Frei Lesen: Leben Fibels

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorrede | Vor-Geschichte oder Vor-Kapitel | 1. Judas-Kapitel | 2. Judas-Kapitel | 3. Haubenmuster-Kapitel | 4. Leibchen-Muster | 5. Herings-Papiere | 6. Judas-Kapitel | 7. Zwirnwickler | 8. Judas-Kapitel | 9. Pfeffer-Düte | 10. Judas-Kapitel | 11. Judas-Kapitel | 12. Kaffee-Düten | 13. Papierdrache | 14. Judas-Kapitel | 15. Vogelscheuche | Nicht das 16., sondern das 17. Kriminal-Kapitel | 18. Judas-Kapitel | 19. Judas-Kapitel | 20. oder Pelz-Kapitel | 21. Judas-Kapitel | 22. Schneiders-Papiermaße | 23. Laternen-Kapitel | 24. Patronen-Kapitel | 25. und 26. Judas-Kapitel | 27. Judas-Kapitel | 28. Judas-Kapitel | Nicht Judas- sondern Jean Pauls-Kapitel | Nach-Kapitel | 2. Nach-Kapitel | 3. Nach-Kapitel | 4. Nach-Kapitel |

Weitere Werke von Jean Paul

Museum | Der Komet | Freiheits-Büchlein | Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf | Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin |

Alle Werke von Jean Paul
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Leben Fibels) ausdrucken 'Leben Fibels' als PDF herunterladen

Jean Paul

Leben Fibels

10. Judas-Kapitel

eingestellt: 2.7.2007

Still-Leben

- Und hätte eine Familie ein Dutzend Tränenkrüge voll geweint: stets wird, wenn ein Hausvater, der über sie einen etwas dicken und langen Zepter hingehalten, aus ihr scheidet, sogleich nach den ersten Tagen ein eigenes Wohlbehagen den Trauerbund umfließen, weil der Bund jetzt selber mit dem zurückgebliebenen Zepter in der Hand herumgehen kann; bei jedem Schritte stößt er auf Lust, nämlich auf einen nicht mehr verbotenen Schritt.

Durch das ganze Siegwartische Haus fächelte dieses frische Mai-Wehen.

Die halben Souverains freilich gaben dem durchziehenden Zephyr viel ausländische Blütendüfte mit. - Hier aber sei mir vom guten Leser eine kleine Bequemlichkeit vergönnt, daß ich nämlich, da ich sonst das Wort in so vielen Kapiteln zu oft schreiben müßte zu meiner unsäglichen Langeweile, künftig überall in jedem Kapitel, wenn ich hinsetze Souverain, darunter nur stets einen halben verstehen dürfe. Hat doch Thümmel sogar den lebendigen Souverains ähnliche Titulatur-Abkürzungen vorgeschlagen zum Vorteil ihrer Kanzellisten!

Sogleich nach der Leichenbestattung mußte in der Haushaltung, wie in jeder, jemand da sein, der den ordentlichen Hausvater und Ehemann vorstellte; Helf versprach, dergleichen vorzustellen, doch ohne Nachteil seiner Studien. Deshalb setzt er sehr bald die Siegwartsche Ledermütze auf als Hauskrone, hackte das Holz - und kleiner dazu als der Vogler -, holte jeden Abend aus dem Miet-Beete Souper-Kartoffeln und stellte sich abends häufig unter die Haustüre und sah ernst ins Dorf hinein. Jeden Abend besah er mit der Mutter das Wandschränkchen und dessen Papier-Riegel und Siegel-Schloß aus Vorsicht. Da er als Hausvater immer - oder er war ein Mensch ohne Erziehung - den nötigen Taler Geld in die Haushaltung zu schaffen denken mußte so ging er von Zeit zu Zeit in die Stadt, um den Souverain umzuwechseln, der eben nach Abgang des alten die Regierung antrat. Den neuen verwahrte er gut in seiner Schweinsblase - die auf dem Lande der Beutel der Männer ist, wie ein hölzernes Schraub-Büchschen der Beutel der Weiber -; er zersetzte in der Stadt bei dem Schnurr-Juden Judas - eben dem Patienten, der den Smaragd als krampfstillendes Mittel gebrauchen wollte - das Gold ins kleinste Silbergeld, das ihm Judas mit Freuden gab, da er sah, wie gern der junge Mensch einen recht vollen Beutel mitnahm; und jener lösete freiwillig einen volksrepräsentierenden Souverain in den vielzähligen Münzen-Pöbel auf. - Zu Hause schüttete Helf aus der Blase einen hohen Kreuzer-Berg - kein Fürst weiß, wieviel 4 Tlr., 4½ Gr., 3 Pf. sind, aber wohl ein Heiligenguter, nämlich fast eine unermeßliche Summe. In die ersten Tage nach dem Regierungs-Antritt eines Goldstücks fiel ein goldnes Zeitalter; dann kündigte ein silbernes, eisernes, papiernes das Versilbern eines neuen Souverains an. Nur Weiblichkeit und Jugend erklären durch ihre Hoffnungs-Kraft ein solches in den Tag Hineinleben, das sich unter der allmählich aussterbenden Heptarchie (Sieben-Herrschaft) der sieben Souverains auf die ihnen noch unbekannte Ausbeute des Wandschränkchens verließ. Es sei ihnen gegönnt!

