Jean Paul
Museum
XI. Blick in die Traumwelt
eingestellt: 24.7.2007
Wenn der Traum zuweilen das Wachen auslegt, ja weissagt, so sollte dieses noch leichter jenen zu erklären und zu erhellen vermögen; aber leider ist die ganze Traumwelt in eine Dämmerung eingebauet, durch welche das vom Tage geblendete Auge nicht in sie hineinschauen kann. Seltsam genug ists, daß den Menschen gerade die Hälfte seines Lebens, wie die der Mondkugel, abgekehrt und zugedeckt begleitet.
Aber wie sollten wir tiefer in die Natur der Träume blicken,
da jeder nur seine eigenen prophetischen kennt und untersucht! Würde uns nicht ein anderes Physiologisches und psychologisches Licht darüber brennen, wenn wir mehre Arten von Träumen, die der Kinder, der Jünglinge, der Greise, der Geschlechter, der Menschenarten, zu vergleichen bekämen? Wahrlich mancher Kopf würde uns mehr mit seinen Träumen als mit seinem Denken belehren, mancher Dichter mehr mit seinen wirklichen Träumen als mit seinen gedichteten ergötzen, so wie der seichteste Kopf, sobald
er in eine Irrenanstalt gebracht ist, eine Prophetenschule für den Weltweisen sein kann.
Was jedoch am meisten der rechten Erklärung des Traums im Wege stand, war eine schon alte. Nämlich nach den Seelenlehren (nach Platner u. a.) ist der Traum eine Reihe von bloßen Vorstellungen unter welchen die sinnlichen uns darum nicht als Abbilder, sondern als Urbilder der äußeren Gegenstände erscheinen können, weil sie, in dem von der Sinnensperre ausgeleerten Raume als die einzigen dastehend,
keine wahren äußern Gegenstände und kein äußeres Ort- und Zeitverhältnis zum Vergleichen antreffen und in dieser Sinnennacht, unverdunkelt, sich selber erleuchten.
Schon vor Jahren macht ich gegen dieses Unerklären Einwendungen; jetzo kann ich sie in eine einzige sieghafte durch den Beweis vereinigen, daß wir eine ganze Klasse unserer Vorstellungen, wenn nicht zu bemerken, doch scharf zu bezeichnen und abzusondern vergessen haben. Denn man erwäge nur die einfache Tatsache: im
Traume halt ich mit einem vor mir da stehenden Menschen, der nach der gewöhnlichen Traum-Erklärung nichts ist als eine Vorstellung, ein Gespräch über einen abwesenden Menschen, welcher noch mehr gleichfalls nur eine Vorstellung ist; was bringt nun in beide Vorstellungen den Unterschied der Sichtbarkeit und der Abwesenheit, den Unterschied der Einwirkung des gegenwärtigen Mannes und der Unwirksamkeit des abwesenden? Der Raum, in welchen man die gegenwärtige Person hineinträumt, erklärt nichts;
denn die abwesende wird auch in einem, obwohl entfernten vorgestellt. - Oder: da der Träumer Vergangenheit und Zukunft scharf von Gegenwart, wie der Wache, auseinanderhält: wodurch tut ers denn, wenn alles nur Vorstellen ist, da dieses, als solches, in der Abgeschiedenheit von äußern Merkmalen nur reine Gegenwart ist? Warum und woran unterscheiden wir im Traume geträumte Erinnerungen von geträumter Wirklichkeit? - So vernehm ich ferner im Traume die fremden Worte, meine eigenen und doch auch
meine Vorstellungen, welche meinen lauten Worten erzeugend vorangehen müssen, und welche ich von diesen doch durch etwas unterscheiden muß. Endlich mit welcher Lebhaftigkeit sucht und folglich denkt der Träumer zuweilen einen Gegenstand, ohne ihn gleichwohl zu finden! - Nach der alten Erklärung hieße dies: wie lebhaft stellt man sich oft einen Gegenstand vor, ohne ihn doch sich lebhaft vorstellen zu können!
Aber es gibt eben nach den Empfindungen und den Vorstellungen noch ein
Drittes.
§ 2
Unterschied der Empfindbilder von den Vorstellbildern
Unter einem Gegenstande und unter der Empfindung desselben ist für uns kein Unterschied; denn was sonst als wieder eine neue Empfindung könnte eine alte von dem Gegenstande absondern? was aber nur hieße, Empfindung nicht dem Gegenstande, sondern nur der Empfindung entgegensetzen. - Von diesen Empfindungen bleiben nun dem Geiste zwei sehr verschiedene Bilder (nicht Nachbilder), erstlich
die Vorstellungen davon, die man auch
Vorstellbilder nennen kann, und die Traumbilder, die ich lieber
Empfindbilder nenne.
Die Vorstellungen sind aber mit ihrer Dürftigkeit der Farbe und des Umrisses in Vergleichung mit den Empfindbildern noch gar nicht tief genug herunter gestellt. Stelle dir irgendeinen alten Bekannten vor: wie fließet das Bild ohne Innenhalten auf und ab, ohne klare Farbe, ohne abgeschnittenen Umriß, kurz, wie ist es, gegen das Spiegelbild des
Traums, nicht etwan ein fester Kupferstich, sondern ein durchsichtiger Schattenriß, ein wallendes Bild im bewegten Wasser! Ist dagegen nicht das Empfindbild von demselben Freund im Traume ein wahres, in allen Teilen festes und reines
Wachsbild? Schließe doch der Leser jetzo vor der eben ihm vorliegenden Blattseite das Auge, und betracht er das matte Bild, das er von ihr nachsucht im Kopfe; oder er stelle sich hinter dem Augenlide die Landschaft um seinen Wohnort vor: welches
Schattengewimmel zerrinnender, farbloser, durchsichtiger, schwankender Gestalten in Vergleich mit der festen lichten Wirklichkeit und der farbigen Traumwelt! Gleichwohl war bisher nur vom klarsten Sinne, dem Auge, die Rede. Je tiefer aber die Sinne einsteigen, desto dunkler werden sie nachgespiegelt. Mache dir die Vorstellung von nur
einem Tone, nicht einmal einer Tonreihe, wenn du kein Tonkünstler bist; und siehe dann zu oder höre zu, ob du dir nicht den Ton bloß im fernsten
Pianissimo und am Ende bloß durch optische Umgebung, ja Verwechslung erneuerst. Diese stummen Vorstellbilder der Töne vergleiche dann mit den leisen Empfindbildern derselben, welche dir aus einer langen Musiknacht bis auf das Kopfkissen, ja bis in den müden Morgen hinein, nachfliegen: welcher Unterschied!
Endlich weiter hinab in der Tierklasse der Sinne, in den Gerüchen, Geschmäcken, Gefühlen, stellen die Vorstellbilder davon so wenig Entschiedenes und so viel Verschwommenes dar,
daß, sogar zwischen Entgegensetzungen, zwischen Wohl- und Schlechtgerüchen, salzigen und lieblichen Geschmäcken und heißen und frostigen Gefühlen kaum ein Unterschied kräftig vortritt, geschweige zwischen den Abstufungen der nämlichen Reihe.
Und dies ist eben recht gut. Denn wie würden die Schwelger der Zunge und des Gefühls, tief von den Weiden der Herden herabgesunken, in Sümpfen grasen, wenn sie ihre Genüsse mit stärkerem Nachgeschmacke wiederkäuen und die Pausen der äußern
Wollüste mit innern füllen könnten; zum Glücke wärmen, außer den Vorstellungen, sogar die Traum- und Empfindbilder jene tiefere Sinnen kälter auf; ein geträumter Geruch, Geschmack, Schlag, Reiz, wie neblich und leer bleiben sie, wenn nicht ein körperlicher Außenstrahl selber in den kalten Nebel zückt und blitzt!
Weniger groß erscheint der Unterschied, daß die Vorstellung ihren sinnlichen Gegenstand in einer unbestimmten dunkeln Ferne ohne bestimmte Raum-Ausfüllung sieht, indes die
Empfindbilder des Traums in der Nähe, in scharf ausgedrückter Nachbarschaft und in vollendet-ausgeführtem Umkreise dastehen. Vor dem Einschlafen hängt jedes Empfindbild dicht vor dir; jetzo im Wachen stelle dir die nächste Sache vor, sie wird wie von einem Hohlspiegel weit ins Tiefe entrückt und einsam aus dem Finstern gespiegelt. Auch verkürzt oder wenigstens durchläuft nur die Vorstellung sinnliche Gebirgketten, die der Traum in einem Halbzirkel umher bauet; welcher Unterschied zwischen einer
gelesenen, vorgestellten oder erinnerten Landschaft und zwischen einer geträumten! und zwar so sehr, daß wieder die Vorstellung von einer geträumten nicht viel farbloser ausfällt als die von einer durchwanderten.
