Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

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Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Neuntes Postskript

eingestellt: 29.6.2007

Nachschriften zu dem Novemberbrief über die weiblichen Bestimmwörter auf e mit n im Plural und zu dem Dezemberbrief über heit, keit, schaft, ung, ion

 
Baireuth den 30. August 1819

Ewig Verehrte! Vom Wetter sag ich kein Wort; indes ist übermorgen wenigstens Egydiustag. –

Herr Hofrat Thiersch macht die wichtige Bemerkung gegen mich, daß das S sonst auch die weiblichen Genitive bezeichnet habe; er beruft sich auf die englische Sprache, auf die weiblichen Eigennamen (z. B. Marias, Mariens) und auf Überbleibsel wie Nachts. Noch mehr wird das übermütige S in seinen Anfoderungen, allen weiblichen Wesen des November- und Dezemberbriefes bei ihren Trauungen gleichsam die Schleppe zu tragen oder anzuheften, durch Voß (in seiner Zeitmessung etc.) und Grotefend und andere bestärkt, welche sämtlich behaupten, daß das Zisch-S an sich, ohne alle Rücksicht auf einen Zeugefall, überhaupt ein Zeichen, einen Schlangenring der Verbindung bei Doppelwörtern vorstelle. Daher ist es denn kein Wunder, daß der Buchstabe ungescheuet auch in den Sammwörtern eines scheinbaren Dativs sich ordnungsgemäß und wahrheitswidrig einstellt.

Auf letztes antwort ich nichts, sondern ich frage mehr grimmig als ruhig: »Wenn diese fatale Schlange von S überall umwinden und verbinden kann: warum ist sie denn in mehr als 30 000 Ritzen und Spalten von Doppelwörtern nicht?«

Desto gesetzter versetz ich auf das Übrige: aber das S-Cicisbeat weiblicher Wörter ist doch jetziger Zeit abgeschafft. Wir sagen wohl Nachts, aber doch nicht Nachtszeit. Die Endsylbe Heit, die sonst (nach Grimm) männlich war, ist es jetzo aber nicht mehr. Die neuen Wortbildungen sind nicht der Ausnahme von Liebesbrief und von der noch irrigern Hülfsquelle, sondern der Regel gehorsam und geben mir Wonnegefühl, Wärme- und Kältegrad, Liebeleben, Gütesinn, Erntefest, Rachegöttin. Heit und vermutlich Keit bedeuteten sonst eine Person; aber auch die Endsylbe in kommt von Inne, eine Frau, und er von Er, ein Mann; dessen ungeachtet setzt man ohne S bei in Schäferin-Kleid, Königin-Mutter zusammen, und ohne eines bei er (nach der sechsten Klasse) Herrscher- und Kaisermantel zusammen. – Wozu vollends sollen übellautende Wörter von weit mehr Kometenschweif als Kometenkern, wie Wissenschaftlichkeit, etwa in Wissenschaftlichkeitsliebe, noch in ein  S oder  Z ausschnarren, da Bau und Länge sie schon genugsam abscheiden vom Grundworte? Müssen doch vielgliedrige, noch dazu aus Einsylben zusammengewachsene Sammwörter ohne alle S voneinander abstehen, wie z. B. in der neuern Schwefeldampfbadanstalt oder im Nußbaumholzastloch!

Aus Haß gegen die deutschen ungs oder unx hab ich in meinem Dezemberbriefe ohne Not lateinische Kenntnisse sehen lassen und beigebracht, wie die Römer nur dreimal dergleichen in deunx, quincunx, septunx besaßen. Dafür wurd ich zur Strafe von einem trefflichen Sprachgelehrten gefragt, warum ich nicht an die vielen unculus (z. B. in ranunculus), an die vielen cunque und an ungo, pungo und folglich an unxit und unctio gedacht. Aber ich antworte: darum nicht, weil alle diese nicht klingen wie unx. – Indes sehen Sie, gnädige Frau, aus diesen Postskripten immer deutlicher, wie schwer es einem an sich unbescholtenen Manne gemacht wird, irgend etwas zu behaupten und zu beweisen. Wie viel leichter hat es hierin Ihr Geschlecht zum Glück! – Ich aber bin

Ihr etc.


 

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