Erfindung und Erschaffung des sächsischen Abcs
Leidenschaftlicher sah wohl niemand aus als ich in der ersten Stunde, wo ich das 13te Kapitel aus dem Juden-Buche ausgerissen fand, man müßte denn mich selber in der zweiten ausnehmen, wo ich die Sache dennoch bekam, als eine spielende Knapp- oder Knabschaft (es war nicht meine biographische) das Kapitel an mein Fenster steigen ließ, als Papierdrachen. Ein artiger Schicksals-Wink! Er
will damit wohl sagen: so heben wir Autoren auf Papier uns sämtlich hoch genug (höher vielleicht, als unsere Bescheidenheit anerkennen will); Wind (er bedeutet das Publikum) trägt auf- und fortwärts; an der Schnur hält den Drachen ein Knabe (er soll den Kunstrichter vorstellen), welcher durch sein Leitseil dem Flugtiere die ästhetische Höhe vorschreibt.
Bei solchen Erfindungen wie die eines ganz neuen Abcbuchs für ganze Länder, die es lesen, sind auch Kleinigkeiten, welche um deren
Geburt umher waren gleichsam als Mütter und Wehmütter, in hohem Grade wichtig. Das Schicksal wollte nämlich haben, daß Fibel eines Abends vor der zerbrochenen Fensterscheibe des Schulmeisters vorbeiging, und daß darein statt des Glases der sogenannte Abc-Hahn eingeklebt war, dessen Tierstück die ältern Abcbücher mit einem Prügel in der Kralle abschließt. Aber dieser Scheiben-Hahn wird noch viel wichtiger durch einen Traum, womit er Fibels ersten Schlummer schwängerte, und welcher nachher so
gewaltig alle Schulbänke und Abcschützen erschütterte.
Alle Vögel seines Vaters - träumte er - flatterten und stießen gegeneinander, pfropften sich ineinander und wuchsen endlich zu einem Hahne ein. Der Hahn fuhr mit dem Kopfe zwischen Fibels Schenkel, und dieser mußte auf dessen Halse davonreiten, mit dem Gesichte gegen den Schwanz gekehrt. Hinter ihm krähete das Tier unaufhörlich zurück, als würd es von einem Petrus geritten - und er hatte lange Mühe, das Hahnen-Deutsch in
Menschen-Deutsch zu übersetzen, bis er endlich herausbrachte, es klinge ha, ha. Es sollte damit weniger - sah er schon im Schlafe ein - der Name des Hahns ausgesprochen (das n fehlte), noch weniger ein Lachen oder gar jener Verwunderungs-Ausbruch vor den damals noch unerfundnen Park-Graben angedeutet werden, sondern als bloßes ha des Alphabets, welches h freilich der Hahn ebensogut he betiteln konnte, wie b be, oder hu, wie q ku, oder hau, wie v vau, oder ih, wie x ix. Fibel hörte hinter sich
über funfzehn Schulbänke das Abc aufsagen, aber jedesmal das h überhüpfen; endlich fuhr der Reithahn unter sie, und sie riefen einhellig: ha, ha etc. etc., ohne zu lachen. Und Helf konnte jetzt sehen, daß jede Bank ein Abcbuch voll eingeschnitzter Bilder war - z. B. bei A einen Hintern, bei B eine Birkenrute für jenen -, aber nur um H war nichts gemalt, bis der Hahn leibhaftig den Buchstaben vorstellte so wie Hennen die en.