Nirgend erscheint aber so sehr, wie weit Vorstellbilder auseinander gehen von Empfindbildern, als im Dichter. Wie färben, erhellen, gestalten sich ihm mitten im treibenden und anleuchtenden Feuer aller Kräfte nicht alle Vorstellbilder von Menschen und Landschaften, und zwar
ihm gewiß noch farbiger und geründeter als seinen Lesern! Aber wird ihm oder diesen je sein lebendigstes Vorstellbild zu einem vor ihm schwebenden Empfindbilde, sein
Bilderkabinett der Phantasie zu einem
Wachsfigurenkabinett des Traums? Und haben seine in einem fernen Mondscheine liegenden Landschaften das frische Saftgrün und die plastische Breite und Länge geträumter Landschaften? -
Noch weniger erhalten wir Leser durch die allmählich zusammenlötende Wörtermusaik
des Dichters eine dichte Anschauung; wir glauben durch ihn die Gegenstände zu empfangen und zu schauen, indem er uns blos die Empfindungen zu genießen gibt, welche ihnen folgen. Die Ätherwelt des Dichters muß sich erst verdichten zur Wolkenwelt des Traums; in jener sind wir Schöpfer, in dieser Bewohner; jene schwebt uns als ferne Vergangenheit und Zukunft hoch oben, diese umfließt uns mit Gegenwart.
Wenn Raffael in einem bekannten Briefe eine Idee für die Juno und Eva oder Götter- und
Menschenmutter seiner hohen Gestalten erklärt: so kann er damit nicht eine flache zusammengebettelte oder auch dichterische Vorstellung gemeint haben; denn aus bloßen Gliedern der Schönheit bauet man keine Ideale, weil man schon das vollendete Urbild gesehen haben muß, nach welchem man die entlehnten Glieder zusammenfügt zu einem Nachbilde. Aber diese urbildliche Schönheit hat eben der Götterjüngling einmal - mehr braucht es nicht - wirklich gesehen, nämlich als ein Empfindbild, es sei in einem
Traume, oder vor dem Einschlafen, oder in irgendeiner andern Rauschminute, welche, wie wir im nächsten Paragraphen sehen werden, die verschiedenen Empfindbilder blitzend schafft und zeugt; von diesem Empfindbilde behielt Raffael nun, wie wir aus unsern Träumen, die Vorstellung oder das Vorstellbild, und aus dem Schattenriß dieses Polyklet-Kanons suchte er das Götterbild wieder herzustellen. Sogar der Verfasser dieses, dessen Anlagen und Triebe am weitesten von allen malerischen abliegen, wurde
oft in Träumen von Gesichtern und besonders von Augen angeschauet, deren Himmelreize er nie auf dem tiefen Erdboden der Wirklichkeit gesehen, und von welchen ihm nun das Vorstellbild fest bleibt.
Der Traum schafft, so wie im Gräßlichen, so im Schönen, weit über die Erfahrungen, ja über die Zusammensetzungen derselben hinaus und gebiert uns Himmel, Hölle und Erde zugleich.
Der tiefe Stand auch der lebhaftesten Vorstellungen unter auch nur gewöhnlichen Empfindbildern zeigt
sich uns in den immer wachen Wahnsinnigen, vor welchen ihre fortbrennenden Wahngedanken sich niemal zu Traum- oder zu Außenbildern verdichten. Ja die quälende oder sehnsüchtige Vorstellung von einem Verstorbenen stellt doch dem Furchtsamen oder dem Weinenden kein Empfindbild von ihm in das Außen.
Der letzte Unterschied zwischen Vorstellung und Empfindbild ist der, daß du zwar nach Willkür eine bestimmte Reihe Vorstellungen kannst vorüberziehen heißen, daß du aber nicht vermagst, das
Aufsteigen bestimmter Empfindbilder aus dem dunkeln Geister-Abgrunde zu befehlen oder zu verwehren, und daß du höchstens in gewissen körperlichen Begünstigungen, bei langer Schlafentziehung oder bei Erhitzung durch Trunkenheit und Fieber, im Stande bist, Gestalten, aber unbekannte, vor dir emporfahren zu lassen, von welchen du nicht weißt, ob sie dich erschrecken oder erfreuen werden.
Noch sind wir nicht am Ende; denn wir haben vorher die Stufenfolge der Empfindbilder zu verfolgen, um
dann die Erklärung ihrer und der Träume zu gewinnen.
§ 3
Stufenreihe der Empfindbilder
Man kann drei Arten dieser Empfindbilder aufzählen, wovon die beiden stärkern in das Wachen fallen. Zuerst treten kräftig mitten in die helle Gegenwart mit festen Farben die Fieberbilder auf; ferner die Gestalten, welche um Nikolai und andere gaukelten; endlich das Selbersehen und das Sehen abwesender Freunde. Cardanus versicherte, er könne im Finstern sich Menschen hinspiegeln,
welche er wolle, so wie er immer einen Mond am Taghimmel zu sehen behauptete.
Da bekanntlich alle diese Gestalten nicht von außen durch die Sehnerven kommen, nicht einmal durch einen Augapfeldruck derselben - denn diese Mechanik könnte wohl Funken und Farben, aber nicht bestimmte Bilder malen und ründen -; und da hinter der Netzhaut kein Licht steht und wirkt: so kann bloß das Gehirn, als Organon aller Organe (wovon später), diese Empfindbilder gestalten, und zwar mit einer
solchen Gewalt, daß dasselbe mit seinen von innen kommenden Gesichten die Netzhaut der Sehnerven gegen die von außen kommenden entkräftet und sperrt; denn der Wahnmensch, den wir vor uns sehen, muß doch, um zu erscheinen, den Raum einnehmen und überdecken, aus welchem sonst wahre Strahlen und Gestalten zu uns kommen würden. Diese umkehrende oder aufhebende Rückwirkung des Gehirns auf die Sehnerven ist übrigens von einer größeren physiologischen Wichtigkeit und Dunkelheit, als man bisher gedacht,
und die umgekehrte Bewegung des Magens zum Erbrechen ist leichter erklärt. Das Auge wird nicht übertäubt, geblendet, blind gemacht, sondern es sieht wirklich, aber das Innen statt das Außen, und jenes Innen mitten im Außen, ja letztes selber mit, aber als Einfassung und Umgebung, nur eben ausgenommen die einzelne daraus vernichtete und ausgelöschte Stelle. So sah jener Mann, nach Bonnet, wachend um sich Gebäude und Vögel entstehen und immer höher steigen und auf den wirklichen Tapeten
scheinbare Gemälde hervortreten.
Übrigens ist es am wenigsten ein Wunder, daß die Gehirn- oder Empfindbilder wie von einem Hohlspiegel in die Außenwelt geworfen erscheinen; denn diese optische Außenwelt, d. h. die Gesichtwelt selber, wird bloß von den Sehnerven in den Gehirnkammern aufgebauet und ausgewölbt.
Die zweite Art Empfindbilder sind die, welche nicht in die Tages-Wirklichkeit sich drängen und mit den Farben der Gegenwart zu streiten haben, sondern welche
dem zwar geschloßnen, aber wachen Auge kurz vor dem Einschlafen oder in Erhitzungen und Ermattungen und am stärksten in schlaftrunknen und schlafdurstigen Nächten vorgaukeln. Zu den letzten braucht man nichts als einen sächsischen Postwagen samt dem Wege dazu, um hinter den fruchtlos, schlaflos zufallenden Augen und bei den von Martern offengehaltenen Ohren und Gefühlen feste, für sich bestehende Gestalten, d. h. Schaubilder, wild und unbezwinglich heran und vorüber schweifen zu sehen.
- Auch in den ruhigern gewöhnlichen Schlaf geht man durch diese kurze Bildergalerie ein, so wie wieder aus ihm durch eine längere.
- Und hier betreten wir das Gauklerreich des Traums, wo die Empfindbilder gewöhnlich einsam auf ihrer Bühne, ohne ein durch die Kulissen einfallendes Taglicht äußerer Empfindungen, spielen.
