Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Nro. II Offizielle Bericht-Erstattung an den Leser von Deutschland, nebst den Briefen des Herzogs
eingestellt: 2.7.2007
Wohledler, Ehrwürdiger, Hochwohledler, Wohlehrwürdiger, Hochedler, Hochedelgeborner, Hochwohlehrwürdiger, Wohlgeborner, Hochehrwürdiger, Hochwohlgeborner, Hochehrwürdiger Reichsfreiherrl. Wohlgeborner, Hochwürdigster, Hochgeborner etc. etc. etc. Leser! - Ihre über den ganzen Adreßkalender ausgebreiteten Titel, welche noch tiefer und noch höher steigen, entschuldigen es, wenn ich sie alle in den einzigen einschmelze: Verehrtester!
Es zu rühmen, verehrtester
Leser, was Sie seit der Erfindung der Schreibkunst weit mehr als alle Ludwige XIV te für die Wissenschaften, sie mochten sich in Purpurpergament oder in Lumpenpapier kleiden, getan durch Lesegeld, ist über meine Kräfte.
Alle Bibliotheken, von Lese-Bibliotheken an bis zur blauen (wenige Rats-, Regiments- und Kloster-Bibliotheken ausgenommen), schaffen Sie neu an, oder erstehen Sie in Versteigerungen, und wer anders als Sie läuft alle Werke flüchtig durch,
die man kennt, vom ersten indischen Schauspiel an, das in Felsen unter dem Meer gehauen war, und von den Büchern im Serail, die Klafter lange sind, bis zu dem Opern- und Brockenbuch und dem Kinderlesebuch und den Büchern der aner und in ana, ungeachtet Sie noch zu gleicher Zeit alle Aktenstöcke, Brieftaschen, Noten, Planeten, Visitenkarten, Viehpässe, Bank-, Küchen- und Komödienzettel in Deutschland zu lesen haben! Wahrlich, ich wünschte zu wissen, was Sie nicht läsen.
Und doch unterstützt Sie dabei niemand als zuweilen ein Lektor; denn die beiden Leser im Reichs-Kammergericht zu Wetzlar, welche die Akten foliieren, übergeben und aufheben, wird niemand für sonderliche chargés daffaires und Mitarbeiter von Ihnen nehmen.
Zehntausend Mann stark soll nach Meusel das sitzende Heer jetzt sein, das Sie auf den Beinen und sonst halten und besolden, teils als Referenten, teils als Sekretäre. Welche Ausgabe für so viele Land-, Stadt-,
Marktflecken- und Dorfschreiber, da der Papst selber nicht mehr als 72 Schreiber hat, die aber Abbreviatoren heißen! Fünftausend Werke liefert das Heer jährlich, welche Sie alle teils zu kaufen, teils zu lesen haben. Wie schlecht ist nun jeder Referendär und Sekretär, der überall, wo die Gerechtsamen des größten Kurators und Nutritors des Schreib- und Buchhandels leiden, nicht aufspringt, beschirmt, ausfällt, aufschreibt und dann berichtet offiziell! Gibt es solche laxe Autoren?
Endes
unterzeichneter Referent wenigstens ist der Mann nicht, der bei der Semester-Gage, die er von Ihnen zieht, dieses täte, sondern er berichtet mit Eifer, wie folgt:
Zwanzig Jahre und wenige Monate mögen verflossen sein, seitdem er in Ihre Dienste trat, zuerst als Referent der grönländischen Prozesse und darauf der Teufels Papiere, - jenes in Berlin, dieses (6 Jahre später) in Gera. So leicht etwa damals das Gnaden-, ja Ungnaden-Gehalt dafür ausfiel, oder so schwer
das Raff- und Lese-Holz für damalige harte Winter: so reichlich haben Sie ihn nachher, da er eine leserlichere Hand schrieb, als Ihren Ehren-Söldner salariert mit Meß-Geschenken jährlich. Wer denn sonst, verehrtester Leser, als Sie hat bisher für den Unterzeichneten und dessen Frau und Kinder mehr getan als alle Fürsten und dessen Vater- und Wohnstädte? Sie allein dekretierten ihm ein Fixum mit Zulage; von den Städten und Thronen trieben erst Sie als Sportularius und
Pfennigmeister die Beischüsse ein. Sie wahrer Musenfreund aller schreibenden Prezisten! Wie würde es ohne Sie und ohne den Lesegroschen, den Sie wöchentlich als Schreibpfennig und Almosengeld in allen deutschen Leihbibliotheken austeilen, um Schreiber und Schreiben stehen! -
Was noch heimlich und nebenher Ihre treffliche Hälfte, die vergeßliche, aber unvergeßliche Leserin, getan, o verehrtester Leser, die er das Glück gehabt in Berlin und sonst
zu sehen, darf nur seine Dankbarkeit vermehren, nicht seine Freimütigkeit und Redseligkeit. Beinahe in unserm ganzen Heere der 10000 Xenophons ist eine Stimme darüber, sie Notre-Dame, ma-Donna, Hesperide, Titanide zu nennen, nicht eine bloße Haus-Ehre, sondern eine Palast- und Land-Ehre - Franzosen nennen sie die Jungfer Europa - wahrlich der Enthusiasmus ist allgemein - -
Nie kann deshalb Unterzeichneter aufhören, für die Rechte Ihres Hauses zu fechten, das voll Lesezimmer
ist; er stattet ihm ewig die offiziellen Berichte ab, die äußerst nötig sind. Heute hat er einen der neuesten zu machen, einen Index expurgandarum (dedicat.) betreffend, den Ihnen die philosophische Fakultät in Jena, ohne ein besonderes Konkordat, das bekannt wäre, als Gesetz an die Flügel-Tore Ihres Lesezimmers affigieren und nageln wollte.
