein eignes Bild auf dem Gelde gewinnt
oder verspielt. Ich erwäge dabei nicht einmal ernsthaft, daß ein Spiel Karten von jeher in hohen Händen den Handatlas von seligmachenden Himmelkarten abgegeben, da hohe Personen an langer Weile oder langer Zeit so außerordentlich leiden, daß sie, um solche nur etwas zu verkürzen, genötigt sich mit den Karten, ihren periodischen, einzigen Zeitblättern der Abende, verbinden müssen.
Glücklicherweise konnte nun der Apotheker diesmal selber den Privatdozenten machen und das Schulgeld oder Kartengeld eigenhändig verdienen; denn er hatte die besten adeligen Spiele längst auf seinen Reisen gelernt, wie Whist, Piquet, Boston, Tarock und LHombre zu vier Personen mit dem Mort; wie er aber natürlicherweise gar erst die bürgerlichen mag verstanden haben, den Saufaus, den Kuhschwanz, das Grobhäusern, den dummen Hans und
das Sticheln, darüber ist eine Stimme. Gleichwohl schrieb er als Kartenmentor nicht einen Heller Lehrgeld an, den er wohl so gut für sich wie für andere Prinzeninstruktoren seines Nikolaus hätte fodern können; das Höchste, was er sich erlaubte, war, daß er die einzelnen schwachen Spielschulden in Rechnung brachte und ansummierte, welche Nikolaus täglich bei ihm machte, weil der kleine Prinz vielleicht das Spiel anfangs nicht genug verstand.
So trug nun Henoch
jahrelang in ein Buch, das er Kronschuldbüchelchen überschrieb, mit musterhafter Vollständigkeit und Treue und mit Belegen alle Ausgaben für den angenommenen Prinzen ein - jeden Strumpf und jeden Bissen - alle Medizingroschen und Schmerzengelder - alle seine Lieferungen in adoptivfürstliche Küche und Keller und Schule - am meisten aber die Schul- oder die Lehrgelder als die wichtigsten; daher er für die verschiednen Wissenschaften, die ein trefflicher Kandidat aus dem Zedlerschen
Universallexikon vortrug und abtat, ebensoviel verschiedner Lehrer in Rechnung brachte; was ohnehin schon früher seine Richtigkeit gehabt, da die Wörterbuchs-Artikel ja von ebenso vielen Verfassern mußten ausgearbeitet werden.
Der Apotheker, der sich in der Welt nichts lieber machte als Hoffnungen, hatte schon in frühern Jahren noch vor Ankunft des Exjesuiten die größten aus dem kleinen Nikolaus zu schöpfen gewußt, indem er ihn mit den schönsten kindischen und einfältigsten Wendungen
der Erzieher ausholte: »Nikelchen! denk an mich, du bist etwas außerordentlich Vornehmes. Schon mit mir bist du verwandt; und das ist viel; denn ich stamme geradezu von der Seitenlinie des so berühmten Chemikers Andreas Sigismund Marggraf in Berlin ab - Der Mann wurde aber anno 1709 geboren und ist daher 1782 gestorben. Dort in seinen Büchern stehts, wie viel er konnte; und alle Provisoren sind etwan Esel gegen ihn.« - Nikolaus versetzte: »Ich heiße ja auch wie er und kann wohl noch mehr werden,
da er schon tot ist und ich noch lebe.« - »Außerdem«, fuhr Henoch fort, »bist du wohl gar mit einem Fürsten verwandt, der gewiß dein leiblicher Vater ist und einmal schon kommen wird; denke aber!« Hier wurde Nikolaus blutrot vor Freude: »Ach wie herrlich,« rief er, »wenn ich zwei Herren Papas hätte, und Sie sind schon so gut! Der andere wäre also der große Herr Markgraf in seiner Residenzstadt, der gegen alle Leute so gnädig ist?« - Henoch versetzte: »Ei, Gott bewahre! Aber dein Vater wird schon