Eh wir uns weiter den Quellen des Traums nähern, wollen wir uns noch erinnern, daß unter den Empfindbildern nicht bloß die des Auges, sondern auch des Ohres
beschrieben und verstanden worden. Nur einiger Unterschied macht die besondere Erwähnung nötig: Allerdings ist das Hörbild (das Geschöpf des Gehirns) schwieriger von der Hörempfindung (der Tochter des Nerven) zu scheiden, da der Ton an keinem bestimmten Orte, sondern aus einer unsichtbaren unberechneten Ferne erscheint, so daß, wenn von einer sich entfernenden Musik immer leisere Töne zu uns zittern, wir die leisesten, also die fernsten nicht mehr von unsern innern, also nächsten scheiden
können. Das Ohr ist überhaupt die Tiefe der Seele, und das Gesicht nur ihre Fläche; der Klang spricht die tief verborgne Ordnung unsers Innern an und verdichtet den Geist; das Sehen zerstreut und zerlegt ihn auf Flächen.
Übrigens sind Empfindbilder des Ohres so wenig mit kurzen Nachklängen, mit Ohrenbrausen oder mit jenen plötzlichen Knällen im Halbschlafe, welche im vielhallenden Ohrgebäude ein einziger wilderer Pulsschlag an die Nerven erzeugt, zu verwechseln als mit Empfindbildern
des Auges die Funken und Flocken, die ein kleiner Wasseraderndruck hervortreibt. Denn Töne (wie Gestalten) können in regelmäßiger Form und Folge nicht vom rohen mechanischen Blutdruck auf die Nerven, der nur Unbestimmtes von Klang (wie von Farbe und Feuer) anregt und behält, geliefert und geschaffen werden, sondern es kann da, wo wir z. B. in einer langen, durch die Frühnacht und den Morgen nachtönenden Nachtmusik oder in dem seltsamen Glockenspiele von Wahnmelodien, welche zuweilen
nervenschwache Mädchen im Wachen hören - oder sogar in den Wahngesprächen, welche der Fieberkranke um sich her vernimmt - (kaum zu gedenken der Stubenvögel, welche nach Bechstein im Traume ihre langen Lieder absingen) - es kann also da, wo ein Nachhall der Regel die Reihe ordnet, derselbe nicht im leidenden und aufnehmenden, nie behaltenden Nerven zu suchen sein, sondern im Gehirne, das allein, z. B. als Gedächtnis, die schwierigern längern Befehle des Geistes bewahrt und vollzieht.
Außerhalb des Traums kommen uns Empfindbilder öfter von Tönen als von Reden und Schällen vor; nach einer Musiknacht kann die bewegte Seele sich willkürlich die Melodien, aber nicht die Gespräche wiederklingen lassen; denn wie sehr der Musikton, die Poesie des Klanges, so tief mehr in uns als um uns zu spielen und unter allen Empfindungen von uns mehr geschaffen als empfangen zu werden scheint, beweiset die schon angeführte Erfahrung, daß wir an einem Singen und Flöten, das
in immer weitere Ferne verfließt, gerade mit dem gespanntesten Ohre die letzten aussterbenden Töne von Außen nicht von den nachsterbenden von Innen sondern können.
Selten treten ins Wachen Empfindbilder des Auges und des Ohres zugleich hinein; die meisten Gespenster-Erscheinungen sind ohne Stimme und die Gespenster-Klänge ohne Gestalt. Nur Swedenborg sah und hörte zugleich die Empfindbilder in der lichten Gegenwart um sich, welche sonst im Dunkel des Traums ohne unser
Verwundern so erscheinen und so sprechen, wie wir es veranstalten. Seine Erscheinungen enthalten zwei Eigenheiten mehr als die Nikolaischen und andere, nämlich ihre bestimmten Reden und ihre ewige Wiederkehr bei völliger Ruhe der Gesundheit. Beides aber hat auch der Traum; und vor Ruhigen an Leib und Seele sind, wie schon bemerkt worden, öfter innere Gestalten außen aufgesprungen als vor Furchtsamen.
Die Empfindbilder des Fühlsinnes sind, seltsam genug, Schein und Wahrheit zugleich.
Wenn nämlich, wie die medizinische Geschichte Beispiele liefert, auf den Hautstellen durch bloße scharf dahin gerichtete Gedanken von Verletzungen diese wirklich entstanden: so konnten nicht die Gefühlnerven einen Stoff zur Empfindung rückwärts aus dem Gehirne abholen, um diesem eine wieder zuzuführen, sondern das Empfindbild entstand und blieb im Gehirne, und alles Übrige ist allgemeine Nervenfolge, woran freilich endlich auch die Gefühlnerven Anteil nehmen.§ 4
Über
den Schlaf als negative und positive Stärkung
Der Schlaf ist schwerer zu erklären als der Traum. Ich hab es früher bewiesen, als ich es in Walthers Physiologie wieder fand, daß der Schlaf nicht sowohl das Stärkbad des ganzen Körpers oder auch der Muskeln - denn die unwillkürlichen arbeiten fort, und die willkürlichen erholen sich von der Ermüdung schon durch waches Ruhen -, sondern die Erfrischung des Gehirns ist, insofern es in geistigem Dienste steht. Ich sage
nicht in körperlichem; denn die Gehirnkugel im körperlichen, als nährende Suppenkugel des Rückenmarkes und aller forttätigen Nerven desselben, muß ihnen ja während ihrer Arbeit im Schlafe mit seinem beseelenden Hauche beistehen.
Keinem Körperteile aber ist die Wiedergeburt der Kräfte unentbehrlicher als dem Gehirne selber, das nicht bloß als der geistige Koch und Arzt aller Nerven und also aller Glieder dient, zugleich als Einnehmer und Ausgeber, sondern auch der nächste und einzige
Diener am Throne des Geistes ist; der unaufhörliche Mittler zwischen ihm und den Sinnennerven und der leibliche Mitarbeiter an den unausgesetzten willkürlichen Arbeiten des Ich. Wovon soll nun das Gehirn leben? Etwa von dem sogenannten Nervengeiste, den es, als den über den Wassern schwebenden Geist, aus dem ausströmenden Blute abscheidet und aufsaugt, um mit ihm die Nerven zu tränken? - Aber so gehört wenigstens zu dieser Abscheidung und Verarbeitung der feinsten Flüssigkeit, die wir nur (und
kaum) kennen, eine noch höhere Kraft, welche auch ihrer Ergänzung bedarf.
Beschauen wir daher zwei Vorzeichen und Mitzeichen des Schlafs, um in ihm die doppelte, die negative und die positive Stärkung des Gehirns zu entdecken.
Die negative Stärkung quillt aus dem freiwilligen Innehalten der geistigen Anspannung und folglich der mitziehenden zerebralen (hirnigen). Nur der Geist hat die Kraft, plötzlich seine Kraft aufzuhalten und aufzuschieben,
so wie auch aufzurufen Der Mensch, der einzuschlafen sich entschließt, sagt zu sich: ich will jetzo weder Gedanken mehr fortbilden, noch Empfindungen anschauen, sondern mich und meinen entwaffneten geistigen Arm ganz dem weltlichen des Körpers überlassen. Eigentlich aber entscheidet mehr das freiwillige Abwenden vom Denken hier als vom Empfinden. Denn im Finstern und Stummen und in dem Leerraum aller Sinne (auch des Gefühls, das bei einer Fortdauer ohne Wechsel keines mehr bleibt) würde sich der
Geist, ohne den Entschluß zu eignen Denk-Pausen, doch noch wach erhalten, so wie er mitten im Sinnentreiben sich durch das wunderbare Innehalten seiner Gedankenjagd einzuschläfern vermochte.
Es wird gar nicht genug betrachtet, daß unser Entschluß, die Vorstellungen nicht zu reihen und mithin zu schaffen - während das Entschließen und also das Vorstellen fortdauert -, eine ganz andere Reihe von Vorstellungen einläßt, an welcher wir mitwirken, aber mehr empfangend als
bestimmend; jene erste und das mithelfende Gehirn beherrscht und richtet der Geist nach einem Punkte; diese zweite ist die von den Gehirnkammern unter körperlichen Zufälligkeiten und falschen Lichtern verworren gespiegelte erste geistigere.
Würde das tägliche Nachtstück unseres Lebens, der Schlaf, eben nicht täglich erneuert: so würde uns dieser flüchtige Doppelselbermord des Leibes und Geistes (mitten in allem Kraftblühen beider) bloß durch ein kurzes Wollen als Wunder
erscheinen. Die Allmacht des Willens erscheint vielleicht nicht stärker, wenn er dem schwachen Körper Riesenstärke gibt, als wenn er durch seine Selber-Abspannung den starken zum Schlafe entkräftet und betäubt.