Das Faktum ist dieses:
Ihr Apanagist, Verehrtester, Verfasser dieses und der Vorschule der Ästhetik nebst einigen Vorlesungen in
Leipzig über die Parteien der Zeit. Hamburg, bei Friedrich Perthes 1804, setzte dem eben gedachten Buche eine Zueignung an den regierenden Herzog August von Sachsen-Gotha vor, welche dieselbe ist, die der Ästhetik fehlt und diese Schrift verziert. Er schickte sie vorher an Ihn, den genialen und liberalen - ein Klang- und Sinn-Reim zugleich -, mit folgendem Briefe:
Gnädigster Herzog,
Ihrer Durchlaucht send ich hier eine Dedikation an
Sie, um Sie um die Erlaubnis des Lobes nicht sowohl - denn diese gab mir schon die Wahrheit - als um die Erlaubnis des ungewöhnlichen, mehr englischen als deutschen Tones zu bitten, worin ich es sage. Mögen Sie mir es verstatten, zweimal recht glücklich dediziert zu haben, das erste Mal der schönsten Königin, das zweite dem witzigsten Fürsten!
Das Buch ist eine - aber nach meiner Weise geschriebene - Ästhetik und mein Lieblings-Kind. Es erscheint im August
schon. Daher möcht ich wohl zur großen Bitte noch die kleine fügen, wenn sie schicklich ist, mich bald entweder zu erfreuen oder zu erschrecken.
Koburg, den 16. Jul. 1804
Ihrer Durchlaucht
untertänigster
Jean Paul Fr. Richter
Darauf erhielt der Brief- und Schriftsteller vom Herzoge folgende Antwort...
Doch, Verehrtester, eh ich Ihnen die sämtlichen Akten vorlege, deren Einsicht Er Ihnen
erlaubt, wünsch ich Ihnen Glück, daß der Zufall, der Sie um einige unbedeutende Blätter von mir bringen wollte, Ihnen dadurch eine Menge interessanter zuführt. Auch dürfen sich zwei Schreiber selber Glück wünschen, wenn ihre Briefe ebenso gut in die Druckerei geschickt werden können als auf die Post; welches hier der Fall mit den meinigen ist in Rücksicht der Gesinnung, und mit den herzoglichen in Rücksicht des poetischen Gehalts.
Das Polyneon, worauf
sich der Anfang des folgenden Briefes bezieht, ist ein großes episches Märchen über die Liebe, vom Briefsteller, welches alles, was große Kenntnisse und große Kräfte von Frucht- und Blumen-Gewinden, Perlenschnüren und Venus-Gürteln ineinander flechten können, zu seinem Zauber-Kreis der Liebe ründet. Doch das, was schildert, kann nicht selber geschildert werden; der Kreis wird zuletzt ein Trauring - der Ring ein Juwel - der Juwel ein Lichtblick - der Blick ein Geist. Der Tadel, womit man das
Polyneon so gut belegen kann als mit Lob, ist bloß schwerer zu verdienen als zu vermeiden. Eine geniale Phantasie ist, gleich dem Luftballon, leicht in die Höhe und in die Tiefe zu lenken; aber das waagrechte Richten wird bei beiden etwas schwer; indessen hielt man es bisher doch für das größere Wunder, sich in den Himmel zu erheben, als sich darin zu steuern.
Daß man hier nicht schmeichle, sondern bloß dediziere, beweiset die endliche Edition des ersten Dokuments:
Angebogene Antwort, sub Littera zzz + x.