Sein 15tes Wiegenfest fiel zum Glücke gerade gegen die Zeit, wo sie vom verwechselten Souverain nichts mehr hatten. Geburtstage waren wichtig - da an seinem 16ten das Guckkästchen ihrer Zukunft, das Wandschränkchen, sollte geöffnet werden -; daher ging er am Tage vorher mit dem Goldstücke und mit dem Auftrage in die Stadt, sich ein Angebinde und sich und der Mutter den Wiegenfestbraten zu kaufen. »Auf dem Lande«, sagte die Mutter, »haben die Bauern gar keinen Geburtstag, weil sie nicht dressiert sind; aber du glaubst nicht, wie in Dresden am Hofe jeder einen der prächtigsten Geburtstage hat, die man sich denken kann.«

In der Stadt wurd er auf einmal drei- oder viermal selig. Der Jude Judas band ihn an mit einem Paar abgeschabten Plüschhosen, besetzt mit den bekannten zwei Vorder- und einer Hinter-Glatze und (damals ein Meerwunder) mit zwei Uhrtaschen, wollte aber kein Geld, sagte keinen Preis, bevor Helf sie bis zum nächsten Geburtstage abgetragen hätte.

Bekanntlich weiß ein Jude mehr vom Innern einer Stadt auswendig als selber der Polizeileutenant, so wie Hebammen die Zukunft der weiblichen Hälfte; die gegen schwaches Beichtgeld beichtsitzende Judenschaft ist die eigentliche Observationsarmee aller Haushaltungen, sie sind lauter Lafontaines voll Familiengeschichten, nie aber um solche auszutragen, sondern die Stadt- und Lands-Geschichtforscher wollen bloß pragmatisch und praktisch sein. Das Borgen der Hosen ließ dem seligen Helf Geld zu einem Selbst-Angebinde, zum Ankaufe eines schönen Werks, des sogenannten »Neu geöffneten Ritterplatzes« in drei Duodezbänden, worin er sich in allen Wissenschaften umsehen konnte, weil er noch immer zweifelhaft war, in welcher er ein Skribent werden wollte.

Er sollte noch das Glück haben, daß die Markgräfin-Mutter den Tag vor ihrem Geburtstage vom Schlagfluß getroffen wurde, so daß die eingefallene Hoftrauer das halbgebackne und -gebratene Hof-Souper an den Pöbel zu versteigern nötigte. Jeder Taglöhner, der tafelunfähigste Tischler konnte erstehen, was er bezahlte. Helf hatte für die Gerichte seines eigenen Geburtstages das schon mitgebracht, was, bis jetzt unerklärt, in allen Sprachen mit demselben Worte benannt wird, also auch in der deutschen, nämlich einen - Sack; in diesen ging viel. Er ließ sich, aber mehr für die Mutter als sich - was fragen Menschen mit Ritterplätzen in der Tasche mehr nach Kost aus der Hofküche -, ein schönes souper fin zuschlagen, nämlich einige Plätzchen sogenannten krachenden Rahm - Prinzesse-Pastete und Hasenkuchen - ein paar Schnittchen - einen Wiener Spieß-Krapfen - ein Galanterie-Küchlein - und ein Marzipan auf herzogliche Art.

Allem setzte er die Spitze durch ein Arzneigläschen auf, das er sich für seine liebe Seele im Walde, für Drotta, mit dem feinsten Stachelbeeren-Eise stopfen ließ und das er sauber in türkisches Papier einwickelte.