Da rief Helfen eine Stimme mehr aus dem Himmel als aus der
Hahn-Gurgel zu: »Sitze ab, Student, und ziehe aus eine Schwanzfeder dem Hahn und setze damit auf das Buch der Bücher, voll aller matres et patres lectionis, das Werk, das der größte Geist studieren muß, schon eh er nur fünf Jahr alt wird, kurz das tüchtigste Werk mit dem längsten Titel, das so viele Menschen aus Kürze bloß das Abc-Buch nennen, da sie es das Abecedeeefgehaikaelemenopequeresesthetheuvauweixypsilonzet-Buch nennen könnten; schreibe dergleichen, mein Fibel, und die Welt
liest.«
Darüber wurd er - was wohl jeder angehende Schriftsteller würde - wach und setzte sich im Bette auf; der Traum war heiß in seine Brust gefahren und bestellte darin ein ganzes neues Leben voraus. Helf konnte gar nicht genug mit sich sprechen aus der Sache. Er müsse gar erstaunen - so übersetz ich ungefähr sein Selbstgespräch -, daß er, der bisher so viel in ausländischen Alphabeten gearbeitet, noch nicht das geringste in seinem eignen Alphabet für Abcs getan, ordentlich als hab
ihn die Sucht, den glänzenden Vielwisser zu spielen, verblendet. - Er habe Gewalt und Zeit genug gehabt, das alte Abc durch ein neues aus dem Weg zu räumen, bloß schon dadurch, daß er neben jeden schwarzen Buchstaben einen roten gemalet hätte, ein rouge et noir-Spiel, bei welchem jeder alte Abcdarius nur verlieren könne. - Könn ers nicht viel weiter treiben und jeden Buchstaben mit einem kleinen Gedicht von zwei Reimen versehen und ihn so in die Gehirnrinde einschneiden? - Und könn er nicht
sogar mit ganzen Tieren und Werkzeugen einen und denselben Buchstaben benamen und anfangen, z. B. das E mit Esel und Elle oder F mit Frosch und Flegel? - Ja könn er nicht (denn das entwerfende Feuer eines Autors wächst fürchterlich) sogar die Holzschnitte der Sachen eindrucken lassen über den Reimen? Himmel! wären sie nicht vollends zu illuminieren? -
Aber man sieht hier, wie ungeheuer in einem Autor alles aufwächst, und wie ein Würmchen, kaum federlang, noch ehe er vom
Sessel aufsteht, sich zum Lindwurm ausstreckt und verdickt. Dem Muhammed diktierte die Taube in einer Minute 180 000 Offenbarungen ; aber diese Taube sitzt auf jeder Schulter, über welcher ein Kopf ein Buch entwirft, nur sagt sie mehr ins anstoßende Ohr.
Fibel sprang aus dem Bette, das Zudeckküssen über den Bett-Stollen hinausstoßend. Er erlebte die schönste Dämmerung, in welche ein Mensch schauen kann; denn in einem Buche, dessen Schöpfung man sich eben vorsetzt,
steckt ein halbes Leben und Gott weiß wie viel Zukunft dazu; Verbesserungen, Erweiterungen regneten in seinen Kopf hinein, indem er leise auf und ab ging aus Mangel an Licht; denn es war den 6ten Dezember oder Maria-Empfängnis-Tag. Auch Verfasser dieses bekennt hier, er nähme selber mit einem Vorhimmel vorlieb, dessen Seligkeit darin bestände, daß er jeden Tag auf den Plan eines neuen Buchs verfiele, so wie mit einer verdammten Vorhölle, wo er zur Strafe bloß einzupacken vorbekäme, Bücher in
Packpapier, Briefe in Umschläge, alles in Reisekästen.
Jetzt, da wir freilich das fertige Abc vor uns liegen haben , denken wir es uns schon so fertig gelegen auch in Fibels Gehirn, daß er es aus diesem nur bei dem Kopfe herauszuziehen brauchte; aber könnte man nur in eines Autors Gehirn-Uterus nachsehen, welche Menge zurückgebliebener Glieder, ja ganze Halbzwillinge des Buchs würde man darin aufgespeichert finden!
Am Morgen schüttete er vor der Mutter seinen Nachtfang
aus, aber unter dem Ausschütten schnalzte immer mehr nach. Er konnte es kaum erwarten, daß er anfing und die Feder nahm.
Schon die erste Blatt-Seite - sonst eben kein Spielplatz und Lustlager für den Autor, sondern ein Exerzier- und Kampfplatz, weil er nur mit den besten Ideen anfangen will, und folglich ein Richtplatz so vieler Gedanken, die er ausstreicht - schon die erste Seite war ein schönes Tuskulanum und Utopien für Helf; er schrieb das kleine Abc in schöner Kanzleischrift,
ohne einen Buchstaben auszustreichen, geschweige ein Wort, lustig und ungestört herab. Zwischen alle schwarze Buchstaben steckte er rote auf, um allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen; daher die meisten Kinder Deutschlands sich noch der Freude entsinnen, mit welcher sie aus den schwarzen die rot gekochten wie gare Krebse herausfischten und genossen.
Ein Mann, der ohnehin schon längst mit Rot schrieb - denn Fibel triebs sogar zu Blau und Grün -, muß allerdings bei dem Rot-Auflegen auf
das Antlitz seines Werks rot-froher dagestanden sein als die letzten römischen Kaiser, die sich allein mit roter Dinte zu schreiben vorbehielten, wiewohl sie damit fast nur Staatsschnitzer, wie jetzt die Schullehrer Donat-Verbrechen, zeichneten.