Panädonia bat (Pleonasmus, da sie eigentlich nichts zu bitten hat), als sie das Polyneon tausendfärbig und tausendförmig aus ihrem Füllhorn schlüpfen ließ; und dazumal ging es ihr wie Pandoren: es blieb ihr eine Bitte - was einerlei ist - eine Hoffnung, und diese Bitte oder diese Hoffnung kleidete sie auch in eine Weihe ein: Richter sei Freund, und Freund sei Richter. Dieses Epigramm sollte
griechisch und nicht deutsch, nicht gedruckt, sondern in Kupfer gestochen werden, wenn mein Unvergleichlicher (mein Vortrefflicher, würde ich sagen, verglich er nicht zuviel) es mir erlaubte. Doch ich werde mit meinen ineinander geschachtelten Parenthesen wie unser guter W*** und ende, damit mein Paulinischer Johann und mein Johannischer Paul nicht vor Langweile vor mir ende und vor meiner eignen Geduld, mit der letzten der Bitten: diese Bitte wie eine leichte Luftgondel Ihrem Schatz- und
Kauffahrtei-Schiffe anzuhängen, nicht, damit beim Schiffbruche der teure Steuermann sich darin retten möge; aber - das ist eben das Rätsel. -
Einst krümmte Hesperus einen silbernen Nachen aus seinen Strahlen und fuhr hehr und genialisch über die Milchstraße der Ahnung und warf der verblüfften Welt Sternschnuppen in die zugestarten Augen, daß die Schuppen herabfielen und einige durch das Schlüsselloch der Zukunft in den Himmel blickten; aber nachdem sahen wir durch einen Spiegel in
einen dunkeln Ort. - Das jammerte den jüngern Phosphoros; er nahm eine Riesenperle, überzog sie mit Uranusglanz, tauchte sie in Minneglut und bevölkerte sie - Doch Sie wissen alles schon, und nun haben Sie mein Rätsel errathen. Wenn Ihre Vorrede vorlaut ist, so ist meine Rede wohl Nachlaut; doch Sie sind gewohnt, den Weibern durch die Finger zu sehen, durch die Ihrigen und durch ihre. Phosphoros hat noch mehr Prätensions wie Sie, drum hängt er sich Ihrem Schatz- und Kauffahrteischiffe als
Lustgondel an. Ma addio, cara anima; guberniamo il cielo é larcadia.
Phosphoros-Metahesperos
NB. Sie wollen wissen, ob ich eine Zueignung haben will? Dazu antworte ich mit Nein; aber ob ich das Überschickte sub Littera A mit meinem Admirations - A! beantworten werde, dazu sage ich Ja. Erschreckt Sie mein undemütiges Nein, so bleibt die Lustgondel im Hafen, und der Richter bleibt mein Freund, der Freund aber nie mein Richter. - Kommen Sie in Gottes Namen, in Gotha zu verpissen, was Sie in
Liebenstein getrunken haben, nur verschonen Sie meiner Minister Perruquen, denn Sie wissen, daß die Netze der großen Welt nicht so ausgepicht sind wie die Federmützen der Gelehrten. Doch verzeihen Sie diese Reminiszenz und diese Art von Plagiat Ihrem Freunde und Mitsünder.
Lucifer
P. S. à propos! von Bier, Orten, Kommen und Gehn - Es ist nicht meine Schuld, daß ich geblieben bin. Sie verwechseln vielleicht, guter Richter, mein Abendrot mit
meinem Morgenrot, wie es einst Ihr Gottwalt mit dem seinigen tat. Ich habe keinen Zauberstab, und der Spiegel, den ich halte, ist nur der der Eitelkeit, und doch kann ich nicht vergessen, daß ich zähne-, nägel- und haarelos bin. Wenn Sie recht schmeichelhaft sein wollen, so nennen Sie mich einen Kleister-Aal aus dem Kleister, wo Gott seine schönsten Sonnen knetet. Dieses irländische Bonbon wird mich unendlich freuen und gewiß nicht weniger neu sein, als die britischen sind, die Sie mir
auftischen wollen. Sie wollen mir einen Lorbeerkranz aufsetzen, und - wissen Sie denn nicht, daß eine Graciosos-Kappe eine von den Helmzierden ist, welche ich das Recht zu führen habe; wie eine Säule, eine Rose, eine Henne, ein übersatter Löwe zwischen unverzehrten Herzen in dem feldreichen Bilderlande sind, die meinen Schild zieren, und über denen ein Rautenkranz. Diesen würde ich mir eher wie das Wiesel des Plinius wählen, wenn die schöne Otter der Männlichkeit mit Augen, Herzen und Gallenzahn
mich zu durchbohren sucht. Auch gegen den Zahn Ihrer Witzesschlange möchte ich mit dieser Zauberraute die Taube meiner Falschlosigkeit umpanzern. Richter, Sie fürchten, daß ich mich vor Ihrer Eignungsschrift fürchten könnte, und wollen mich mit dem Wiegenliede der Schmeichelei einlullen! Sagen Sie Sich, daß ich als Jungfrau das Einhorn des Spottes entwaffnen kann, und das mit einem Kusse; einem Judaskusse, und Sie kreuzigen; mit einem Jonathanskusse, und Sie verlassen; aber auch mit einem