Seiner Mutter, einem Dresdner Extraweibe, eine halbe Hofküche in der Tasche zuzutragen, war ein so froh aufwehender Gedanke, daß ihm wirklich war, als blase ihn in Träumen der starke Rückenwind über die Fluren weg - den Stock hielt er waagrecht (in der Stadt steilrecht), und nicht einmal im Ritterplatze las er, bloß um recht zu fliegen.

»Denkst denn du,« - sagte die Mutter, als er ausgepackt - »dies ist mir etwas Neues? Sieh, dies da heißt krachenden Rahm, dies Marzipan auf herzogliche Art; aber alles ist herrlich.« Jetzt wies er sein Arzneiglas voll Eis für die Geliebte vor; aber es war zu Wasser erwärmt; - »So kann ichs ihr gar nicht zu essen, sondern nur zu trinken geben, wenn sie es nicht bis in den Frost aufhebt«, merkt er an.

Beide sprachen sich abends fast halbtot über die Stadt, dennoch schauete der erhitzte Helf im Ritterplatz von den meisten Wissenschaften, z. B. der Astronomie, Reitkunst etc. etc., ein Blatt an, ohne es zu lesen; und vergaß auch nicht, der schlafenden Mutter die Pantoffeln so vom Bette abzukehren, daß sie am Morgen bloß die Fußzehen hineinzustoßen brauchte.

Der hellste Morgen erschien! Er betete diesmal sein Vaterunser bloß in der Muttersprache. Die Mutter segnete ihn ein, als er noch im Bette aufrecht saß, und nannte ihn ihren Stecken und Stab - sie las mit dunkeln Augen die ausgeschlüpften Federchen seines Bettes zum Nachfüllen auf, während sie Nachtträume vortrug, die ein gutes Jahr bedeuteten.

Der Tagsheld tat nach frischer Morgenluft einen Gang durch das Dorf mit zwei Händen in Uhrtaschen und zwei Schenkeln im Plüsch und grüßte jedes Kind, und einige Leute von hinten, die zu sehr ins Feld eilten. Daheim fand er schon alles weggekehrt und hergeputzt zum Studieren - die Mutter in einem statt der Schürze vorgebundnen weißen Schnupftuch wirtschaftend und lange warme Lichtstreifen von der Novembersonne in die nette Stube gezogen. An diesem Tage sollte er, verlangte die Mutter, keinen Finger rühren, sondern wie Neapel den Beinamen des Müßigen tragen und in einem fort an seinem Tische sitzen. Er kam auch aus dem neueröffneten Ritterplatze nicht heraus, Himmel! er schlug sich darin an diesem Morgen zu einem heraldischen Ritter, zu einem numismatischen, zu einem geschichtlichen, zu einer ganzen gelehrten Ritterschaft und zu mehr, was er las. Aber ein Umstand, der bisher ihm - sonst beschlagen fast in allen Wissenschaften durch die ganzen Bücher des Pfarrers und durch die halben des Krämers - erhitzt im Zeugungsalter der Bücher und kein Kind mehr - gespornt durch Testament und Trieb - und schon ein alter Autodidaktos (Selbstgelehrter) - ein Umstand, sag ich, der immer die Hand ihm hielt, wenn er mit seiner Feder seinen literarischen Prachtkegel (noch lag der Obelisk) vor der Welt ganz aufrichten wollte, dieser böse Umstand war der, daß, er mochte die Feder an welche Wissenschaft er wollte setzen, er sogleich mit zwei oder drei Bogen fertig war und abfahren mußte und seine Meinung wider Willen schon vollständig und gut herausgesagt und herausgeschrieben hatte - die Sache war erschöpft, oder er - das Buch selber sah nach nichts aus - ebensogut hätt er einen Kometenschwanz auskämmen können, als etwan einen halben Bogen noch zuschießen; - und doch stand zu seiner Scham die Welt umher voll Folianten über alles geschrieben.

Aber Fibel blieb getrost, er wußte, der Parnaß will wie Wien erwartet sein, ja noch länger, da dieses selber noch auf jenen wartet; ja hatt er nicht vom Pfarrer Gelehrte unter den Händen gehabt, welche ihren literarischen Eierstock länger im Bauche als auf dem Neste ausbrüteten, so daß sie erst bei grauen Haaren aus dem Legdarm etwas Langes, einen Folianten zogen? »Eh ich vielleicht mein Winterholz kleingehackt,« sagt er, die Hände reibend, »hab ich was Langes beim Schwanz; aber dann arbeit ich wie ein Pferd und bring es fertig.«

Hier ist ein Punkt, wo alte Schriftsteller jungen nachahmen sollten; nämlich sie sollten sich nur halb so viel Mühe geben, ihren Ruhm zu erhalten (statt daß er sie erhalten muß), als jene sich geben, einen zu erwerben; denn nur wenige junge bedienen sich ihres Privilegiums, anfangs bloß schlecht und für das Volk zu schreiben, so wie etwan auf einem gut geschärften Mühlsteine zuerst (wegen des abfallenden Sandes) nur für das Vieh gemahlen wird, erst später für uns!