Menschen überhaupt, welche mit mehr als einer Dinte schreiben, sind heimlich-selige Käuze und finden bei jeder Einkehr in sich schon den Tisch gedeckt und lustige Gesellschaft; Fibel war von der Zahl der Käuze. Sobald er mit roter
Dinte Drucksachen schrieb, so ging er fast in Reih und Glied mit den alten Rubrikatoren, welche sonst die Buchstaben rot anstrichen und überhaupt in alles Schwarze ihr Rot einschwärzten.
Den Genuß des reinen Alphabets oder der ersten Seite tischte er sich und andern oben über der Druckerlinie auf jeder spätern Seite immer wieder auf , ohne daß die Abc-Schützen-Gesellschaft besondern neuen Nutzen davon ziehen könnte; denn Buchstaben gabs ja im Werke ohnehin wie in jedem andern
genug.
Aber er konnte eben solcher Buchstaben über der Linie nicht satt werden, welche in der feinsten Ordnung in Reih und Glied, nämlich alphabetisch dastanden, noch nicht in einzelne Worte versprengt und verrückt; unter der Linie sah er nur die angewandte Buchstaben-Mathesis, oben aber die reine.
Himmel aber! zu welch einem Himmelsbürger hätte ein Erdenbürger geboren werden können - zu einem wenigstens, der in Ambrosia und in Nektar ersoffen wäre -,
wenn der Himmel einen Fibel hätte wollen unter den Chinesern aufgrünen lassen, welche achtzigtausend Sprachzeichen besitzen und welchen mithin ein Abc-Buch von einigen Folianten zu geben wäre. O Himmel! So etwas - Nur aber wär er unter solchem Honig erstickt, und wir hätten nichts. Von desto mehr Gewicht mußten ihm die wenigen Buchstaben sein, die wir besitzen, und 24 bleierne konnten ihm wohl ein so großes haben, als jene 23 goldene waren, jeder einen Zentner schwer, von welchen ich, Gott weiß
in welchem Reisebeschreiber, einmal Meldung gefunden.
Es muß zu seinem Freudenhimmel noch eingerechnet werden, daß er nicht nur mit Fraktur und Kanzleischrift - die so nahe an Druckschrift grenzt -, sondern auch mit Dinte schrieb, welche Gutenberg anfangs (nach Schröckh) gebrauchte statt der Druckerschwärze. Helf sah sich schon halb gedruckt; sah er sich um, so war er ganz gedruckt, falls im Wandschränkchen etwas war.
Er ging nun - mit dem Gefolge seiner unzähligen
Abcschützen hinter sich - ins Ab-Eb-Ib- hinein; eine Buchstabier-Methode, von welcher ihn durch das ganze Buch hindurch nichts abbrachte, auch keine neuere blendendste nach seinem Tode. Er tat auf dem Papier keinen Schritt, ohne von einer Silbe zur andern auf zwei übereinander liegenden Teilungs-Strichen (z. B. Stri=che) wie auf einer Brücke überzugehen; aber auf diese Weise eben schließt er sich an das lange Narren- und Weisen-Seil der Erfinder an, nämlich als der Erfinder der - Gedanken
striche, welche im jetzigen Surrogaten-Jahrzehend so bewährteste Gedanken-Surrogate geworden. Die neuern Nießhaber dieser Erfindung setzen freilich die parallelen Striche nebeneinander, ja oft drei, bloß um vielleicht - - - mehr Raum auf dem Papier zu leeren und in dem Beutel zu füllen.
Es ist kein Wunder daher, daß ein solcher Mann und Buchstabierer späterhin so bittere Feinde fand; und daß ein Heinicke seiner Buchstabier-Methode so viel Unheil zuschrieb als Malthus der Übervölkerung. Ich weiß, sie hätten ihm, hätten sie ihn über der Arbeit ertappt, den Schreibarm abgesägt.