Cyparißkusse, und mit Ihnen sterben und ewig leben; aber nie mit einem Krähenkusse, die sich aus gleicher Schwärze die Augen nicht auskratzen. - Mißhandeln Sie mich, und lassen Sie drucken, was Sie wollen: Vorreden, Briefe, ja meinen Brief. Verspotten Sie mich; ich weiß es nur zu gut, daß die Freundschaft der Männer eine umfangende Jungfrau ist, und ihre Schmeichelei eine giftige Verleumdung. - Doch, können Sie mit meinem warmen Kinderblute, mit meinem weichen Mädchenherz und mit meinen süßen
Witwen- und Waisenzähren alte Wunden aus- und alte Flecken abwaschen, so tun Sie es; denn es ist keine Schande für mich, auf dem Altare des mächtigsten der Genien zu enden. Habe ich mir doch schon lange eine welke, rosenrote Hyazinthe mit dem Epigraph gewählt: καλον υπερ του καλου θνησκειν. Und gern möchte ich der Hyazinthus sein, nicht um Sie zu bestechen, aber um Sie zu
entwaffnen. Kommen Sie auf mein Herz, mächtiger Sonnengott, es ist keine Pythische Schlange. Ihre Pfeile sind jetzt umsonst. Wenn ich gleich Taubenschwingen und eine schirmende Binde vor den geblendeten Augen trage und auf der blassen Stirne den lockigen Cyrrhus und schmucklos, ja kleiderlos Ihnen erscheine, so bin ich doch, stolzer, rachgieriger Sonnenlenker, kein Gott, sondern Panädoniens schwacher Schatten. - Dieses dürfen Sie Ihren Vorreden und allen Ihren Briefen anhängen; und jedes
zartglühende, edle Weiberherz wird mich gegen Ihre Schärfe beschützen!
Hierauf antwortete der Zueigner folgendes Aktenstück:
Gnädigster Herzog,
Das Schreiben Ihrer Durchlaucht und dessen Bilderkabinett hat mir ebenso viel Freude als Mühe gemacht; zuletzt aber, da ichs ganz verstehe, nur Freude. Was den Streitpunkt des Witzes etc. anlangt, so behaupten Sie während Ihres Solotanzes bloß, es
gebe keine Bewegung und Zeno habe Recht. Indes glaubt jeder Weltkörper zu stehen, ob er gleich fliegt.
Da Ihre Durchlaucht durch Ihre Mischung von Scherz und Ernst mir die Erlaubnis gaben, Ihr Nein auszulegen und zu rangieren: so hab ich die Meinung erwählt, welche mir die wohltuendste ist, und ich habe das Ganze für die schöne Erhörung meiner Bitte angesehen. Doch ist immer noch Postzeit, mich durch einen ausdrücklichen Befehl um meinen schönen Traum zu
bringen. Indes wär es Schade, da in Deutschland ein solcher Gegenstand und eine solche Sprache unter den Dedikationen eben nicht gewöhnlich sind.
Ihre Durchlaucht teilen - wie es fast scheint - einen flüchtigen Irrtum des mir ewig teuern Herzogs von Meiningen über mich, welcher auf Kosten meines Herzens und Geschmacks zugleich einen einfältigen Spaß im hiesigen Wochenblatte mir zuschreiben konnte. Meine Seele blieb ihm so treu wie seine Gemahlin - und Koburgs Reize
... wenigstens vertausch ich es in 14 Tagen mit Baireuth. - Verzeihen Ihre Durchlaucht diese Schreibseligkeit - empfangen Sie meinen Dank für Ihre Blätter voll Blitze und Duft - erhören Sie meine alte Bitte - und erlauben Sie mir die süße Hoffnung, Ihnen nicht durch meine Denkungsart (die Schreibart rechn ich nicht zu ihr) zu mißfallen -
| Ihrer
Durchlaucht |
Kob. d. 29. Jul. 1804 | | untertänigster Jean Paul Fr. Richter |
Teurer Jean,
Wenn Sie von Monochoren sprechen, so irren Sie Sich, wenn Sie nicht voraussetzen, daß nach der Haydnisch-Mozartischen Eröffnung aus Gewittern und Engelchören, Nachtigalls- und Äolsharfen, Sylphenreigen und
Hirtenliedern der mit unsern Genien Hesperus und Phosphoros gezierte Vorhang rauschend heraufrollend die schönste Zukunft enthüllt; daß der prophetische Prolog auf seiner Hippogryphen-Quadriga daherstürzt, und daß er das gespannte Herz noch höher spannt, nämlich zum Bichordion Hoffen und Wissen; daß dann der Strom aus Entzücken, Wehmut und Überraschung; Wohlklang, Minneträumen und Moralität; Sylbenmaß, Takt und Grazie; Gesetz, Phantasie und ästhetischer Vollkommenheit - sich in wilden
