Frei Lesen: Über die deutschen Doppelwörter

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorrede | Einleitung | Erster Brief | Zweiter Brief | Dritter Brief | Vierter Brief | Fünfter Brief | Sechster Brief | Siebenter Brief | Achter Brief | Neunter Brief | Zehnter Brief | Eilfter Brief | Zwölfter Brief | Bescheidene Notwehr und geharnischte Nachschrift gegen grammatische ... | Erstes Postskript | Zweites Postskript | Drittes Postskript | Viertes Postskript | Fünftes Postskript | Sechstes Postskript | Siebentes Postskript | Achtes Postskript | Neuntes Postskript | Zehntes Postskript | Elftes bis zwölftes Postskript |

Weitere Werke von Jean Paul

Leben Fibels | Freiheits-Büchlein | Der Komet | Das Kampaner Tal | Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf |

Alle Werke von Jean Paul
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Über die deutschen Doppelwörter) ausdrucken 'Über die deutschen Doppelwörter' als PDF herunterladen

Jean Paul

Über die deutschen Doppelwörter

Elftes bis zwölftes Postskript

eingestellt: 29.6.2007

Schreibung der Doppelwörter; samt den endlichen Siegen über alles

 
Baireuth den 1. September 1819

Heute am Mittwoch ist der Egydiustag. Aber so viel bleibt gewiß, lieber will ich der Prophet Hesekiel und Jeremias und jeder kleine Prophet bis zu Habakuk und Amos sein als ein Wetterprophet. – Doch zu etwas Erfreulicherem! Ich stehe endlich da und habe meine sämtlichen Feinde ziemlich weit in die Flucht geschlagen und führe den Schlüssel zum versperrten Janustempel in der Tasche. Jetzo hab ich nun niemand weiter zu schlagen und niederzustrecken als meine Seitenfeinde, die Eos – die Justiz- und Polizeifama von Hartleben – die Stuttgarter Zeitungschreiber – und viele baiersche Schulschriftsteller, des schon toten Schlözers nicht zu gedenken. Hab ich dies auch vollbracht, so kann ich ruhig nach Hause gehen und ein Te deum singen unter Glockengeläute und mir einen Ehrensäbel anhängen, Verehrte! Unter den zu erregenden Seitenfeinden mein ich die, welche die mühsam zu einem Ganzen gewobenen Sammwörter dem Stückverkauf oder Ausschnitthandel unterwerfen und Sinn aufhaltend und störend z. B. das Wort Schwefel Dampf Bad Anstalt so schreiben, wie ich eben getan; denn mein Wiener Lustwort Wort Band Wurm Stock mag ich gar nicht weiter entstellen durch Hinausschreiben desselben. – Yelin wendet in seinem lustreichen und witzreichen Büchelchen »Das Kaleidoskop eine baierische Erfindung« Seite 40 gegen eine solche Erbteilung der Sammwörter mit Recht ein, daß man nach dieser Unregel auch schreiben müßte: Hinter List, Gries Gram, Zwie Spalt, Nase Weisheit, Nürn Berg, Baro Meter. Auch der feinsinnige, der deutschen Sprache zu früh genommene Seidenstücker hat darüber in seinem »Nachlaß, die deutsche Sprache betreffend« Seite 202 eine Rügestelle, die ich Ihnen der Länge wegen bloß mündlich vortragen kann.

Warum legt man uns die Mühe auf, verheiratete Sammwörter, die durch ihre großen Anfangbuchstaben gleichsam wie Große ihre Vereinigung verbergen, erst nach dem Lesen einer ganzen Zeile zu erkennen? Wenn das Krugbier, der Faßwein geschrieben wird wie ein Krug Bier, ein Faß Wein, woher soll ich in der Eile die ganz verschiedene Betonung für beide treffen, teuerste Gönnerin?

 
Donnerstags den 2. September

Aber immer trennen und verdunkeln die Großen das Deutsche, täten es auch nur Buchstaben. Warum wählt man gerade hier eine Umkehrung des Hebräertums und schreibt die Anfänge groß anstatt der Enden, nach einem umgekehrten Camnephez? Mit diesem Worte werden nämlich, wie ich Ihnen nicht zu sagen brauche, von den hebräischen Grammatiken diejenigen Buchstaben wie C, M, N, H etc. bezeichnet, die in den jüdischen Bibeln am Ende eines Wortes lang und groß gezogen werden. – Es ist eine uralte Bauerregel – deren häufiges Zutreffen ich durchaus mir aus keiner Mond- und Sonnestellung zu erklären weiß –, daß am Freitage sich das Wetter ändert; morgen ist nun Freitag; ja übermorgen tritt sogar um 6 Uhr vormittags der Vollmond ein. Und da werd ich fortfahren, zu schreiben und zu sein

Ihr etc.
J. P.