Er setzte bloß die geistlichsten Sachen, z. B. das Vaterunser, den Morgen- und Abendsegen, zum Buchstabieren in Bewegung - so wie die Deutschen anfangs
Bibeln, die Welschen aber nur Klassiker druckten -; nur schwankt er anfangs am Schreibtisch bei sich, ob er z. B. das Vaterunser und die beiden Segen zugleich mitzubeten hätte, wenn er sie silbenweise hinschriebe - was sehr ins Verdrüßliche und Langweilige fiel -, oder ob er die Andacht auf die schicklichern Zeiten versparte, wo es schneller zuging. Letzteres wählt er um so lieber, da es doch nicht geklungen hätte, wenn er im Abendsegen, den er am hellen Tage abschrieb, hätte ordentlich
andächtig verfahren und halblächerlich für das Verleben eines Tages danken wollen, der noch tageshell dastand. Himmel! wie muß ein Mann den Dampf und Rauch des Lebens durch seine Schreibspule von sich weggeblasen haben, wenn er nicht nur nach dem Morgensegen hinschreibt: »Und als-denn mit Freu-den an dein Werk ge-gan-gen und et-wa ein Lied ge-sun-gen, als die Ze-hen Ge-bot, o-der was sonst dei-ne An-dacht gie-bet« - sondern wenn er auch dem Abendsegen die Zeile ansetzt: »Und als-dann flugs
und fröh-lich ein-ge-schla-fen.«
Sogar das Körperliche bei seinem geistigen Erzeugen kehrte sich zu seinen Freuden um, z. B. er schnitt in ruhigen Muße-Stunden mehrere Federn voraus, um sie im Feuer bei der Hand zu haben - er deckte Dintenfaß und Dintentopf vor allem Staube zu, was so viele von uns versäumen, so wie das Abwischen der Federn nach dem Schreiben! - Ja war er nicht sein eigner Dinten-Koch (und dadurch hofft er, nicht mit Unrecht, sein Goldkoch zu werden) und setzte,
sobald es regnete oder schneite, die beste Dinte im Dorfe an und prüfte die Schwärze von Stunde zu Stunde, um leserlicher aufzutreten? - Und bracht er nicht unter dem letzten Souverains-Wechsel eine Feder, so teuer als ein ganzer Flügel oder Flederwisch ist, nach Hause und gestand der Mutter frei, diese Seefeder - zwar bekanntlich ein Seetier, er wollte aber sagen ein Seekiel - sei wohlfeiler gar nicht zu haben als um einen Batzen der Kiel? -
»Jetzt aber,« fügt er entschlossen bei,
»jetzt gehts auch an die hochtrabendsten Reime, die es nur gibt, und da gehören die wackersten Seefedern dazu; Reime, wie nur im Gesangbuche stehen, müssen vorkommen und alles sehr schön ausfallen!«
Er fing denn das Reimen an und folgte seinem Rufe, dem Hahnenrufe.
Bekanntlich stellt er in seinem Werke immer neben etwas Lebendiges etwas Totes, eine Frucht oder ein Werkzeug, z. B. neben die Gans die Gabel, neben die Sau den Szepter, neben den Affen den Apfel; ein schöner
Wechsel, welchen später die Franzosen zu ihrem revolutionären Kalender entlehnten und glücklich nachahmten, um die Tage statt nach Schutzheiligen lieber nach Schutztieren und Schutz-Gerätschaften zu benennen.
Dreierlei macht aber den Autoren das Leben sauer, erstlich der Anfang, weil sie gleich auf der Schwelle mit Wolken und Juwelen vor den Lesern blitzen wollen; - zweitens die Wahl unter der Fülle, wenn sie über eine ganze halbe Welt zu reden und zu gebieten haben, z. B. ein
Beschreiber der gräßlichsten Vorfälle jetziger Zeit; - drittens die Wahl, wenn wenig oder gar nichts da ist; z. B. wenn einer ein Namens-Lexikon der jetzt in Paris kursierenden Mystiker und ersten Christen schreiben wollte, wovon er (ungleich dem dasigen Atheisten-Lexikographen) schwerlich für jeden Diphthong einen Mann finden würde.
Diese drei Torturen oder Teile der Buße stand auch Fibel aus. Die erste Seite, worauf bekanntlich der Affe und der Apfel stehen, hatt er als die Fassade
so festlich als möglich mit Raffaels-Tapeten vollzuhängen, um dem Leser oder dem Buchstabierer gleich vornen einen Vorschmack zu geben, auf was er drinnen im Lehr- und Bildersaale sich zu freuen habe. Noch dazu mußte die erste Seite, da sie allein stand - neben jeder folgenden schlug sich (die letzte ausgenommen) immer die Nebenseite auf - und da sie also den Vorteil des Kontraposts entbehrte, sich mit eigentümlichen Schönheiten waffnen, um ihre Stelle würdig zu behaupten.