kommen und dann sich nennen, wenn er dich an Kindes Statt und zum Landes-Vater annimmt. Dann kommt das Schwere, und du mußt so gut regieren können wie er. Bedenke aber, was du dann für gelehrte und vornehme Leute um dich bekommst, die du alle regieren mußt; und noch die unzähligen Dörfer und Städte voll Menschen dabei; - Nikelchen! wie willst du es da machen?« - »Sehr schön,« (versetzte er) »so wie unser Herr Markgraf; ich will unter die Armen recht viel Geld auswerfen; und Ihnen werd ich,
sobald ich nur das Gold und Silber kriege, die neue Hofapotheke kaufen und den Schwestern einen prächtigen Staat - und alle die Bettler in meiner Markgrafschaft lass ich neu kleiden und bestelle auf dem Markte ein herrliches Essen für sie. Ich will schon noch mehr tun und vor allen Kindern recht freundlich den Hut abziehen, wie unser Herr Markgraf.«
Welche lachende Aussichten schon frühzeitig für den Kebsvater Marggraf! - Aber ohne Fürstvater häufte er Hoffnungen und Rechnungen von
Jahr zu Jahr in seinem Kronschuldbüchelchen auf; er sah immer mehr, daß er am Ende selber mit der lebendigen Reichspfandschaft, mit Nikolaus, nach dem Schuldner und dessen Physiognomie umherreisen müßte, und wartete nur auf Zeit. Er brachte freilich ein kleines Münzkabinett von Gold- und Silberstücken mit hohen deutschen Gesichtern zusammen; aber war jemals auf einem Taler eine fürstliche pockengrubige Nase aufzutreiben, die sich ihm zum Zeigefinger oder Fühlhorn der dunkeln Vaterschaft
ausstrecken konnte? Und was war vollends statt des Heiligenscheins auf Münzköpfen anders zu finden als ein Lorbeerkranz? - Ja wär es nicht viel besser und närrischer gewesen, wenn er in den damaligen Reichsanzeiger die Anzeige hätte setzen lassen: »Ein junger Prinz, mit zwölf Blatternarben auf der Nase und mit Heiligenscheinen auf dem Kopfe bezeichnet, mit den besten Zeugnissen und mit allen Vorkenntnissen zum Regieren versehen, sucht seinen Herrn Vater; und ist das Nähere in der Expedition des
Reichsanzeigers gegen frankierte Einsendungen zu erfahren« - wäre dies nicht viel besser und toller gewesen? fragt ich.
Ich sollt es hoffen; auch schickte der Apotheker wirklich später eine fast ähnliche Anzeige ein, die aber aus Mangel an Einrückgebühren für eine Satire gehalten und aus diesem doppelten Grund nicht aufgenommen wurde.
Reißen alle Stricke, dachte er zuletzt, so begleit ich als sein Prinzengouverneur den Narren auf ein Jahr nach Leipzig auf die Universität
und ziehe später nicht nur die nachträglichen Einkünfte eines Gouverneurs, sondern komme auch unter so vielen Meßfremden am Ende hinter den Vater.
Er war nicht abzubringen; gleich einem Pharaospieler setzte er immer höher auf die zögernde Karte.
In diesen Zeitraum fiel die für mehre Vorkapitel dieser Geschichte wichtige Begebenheit, daß ein alter Bekannter - von Margarethahausen her - auf seiner vierten Reise um die Welt - nämlich um die musikalische - einen Sprung in die
Apotheke tat, um da ein gutes Glas Doppelcourage zu trinken, nämlich der berühmte Bratschist Mr. de Fautle, ein rundes dickes gallisches Männchen mit wetterleuchtenden Augen und umfahrenden Windmühlarmen. Der erfreuete Apotheker erinnerte sich - und ihn - sogleich, daß er ihn im Bade habe zu den Liedern seiner sel. Margaretha geigen hören; - mit Vergnügen ersann und entsann sich de Fautle, daß er Madame an mehr als einem Hofe mit seiner Armgeige begleiten helfen. Eigentlich wußt er nichts mehr
davon; denn Ansässigen bleibt wohl der Reisende im Kopfe sitzen, aber diesem nicht jeder Ansässige, vor welchem er vorüberrollt. Ein solcher welt- und hofkundiger Armgeiger, für welchen es eher zu wenige als zu viele Höfe gab, fiel dem Apotheker als ein guter Kometensucher eines Fürstvaters in die Hand. Der Bratschist versicherte, er habe vor allen großen und kleinen Höfen wenigstens zweimal den Bogen gezogen, kenne alle Fürsten persönlich, wisse aufs Haar, welcher regierender Herr