kunstreichen Kaskaden über die drei Alpen: Entspinnen, Verflechten und Weben in den stillen Ozean der herrlichsten Unendlichkeit als wie der Fluß der lyrischen Euphonie ergießt und jedes befriedigte Herz mit Hoffnung erquickt und in Freudenthränen eingelullt mit der leisen Frage: Ists Himmel? - davon schleicht und dem kleinen Prologus mit sanfter Demut durch die Tränen zugelächelt hat, wie er auf seinem kleinen Perlenschiff auf Rosenwellen dahintanzte, und die Rätsel lieblich singend aus den
Untiefen der Ästhetik herausfischt und sie als phosphorierende Psychen der Abendfackel zuflattern läßt, um sie selbst dort zu Sternen zu verglühen: - Wenn Sie alles das, sage ich, nicht voraus gefühlt haben, so haben Sie auch nicht verstanden, daß ich Sie, teurer Paul Friedrich, bat, Panädoniens Erweckungs- und Meldungs-Symphonie zu sein; und dann hängt sich nicht meine Gondel an Ihr Kauffahrtei-Schiff, und ich lese nur eine Ouverture, einen Prolog, eine herrliche Oper in drei Akten, und es
entzückt mich weder ein Ballett, noch ein Epilog. - Doch tun Sie, Richter, was Sie wollen; Sie können doch nie aufhören, mein Liebling zu sein.
Ihr Emil.
Gnädigster Herzog,
Mein erster Brief in Baireuth sei ein Dank für den Ihrigen, der mich in Koburg unter dem Einpacken antraf und der durch seine schöne Perspektive meinem Wagen gerade eine entgegengesetzte
Richtung hätte geben können, wenn ich der Freude und der Hoffnung mehr gehorchen dürfte als dem Bedürfnis. Es wäre so schön, im schönen Gotha zu leben und von Ihnen und Sie selber zu hören! Aber die Zukunft hat ja noch viel Platz und viel Frühlinge.
In vier Wochen werd ich Ihnen die Ästhetik senden können.
Man sieht oft in Gemälden eine Hand aus einer Wolke kommend. Ihr Brief ist ein solches, und die Wolke ist morgenrot. -
Baireuth
d. 16. Aug. 1804
Ihrer Durchlaucht
untertänigster
J. P. F. Richter
Hierauf antwortete der Herzog:
Gotha ist schön, aber das wenigste Schöne im schönen Gotha ist Ihr armer Emil. Ich sage nicht das Beiwort arm aus Demut allein, sondern vielmehr aus Redlichkeit; auch fürchte ich, daß, wenn alles vor Ihnen fällt, Ihnen nichts mehr gefallen wird, und daß so zuletzt der Gefallende tiefer
fallen wird als die Fallenden. Was Sie von den Räumen in der Unzahl und von den Frühlingen in der Unzahl mir, bester Richter, sagen, beweist mir, was ich leider! schon längst kaum zu ahnen wagte, und was mich Ihnen, Unvergleichlicher, zum Menschen - nein gar zum Manne verstellt. Doch ich greife blind wie der Glaube und zartfühlend wie die Minne und sicher wie die Rache der Könige und bestimmt wie der Wille des Todes - unter die ausgerissenen Schmetterlingsflügel, die abgestreiften
Sirenenschuppen, die entblätterten Rosen, die ausgefallenen Drachenzähne, die Kometenfunken, die gefrornen Zähren, die losen Diamanten, die zerstreuten Traumbilder Ihres Polymorphäons und ziehe auch ein Gemälde hervor. Es ist auch eine Hand, und was mehr - eine schöne an dem reizendsten Engelarme. Schwimmend liegt sie auf dem Lichtozean der Vollkommenheit. Zwischen den rubinenglühenden Fingerspitzen hält sie prüfend und warnend eine Seele über das Aoma des Nichts-Ungrunds. Gott allein kennt
dieses noch zu richtende Ich. Ich bin keine Hand und kein Gott; - aber bald schwebt zwischen Flammen und Eis Ihre Ästhetik über das Nichts-Aoma. Zittern Sie immer, Richter, denn Ihr Richter will vergessen, daß er Ihr Freund ist, und Ihr Freund soll nicht erfahren, daß er Sie richtet.
den 20. August 1804
Julius Augustus
Zwischen beiden letztern Briefen schlug nun, verehrtester Leser und Brotherr, jener Strahl auf mich, Ihren Schrift-Sassen und Sekretär, herab, der die Dedikation einäscherte, falls sie nicht zweimal da war, einmal außer, einmal in mir. Nämlich Herr Dekan und Doktor Voigt verbot sie dem Setzer; und darauf tat es auch der übrige Teil der philosophischen Fakultät, deren Namen ich hier im Catalogus
praelectionum publice privatimque in Academia Jenensi per hiemem anni 1803 inde a die XVII. Octobris habendarum. Typis Goepferdtii vor mir habe.