Ist es unbedeutend, daß ein bloßes Wollen oder ein Gehenlassen die Sinne allmählich erstickt und ertränkt und die gesündesten Augen und Ohren zu wahren blinden und tauben Scheinleichen macht? Denn beweiset dieses nicht, daß der Sinn früher vom Geiste Leben empfangen muß, eh er
ihm anderes bringen kann? - Die Sinne werden durch Einschlafen nicht von Außen geschlossen (Ohr, Nase, Zunge und Fühlhaut haben keine Deckel wie das Augenlid), sondern von Innen im Gehirne; - den entblößten Augapfel des Nachtwandlers reizt kein Licht; den magnetischen Schläfer reizt bei seinen bedeckten Sinnen keine andere Gegenwart als die vom Magnetiseur vermittelte. Das Aufschlagen der Augenlider bedingt nicht an sich das empfindende Erwachen - andere Sinnen haben ja gar keinen Sinnendeckel
aufzumachen -, sondern das Bewegen der Augenlider ist schon Kraftfolge des Erwachens.
Auch dieses Unvermögen der Bewegungen der willkürlichen Muskeln - wovon weiter unten noch mehr - gehört als Ausruhen der Tätigkeit zur negativen Stärkung im Schlaf. Aber eben diese Entspannung bereitet einer positiven Stärkung den freieren Weg. Auch hier stoßen wir auf eine Wundersamkeit, daß nämlich, wenn sonst in der Regel alle Entbehrungen, z. B. der Hunger, der
Durst, die Ermüdung, der Frost, durch einen Schmerz ihre Befriedigung gebieten, gerade die Entbehrung und Sehnsucht des Schlafes - mehr den Ausleerungen ähnlich, von welchen auch die kleinste, z. B. das Niesen, sich mit einiger Lust abtut - mit einem besondern, das Gehirn durchziehenden Reiz empfunden wird. Dieser wachsende Reiz, dieser wache Vorgenuß des Schlafs ist so süß lockend, daß man für ihn das Leben wagt, wie Reisende an den pontinischen Sümpfen und Reisende im tödlichen Froste
beweisen, welche, weniger von Mattigkeit als vom Schlummerreize überwältigt, sich mit Bewußtsein dem Sterben auslieferten. Da nun eigentlich weniger das Schlafen als Einschlafen genossen wird: so muß im Gehirne durch die körperlichen Bedingungen des Schlafes schon die positive Stärkung des Schlafes anheben, deren Erquicken eben ein Trinken aus dem Lethebecher ist, das man dem Durstigen durch Wegreißen des Bechers unterbricht. Empfundene Schläfrigkeit ist von empfundener Schlaflosigkeit wie
anfangendes Genießen von verweigertem oder wie Kredenzen von Dursten verschieden.
Aber dieses positive Stärken und dessen süßes Gefühl ist in etwas anderem zu suchen als in dem Einsaugen des frischen Nervengeistes, welches ja den ganzen Tag ungefühlt fortdauert. Die Wiederherstellung des ganzen heitern Kraftgefühls, die manche durch einen Mittagschlaf von wenigen Minuten gewinnen, erlaubt überhaupt keine Annahme eines mechanischen trägen Wässerns durch Blut und durch Niederschlag
daraus.
Auch der Magnetiseur verrichtet seine Heilwunder nur durch den so kurzen Schlaf, in welchen er seine Kranken bringt und wiegt, aber nicht durch das gesprächige Traumwachen, welches nur das Kraftkind jenes Schlummers ist, und das sogar durch zu lange Pflege wieder feindselig sich gegen die Genesung umwendet. So ist in der gemeinen Nacht ein frohes Träumen gesund und ein geistreiches ungesund oder zurücknehmend.
Hier bring ich meine alte Bemerkung mit neuer Anwendung
wieder, daß der Schlaf gerade unter entgegengesetzten Vätern wechsle, indem ihn zugleich Blutverlust und Blutfülle erzeugen - erschöpfende Tortur und ertränkender Wein - ausraubender Frost und überfüllende Hitze - warmes Fußbad und Blutschwindel (Plethora), wovon jenes dem Gehirne Blut abnimmt, dieser es zuhäuft - Grames- oder auch Alters-Entkräftung und Lebens-Überfüllung durch Tierheit und Kindheit. Man könnte darnach auch zweierlei Träume annehmen, sthenische und asthenische; so daß sowohl
Aristoteles Recht hat, der ungewöhnliches Träumen für ein Erkrankzeichen erklärt, als daß die Griechen, welche den Aeskulap den Traumgeber nannten, und Haller nicht irrten, welcher gewisses Träumen, z. B. zu fliegen, für Wirkung größter Gesundheit hielt.
Wenn wir übrigens annehmen, daß das stärkende Einsaugen oder Einströmen im Schlafe sich auf die drei Dimensionen und Instanzen des Lebens, die magnetische, die elektrische und die galvanische Materie, beziehen; und wenn wir dieses bei
dem gemeinen Schlafe umso leichter in kleinerem Grade wiederfinden, da wir es schon bei dem magnetischen in höherem gefunden: so kann uns die Entgegensetzung der Zustände, in welchen wir die Neigung zum Schlafe, also die Vermögenheit zum stärkenden Einsaugen zeigen, auf die polarische Entgegensetzung der beiden Elektrizitäten, Magnetismen und Galvanismen hinweisen.
Nur als flüchtigsten Gedanken werf ich die Frage her, ob das seltsame Doppeltsein aller Gehirn-Teile, ein Doppel-Sinn in schönerem Sinn, nicht bei dem zweispännigen oder widerspännigen Doppelwesen der Schlafbedingungen und Schlafstärkungen zum Erklären zu nutzen sei. Jedoch wäre wenigstens die Antwort keine, daß diese Doppelheit durch alle Nervenpaare, Sinnen, Lungenflügel, Herzkammern und Systeme regiere und sogar das Rückenmark zerhälfte, das (nach
Gall) aus jeder Hälfte acht Nervenbündel zum Hirnhautgewebe aufschickt; denn eben das Flügelpaar, womit das Gehirn sich und das Leben hebt, muß im wichtigsten und ersten Organ des Lebens die größte Bestimmung und Bedeutung haben und erst durch die eigne die der anderen Paare entscheiden.
Wenn wir den Schlaf als das Kordial des Gehirns (oder das Schlafkissen als das ladende elektrische Kissen desselben) betrachten, so dringt sich uns die seltsame labyrinthische Gestalt dieses einzigen
Gliedes am Leibe - wenn nicht vielmehr der Leib nur dessen Glied ist - zur Erforschung seiner stärkenden Nilquellen auf. Die Gehirnkugel - das heilige Menschenglied, die Himmelkugel auf dem Rumpf-Atlas - ist in ihrem Zusammenbau wirklich dem ägyptischen Labyrinth ähnlich, das unter der Erde so viele Gemächer und Paläste hatte als unter dem Himmel; denn nur im Gehirne findet ihr das uneinige Gestaltenlabyrinth, Kugeln-Hügel, Höhlen, Netze, Bündel, Knoten, Kanäle, Brücken, Trichter, Balken,
Sicheln, Äste, Blätter, dann außer der weißen und grauen Substanz noch eine gelbe im hintern Lappen des großen Gehirns und eine schwarze in den Markbündeln - und endlich den gelben Sand in der Zirbeldrüse und die Wasser in den Höhlen. Diese Pantheon-Rotunda, worin alle Götter- und Heiligenbilder des Menschen stehen, kann doch, da schon jede kleinste Gefäßbeugung einsaugend oder abscheidend dient, mit so vielfachen Zurüstungen nicht blos an den Adern, noch für die Nerven
saugen wollen, sondern muß sich gegen eine Sonnen- und Morgenseite einer ganz andern stärkenden Himmelluft atmend eröffnen, als wir bisher in der Scheidekunst kennen, dieser Vorläuferin der Bindekunst.
Immer bleibt uns das Gehirn eine Pyramide voller Gemächer und Gänge, aber ohne Fenster und Türen, auch wenn es Gall vor unsern Augen in eine glatte Haut ausplattet; denn von den Nervenscheiden an bis zu dem Faserngewebe vertrockneter Blutkügelchen ist ja alles durchlöchertes
Haut-Netz flüssiger Perlen und flüchtiger Perlenessenzen. Wer wird an Blutkügelchen messen, oder gar an Gehirnkügelchen? Gleichwohl wurde das zergliedernde Messer der Messer und weidete den Satz heraus, daß ein Gehirnkügelchen achtmal kleiner ist als ein Blutkügelchen. Das Geistige übrigens wird durch alle diese körperlichen Lichter nicht erhellt; der Kreis des Geistes wird von keiner Quadratur des Körpers beschrieben und berechnet.