eine Glatze unter dem Fürstenhute trage, und welcher nicht, und er drückte auf seine Fürstenkenntnis noch durch die Nachricht das Siegel, daß einige Wagen voll Prinzessinnen, deren Namen ihm sogleich beifallen müßten, weil er vorgestern vor ihnen gespielt, unfehlbar durch Rom gehen würden. Nur führte er starke Klagen darüber, daß ein reisender Dakapo-Künstler immer so lange warten müsse, bis man ihn so weit vergessen habe, daß er wiedererscheinen könne mit einer neuen Auflage von dal segno; ja
daß manche schon bei bis sagten: tant pis. Und allerdings möchte man wohl wünschen, - da die Wiederholung nicht bloß die Mutter der Studien ist, sondern hier auch die Säugamme des Studienmachers - daß einige kultivierte Weltteile -mehr entdeckt würden, damit ein Tonkünstler erst größere Zwischenräume bekäme, um sein eigner Zwilling, Drilling, Vierling zu werden; ja was die fahrenden Deklamatoren anlangt, so wäre sogar zu wünschen, sie durchreiseten keine andern als die
unentdeckten Weltteile.
Der Apotheker, der sogleich an ihm den Mann zu finden glaubte, aus welchem etwas herauszuholen sei, zog ihn nach den ersten Gläsern Doppelcourage in sein Laboratorium, um ihn als alten Freund mit den übrigen zu bewirten. Anfangs warf er zum Ausfragen nur von weiten die Fragen wie Leuchtkugeln hin, ob er nicht vor manchem gekrönten Haupte gespielt, das sich unter seinem Thronhimmel oder Betthimmel härme darüber, daß es Tausende von Landes-Kindern beglücke, und
doch so viele ihm näher angehende natürliche Kinder in Bädern, Forsten, Hauptstädten elend sitzen lassen müsse, da es sie gar nicht kenne. Aber wie er nun auf der einen Seite sich in den Gram so herrlicher Fürsten recht tief hineinfühle, - fuhr Henoch fort, obwohl nicht in dem langen Periodenbau, den ich ihm hier, der Zierde wegen, leihen muß -, so stell er sich auch auf der andern ebenso lebhaft den Wonnetanz vor, in welchen ein solcher Herr - der vielleicht in seiner eignen Ehe keine
Mißgeburt, geschweige eine Geburt erschwungen - hineingeraten müßte, wenn plötzlich eine geheime Gesellschaft Pflegeeltern aufträte und ihm alle seine verstreuten Kinder oder enfants perdus lebendig vorführte; - ja sogar dann möchte der Fürst ziemlich jubeln (wenn nicht gar am meisten), falls ein gewissenhafter Mann auch nur einen einzigen, aber völlig auserzognen frischen Fürst-Sohn ihm wie ein Männchen aus der Uhr beim Glockenschlage vor die Augen springen ließe; und wenn er selber sich nun
gar als den Überbringer des Sohns vorstelle, als einen stillen bisherigen Wundertäter am kleinen Kronwesen, seines möglichen Lohns gewärtig und gewiß - - - »O, Monsieur de Fautle!« rief Henoch, »wahrlich ich sehe den Pflegevater, den man so ungemein belohnt, ordentlich vor Lust in die Höhe springen vor Seiner Hoheit, dem Vater!« -
Der Armgeiger horchte mit gespitzten Ohren; zwar viel Dummes hatte er bisher als musikalischer Specht und klopfender Baumläufer an Thronen und Stammbäumen
vernommen und manche närrische Sätze gehört - wozu er jedoch seine Tonsätze für sein Instrument nie zählen wollte -; aber solche Sätze waren ihm niemals in Paris und auf der ganzen Reise zu Ohren gekommen. Er begann daher: zwanzig, funfzig, hundert, hundertundfunfzig - gerade so viel natürliche Kinder zähle Leopold, der Großherzog von Toskana , sonst ein so gütiger Herr, der aber wisse, daß keine Fürstenbank lang genug sei, um sie daraufzusetzen. - Er wollte sich, fuhr de Fautle fort, nicht