Auch mußte
die Welt - ließ sich ohne Scharfsicht voraussehen - ihr Auge zu allererst auf die erste Seite mit drei Haupt- und drei Bei-Figuren richten, weil die Anfangs-Buchstaben ihrer Namen zugleich die Anfangs-Buchstaben des Titels seiner Schrift, nämlich des Abc waren.
Es gehört unter die vielen Autorfreuden, welche ich unter dem Schreiben dieser Lebens-Beschreibung genieße, daß ich die ganz unbekannte Anekdote - sie wäre denn der göttingschen Bibliothek bekannt - aus meinen Dorf-Papieren
geben kann, daß Fibel auf folgende Weise anfing:
Der Adam gar possierlich ist, Zumal wenn er vom Apfel frißt. |
Mehrere Deutsche meiner Bekanntschaft wünschen, er hätt es stehen lassen, daß sein Vorbertuchs-Bilderbuch wie das Menschengeschlecht anfing, mit dem A Adams. Das Schicksal und er selber wollten es anders. Der nackte Adam, der wohl nach, aber nicht unter dem Apfel-Biß in Pelze zu kleiden war,
wollt ihm nicht als der anständigste Großzeremonienmeister vorkommen, der nackend sowohl Abc-Bilder als die langen Menschenreihen anführte. Dabei blieben noch dazu Be und Ce unbesetzt.
Auch, wie gesagt, das Schicksal wollte ein anders, indem es ihn durch einen
Affen,
Bären und ein
Camel aus dem elenden Eismeer herausfahren ließ ans Ufer; nämlich ein Bärenführer tat ihm diese Vorspann-Dienste dadurch, daß er mit ihnen für Geld durch das Dorf zog und
gleichsam ihren farbigen Schatten für ewige Zeiten auf die erste Seite warf. So ritt denn unser Fibel auf dem dreileibigen Geryon ins Holzschnitt-Werk hinein, wozu ihm bald ein Quintett von vaterländischen, aber dummen Tieren stößt, Dachs, Esel, Frosch, Gans und Hase.
Am meisten sind wir Menschen dem Bärenführer Dank für das repräsentative System schuldig, daß durch seinen Durchzug unser alter Stammvater und Stammhalter Adam sich, unserer anständiger, in den Stief- und Zerr-Menschen,
den Affen, verwandelte. Letzterer homme postiche kann nach einem umgekehrten Anthropomorphismus in so viele Äpfel beißen, als er will. Dabei ist er, wie Adam erst
nach dem Falle, schon von Natur in Tierfelle anständig gekleidet; und es ist überhaupt zu einem gesandtlichen Repräsentanten Adams, des wahren Menschenkönigs, indem ein Stellvertreter doch nicht alle Vorzüge seines Fürsten haben kann, recht gut der Affe gebrauchbar und zuschickbar, da dieser, kann er auch nicht alle höhern
Eigenheiten seines Repräsentandus darstellen, doch die andern niedrigern an seiner Natur wie durch ein Kreditiv erträglich aufweiset, unter welchen er tückische Laune, Wollust, Possierlichkeit, Unbezähmbarkeit wohl ohne Eitelkeit anführen darf.
Die zweite obgedachte Not, die ein Autor hat, nämlich die Wahl unter dem Überflusse, erlitt Fibel an dem Buchstaben S, dem bekannten Lexikons-Riesen, ja Riesengebirge, das mit seiner Länge kaum aufhören will und sich daher flegelhaft über einen
Bogen nach dem andern legt, indes sich X und Z kaum sehen lassen. Der vom Wörter-Zufluge gestochene Fibel wurde noch mehr verfolgt vom Lexikon, worin er gewöhnlich die Substantiven jedes Artikels, als z. B. des S (schon hier bei mir sitzt S an S), nachschlug; und er hätte vor so vielen S- oder Es-Tieren sich gar nicht zu retten gewußt, wäre nicht sein Landesherr auf einer Saujagd mit Hülfstruppen zu ihm gestoßen. Sofort hatt er dieses Gedicht:
S s Sau S s Scepter.
Die Sau im Koth sich wälzet sehr, Das Scepter bringet Ruhm und Ehr. |
Er wurde mit S gleichsam überregnet, denn er konnte sogar den Scepter in einen Sau-Spieß (worin allein 4 S nisten) umschmieden. Ein feiner Takt riet ihm, das S-ch-wein, das seinem Ohre so nahe und seinem Gaumen noch näher kam, nicht aufzunehmen, sondern die Sau aus der höhern Jagd, das sogenannte ritterliche Tier, das sich mit seinen Hauern viel näher an Thron und Scepter schließt.