Ich würde wohl wenig davon haben - ausgenommen Zurechtweisungen -, wenn ich meine ersten heimlichen Ausbrüche zu öffentlichen machen und die September-Flüche über (nicht auf) Deutschland publizieren wollte. »Himmel!« flucht ich und so weiter, aber mehr nicht, sondern ich nannte bloß die Deutschen die Kleinstädter Europens - fragte, warum man
irgendeinen Geist bevogten wolle, z. B. meinen - hielt mir ferner, Verehrtester, teils den Gehalt vor, den Ihre Seele hat, teils den, den sie gibt, mir und jedem von Ihren poetischen valets de fantaisie - lärmte stärker im Stillen und fragte mich laut, wer denn eigentlich der Zensit der Zensoren sei, und wußte Antworten genug.
Indes kam Zensit und Zueigner zuletzt wieder so zu sich, daß er sich stillen - die Fakultät, indem er sich an ihre Stelle setzte und ein
Graduierter wurde, rechtfertigen - und wirklich den folgenden Bericht an den Herzog mit jener schönen Ruhe machen konnte, die ihn vielleicht auszeichnet:
Gnädigster Herzog,
In 14 Tagen kommt mein zweiter Brief an Ihre Durchlaucht mit der Ästhetik, aber - ohne die Dedikation. Denn die philosophische Fakultät in Jena erlaubt mir nicht, Sie zu loben - ausgenommen ganz gemein, nämlich das Ungemeine! Der Zensur-Dekan
fuhr noch fort zu erstaunen und zu verneinen, als ich ihm die Beweise zugeschickt, daß eine Person, die die Dedikation gewiß so nahe angeht als ihn selber, solche genehmigt habe, nämlich Sie. Was ist daraus zu machen? Nichts als einige Bogen voll Ernst und Scherz, wenn Ihre Durchlaucht den Bogen, die den Ernst enthalten, das Imprimatur gewähren, das der Dekan versagte; ich würde nämlich die Dedikation - diese ist der Ernst -, samt der Geschichte ihres Isolierens - diese ist
der Scherz -, nebst einigen allgemeinen Anmerkungen über meine und alle Zensoren, besonders drucken und brochieren lassen; ja ich könnte diese Zueignung Ihnen wieder zueignen. Ich bitte Sie sehr um diese Erlaubnis des Isolierens, da ja ohnehin Ihre Vorzüge Sie daran gewöhnt haben, isoliert und einzig zu sein. Doch würd ichs im schönen Falle des Ja? für meine Pflicht halten, vor dem Drucke Sie zu meinem ersten Leser zu machen,
nicht aber was nur Sie und der Himmel verhüten - zu meinem letzten.
Der stärkste Grund meiner Bitte ist dieser: Ihre Durchlaucht! geben Sie das Beispiel eines fürstlichen Großsinns, das Sie jetzt erst mir und dem philosophischen Dekan in Jena verborgen gegeben, den kleinstädtischen Deutschen - öffentlich, die nicht anders zu loben wissen als chapeau-bas und tête-bas ou basse und bas.
Baireuth d.
22. Septbr.
1804
Ihrer Durchlaucht
untertänigster verbotener
Dedikator
J. P. Fr. Richter
Die Fakultät finde, bitt ich, einen und den andern harten Leitton des Briefes, der anfangs nur für gütige, nicht für alle Augen geschrieben war, verzeihlich und halt ihn vielmehr für einen schönen Silberton und Silberblick. Die Antwort darauf, Verehrtester, wird Sie erfreuen; denn ohne sie hätten Sie nichts, und ich alles.
Dolce Giovanne,
Nur Weniges, doch dieses für alle; doch auf den zweiten Brief, o mein Teurer, Vieles, aber das Viele nur für den einzig teuern Richter.