Aus dem neugeöffneten Ritterplatze hatte Helf nur einen Schritt zum Eßtisch, wo der krachende Rahm, das Marzipan auf herzogliche Art und der Hasen- und Galanteriekuchen, d. h. der Nachtisch als Vor-Tisch verspeiset wurden. Es war mehr eine Seelen- als Magen-Mahlzeit. - Die Mutter geriet dadurch nach Dresden an den Hof und in ihre schöne alte Zeit - der alte Siegwart schritt frisch als Liebhaber mit dem Rekrutenhute vor sie und führte sie an den honnetesten Ort und rauchte. »Ein solcher Mann lebt gar nicht mehr wie Er!« sagte sie. Ich weiß nicht, werfen mehr die Brautfackeln oder die Leichenfackeln das schönste Licht auf ein Ehe-Gesicht; indes der längste Tetzelsche Ablaßkrämer auf Jahrzehende bleibt dennoch der Tod, und das Grab der Traualtar einer innern Silberhochzeit. Der Vogler hatte dem gedachten Tetzel so gute Ablaßzettel zu danken, daß Mutter und Sohn weinten aus Zärtlichkeit gegen ihn, gegen einander und gegen den Tag voll stiller Lust.

Unter dem Tischgebet kam es der Mutter, als sie im Spiegel den langen betenden Gotthelf sah, deutlich vor, als stehe der alte Vater darin, und ihr wurde wunderlich zumute. Als sie es aber dem von so vielerlei angeregten Sohne sagte, so hob sich dieser wie begeistert auf den Zehen empor und faßte ihre beiden Hände mit den Worten: »Mutter, Mutter, Ihr sollt an mir einen Versorger in Euern alten Tagen haben, so gut als wenn mein sel. Vater noch lebte - das Gesicht im Spiegel bedeutet viel an einem Geburtstage; denn ich weiß es recht gut.« Er meinte aber seine Feder-Saaten.

Plötzlich tat er einen Sprung aus dem mütterlichen Romane und aus allen Rührungen in seinen eignen und sagte: »abends geh er zur Wildmeisterin«. So schnell nach andern an sich zu denken, scheint kühn; aber beneidet Kinder, Wilde und gemeine Stände, welche unbefangen das Herz, das noch am alten Liebes-Pfeile steckt, doch von einer andern Seite auftun und welche schnell von eigner und fremder Rührung auf das Gleichgültigste springen. In uns verfeinerten Ständen hingegen muß (es schickt sich durchaus nicht anders) die Hungerquelle der Rührung nur allmählich versickern. Gewisse Respekt- oder Respitminuten sind nach warmen Worten herkömmlich, bevor man ein kälteres gut anbringt. Oft vexiert es aber äußerst. Ich erinnere mich noch gut, daß ich einmal mit einem empfindsamen philosophischen Adjunkt, Namens Mitreiter, dem später im Reichs-Anzeiger sieben unbezahlte Hauswirte nachsetzten, im Leipziger Rosental fühlend lustwandelte, nachdem wir uns vorher, weil ich ihn einen unsittlichen Schleicher mit Unrecht (nämlich um ein Jahr zu früh) gescholten hatte, seitwärts im Gebüsche gerührt entladen, ausgesöhnt und umhalset hatten. Mitreiter, mit seiner Hand in meinem Arm liegend, drückte und schwieg in einem fort; die Baßsaite der Empfindung sollte sich langsam auszuschwingen scheinen. Ich mußte (schicklicherweise, besonders als Beleidiger) auch zart fühlen und mit ihm im langsamen Ausschwingen wettrennen, ein elendes Spiel, ähnlich dem Spiele der Knaben, welche wetten, wessen Spinnenbein, das sie der Läuferspinne ausgerissen, am längsten zapple. Gleichwohl war es Tatsache, daß seine Hand auf meinem Arme sämtliche Drucke der Empfindung erschöpft hatte und nicht mehr wußte, was sie auf ihm, ihrer Gefühls-Tastatur, anfangen sollte. Mich vollends hungerte nach etwas Festem von Diskurs. Jetzt schäme ich mich freilich vor Höfen und Lesewelten zu bekennen, daß ich in der Desperation über die Herzens-Strapazen nach einer kindischen Knabenkunst griff, nämlich daß ich wie ein Fallgatter plötzlich (als wär ich angestoßen) niederfiel auf den Steiß und aufsaß und herauflächelte. Mitreiter hatte mich kaum aufgezogen, als schon die lebhaftesten Gespräche regierten. -

