Frei Lesen: Robinson der Jüngere

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Joachim Heinrich Campe

Robinson der Jüngere

28. Abend

eingestellt: 6.6.2007





Vater. Am folgenden Morgen berief Robinson frühzeitig sein ganzes Reich zusammen, um mit vereinigten Kräften ein Geschäft auszuführen, welches keinen Aufschub litte.

Hans. Nun?

Vater. Die todten Körper der Erschlagenen lagen noch auf dem Schlachtfelde, und es war zu besorgen, daß durch die schädlichen Ausdünstungen derselben eine gefährliche Seuche entstehen könte. Sie versahen sich also sämtlich mit Beilen und gingen nach dem furchtbaren Orte hin.

Ferdinand. Mit Beilen?

Vater. Ja; nicht um Gräber zu machen, denn dazu würden sie Schaufeln und Spaten mitgenommen haben, sondern um Holz zu fällen und einen Scheiterhaufen zu errichten, auf welchen sie die todten Leiber alle auf einmahl zu Asche zu brennen, sich vorgenommen hatten.

Johannes. So wie es die Römer mit ihren Todten machten!

Vater. Auch andere Völker des Alterthums. Robinson wolte nemlich durchaus nicht die schädliche Gewohnheit seiner, in diesem Stükke noch sehr unweisen Landsleute mitmachen, die damahls noch unverständig genug waren, die Leiber ihrer Verstorbenen mitten in den Städten, ja sogar in den Kirchen beizusezen, wo sie Seuchen und Tod für die Lebenden aushauchten.

Mathias. I das thun sie ja noch!

Vater. Leider! Und das sei euch abermahls ein Beispiel, wie schwer es den Menschen fält, böse Gewohnheiten wieder abzuschaffen. Deswegen eben rathe ich euch so oft, daß ihr euch ja bestreben möget, frühzeitig Weise und gut zu werden. Denn hat man Thorheiten und Laster erst einmahl angenommen und sind sie unglüklicher weise uns erst zur Gewohnheit geworden: o dan hält es sehr, sehr schwer, sie jemahls wieder abzulegen, wenn man ihre Schädlichkeit auch noch so deutlich erkant hat.

Jederman weiß jezt, daß die Ausdünstungen der todten Körper für die Lebenden vergiftend sind: aber fährt man nicht dem ohngeachtet fort, sie auf den Kirchhöfen in der Stadt zu begraben, oder gar in Kirchengewölbe zu sezen, wo sie nicht einmahl mit Erde bedekt sind. Vielleicht wird noch ein ganzes Jahrhundert verstreichen, ehe es den Menschen einfällt, an die Abschaffung dieses bösen Gebrauches mit Ernst zu denken.

Hans. Ich wolte nur, daß ich etwas zu befehlen hätte: so solts nicht lange mehr währen!

Vater. Sieh da, lieber Hans, eine der vorzüglichsten Ursachen, die dich und alle andere jungen Leute bewegen muß, euch recht viele und große Verdienste zu erwerben, diese nemlich: weil alsdan eure Mitmenschen viel Vertrauen auf euch sezen und euch zu Aemtern hervorziehen werden, die euch berechtigen, viele schädliche Mißbräuche abzuschaffen und viele nüzliche Einrichtungen einzuführen. Euch alle scheint der Himmel dazu bestimt zu haben, solche viel vermögende Menschen zu werden, die ein Seegen für die ganze Geselschaft ihrer Mitbürger sein können: denn alles, was dazu gehört, hat seine gütige Vorsehung an euch verwandt. Sie hat euch lassen von guten, rechtschaffenen Eltern gebohren werden, welche das Vertrauen und die Liebe ihrer Mitbürger haben; sie hat euch einen gesunden Leib und unverwahrlosete Selenkräfte gegeben, und läßt euch nun auch eine Erziehung angedeien, deren sich noch nicht viele Menschen rühmen können. Alles also, was dazu gehört, ein treflicher vielvermögender Man zu werden, hat der gütige Himmel euch verliehen: Schande für den, der nun nicht wolte!

Doch das besorge ich nicht von euch. Soltet ihr also, wie ich zu Gott hoffe, eure große Bestimmung erreichen; soltet ihr wirklich solche Männer werden, welche Einfluß auf die Glükseeligkeit von tausend andern Menschen haben: o so braucht doch ja das Ansehen, welches man euch verwilligen wird, dazu, des Bösen immer weniger, des Guten immer mehr zu machen unter euren Brüdern, und Freud und Glükseeligkeit rund um euch her zu verbreiten! Dan erinnert euch auch der heutigen Veranlassung zu dieser meiner väterlichen Ermahnung und beweget, wenn ihr könt, eure Mitbürger, die Leichname ihrer Todten an solchen Oertern zu verscharren, wo ihre Ausdünstungen keine Pest unter den Lebenden verursachen können.