Unter den Erscheinungen des Schlafes steht eine
gewöhnliche, aber doch nicht unerläßliche, die Abschneidung des Geistes und Gehirns von den willkürlichen Bewegungen. Der Nachtwandler und der Magnetschläfer behalten die Gliederherrschaft. Doch das Regen, Wenden, Herumwerfen der Schläfer gehört vielleicht mehr jenen Zuckungen an, die auch an Tieren und Menschen nach dem Verluste des Gehirns erscheinen. Man schaue in seine Träume zurück, so wird man finden, daß in ihnen, obgleich sie alle Sinnen nachspielen, sich oft starkes Zuschlagen mit der
Hand in matte markleere Versuche verwandelt, eiliges Entlaufen in gehemmtes Schreiten, und Schrei-Anstrengung in leises Gestöhn. Hat man vollends, wie der Verfasser dieses, Wahl- oder Halbträume (wovon nachher), worin man sich nicht nur des Träumens, sondern auch der Herrschaft über dasselbe bewußt ist, und versucht man darin die Selberaufweckung aus diesem zwar nicht heiligen, doch schuldlosen Grabe: so wird man bei dem Bestreben, die Glieder zu regen, Ohnmacht oder Ungehorsam finden, bis
endlich der gesteigerte Wille die Scheidewand zwischen sich und den Nerven umwirft. Seltsam genug! Denn hier am Ende des Schlafes und Morgentraums besteht neben aller hergestellten Kraft des Gehirns noch die Gebundenheit ohnmächtiger Empfind- und Beweg-Nerven, welche gleichwohl durch einen Zuck und Ruck des Erwachens ohne Spuren verschwindet.
Noch stärker treten als Gegenspieler der Nachtwandler, die nicht empfinden, aber sich bewegen können, die Scheinleichen auf, welche den
Zurüstungen ihres Begräbnisses zuhören, aber keine Glieder zu heben vermögen. Desto sonderbarer ists im kleinen wie im größern Scheintod, daß die Steigerung des Willens, die sonst Zentner hebt, nicht das für ihn gewichtlose hebende Glied selber regen kann.§ 5
Wunderbarer Übergang vom Schlafe ins Bewußtsein und von dem träumerischen in das wache
Ich erwähnte oben meiner Wahl- oder Halbträume; ein Wort sei zu ihrer Beschreibung erlaubt. Wenn ich mich
nämlich gegen Morgen mit Gewalt durch meine psychologische Einschläferkünste wieder ins Schlafen gezwungen, so bringt mich gewöhnlich ein vorausgehendes Träumen, worin ich eine Sache nach der andern unter dem Suchen verliere, auf den Gedanken und Trost, daß ich träume. Die Gewißheit, zu träumen, erweis ich mir sogleich, wenn ich zu fliegen versuche und es vermag. Dieses Fliegen, bald waagrecht, bald (in noch hellern Träumen) steilrecht mit rudernden Armen, ist ein wahres wollustreiches
stärkendes Luft- und Ätherbad des Gehirns; nur daß ich zuweilen bei einem zu geschwinden Schwingen der Traum-Arme einen Schwindel spüre und Überfüllung des Gehirns befürchte. Wahrhaft selig, leiblich und geistig gehoben, flog ich einige Male steilrecht in den tiefblauen Sternhimmel empor und sang das Weltgebäude unter dem Steigen an. Bei der Gewißheit unter dem Träumen, alles zu vermögen und nichts zu wagen, klimm ich an himmelhohen Mauern beflügelt hinauf, um droben plötzlich in eine weite
reichste Landschaft hineinzublicken, weil - sag ich mir - nach den Vorstellgesetzen und den Traumwünschen die Phantasie durchaus den rundumher liegenden Raum mit Gebirgen und Auen füllen muß; - und sie tut es jedes Mal. Zu Höhen arbeit ich mich hinauf, um mich von ihnen zum Vergnügen herabzuwerfen; und noch erinnere ich mich des ganz neuen Genusses, als ich mich von einem Leuchtturm ins Meer gestürzt hatte und mit den unendlichen umspülenden Wellen verschmolzen wogte. In solchen Halb- oder
Wahlträumen denk ich immer an diese Traum-Theorie und koste Speisen, um zu prüfen, ob im Traum wirklich der Geschmack so leer und luftartig ausfalle, als ich nach ihr annehme. Außer schönen Landschaften such ich darin, aber immer im Fluge (das bleibende Zeichen eines Wahltraums), noch schöne Gestalten, um ihnen ohne Umstände in den Augen der größten Gesellschaft um den Hals zu fallen, weil diese Gesellschaft eben nur mein Traum ist; leider flieg ich aber oft lange nach ihnen vergeblich herum,
so daß ich mich einmal in einem Dorfe des Kunstgriffs bediente, zwei sehr schöne, aber nie gesehene Gräfinnen zu mir rufen zu lassen, weil die Guten, sagt ich, von der nun zum Schönfärben durch das Traum-Erwarten gezwungenen Phantasie durchaus reizend-gesponnen eintreten müssen; - wiewohl darauf weder Grazien noch Furien erschienen, sondern, wie öfters, der Traum unaufgelöset in einem andern verstarb. Oft vergleich ich im Halbtraume diesen selber mit dem magnetischen Traume. Zu manchen Gestalten
sag ich, aber in einer erhabenen Qual: »Ich wecke mich, so seid ihr ja vertilgt«; so wie ich einmal mit diesem Bewußtsein des nichtigen Bestandes mich vor den Spiegel stellte und fürchtend sagte: »Ich will sehen, wie ich im Spiegel mit geschloßnen Augen aussehe.« So greift tiefer Traum und durchsichtiges Schein-Träumen, Festes und Flüchtiges unaufhaltbar und sinnlos durcheinander, und der arme Geist, welcher zu beherrschen und sich zu besinnen glaubt, wird von zwei Wellen zwischen den
Ufern zweier Welten geworfen.
Da nun diese Wahlträume mir, so weit ich sie erschaffe und regiere, nur ein schönes stärkendes Sein gewähren: so wach ich darin ganz besonders gegen das Wachwerden, wenn ich durch das halbwache Ohr mein stärkeres Atmen oder fremde Gassentöne höre, und ängstige mich vor dem Versinken meines Paradieses durch ein helleres Bewußtsein.
In solchen Halbträumen dacht ich über das mir darin so gewiß beiwohnende Bewußtsein nach, das man dem Schlaf
absprach, und hielt dasselbe gegen das künftige Bewußtsein des Wachens; begriff aber durchaus nicht, wie ein helleres hinter dem eben gegenwärtigen nur möglich sei. Ja einmal träumt ich, zu erwachen und wirklich das hellere zu bekommen. Aber endlich sprang, wie durch eine Feder, plötzlich die Türe zwischen Außen und Innen auf, und die Welt lag unvermittelt im weiten Taglichte eines neuen Bewußtseins. Nur langsam verdunkelt sich im Einschlafen das Bewußtsein, hingegen plötzlich strahlt es auf bei
dem Erwachen. Ein wahres Wunder, obgleich ein Alltag- und Allnacht-Wunder. Etwas steht da, wie ein Bühnen-Vorhang, nicht bloß zwischen Geist und Nerve oder Außenwelt, sondern zwischen Geist und Selber-Bewußtsein. Welche Kraft zerreißt den Vorhang? - Der übernachtende Geist selber ringt nach Öffnung der Welt und sucht durch willkürliches Bewegen der Körperglieder den Grabstein abzuheben von seiner Gruft - - und nach einer rechten willkürlichen Bewegung gelingt es plötzlich, und das Bewußtsein
erglänzt, und alle Sinnen stehen wieder offen. Wenn aber ein Stoß des Geistes die Pforten nach Außen sprengt: so ist doch das Bewußtsein nicht Wirkung, sondern nur Bedingung der hergestellten äußeren Empfindungen; denn ein Mensch, dem künstlich alle Sinnenzufuhr abgeschnitten wäre, träte doch erwachend ins freie Reich des Bewußtseins.
Daher ist die unbegreifliche himmlische Helle des Bewußtseins im Wachen nicht die Geburt des regelmäßigen Fortbestandes der äußeren Dinge;
auch an der gesetzmäßigen Reihe innerer Veränderungen, ja an der Regellosigkeit des Traumzuges könnte sich ebenso gut das feste Stehen des Ich abspiegeln. - Dieses köstliche, im Wachen sich sonnende Bewußtsein können wir in dem alles verklärenden Mondscheine des Magnetismus nicht einmal wiederholt, noch weniger überstrahlet zu finden hoffen. Denn immerhin versichere der Magnetschläfer, sich des wachen Bewußtseins zu erinnern, so glaubt dasselbe ja der dunklere Schläfer im Traume auch von sich;
und erwacht kann der erste das magnetische, da er es vergessen, nicht gegen das wache berechnen. Auch das tiefere Erinnern und Heraufholen untergesunkener Zustände hat mit dem Magnetträumer der Alltagträumer, nur in kleinerem Grade, gemein; und dieses tiefere Erinnern, so wie Scharfsinn, Phantasie und Witz, sind (wie auch im gemeinen Traume) weder Kinder noch Väter des Bewußtseins. Vielleicht wird eben durch die Verfälschung des Bewußtseins auch der leiseste Rausch, wenn er auch alle andern
Kräfte steigert, uns zuwider.