Die Fakultät hält vermutlich Ihr Lob für Spott, und das ist sehr wenig schmeichelhaft für mich, der eitel genug ist, auch aus Ihrem Scherze, mein Freund, den Honig des Wohlwollens zu saugen. Doch verbieten Sie, lieber Richter, daß sich unsere Richter künftig um unser Lob bekümmern, und
versprechen Sie ihnen, daß wir (schweigen sie -) bei unserm Lachen nie an sie denken wollen. Aber vielleicht hat der gute Dekan nicht so Unrecht? Doch ich kann mich selbst gegen Ihren Spott vertheidigen; dies wird mein Polyneon genug beweisen und meine vorlaute Kritomanie in ihm. Mais à propos! von Spott und Scherz und Ernst; es war mein völliger Ernst, da ich Sie, panoramischer Freund, bat, mein bald erscheinendes Werk in einer lobenden Nachrede des Ihrigen dem lesenden Deutschland
anzukündigen. Jetzt, da Sie mir allein auf chinesisch an einem Tische einen Leckerbissen vorsetzen, welcher nur für die übrige Welt Neid erregendes Schauessen sein wird, so könnten Sie ja auch, wie es meine ästhetischen Lieblinge zu tun pflegen, der Schüssel die Invitations-, Weigerungs-, Nötigungs-, Einwilligungs- und Danks-Charten anhängen, die wir wechselten. Ich habe noch die Abschriften der Ihrigen und der meinigen. Diese vidimierten Briefe beweisen besser als alles andre dem
Dekan, wie sehr er sich irrt, wenn er meine Ichheit in dem Schatten seines Doktorhuts zu sichern meint. Sagen Sie ihm das, und drucken Sie für und von mir, was Ihnen Freundschaft und guter Geschmack und muntere Laune einflößen. Nur sagen Sie sich, daß die gute dumme Welt manchmal böse sein will, und daß ihr das Rätsel-Erraten selten gelingt. Ich umarme Sie, um mit verschränkten Fingerspitzen, gleich klopfenden Herzen und gleich stark schwirrenden Fittichen dem Lichtziele des ächt
Schönen entgegenzustreben. Stoßen Sie mich nicht zurück. Der Adler trug ja einst den leichten Troglodyt der Sonne zu. Tun Sie das auch Ihrem Freunde zu Liebe,
Gotha d. 29. Septbr.
1804
Sebastos Phosphoros
Ich weiß aber nicht, verehrtester Brotherr, ob Sie nicht mich, Ihren Panisten, für einen pflichtvergeßnen Schelm gegen Sie ansehen, wenn Sie lesen, daß ich darauf so antwortete:
Gnädigster Herzog,
Bloß mein Wunsch, Ihrer Durchlaucht mit diesem Blatte zugleich die Ästhetik zu schicken, verzögerte meinen Dank für Ihren letzten, so viel in Gegenwart und für Zukunft zugleich gebenden Brief so lange. Noch jetzt hat der Buchbinder die 3te Abteilung dem Publikum nachzuliefern, die der Setzer längst vollendet; und ich warte noch mehr auf ihn, um den dritten Teil einer Schuld bei Ihnen abzutragen, die Sie mir
vielleicht lieber schenkten.
Wenn Sie unter dem Polyneon Ihr reiches Märchen von der Liebe meinen - wie ich gewiß glaube, wenn mich nicht alles Erinnern und Erraten trügt -: so wissen Sie, mit welcher Freude ich dem Publikum meine frühere darüber und die seinige ankündige; aber jetzt erst werden mir ganze Stellen Ihres ersten Briefs erhellt.
An dem der Dedikation beischwimmenden Werkchen über die Preßfreiheit arbeit ich jetzt. Ihr Imprimatur zu
Ihren eignen Briefen ist fast einer mehr und ein schönstes Geschenk für mich. Aber aus Dankbarkeit für eine Güte, welche mir ebenso viel Glanz zuwürfe als dem Leser Vergnügen, muß ich anmerken, daß, wenn nicht wegen des ganzen Publikums, doch dessen wegen, das Sie regieren, manche Stellen - z. B. im ersten Briefe - nicht wie Himmelssterne der Welt, sondern wie Ordenssterne einem einzelnen zugehören und bleiben müssen. Ich liebe aber solche Stellen so sehr,
daß ich eben nicht den Mut hätte, auch nur eine andern zu entziehen; daher bitt ich Sie, wenn Sie Ihre seltene bedeutende Erlaubnis des Abdrucks Ihrer genialen Briefe fort geben, mir die Auslassungen selber zu bestimmen, ferner welche Briefe; und dabei mir die Kopien der meinigen (von denen ich nur Splitter habe) zu senden, welche indes, wie sie auch sein mögen, in die Welt treten sollen, weil Sie schon die Welt für sie gewesen, und weil zweitens ein
Buch-Vater, wie ich, nichts zu regieren hat als sich und etwa 32 Bände.
In 14 Tagen hoff ich Ihnen die 3te Abteilung, in 21 - das neue Manuskript zu senden. - Da ein Fürst immer so glücklich ist - was ein Privatmann selten wird -, jemand zu finden, der aufschneidet und korrigiert, so bitt ich Sie, es bei diesem Werke voll Druckfehler - in der Vorrede angezeigten - tun zu lassen, bevor Sie die größern finden -
Baireuth d. 18.