Nikolas. Wenn ich nur wieder in die Stadt komme: so wil ichs meinem Grosvater und meinen Onkeln sagen; die sollens wohl machen!

Vater. Thue das, lieber Nikolas!

Robinson und seine Gefährten waren jezt mit dem Verbrennen der todten Körper fertig und gingen wieder nach Hause. Freitag hatte unterdeß seinen Vater gelehrt, daß gesittete Leute kein Menschenfleisch äßen, welches diesem anfangs auch gar nicht recht einleuchten wolte. Aber Freitag fuhr fort, ihm alles dasjenige wieder zu erzählen, was er selbst von seinem Herrn gelernt hatte, und brachte ihn dadurch in kurzer Zeit zu einem wahren Abscheu gegen diese unmenschliche Gewohnheit. Diesem Alten gab Robinson aus dem Grunde, weil er doch eher, als sein Sohn gewesen wäre, den Nahmen Donnerstag; und so wollen wir ihn denn künftig auch nennen.

Jezt berief Robinson Alle zu einer Rathsversamlung, in welcher Freitag abermahls sein Dolmetscher so wohl gegen den Spanier, als auch gegen den alten Donnerstag, sein muste. Er selbst, als das Haupt der übrigen, eröfnete die Sizung mit folgender kurzen Anrede:

»Meine guten Freunde, wir, die wir hier versamlet sind, sehen uns jezt im Besize aller derjenigen Dinge, die zu einem ruhigen und vergnügten Leben erfodert werden. Aber ich für mein Theil werde dieses Seegens doch nicht mit ruhigem Herzen genießen können, so lange es Menschen giebt, die ein grösseres Recht, als ich, dazu hätten, und die demohngeachtet in Mangel und Elend hinschmachten müssen. Eure Landsleute, europäischer Freund, die unter den Wilden noch zurükgebliebenen Spanier, meine ich. Es ist daher mein ernstlicher Wille, daß mir jeder von euch seine Gedanken eröfne, wie wir es am klüglichsten anzufangen haben, um diese Nothleidenden mit uns zu vereinigen?«

Er schwieg; und jeder ließ nun seine Meinung hören. Der Spanier erbot sich, in einem der erbeuteten Kähne allein hinzufahren, um sie abzuholen. Ein Gleiches zu thun, war auch Donnerstag bereit. Freitag hingegen rieth, daß sein alter Vater zurükbleiben, und daß es ihm vielmehr vergönt sein mögte, den Spanier zu begleiten. Da nun hierüber ein großmüthiger Wetstreit entstand, indem der Eine noch lieber, als der Andere, sein Leben wagen wolte: so sahe sich Robinson endlich genöthiget, einen entscheidenden Ausspruch zu thun, dem alle, wie es sich geziemte, freudigst sich unterwarfen. Dieser fiel dahin aus, daß Donnerstag und der Spanier abreisen, Freitag hingegen bei ihm zurükbleiben solte.

Karl. Warum schikt er aber nicht lieber Freitag hin, als den armen Alten?

Vater. Theils aus Liebe zu Freitag, den er unmöglich, ohne zu zittern, einer Gefahr aussezen konte, bei der er selbst nicht zu gegen wäre, theils deswegen, weil der Alte noch besser, als sein Sohn, mit dem Meere und der Schiffarth bekant zu sein schien. Der Spanier hingegen muste um deswillen mit, weil seine Landesleute auf Robinsons Einladung sonst wohl nicht zu kommen sich getrauet hätten.

Es ward also beschlossen, daß die genanten beiden ihre Reise dahin nächstens antreten solten. Vorher aber muste dafür gesorgt werden, daß ein, wenigstens zehnmahl grösserer Akker umgearbeitet, und bestellt werde: weil die Vergrösserung der Kolonie auch eine Vergrösserung des täglichen Aufwandes an Nahrungsmitteln zur Folge hatte.

Alle wurden daher auf einige Wochen Akkersleute und da es jeder von ihnen mit der Arbeit ehrlich meinte: so ging auch alles sehr gut und sehr geschwind von statten. Nach vierzehn Tagen war alles gethan und man machte daher Anstalt zu der beschlossenen Reise.

Ehe diese aber vor sich ging, gab der Spanier einen Beweis seiner Ehrlichkeit und seiner dankbaren Liebe gegen Robinson, welcher zugleich von einer klugen Vorsichtigkeit zeugete. Er sagte nemlich: seine Landesleute wären, so wie er, nur gemeine Matrosen gewesen, also Leute ohne alle Erziehung. Er kenne sie nicht genau genug, um für aller gute Gemüthsart Bürge sein zu können. Sein Rath wäre daher, daß Robinson, als Herr der Insel, erst gewisse Bedingungen aufsezte, unter denen er sie aufnehmen wolte, und daß dan keiner mitgenommen wurde, als welcher diese Bedingungen sich gefallen liesse.

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