Wollen wir wieder Helfens Stubentüre aufmachen! Er gehe abends zur Wildmeisterin, hatt er frei gesagt. So sehr er und diese in ihren Naturen abwichen; so deutlich die Sechzehnjährige in diesem ihren Bücher-Helden den Haushaltungs-Zwerg nisten sah; so wenig sogar Helfen der Unterschied zwischen dieser ewig fliegenden und bauenden Arbeitsbiene und zwischen seiner kränklich-zarten und mehr für Finger- als Arm-Arbeiten zugespitzten Mutter entging: so vermochte doch dies alles nichts gegen das, was ich eben zu berichten habe, daß eine Art Zuneigung beide so langsam und doch so steigend anflog, wie etwa die Morgenröte mitten unter dem Anschauen unmerklich und doch glühender die fernsten grauen Wölkchen überfließet. Aber die Sonne, woraus sich alles erklärt, stand für beide noch tief unter dem Gesichtskreise.

Seine Mutter machte oft, wenn sie den Sohn tief in den Musenberg hineinfahren sah, heimlich, und ohne ein Wort zu sagen, sich einen Weg zur einsamen Wildmeisterin, bloß um Helfen abends unerwartet von ihr zu erzählen. Engeltrut war gezwungen, jede Seele zu lieben, die ihre Geliebten liebten; so wie jedem teuern Herzen alles zu sagen, was es für dasselbe und in ihrem Frohes gab. Daher hatte sie oft mehrmals vor Drotta, wie vor Gotthelf, ihres so weit aufgetan (ein Mittel, das fremde zuzudrücken), daß sie herausstieß: »Ach ich tue oft vor dem Wandschränkchen meines Seligen wie vor einer heiligen Bundeslade mein Gebet. Beschert uns der gütige Gott etwas darin: o liebe Jungfer Wildmeisterin! Sie weiß, wie mein Sohn denkt und ich; aber es sei alles Gott anheimgestellt.« - Dabei senkte Drotta ohne alles Erröten bloß die Augenlider ein wenig. Sie wußte aber, daß ihr Vater, der nichts besaß als Büchsen und Hunde, ihre leere Hand nur einer vollen lasse.

Gotthelf versaß seinen Geburts-Nachmittag so zufrieden-windstill, als stände gar keine Himmelfahrt in den Wald bevor. Um sich sah er die Mutter in Ruhestand mit einem Strang am Halse, woraus sie die Fäden zum Nähen zieht, und die Orts-Schulmeisterin, die schneller spinnt als spricht, beide mit ihren Kaffeeschalen in der Hand; denn jeder Prorektorats- oder Souverains-Wechsel wurde mit einem Lote Kaffee gefeiert, was anfangs des vorigen Jahrhunderts vielleicht kein kleinerer Aufwand war als anfangs des jetzigen. Helf selber las leise seinen griechischen Autor herunter, wobei nur schade, daß er nicht auch die Vokabeln verstand. Die Schulmeisterin fand es, obwohl Gast, ganz billig, daß die Mutter für den »Studenten« die Haut der Sahne abfischte. Die drei Köpfe heizten sich immer wärmer; der Kaffee macht Araber, der Tee nur Sineser, sagt ich einmal, und in des ersten schwarzer Stunde widerscheint wie im schwarzen Spiegel alles lebendiger als in des andern farblosem. Helf übersetzte, nach dem Walde schmachtend, noch feurig einen deutschen Bogen in hebräische Buchstaben; oft schrieb er lange fort, ohne aufs Papier zu sehen, nicht um Geschicklichkeit zu zeigen, sondern um eine zu haben, falls er einmal im Finstern zu arbeiten hätte.

Endlich schied der Gelehrte aus dem Flachs-Kreise; es war, als ob man eine Universität aus einer Stadt versetzte.

< 9. Pfeffer-Düte
11. Judas-Kapitel >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.