Okt.
1804
Ihrer Durchlaucht
untertänigster
J. P. Fr. Richter
- Hierauf kam folgende Entscheidung:
Lieber richtender Freund!
Hier die Briefe, die Sie so gütig sind, auf dem Balkon der Publizität bleichen zu wollen. Was mit dem Kleesalz der Kritik noch von Flecken auszuziehen ist, das ziehen Sie aus. Schneiden Sie, stopfen Sie, flicken Sie, säumen Sie und plätten Sie, was zu schneiden, zu stopfen, zu flicken, zu säumen und zu plätten ist, und machen Sie es wie der hochselige und in Gott ruhende Hofjunker Arouet, Freiherr zu Ferney, ob Sie gleich kein Franzose, Ihre Tochter keine Mamselle ist und Ihr Schwiegersohn keine Ahnen ou ânes hat und ich kein Spaniol schnupfender Hundefreund bin. Laugen Sie meine schmutzige Wäsche aus. Wessen Herzen im gleichen Takte die Lebensruder bewegt, es sei unser Mulmul feiner als neunmal gespaltene Spinnegewebe oder aus Segeltau geflochtener Zwillich, darf sich tadeln und bessern. Bei dem Tadeln und Bessern fällt mir Ihre Kunst zu bestimmen ein. Ich sage nichts darüber, da ich schon alles selbst längst gefühlt, gedacht, aber noch nicht auswendig gelernt habe, und da ich mich nie selber lobe, als wenn man mir schmeicheln will. Hier also, was Sie mich schreiben machten. Sie ändern so wenig, als Sie können. Nur verbitte ich mir alle Gedankenstriche, - denn die Welt denkt nur, um zu verleumden; - und jede Lakune, - denn die Welt sieht sie für einen ausgetrockneten Morast an, den sie gern wieder mit ihrer Ichheit füllt. Auch diesen Brief haben Sie die Güte unter die schwarze Wäsche zu mischen, nur nicht mein Herz, meine Küsse, meine Liebe und meine treue Anhänglichkeit an Ihnen, teurer Richter. Noch ein Geständnis, ehe ich unterschreibe. Ich suchte umsonst meinen Platz auf den Bänken Ihrer Vorschule.
8. Okt. 1804
August
Ihr Referendar, verehrtester Leser, hat hierauf nichts zu berichten als zweierlei, erstlich, daß die gedachte Wäsche aus Asbest oder Steinflachs eben darum in kein Feuer zum Weißglühen zu werfen war, weil sie schon aus dem stärksten eben herkam - und daß bloß zwei Stellen weggebeten worden sind, durch deren Auslassung niemand etwas verlieren kann als Sie, verehrtester Leser! -
Somit ist nun, Leser, meiner Pflicht gegen Sie genug getan; nicht zum kleinsten Feldzuge mehr gegen die Fakultät bin ich verpflichtet, sondern höchstens zu einem artigen Friedensfest. Sie allein fechten und siegen; ich hingegen lege mich - während ihres Siegens - ruhig und neutral auf philosophische Materien, worunter ich diesesmal am liebsten eine Untersuchung über die Rechte und Grenzen der Preß-Freiheit erlese. Ich überfeile nämlich in meiner glücklichen Neutralität eine Probeschrift über die Freiheit sowohl der Presse als der Zensur - welche ich im Frühling nach -en abgeschickt -, um sie dieser Berichterstattung anzuhängen.
Ihr Verfasser - eben der gegenwärtige - hatte, wie er glaubt, gute Gründe zu ihr, sowohl logische als ökonomische. Er wollte besonders in dieser Selbst-Einladungsschrift dem ** Bücherzensurkollegium seine Grundsätze über Bücherfreilassungen vorlegen, um sich vielleicht damit (noch hofft ers) den Weg zu einem Amte - nämlich eines Zensors - zu bahnen, da er leider (denn sein Legations- oder Ambassaden-Rat ist mehr Titel) nicht, wie so viele Tausende seiner glücklichern Mitbrüder um ihn her, einen Posten hat. Herr v. - nahm die dissertatiuncula pro loco (so heißt sie) selber nach -en mit, übergab und empfahl sie dem Bücherkommissarius sehr gütig; nun tut sie da ihre Wirkungen, und ich lasse mich gern in dem süßen Wahn hingehen, daß sie mir dort vielleicht nach zwanzig und mehr Jahren, gerade in der Not des Alters, wo man Bücher nicht mehr zeugen, sondern nur verbieten und erlauben kann, in ein gutes Zensor-Ämtchen hineinhelfe und ich doch als Beamter abfahre. Hier ist sie mit sehr wenigen Abänderungen.