Das wahre Bewußtsein - dessen Trübung im Seelensarge des schlafenden Leibes mich immer trübe macht - ist das wahrhafte Gottähnliche am organisierten menschlichen Erdenkloß, und über dieses gleichsam absolute Bewußtsein hinaus können wir uns nicht erheben zu einem noch höheren helleren, obgleich das Bewußtsein Stufen vom Kind zum Manne, vom Traume zum Wachen besteigt. Muß ja sogar das Tier seinen Traum von seinem Wachen durch etwas unterscheiden!
An diesem Sonnenglanze des Bewußtseins muß es liegen, warum wir ein geträumtes Freuen oder Leiden nicht einmal nur vergleichen mit einem wach erlebten, bliebe auch von jenem, wie von diesem, keine weitere Spur zurück als im Gedächtnis. Indes bleibt eine freudige Feerei der vier Gehirnkammern uns mit mehr Nachgenusse zurück als ein frère terrible von Traum uns mit Nachschrecken. - Gespenstererscheinungen, Todesverurteilungen, neue gräßliche Tiere und vorspringende Gorgonenhäupter des Traums
werden ohne geistige Erstattung und ohne Nachwehen des Körpers erlebt und ertragen; und noch niemand ist vor Schrecken im Traume gestorben, obgleich letzter den Menschen noch dazu, ihn immer in die Jahre und Ängstigungen der Kindheit zurückdrängend, waffenlos und entkleidet, gleichsam im Hemde, allen Stoßwinden und Stoßzähnen entgegenführt und unterwirft. - Meine Behauptung wird nicht umgestoßen, nur gemildert, wenn man mit Recht dazusetzt, daß die Traumqualen uns weniger erschüttern, weil sie
flüchtige Blitze aus blauem Himmel sind, indes die Gewitter des Wachens uns durch ihr langsames Heraufziehen und Auseinanderfalten und Fortschlagen überwältigen.
§ 6
Die vier Mitarbeiter am Traume
Obgleich vor und unter dem Einschlafen, durch welches das Gehirn sich mild von der Außenwelt ablöset, einige Empfindbilder, aber mit Bewußtsein, vorgaukeln, weil das Abbrechen der Empfindungen und Vorstellungen dasselbe mit einem kurzen flüchtigen Reize entzündet, so faltet es sich doch endlich bald zum dicken Schlafe zusammen, den keine Träume aufblättern. Zwar glaubt Kant, jeder Schlaf beherberge Träume, weil sie als
geistige Träger und Wecker des Lebens notwendig seien, und die Abwesenheit bewußter Träume schließe bewußtlose nicht aus; aber er behauptet hier von geistigen Anreizen, was Boerhave von körperlichen, nämlich das von Träumen, was dieser von den im Schlafe stechenden Bedürfnissen der Ausleerung glaubt, ohne welche, d. h. ohne deren Fühlen, nach seiner Meinung der Mensch niemals aus dem längsten Schlafe herauskäme, sondern nur in den ewigen hinein. Man frage Boerhave: warum wecken später Reize,
welche doch früher, wenn auch in ihrem kleinern Grade, einzuschlafen erlaubten? So frage man Kant, inwiefern dunkelste unbewußte Träume und Vorstellungen gerade dem scheintoten Körper im tiefsten Schlafe das Leben fristen; denn er muß ja zuletzt von so dunkeln Vorstellungen sich beleben lassen, daß wir von ihnen keine mehr uns machen können, wenn wir lebenerhaltende Träume dem Schlafe des Fötus, dem Schlafe der Tiere und deren Winterschlafe leihen wollen. Allerdings belebt eine geistige Kraft
fort, und die Wechselwirkung zwischen Leiblichem und Geistigem kann keinen Augenblick abbrechen, oder sie wäre unwiederherstellbar; aber wirkt denn das Geistige nur durch Denken, nicht auch durch Wollen und durch Widerstand?
Die Träume sind die ersten Blumen des vom Schlaftau gestärkten betauten Gehirns, so wie das Hellsehen die Frucht des durch den Kunstschlaf mit Lebenkraft geladenen Nervensystems. Daher die Träume gewöhnlich am Morgen erscheinen, oder überhaupt an jedem, auch von
Innen gemachten Ende des Schlafs. Man darf folgerecht annehmen, daß jeder Schlaf, der nicht vorzeitig von Außen abgebrochen wird, nur durch das Interim oder Helldunkel des Traums, und sei es der kürzeste, in das Wachen sich webe, und nur aus Unbewußtsein des Schlafes leihen wir dem Traum dessen Dauer. Wenn der längste Traum vielleicht in einer Viertelstunde zu erzählen ist: so muß er ja mit seinen geistigen Gestalten in kürzerer Zeit durch die Seele gezogen sein als die schleichenden Worte in
das Ohr. Eine verträumte Nacht erfoderte mehr als einen erzählenden Tag.
Man ist aber zu dem so offenbaren und doch so alten Irrtum über die Länge der Träume durch eine Verwechslung ihrer Gestalten mit den wirklichen gekommen. Denn die Traumgestalten halten als Empfindbilder so wenig vor dem Geiste eine Minute lang still und standhaft als irgendeine Vorstellung, die sich unter dein Beschauen zugleich zerteilt, zergliedert und paart; daher im Traume Gesichter in Gesichter überfließen,
Zimmer und Städte sich auf der innern Bühne ineinander schieben und jede Gestalt sich unter dem Auge neu gebiert. Der Verfasser dieses hielt oft in seinen Wahlträumen ein Titelblatt sich mit dem Bewußtsein vor das Auge, daß die Buchstaben nicht bleiben könnten - und sie blieben auch nicht, und er konnte nicht dasselbe zweimal lesen.
Nach der Bemerkung eines englischen Arztes gehört es unter die Zeichen eines Wahnsinnigen, wenn er dieselbe Geschichte, die er eben erzählte, nicht
ähnlich-treu wiederholen kann. Noch weniger als der Tolle, der nur Vorstellbilder und sogar fixe vorzuführen hat, vermag der Träumer Empfindbilder zu befestigen zum zweiten Beschauen. Sogar die stärkeren wachen Empfindbilder, unter dem Namen Fieber-, Gespenster-Erscheinungen, halten dem Auge nicht Stand.
Dieses Luftartige, diese wankenden Spiegelungen, wodurch der Traum sich dem bleibenden Gestein der Wirklichkeit entgegensetzt, machen es, daß im Traume jede Vergrößerung und jede
Verringerung unaufhörlich wächset; wer z. B. Geld im Traume findet, wird immer mehr zu finden fortträumen; wem ein Uhrglas zerbricht, dem wird die Uhr immer schadhafter auseinanderfallen.
Wir treten nun näher zu den Mitarbeitern am Traume.
Das Gehirn - das Organ des Traums - ist, wie im verschlungenen Bau, so in der Kraft eines Sensoriums aller Sinne weit über die Nerven erhaben, wovon jeder nur zwei Empfindungen, die seines
bestimmten und die des allgemeinen Gefühl-Sinnes, aufzunehmen vermag, so wie überhaupt diese geistige Unterordnung sich schon im umgekehrten Größen-Verhältnis des Gehirns und der Nerven erweist. Aber gar Empfindung aufzubewahren und also zu erneuern vermag nur das Gehirn und kein Nerve. Sogar von dem zurückbleibenden Nachglanz und Nachklang eines zu starken Lichtes und Tons könnten Seh- und Hörnerven vielleicht dem nachschaffenden Gehirn etwas schuldig sein; wenigstens war,
wenn Moses Mendelssohn in seiner Nervenkrankheit abends die Stimmen des Tags wie von einem nahen Hörrohr nachgeschrieen vernahm, das Schallgewölbe nicht in den Ohrgängen, sondern in den Gehirnkammern; denn der Nerve kann wohl selber fortsetzen und ausmachen, aber nicht wieder ansetzen, wenn er ausgesetzt. Doch dies beiseite! Die Gehirnkammern sind die Obstkammern nicht nur der von den Sinnen gepflückten, auch der von dem Geiste getriebenen Früchte. - Wir sagen und schreiben dies so leicht hin,
ohne uns zu verwundern und zu befragen, wie etwas Körperliches etwas Geistiges aufbehalte, da Aufbehalten, also Erneuern, ja an die Wiedererzeugung grenzt. - Genug, im Gehirne bleiben von den Empfindungen die Empfindbilder zurück, welche unter gewissen Vergünstigungen, wie im Schlafe, wo das neu erfrischte Gehirn, ungestört und unbeschädigt von Außen, seine Schätze glänzen lassen kann, als Traumbilder auferstehen.