 
Freitag und Sonnabends den 3. und 4. Sept. 1819

– Aber so ist die Zeit – ich meine nicht das.... Wetter, sondern die Neuern, Gönnerin! Wenn die Alten alle Wörter mit einerlei Buchstaben schrieben, entweder mit lauter großen oder lauter kleinen – sogar oft alle aneinander geleimt – ohne Punkte und Kommata – und ganze Werke, z. B. die Bibel, ohne Kapitel, ohne Verse, ja wie die Hebräer ohne Selblauter –: so können die Neuern nicht genug scheiden und beziffern; unter allen aber keine so sehr als wir Deutschen. Andere, die Franzosen, Engländer, Italiener, sind weit mäßiger mit Anfangbuchstaben, so wie in Kommaten und mit gesperrten Drucken; aber wir bleiben ewig ein Zeichenmacher- und Zeichendeutervolk – der Haupt- und Patrizierbuchstaben bei den kleinsten Substantiven, der Kommata bei den kürzesten Viertelsätzen, der Schwabacher Schriften (in einem Satze haben wir oft so viele gesperrte Drucke als in einem Brunnensaale gesperrte Sitze) und der Fragzeichen und der Ausrufzeichen (wir pflanzen bei Gelegenheit drei von beiden zugleich hinter und zwischen einander), dergleichen und der Gedankenstriche werden wir scheidekünstlerischen Leute nie satt, sondern hätten lieber noch mehr. Denn wir sind eben, Madame, überall ein gebornes Paßschreibervolk, ein Wappenvolk, ein Titularvolk, das von den Erbbegräbnissen und niedrigen Poststuben an ewig betitelt und bezeichnet bis zu den Eß- und Tanzsälen hinauf, wo jeder dasitzt und mit dem Adreßkalender in der Hand die vergleichende Anatomie aller Ansässigen liest! –

– Aber ich wollte, ich wäre etwas froher. Denn niemand – um wieder auf unser schriftstellerisches Beziffern und Betonen zu kommen – verkennt sonst weniger als ich die wahren Vorteile, die wir in manchen Fällen, um nur zwei Arten von Gesprächen anzuführen, davon ziehen. Den alten Horaz z. B. redet in seinen Satiren jeder Narr an, und er antwortet ihm, ohne daß die Alten nur durch die kleinsten »Gänsefüße« oder »Hasenöhrchen« angezeigt und unterschieden hätten, wer eigentlich rede. Bei uns aber fehlen solche Anzeigen wohl nie, und so folgen wir natürlich gleichsam auf den Gänsefüßen dem Autor leichter und vernehmen ihn mit den Hasenöhrchen leiser. –

Die andere Art von Gespräch, welche so sehr durch unsern Geist der Bezeichnung und Betonung gewinnt, im Gegensatze der Alten, ja mehrer Neuern, denen er mangelt, ist das theatralische. Wir setzen nämlich, wie Werner und andere gute Trauerspieldichter, über eine tragische Rede eine kurze dürre, aber klare Vorschrift oder Angabe der Empfindungen, welche der Schauspieler zu geben und vorher gleichsam zu haben hat – z. B. »mit einem Seufzer schmerzlicher Erinnerung« oder »Aufseufzen aus Phantasie« oder »erhabener Wahnsinn der Liebe« –; aber diese Vorschriften und Vorzeichnungen sind unschätzbar, da sie für Leser und Spieler die tragischen Reden überflüssig machen – denn sonst wären sie selber überflüssig – und der Schwäche derselben möglichst abhelfen können.

Aber, wie gesagt, an den Sammwörtern taugt die Scheidekünstelei gar nichts, und ich bedauere die braven Baiern in einer solchen Unrechtschreibeschule. – Schließlich erlauben Sie mir nur so im Allgemeinen die Bemerkung herzuwerfen, welche jedem schon von der Ebbe und Flut zugeführt werden kann, daß der Mond nicht schon im ersten Stundendutzend seiner Veränderung wieder eine in dem Luft- und Wettermeere erzeuge, sondern erst nach einem zweiten Dutzend und zuweilen später; und bloß in dieser Rücksicht wag ich zu sagen, daß der heutige Vollmond sich doch morgen zeigen kann.

 
Baireuth Sonntags den 5. Sept. 1819

– Und der Vollmond hat sich gezeigt, und den Sonnenkörper dazu – und die Welt leuchtet überall, Verehrteste! So scheints doch, als schlügen mir meine Prophezeiungen – da eine so entscheidende für einen ganzen schönen Monat heute völlig zugetroffen – im Ganzen weniger fehl als ein. Aber weder heute noch morgen brüst ich mich auf meine Schönwettertage, obgleich im Heiligen-Kalender das Heute einen Herkules und das Morgen einen Magnus zu feiern gibt, sondern übermorgen, wo Regina oder Königin im Kalender steht und ich zu Ihnen abreise, und überübermorgen, wo ich am 8ten Sept. oder an Marias, der Himmelkönigin, Geburt ankomme, da dürft ich über das Dreiglück, Ihr Gast, Weissager und Sprachlehrer zu sein, wohl halb so eitel sein als froh.

Ich weiß, ich werde nie einen herrlichern September mehr haben. Durch die fertig gewordnen Postskripte über die Sammwörter hab ich mich (zumal wenn Sie ihren Druck verstatten) wieder meinen Gegnern gezeigt und stehe, nachdem ich mir deshalb anderthalb Jahre lang graue Haare mußte wachsen lassen, wieder mit so verjüngten und schwarzen da wie Herr Gütle, der Chemie Beflißner und korrespondierendes Mitglied der kameralistischen und ökonomischen Gesellschaft in Erlangen, der sich als ein Siebziger mit seinem Haarfärbmittel – die Flasche zu 1 fl. 15 kr. – sein eignes graues Haar in ein schwarzes umgefärbt. (Nürnber. Korespondent 1818, Seite 372.) – Und wie sanft muß jedem wohlwollenden Herzen ein warmer Himmel tun, der jetzo voll Geigen für die Tänze der armen Winzer hängt, welche sonst, wie Goldwäscher und Diamantsucher, immer das entraten, was sie einsammeln und ausliefern! – Und dabei ziehen gerade unter einer so hellen und unbewölkten Sonne von allen Ecken Minister und Gesandte zu einer Planetenzusammenkunft nach Karlsbad, und ein heiteres Wetter läßt sich von dem andern versprechen!

Aber das schönste erlebt doch an Mariageburt, angebetete Kanonissin,

  • Seite:
  • 1
  • 2
< Zehntes Postskript



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.