Die dritte Not, die einen Autor befällt, ist die: wenn er nicht weiß, was er sagen soll. Sie traf Helfen sehr hart vor den Buchstaben qu, x, y, z; solche undeutsche Buchstaben legten einem ehrlichen echtdeutschen Schreiber Schreibdaumenschrauben an; es sollte sein und es war von solchen Ausländern schlechter Dank für seine Gastfreundschaft, daß sie ihn nötigten, sich halb verdreht zu zeigen. Wahrlich es kommen künftige Kapitel in dieser Geschichte, wo man über diese Buchstaben mehr hören
wird.
So versah nun Fibel mit unendlicher Mühe und Freude alle 24 Buchstaben mit kleinen Sinn-Gedichten, welche bis auf diese Stunde im Maule der Nation fortdauern. Sein feilendes Ausbessern war gewaltig; er hatte alle Hände voll Arm- und Schlichtfeilen - voll Jätemesser - Stimmhämmer - Erd-Siebe - Schwingfutter - und Poliermühlen. Daraus läßt es sich freilich erklären, daß er uns Füße und Reime von einer Reinheit geschenkt, welche sich jetzt selten macht; z. B. Reime wie ist, frißt -
Bär, her - Last, Gast - Hund, kund - Säck, weg (wäck) - Nacht, macht etc. etc.; - wozu aber noch kommt, daß er, anstatt wie Büffon (nach Mad. Necker) vormittags die Substantiva und nachmittags die Adjektiva zu Papier zu bringen, es gerade umkehrte und am Morgen nur die Beiwörter und erst nachmittags und abends, wo er mehr Zeit hatte, die viel wichtigern Hauptwörter aussann und hinsetzte; so wie es ein späterer Kunstgriff war, daß er den frühern Kunstgriff Boileaus, stets den zweiten Vers früher
als den ersten zu fertigen, gleichfalls geschickt umkehrte und jedesmal den ersten zuerst machte, und den andern aus der Zukunft abholte. Dies gibt aber auch seinen Gedichten eine Nette und eine solche Säuberung von allen minnesängerischen Flicklauten der Neuern - z. B. von
sehre, deme, Zoren etc. etc. -, daß ich mich gar nicht verwundere, wenn unsere größten deutschen Dichter ihn früher lasen und studierten als irgendeinen andern Poeten, den Homerus selber nicht ausgenommen.
Gleichwohl wär es unbillig, eine solche ausgefeilte Vollendung von unsern neuesten Dichtern zu begehren, da es genug ist, wenn sie diesem Polyklets-Kanon von weitem nacharbeiten.
Fibelische Musterhaftigkeit im Abcbuche, kann ein Sonettist sagen, ist wohl in Gesängen von zwei Zeilen und
einem Reime zu erreichen; aber ein Mann versuche einmal, nach ihr in einem großen Werke von vielen Reimen in
einem Sonett zu ringen: er wird bald eine tödliche Verse-Ferse eines
Achilles und Herkules an mehr als einem Fuße vorzeigen.
Selber jenen demant-dichten und demant-hellen Sinn und Inhalt der Fibelschen Gedichte möcht ich nicht zu strenge unsern Dichtern zumuten. Vielmehr ists eben bei ihnen das Zeichen, daß sie vom Phöbus (wie wir den Apollo heißen, und Franzosen schwülstigen Unsinn) nicht weit mehr entfernt sind; so wie auch bei den Kometen das Zeichen der Sonnen-Nähe ist, wenn sie, wie diese, den Kern rein verflüchtigen und durchsichtig werden
und ganz zu Schwanz, der hier Assonanz und Reim bedeuten mag.
Dennoch bleibt den Dichtern des letzten Jahrzwanzigs genug übrig, worin sie sich mutig mit Fibeln messen dürfen - auch wärs unbegreiflich, wenn so ein doch weniger von der Kunst als vom Genie begünstigter Voglers-Junge allein ganze mystische und romantische Schulen überwöge und niederzöge -; ich meine aber besonders eine gewisse, in Fibeln sehr vertrocknete Wässerigkeit im edeln Sinn. Diese weisen wir aber auf, und wir
können, wie Juweliere ihre Edelsteine, so mehrere unserer poetischen Edelsteine nach ihrem hellen weißen Wasser schätzen und ausbieten. Wir besitzen Dichter vom ersten Wasser, vom zweiten, vom dritten; und in Roßdorfs Dichtergarten spiegeln und wallen Dichter vom zehnten Wasser.