Kein Atomist rechne hier nach, ob das Gehirn die unzähligen
Empfind-Spuren oder Abdrücke des Lebens (welche leblose, geistlose Worte!) beherbergen könne; denn H. Hooke rechnet ihm vor, daß von einem vierpfündigen Gehirne, nach Abzug eines Pfundes für Blut und Gefäße und eines für die Rinde, noch zwei Pfund übrig bleiben, wovon 1 Gran Gehirn-Mark 205452 Spuren faßt. Dabei kann noch der Zergliederer dem Atomisten vorrechnen, daß eine Menschennase ein Teilchen von 1/ 226378300
eines Grans und eine Hundnase gar ein Teilchen von 1/ 2593005000000 zu riechen vermöge, zu welchem kleinen Gran als Gegenstand doch kein größerer Gehirngran als Behälter nötig sein kann. Läßt sich der Atomist noch nicht schlagen, so nötige man ihn, die Gehirnkugel wenigstens so groß zu sehen, als etwan die Peterskuppel sein mag, obgleich dies noch Verkleinerung des Gehirns ist, da jeder Gegenstand nicht nur so groß, sondern noch größer im
wahren Wesen ist, als er unter dem besten Vergrößerglas erscheint; und dabei unterlasse man nicht, ihm zu bedenken zu geben, in wie viele Teile die ungeheuere Gehirnkuppel für alle Empfindungen eines ganzen Lebens zu zerlegen ist, wenn man jeden Teil auch nicht feiner annimmt, als ein Lichtstrahl ist, welchen Muschenbroek 5000 Billionen mal dünner als ein Haar angibt.
Will sich nach allem diesem der Atomist wider Erwarten noch nicht ergeben: so beschließe man damit, womit man gleich
hätte beginnen können, daß man mit allen den bisherigen Erläuterungen und Beweisen ihn gar nicht überzeugen wollen, sondern nur parodieren.
Denn in Tat und Wahrheit liegt die gemeine Sandwüste des Mechanischen längst hinter uns. Denn wie im Ohre 1/ 16 Kubikzoll Luft alle verschiedenen Tönungen und Bebungen eines vollstimmigen Konzerts unverworren faßt und trägt, so kann auch das Äthergehirn (wovon das sichtbare nur der rohe
Träger ist, wie das Metall von Magnetismus, Elektrizität und Galvanismus) so gut eine Welt tragen und behalten als mit ihm der Geist.
Lasset uns nun die Bildungen des Traums weiter verfolgen. Wir finden vier Mitbildner oder Mitarbeiter am Traume. Der erste ist das Gehirn, insofern dasselbe bei dem Einschlafen, das ihm die Nerven als die Ableiter seiner elektrischen Tätigkeit unterbindet, sich zum Sammler seiner Kräfte (zum Elektrizitätsträger) isoliert und sich durch
aufspringende Empfindbilder entlädt; welche es anfangs (eben im Einschlafen) nur vereinzelt im unerhellten innern Augenraum, dann später aneinander gereiht im erhellten emportreibt für die Seele.
Hier tritt noch alles körper-willkürlich und geist-unwillkürlich auf, und nur die körperlichen Folge-Gesetze der Gleichzeitigkeit und Gleichräumigkeit der empfangenen Empfindungen können die Reihe der Empfindbilder notdürftig ordnen. Wir halten überhaupt manches
Unwillkürliche betrogen für frei, z. B. unsere Erinnerung. Niemand kann versichern: »Morgen um acht Uhr werde ihm diese oder jene Sache wieder einfallen.« Er kann sich ihrer eher und später oder gar nicht erinnern; aber damit es gerade um acht Uhr geschehe, muß er äußere Denkzettel, Schnupftuchknoten u. s. w. vorbereiten und sogar auch hier gewärtig sein, daß er sie anzusehen vergißt, wenn nicht ein zweiter Mensch ihn erinnert, der wieder von Denkzetteln abhängt.
Sind nun einige
Empfindbilder nebeneinander vom Gehirn gegeben: so muß dieses bald auch Raum dazu nachschaffen, welcher eigentlich in nichts bestehen kann als in der bevölkernden Ausfüllung des Gesichtkreises. Der Raum ist die Erstgeburt des Gesichts. Dieser Sinn gebiert seine Gegenstände im Traume am meisten wieder, weil er im Wachen der herrschend-feststehende ist, indem ihn die Fortdauer der Eindrücke, welche alle übrigen Sinne bis zur Unempfindlichkeit abmattet, eben durch die Milde derselben wach und
lebendig läßt; daher man im Traum sehen muß, damit man höre, schmecke, fühle, taste. - Auch im Traume drückt man zuweilen die Augen zu und sieht die schwarze Nacht; aber diese ist nur ein anderer und mehr einförmig-gefüllter Raum und keine Seh-Verneinung, wie etwan in Blinden.
Daß das Empfindbild des Gesichtes auch ein Empfindbild des Ohres wird und also spricht, dies hat manche unnötige Verwunderung über den Traum erregt, als ob das Ohr nicht auch sein Echo dem Gehirne nachlasse. Die
Auferstandenen oder Revenants der Empfindung müssen ihre Sprache aus dem Wachen in den Traum mitbringen und also mit dem Ich zu sprechen scheinen, das sie sprechen läßt. Hier nun, besonders mehr bei den Worten als den Tönen, tritt der Geist auf, nicht als bloßer Zuschauer und Zuhörer seines Gehirns, sondern als Bilderaufseher und Einbläser der Empfind-Bilder, kurz als der zweite Mitarbeiter am Traume.
Denn allmählich fangen nach den körperlichen Gesetzen der Gleichzeitigkeit
und Gleichräumlichkeit die mehr geistigen der Ähnlichkeit und der Verursachung zu regieren an. Von wem anders als vom Geiste können jene romantischen Geschichten der Nachtzeit gedichtet werden, worin oft das träumende Kind den schreibenden Vater übertrifft? Indes daß die ersten Empfind-Bilder außerhalb des Zauberkreises des Geistes stehen, rufen und reizen die spätern seine Herrschaft auf, und er stellt im Gehirne, das nur die losen rohen Gaben der Nerven und die Wirkspuren des Geistes
unverbunden gemischt wiederbringen kann, darin stellt er als eine zweite höhere Natur die geistigen geordneten Seh- und Hör-Reihen durch Wollen und Erregen auf, und nach dem gewöhnlichen Wechsel-Übergewicht des Geistes und des Körpers behauptet er seine Allmacht durch eine Ordnung für jedes Ich. Denn Himmel! wie müßte sonst jeder Traum, insofern die Seele nur beseelend, nicht auch schaffend und reihend eingriffe, die Millionen Gestalten zu greulichen Untier-Haufen ineinander verschieben und
verstricken!
Wenn im Traume ein Mensch mir eine Frage vorlegt, auf welche ich keine Antwort habe, sondern erst später der Mensch, so fragt man mich, wie meine so große Unwissenheit in diesem Examen zu vereinigen sei mit meiner größern Kenntnisfülle, welche ich dadurch zeige, daß ich den Examinator nichts sprechen lasse, als was ich ihm eingegeben. Die Lösung ist leicht; denn ja auch im Wachen bin ich, insofern ich etwas ersinnen will, vorher der Frager nach einem Gedanken, dessen
Finder ich später werde; im Traum aber wird das sinnende Ich in drei Ich zersetzt, in das fragende, das suchende, das findende; nur daß das erste und das dritte sich hinter ein Empfindbild verstecken. Listig läßt der Träumer, wenn er einen Gedanken nicht finden kann, das antwortende Empfindbild zu leise werden oder schweigen oder abgehen.