einmal auf sich selber berufen, welche Menge weiblicher Bekanntschaften (man erstaune darüber) er schon auf seinen Kunstreisen gemacht, und wie wenig ihm bei seiner Instrumentalmusik, die ihm notdürftig forthelfe, mit einer Zahl untergelegter lebendiger Vokalstimmen als Texten gedient sein würde - und zwar mehr Schreier denn Sänger - pardieu! er würde, wenn sie alle ihn ansängen, verzweifeln, und hätt er noch einmal so viel Doppelcourage getrunken als heute bei einem so
werten Kunstfreunde. Stell er sich aber gar einen armen Fürsten vor nach seiner großen Tour durch das Länder-Drei und nach den kleinen Tanz-Touren in seinem eignen - und mit seinen Apanagengeldern und mit seinen Finanzkammern - und mit den zarten Rücksichten auf seinen hohen Stand, dessen Ehre gerade durch das würde verwundet werden, was im bürgerlichen als eine Pflicht gegen natürliche Kinder gelten soll - stell er sich einen solchen Fürsten vor: wahrlich! er möchte keiner sein. - Und dann
beschloß er ruhiger. »Und überhaupt welchem deutschen Fürsten wären die Familienstreitigkeiten nicht bekannt, die unser großer Louis XIV., der nicht einmal die große Tour gemacht, zwischen seinen legitimierten Prinzen und den Prinzen von Geblüt zu erleben hatte!«
- Etwas Verdrießlicheres konnte der Apotheker nicht zu hören bekommen; aber in der Hoffnung, vom Armgeiger nicht durchschauet zu sein, stellte er, indem er langsamer einschenkte, sich an, als springe er auf etwas anderes und
könne sich nicht sogleich auf den Namen eines gewissen Fürsten besinnen, der damals im Bade Margarethahausen gewesen und der, wie er sich dunkel erinnere, eine närrische Nase mit 12 Blatternarben gehabt. »Wie hieß er aber doch?« sagte Henoch. De Fautle konnte auf nichts kommen. - Da es nun zur Darstellung einer Physiognomie und deren Nase wohl keinen bessern Handgriff gibt als die Vorzeigung einer ähnlichen: so stellte der Apotheker dem Armgeiger auf einige Minuten seinen Nikolaus mit den Worten
vor: »sein leiblicher Sohn sei dem Fürsten durch ein Versehen der Mutter wie aus den Augen geschnitten.« Aber der ebenso listige als lustige Franzose, schon längst über alles stutzig, schauete nun durch das Bratschen-Efloch oder eirunde Herzloch in den ganzen innern Apotheker hinein und erboste sich ingeheim unglaublich darüber, daß ein dünner Apotheker, während er selber nur der musikalische Hollandgänger und Grönlandfahrer bei Fürsten war, so prahlende Ansprüche auf Verhältnisse mit ihnen
verriet. Er drückte sich daher - seine Eitelkeit war zehnmal größer als seine Höflichkeit und Dankbarkeit und sein gegenwärtiger Durst - über höhere Nasen und Blattern mit einer Roheit aus, daß ich gerne, um den Ausdruck etwas gemildert wiederzugeben, zu dem Gleichnis greife: die Höhenmessungen mancher Hohen geschehen, gleich denen der Berge, durch - Quecksilber.
Als der Geiger mit seiner Doppelcourage abgegangen, blieb dem Apotheker nicht viel von einer einfachen zurück. Auch wuchs
sie nicht sonderlich, als die vom Bratschisten angekündigten Wagen mit Prinzessinnen richtig eintrafen, sondern der Mann wurde etwas krank.
Was aber Nikolaus wurde, als die Prinzessinnen ankamen, werden wir nirgends besser erfahren als im vierten Vorkapitel, wo sie wieder abgehen.
Ernste Ausschweife des dritten Vorkapitels sind: Annahme sittlicher Unarten - Jacobi, der Dichter und Philosoph zugleich - Die leidenden Kinder - Anschauung der Größen und der Kleinigkeiten
- Staatsleute - Politisches Gleichnis und Gegengleichnis - Kanonieren bei Geburt und Begräbnis.