Der dritte Mitarbeiter am Traume, welcher die Empfindbilder nach einigen geistigen Gesichtspunkten zu reihen scheint, ist das körperliche
Gedächtnis der Fertigkeit. Wenn die Hand des Tonkünstlers, der Fuß des Tänzers zuletzt eine Kunstreihe von alten Bewegungen zu geben vermögen, ohne bewußte Einmengung des Geistes, welcher nur die neuen schwereren bewußt befiehlt und erzeugt: so muß im Reiche des Gehirns dieselbe Kunstreihe körperlich-geistiger Fertigkeiten durch den Traum erstehen können, ohne einen größeren Aufwand geistiger Regierung, als im Wachen ist; ein leichter Seelenhauch im stillen Traume treibt das ganze körperliche
Windmühlenwerk wieder zum Gange, oder mit andern Worten: wie im Wachen der Geist mitten unter der bewußten Anstrengung noch Kraft einer unbewußten für die Körper-Fertigkeiten behält, so muß er ebenso gut, wo nicht mehr, im Traume, bei Stillstand der bewußten, Macht der unbewußten übrig haben und zeigen.
Der vierte Mit-Schöpfer an der Traumwelt ist bekanntlich die Außenwelt, welche, zumal in dem leisen Morgenschlummer und besonders durch unangenehme Gefühle, den Geist nötigt,
sich eine Bilderwelt zu ihrer Erklärung zu schaffen. Ein lästiger Bettdruck z. B. erpreßt von der Seele, welche zu dem unbekannten Glockenhammer gleichsam ein Zifferblatt sucht, eine in lauter Gehirnbildern ausgeführte Geschichte von schwerem Steigen, engem Durchdrängen, von Liegen auf Kähnen, welche auf unterirdischen Wassern unter finstere, in das Gesicht hinein drückende Felsen rücken. Da das innere Nachtstück zuweilen so wenig ein Schattenriß des Äußern ist, daß der Durstige (nach Bonnet)
von Springbrunnen träumt, wie der Hungrige von Essen: so beweiset dieser Übergang der äußeren Ursache in eine innere entgegengesetzte Geburt die überwiegende Hand des Geistes, der aus dem Blocke der Sinnenwelt nach eigenen Gesetzen sich Gestalten schlägt und holt. - So vermag er zu einer langsam wachsenden Außengeschichte, z. B. zum Anrollen eines fernen Wagens, wie zu einem Melodrama eine musikalische innere Begleitung zu setzen, welche mit der Prose des Melodrama im rechten Schlage
zusammentrifft.
Übrigens lenkt unter allen einschleichenden Sinnen gerade der Sinn des Gefühls, welchen der Traum am mattesten nachspielt und nachbildet, den letzten am häufigsten, und mehr als Schälle und Lichter; eben weil Gefühl nicht wie jene stoßweise wirkt und mithin weckt, sondern allmählich Druck, Kälte, Wärme steigert und sich in den Traum nur verflößt, ohne ihn zu verdrängen. - Überhaupt sobald der Geist sogar zu stärkeren Angriffen von Außen nur eine Traumgeschichte zu
erfinden weiß, die jene motiviert und einwebt: so verlängert gerade der Traum den Schlaf.
Die Gesamtregierung der vier Mitarbeiter am Traume kläret manche Eigentümlichkeit auf. Man scheide die Welt des Traums, wie die wache, in die Körper- und in die Geisterwelt, oder in die sinnliche und die geistige: so beherrschen und gestalten das Gehirn und das äußere Nerven-Einspielen die sinnliche mit ihren Räumen, Figuren und Bewegungen; hingegen der lenkend-schaffende Geist verleiht ihr das
Geistige, den Gestalten die Worte und Gesinnungen und dem Zufalle Regel; und er kann der wahre Universalmonarch dieser Puppen- und Spiegel-Welt werden, darin allgemein seinen Code einführen und keine Meinung dulden und hören als seine eigne.
Dem Geiste als Mitbildner am Traume gehört mehr an, daß wir darin zwar mit der nächsten Zukunft, z. B. einer Abreise, aber nicht mit der letzten Vergangenheit umgehen. Die weiter rückwärts liegende Vergangenheit, in welche sich so viel nachherige
eingesponnen, besucht und reizt uns Träumer mehr als die leere des vorigen Tags. -
Dem Gehirne als Mitbildner gehört mehr an, daß wir uns wohl in die Kinderzeiten zurück, aber nicht in die Greisenzeit hinaus träumen, ja daß wir sogar unsre eigne Kinder uns wohl jünger, aber nicht erwachsen dichten. Der Träumer schifft, wie die Alten, nur um alte Küsten, und bloß der Wache fährt ins unbekannte weite Meer; denn die Empfindbilder können als Gehirnbilder nur wiederholen und versetzen,
nicht erschaffen, und bloße Vorstellungen von Hörensagen ohne erlebte Anschauungen treten nie als Empfindbilder im Traume auf; und ich berufe mich hier auf die wenigen Männer, die sich keuscher Jahre und der Träume darin zu erinnern haben.
Dem Gehirne gehört an die häufige Wiederkehr mancher Träume. Ein Geistlicher von mehr Scharfsinn als Phantasie träumte gewöhnlich von weißem Schnupftabak, bevor er erkrankte. Übrigens sind die Inseln des Traum-Meers Freundschaftinseln, welche im
Dunkeln aneinanderrücken; ein Traum setzt nach Wochen den andern noch fort; man bereiset dieselben Poststraßen und Wirthäuser; kurz, sogar der bewegliche selbstschöpferische Traum hält in diesem Alltagleben auf einige Alltäglichkeit.
Mehr dem Geiste gehört es an, daß wir (z. B. der Verfasser) Landschaften, Städte, ja Zimmer, die wir selber bewohnt, gar nicht oder nur stückweise den wahren ähnlich träumen.
Mehr dem Gehirne gehört es an, daß geliebte Wesen, nach deren
Anblicke das Herz jahrelang dürstet, uns nicht durch den Traum ihre Bilder schicken; so groß ist der oben durchgeführte Abstand zwischen Vorstellung und Empfindbild; und so fortbewährt ist die Bemerkung, daß die Empfindbilder, z. B. erscheinender Gespenster oder Swedenborgischer Gestalten, gar nicht durch das Feuer ihrer Vorstellbilder erhellt oder gerufen werden, sondern unerwartet erscheinen.
Und wir wären auch zu glücklich und würden besonders in den ältern Tagen zu viel Schlaf
begehren, wenn in den Träumen unsere Wünsche zu teuern Gestalten werden und wir in diesen schimmernden Lenznächten des Lebens den auferstandnen Geliebten der Jugend mit der Brust voll alter und voll neuer Liebe begegnen könnten; wir erlebten dann das himmlische Wiedersehen schon auf der Erde und bedurften kaum einer Erde und eines Himmels mehr. So wollen wir denn schmachten und hoffen.
Beschluß
Genug des Wachens oder Träumens über das Träumen! - Wir beschauen und bereden den Traum fast von zu stolzer Höhe herab, als wären wir mit unserem Wachen schon erwachsen über alle Weltseelen hinaus.
Der Schein muß dem Menschen oft das Sein zeigen, der Traum den Tag. Das uns so gewichtige Erdenspiel gaukeln vor uns die luftigen Morganischen Feen des Traums nach, damit wir unsere Denkwelt und Körperwelt nicht überschätzen. Ohne die nächtliche Einbuße unseres Bewußtseins und unserer Erdenherrschaft würden wir uns für reifende, ja für reife Götter ansehen.
Die Minute
vor dem Traum sagt dir, daß du
nach einer Minute nicht die kleinste Gewalt über die auftretende Welt des Scheins mitbringen oder erwerben kannst - indes wir uns mit den Umwälzungen der wachen brüsten -, und daß du, so nahe und kaum Minuten-weit an der Pforte deiner Zukunft ruhend und an dem Amerika, das sich dir entdeckt, durchaus nicht weissagen kannst, welche Zeiten und Länder dich plötzlich in sich reißen; und du wirst so durch die Fallsucht des Schlafs ein halbes Leben lang in fremde Macht geworfen ohne Selberhülfe.
Aber die Morgen kommen täglich und geben dir eine Kraft zurück, womit du selber die zähe starke Sinnenwelt - leichter als die weiche schaumige Traumwelt - bewegen, besiegen und ertragen kannst. Nun so bürge dir denn die tägliche unbegreifliche Wiedergeburt deines Bewußtseins für das Wunder von dessen Fortdauer nach dem tiefsten Schlafe, und der Übergang aus dem träumerischen in das wache erleuchtet dir von weitem die Stufen von dem wachen ins verklärte hinauf; und das einzige Unveränderliche in uns, das keine Tage und keine Nächte entkräften und verrücken, das Gewissen, dieser Träger der Ewigkeit, weissagt und stützt unsre eigne. So können wir denn das Leben verträumen, und den Traum verleben.