Johann Wolfgang von Goethe
Egmont
Zweiter Aufzug.
eingestellt: 10.6.2007
Platz in Brüssel.
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der Zunft sagt' ich, es würde schwere Händel geben.
Jetter. Ist's denn wahr, daß sie die Kirchen in Flandern geplündert haben?
Zimmermeister. Ganz und gar zu Grunde gerichtet haben sie Kirchen und Kapellen. Nichts als die vier nackten Wände haben sie stehen lassen. Lauter Lumpengesindel! Und
das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hätten eher, in der Ordnung, und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heißt es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran? Hängt doch der Hals gar nah damit zusammen.
Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen anfängt, unter dem Volk, das nichts zu
verlieren hat. Die brauchen das zum Vorwande, worauf wir uns auch berufen müssen, und bringen das Land in Unglück. (Soest tritt dazu.)
Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was giebt's Neues? Ist's wahr, daß die Bilderstürmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrühren.
Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen; den fragt' ich aus. Die Regentin, so eine wackre, kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie außer Fassung.
Es muß sehr arg sein, daß sie sich so geradezu hinter ihre Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus der Stadt flüchten.
Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschützt uns, und wir wollen ihr mehr Sicherheit verschaffen als ihre Stutzbärte. Und wenn sie uns unsere Rechte und Freiheiten aufrecht erhält, so wollen wir sie auf den Händen tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
Seifensieder. Garstige Händel! Üble
Händel! Es wird unruhig und geht schief aus!--Hütet euch, daß ihr stille bleibt, daß man euch nicht auch für Aufwiegler hält.
Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
Seifensieder. Ich weiß, da sind viele, die es heimlich mit den Calvinisten halten, die auf die Bischöfe lästern, die den König nicht scheuen. Aber ein treuer Unterthan, ein aufrichtiger Katholike--
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht.)
(Vansen tritt dazu.)
Vansen. Gott grüß' euch Herren! Was Neues?
Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber, und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber, pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk, und ist ein Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk
zusammen und steht truppweise.)
Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Köpfe zusammen. Es ist immer redenswert,
Soest. Ich denk' auch.
Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hätte, und einer oder der andere den Kopf dazu, wir könnten die spanischen Ketten auf einmal sprengen.
Soest. Herre! So müßt Ihr nicht reden. Wir haben dem König geschworen.
Vansen. Und der König uns. Merkt das.
Jetter. Das läßt sich
hören! Sagt Eure Meinung!
Einige andere. Horch, der versteht's! Der hat Pfiffe.
Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaß Pergamente und Briefe von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die rarsten Bücher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns Niederländer zuerst einzelne Fürsten regierten, alles nach hergebrachten Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht für ihren Fürsten gehabt, wenn er sie
regiert, wie er sollte; und wie sie sich gleich vorsahen, wenn er über die Schnur hauen wollte. Die Staaten waren gleich hinterdrein; denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre Staaten, ihre Landstände.
Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiß man lange! Ein jeder rechtschaffene Bürger ist, so viel er braucht, von der Verfassung unterrichtet.
Jetter. Laßt ihn reden; man erfährt immer etwas mehr.
Soest. Er hat ganz recht.
Mehrere.
Erzählt! erzählt! So was hört man nicht alle Tage.
Vansen. So seid ihr Bürgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und wie ihr euer Gewerb von euern Eltern überkommen habt, so laßt ihr auch das Regiment über euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten; und über das Versäumnis haben euch die Spanier das Netz über die Ohren gezogen.
Soest. Wer denkt da dran? Wenn einer nur das
tägliche Brot hat!
Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem so etwas?
Vansen. Ich sag' es euch jetzt. Der König in Spanien, der die Provinzen durch gut Glück zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten, anders als die kleinen Fürsten, die sie ehemals einzeln besaßen. Begreift ihr das?
Jetter. Erklärt's uns.
Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Müßt ihr nicht nach euern Landrechten gerichtet
werden? Woher käme das?
Ein Bürger. Wahrlich.
Vansen. Hat der Brüsseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der Antwerper als der Genter? Woher käme denn das?
Anderer Bürger. Bei Gott!
Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laßt, wird man's euch bald anders weisen. Pfui! Was Karl der Kühne, Friedrich der Krieger, Karl der Fünfte nicht konnten, das thut nun Philipp durch ein Weib.
Soest. Ja, ja! Die alten Fürsten haben's auch
schon probiert.
Vansen. Freilich!--Unsere Vorfahren paßten auf. Wie sie einem Herrn gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei sich, und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere Väter waren Leute! Die wußten was ihnen nütz war! Die wußten etwas zu fassen und fest zu setzen! Rechte Männer! Dafür sind aber auch unsere Privilegien so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
Seifensieder. Was sprecht Ihr von
Freiheiten?
Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzählt noch was von unsern Privilegien!
Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
Soest. Sagt an.
Jetter. Laßt hören.
Ein Bürger. Ich bitt' Euch.
Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein guter und getreuer Herr sein.
Soest. Gut! Steht das so?
Jetter. Getreu? Ist das wahr?
Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm. Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
Jetter. Schön! Schön! nicht beweisen.
Soest. Nicht merken lassen.
Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt. Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
Vansen. Mit ausdrücklichen Worten.
Jetter. Schafft uns das Buch.
Ein Bürger. Ja, wir müssen's haben.
Andere. Das Buch! das Buch!
Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
Ein anderer. Ihr sollt das Wort führen, Herr Doktor.
Seifensieder. O die Tröpfe!
Andere. Noch etwas aus dem Buche!
Seifensieder. Ich schlage ihm die Zähne in den Hals, wenn er noch ein Wort sagt.
Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas thut. Sagt uns was von den Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne Verwilligung des Adels und der Stände! Merkt das! Auch den Staat des Landes nicht verändern.
Soest. Ist das so?
Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen von zwei-, dreihundert Jahren her.
Bürger. Und wir leiden die neuen Bischöfe? Der Adel muß uns schützen, wir fangen Händel an!
Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
Vansen. Das ist eure Schuld.
Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen für unser Bestes.
Vansen. Eure Brüder in Flandern haben das gute Werk angefangen.
Seifensieder. Du Hund! (Er schlägt ihn.)
Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein
Spanier?
Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
Ein anderer. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
Zimmermeister. Ums Himmels willen, ruht! (Andere mischen sich in den Streit.)
Zimmermeister. Bürger, was soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bürger stehn und gaffen, Volk läuft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
Zimmermeister. Gnädiger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels. Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bürger gegen Bürger! Hält sogar die Nähe unsrer königlichen Regentin diesen Unsinn nicht zurück? Geht aus
einander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein übles Zeichen, wenn ihr an Werktagen feiert. Was war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
Egmont. Die sie noch mutwillig zertrümmern werden--Und wer seid Ihr? Ihr scheint mir rechtliche Leute.
Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
Egmont. Eures Zeichens?
Zimmermeister. Zimmermann und
Zunftmeister.
Egmont. Und Ihr?
Soest. Krämer.
Egmont. Ihr?
Jetter. Schneider.
Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen für meine Leute gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
Jetter. Gnade, daß Ihr Euch dessen erinnert.
Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und gesprochen habe.--Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das thut; ihr seid übel genug angeschrieben. Reizt den
König nicht mehr, er hat zuletzt doch die Gewalt in Händen. Ein ordentlicher Bürger, der sich ehrlich und fleißig nährt, hat überall soviel Freiheit, als er braucht.
Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die Söffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stänkern aus Langerweile, und scharren aus Hunger nach Privilegien, und lügen den Neugierigen und Leichtgläubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu kriegen, fangen sie Händel an, die viel
tausend Menschen unglücklich machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Häuser und Kasten zu gut verwahrt; da möchten sie gern uns mit Feuerbränden davon treiben.
Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind Maßregeln genommen, dem Übel kräftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet nicht, daß sie sich auf den Straßen rotten. Vernünftige Leute können viel thun.
(Indessen hat sich der größte Haufe verlaufen.)
Zimmermeister. Danken Euer Excellenz, danken für die gute Meinung! Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnädiger Herr! der echte Niederländer! Gar so nichts Spanisches.
Jetter. Hätten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
Soest. Das läßt der König wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit den Seinigen.
Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach spanischem
Schnitt.
Zimmermeister. Ein schöner Herr!
Jetter. Sein Hals wär' ein rechtes Fressen für einen Scharfrichter.
Soest. Bist du toll? Was kommt dir ein?
Jetter. Dumm genug, daß einem so etwas einfällt.--Es ist mir nun so. Wenn ich einen schönen langen Hals sehe, muß ich gleich wider Willen denken: der ist gut köpfen.--Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen und ich seh' einen nackten Buckel,
gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein' ich, den säh' ich schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern; man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden Spaß hab' ich bald vergessen; die fürchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne gebrannt.
Egmonts Wohnung.
(Sekretär an einem Tische mit Papieren, er steht unruhig auf.)
Sekretär. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die Feder in der Hand, die Papiere vor mir; und eben heute möcht' ich gern so zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen! Ich kann vor Ungeduld kaum bleiben. "Sei auf die Stunde da," befahl er mir noch, ehe er wegging; nun kommt er nicht. Es ist so viel zu thun, ich werde vor Mitternacht nicht fertig. Freilich
sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt' ich's besser, wenn er strenge wäre und ließe einen auch wieder zur bestimmten Zeit. Man könnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun schon zwei Stunden weg; wer weiß, wen er unterwegs angefaßt hat.
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Wie sieht's aus?
Sekretär. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrießlich Gesicht.
Sekretär. Eurem Befehl zu gehorchen, wart' ich schon lange. Hier sind die Papiere.
Egmont. Donna Elvira wird böse auf mich werden, wenn sie hört, daß ich dich abgehalten habe.
Sekretär. Ihr scherzt.
Egmont. Nein, nein. Schäme dich nicht. Du zeigst einen guten Geschmack. Sie ist hübsch; und es ist mir ganz recht, daß du auf dem Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
Sekretär. Mancherlei, und wenig Erfreuliches.
Egmont. Da
ist gut, daß wir die Freude zu Hause haben und sie nicht von auswärts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
Sekretär. Genug, und drei Boten warten.
Egmont. Sag' an! das Nötigste.
Sekretär. Es ist alles nötig.
Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
Sekretär. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. --
Egmont. Er schreibt
wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und Tollkühnheiten?
Sekretär. Ja! Es kommt noch manches vor.
Egmont. Verschone mich damit.
Sekretär. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Verwich das Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll hängen lassen.
Egmont. Ich bin des Hängens müde. Man soll sie durchpeitschen, und sie mögen gehen.
Sekretär. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch
durchpeitschen?
Egmont. Die mag er verwarnen und laufen lassen.
Sekretär. Brink von Bredas Kompagnie will heiraten. Der Hauptmann hofft, Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen, schreibt er, daß, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern einem Zigeuner-Geschleppe ähnlich sehen wird.
Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schöner junger Kerl; er bat mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem
mehr gestattet sein, so leid mir's thut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt genug sind, ihren besten Spaß zu versagen.
Sekretär. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mädel, einer Wirtstochter, übel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
Egmont. Wenn es ein ehrlich Mädchen ist, und sie haben Gewalt gebraucht, so soll er sie drei Tage hinter einander mit Ruten streichen lassen, und wenn sie etwas
besitzen, soll er so viel davon einziehen, daß dem Mädchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
Sekretär. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines gegangen und entdeckt worden. Er schwört, er sei im Begriff, nach Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm versichern, daß er das zweite Mal nicht so wegkommt.
Sekretär. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er
schreibt: es komme wenig Geld ein, er könne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken; der Tumult habe in alles die größte Konfusion gebracht.
Egmont. Das Geld muß herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
Sekretär. Er sagt: er werde sein Möglichstes thun, und wolle endlich den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen lassen.
Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
Sekretär. Das letzte Mal
setzte er sich selbst vierzehn Tage.
Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn verfahren.
Sekretär. Ihr thut wohl. Es ist nicht Unvermögen; es ist böser Wille. Er macht gewiß Ernst, wenn er sieht, Ihr spaßt nicht.--Ferner sagt der Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebühr einen halben Monat zurückhalten; man könne indessen Rat schaffen; sie möchten sich einrichten.
Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nötiger als ich. Das soll er bleiben lassen.
Sekretär. Woher befehlt Ihr denn, daß er das Geld nehmen soll?
Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon gesagt.
Sekretär. Deswegen thut er die Vorschläge.
Egmont. Die taugen nicht; er soll auf was anders sinnen. Er soll Vorschläge thun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld schaffen.
Sekretär. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hieher gelegt. Verzeiht, daß ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen andern eine ausführliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. Gewiß, er liebt Euch wie ein Vater.
Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem Verhaßten ist mir das Schreiben das Verhaßteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib' in meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu, und wünschte selbst, daß ihm auf
seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes geschrieben würde.
Sekretär. Sagt mir nur ungefähr Eure Meinung; ich will die Antwort schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daß sie vor Gericht für Eure Hand gelten kann.
Egmont. Gieb mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedächtig? Erstiegst du nie einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrät,
hinten?--Der treue Sorgliche! Er will mein Leben und mein Glück, und fühlt nicht, daß der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. --Schreib' ihm, er möge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich werde mich schon wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines vollkommnen Dankes gewiß sein.
Sekretär. Nichts weiter? O, er erwartet mehr.
Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so steht's bei dir. Es
dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie ich nicht leben mag. Daß ich fröhlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch lebe, das ist mein Glück; und ich vertausch' es nicht gegen die Sicherheit eines Totengewölbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart nicht einen Blutstropfen in meinen Adern, nicht Lust, meine Schritte nach der neuen bedächtigen Hof-kadenz zu mustern. Leb' ich nur, um auf's Leben zu denken? Soll ich den gegenwärtigen Augenblick nicht genießen, damit ich
des folgenden gewiß sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
Sekretär. Ich bitt' Euch, Herr, seid nicht so harsch und rauh gegen den guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefällig Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfältig er ist, wie leis' er Euch berührt.
Egmont. Und doch berührt er immer diese Saite. Er weiß von alters her, wie verhaßt mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie helfen nichts.
Und wenn ich ein Nachtwandler wäre, und auf dem gefährlichen Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen zu rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu töten? Laßt jeden seines Pfades gehn; er mag sich wahren.
Sekretär. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen; aber wer Euch kennt und liebt --
Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Märchen auf, was wir an einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben
und gesprochen, und was man daraus für Folgen und Beweise durchs ganze Königreich gezogen und geschleppt habe.--Nun gut! wir haben Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener Ärmel sticken lassen, und haben diese tolle Zierde nachher in ein Bündel Pfeile verwandelt; ein noch gefährlicher Symbol für alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten ist. Wir haben die und jene Thorheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich und geboren; sind schuld, daß eine ganze edle Schar mit
Bettelsäcken und mit einem selbstgewählten Unnamen dem Könige seine Pflicht mit spottender Demut ins Gedächtnis rief; sind schuld--was ist's nun weiter? Ist ein Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen bunten Lumpen zu mißgönnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt, was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am Abend uns keine Lust zu hoffen übrig
bleibt, ist's wohl des An- und Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut', um das zu überlegen, was gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese Betrachtungen; wir wollen sie Schülern und Höflingen überlassen. Die mögen sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen wohin sie können, erschleichen, was sie können.--Kannst du von allem diesem etwas brauchen, daß deine Epistel kein
Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten Alten scheint alles viel zu wichtig. So drückt ein Freund, der lang unsre Hand gehalten, sie stärker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretär. Verzeiht mir! Es wird dem Fußgänger schwindlig, der einen Mann mit rasselnder Eile daher fahren sieht.
Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als
mutig gefaßt die Zügel festzuhalten, und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam!
Sekretär. Herr! Herr!
Egmont. Ich stehe hoch, und kann und muß noch höher steigen; ich fühle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab' ich meines Wachstums Gipfel nicht erreicht; und steh' ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein
Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen; da lieg' ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht, mit meinen guten Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
Sekretär. O Herr! Ihr wißt nicht, was für Worte Ihr sprecht! Gott erhalt' Euch!
Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am nötigsten
ist, daß die Boten fortkommen, eh' die Thore geschlossen werden. Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laß bis morgen; versäume nicht, Elviren zu besuchen, und grüße sie von mir.--Horche, wie sich die Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt. (Sekretär ab.)
(Oranien kommt.)
Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont. Ich
fand in ihrer Art uns aufzunehmen nichts Außerordentliches. Ich habe sie schon öfter so gesehen. Sie schien mir nicht ganz wohl.
Oranien. Merktet Ihr nicht, daß sie zurückhaltender war? Erst wollte sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pöbels gelassen billigen; nachher merkte sie an, was sich doch auch für ein falsches Licht darauf werfen lasse; wich dann mit dem Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen Diskurs: daß man ihre liebevolle, gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederländern nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daß nichts einen erwünschten Ausgang nehmen wolle, daß sie am Ende wohl müde werden, der König sich zu andern Maßregeln entschließen müsse. Habt Ihr das gehört?
Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein Weib, guter Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr sanftes Joch gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte und ihren Kunkelhof vermehrte; daß, weil
sie friedlich gesinnt sind, die Gärung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegen einander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe, und die widrigsten Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten. Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und zu drohen, daß sie--fortgehn
will.
Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt?
Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo will sie denn hin? Hier Statthalterin, Königin; glaubst du, daß sie es unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhältnissen herumzuschleppen?
Oranien. Man hält sie dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie habt zaudern, weil Ihr
sie habt zurücktreten sehn; dennoch liegt's wohl in ihr; neue Umstände treiben sie zu dem lang verzögerten Entschluß. Wenn sie ginge? und der König schickte einen andern?
Egmont. Nun, der würde kommen, und würde eben auch zu thun finden. Mit großen Planen, Projekten und Gedanken würde er kommen, wie er alles zurecht rücken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und würde heut' mit dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu thun haben, übermorgen jene Hindernis finden, einen
Monat mit Entwürfen, einen andern mit Verdruß über fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen über eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln, und die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daß er, statt weite Meere nach einer vorgezogenen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen hält.
Oranien. Wenn man nun aber dem König zu einem Versuch riete?
Egmont. Der wäre?
Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont. Wie?
Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am Herzen, ich stehe immer wie über einem Schachspiele und halte keinen Zug des Gegners für unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt' ich es für Pflicht, für Beruf eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen
Ausbruch zu befürchten. Der König hat lange nach gewissen Grundsätzen gehandelt; er sieht, daß er damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daß er es auf einem andern Wege versucht?
Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht, und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl genug haben.
Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont. Nun?
Oranien. Das Volk zu schonen und die Fürsten
zu verderben.
Egmont. Wie viele haben das schon lange gefürchtet. Es ist keine Sorge.
Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt Gewißheit geworden.
Egmont. Und hat der König treuere Diener als uns?
Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander können wir gestehen, daß wir des Königs Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen wissen.
Egmont. Wer thut's nicht? Wir sind ihm unterthan und gewärtig in
dem, was ihm zukommt.
Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte, was wir heißen, auf unsere Rechte halten?
Egmont. Wir werden uns verteidigen können. Er rufe die Ritter des Vließes zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien. Und was wäre ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor dem Urteil?
Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird; und eine Thorheit, die ich ihm und
seinen Räten nicht zutraue.
Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und thöricht wären?
Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an uns zu legen?--Uns gefangen zu nehmen, wär' ein verlornes und fruchtloses Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht über's Land brächte, würde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wo hinaus wollten sie? Richten und verdammen kann nicht
der König allein; und wollten sie meuchelmörderisch an unser Leben?--Sie können nicht wollen. Ein schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Haß und ewige Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.
Oranien. Die Flamme wütete dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer Feinde flösse zum leeren Sühnopfer. Laß uns denken, Egmont.
Egmont. Wie sollten sie aber?
Oranien. Alba ist unterwegs.
Egmont. Ich glaub's
nicht.
Oranien. Ich weiß es.
Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien. Um desto mehr bin ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz machen. Seinen Mordsinn kenn' ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst schwierig werden.
Oranien. Man wird sich der Häupter versichern.
Egmont. Nein! Nein!
Oranien. Laß uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort
wollen wir uns verstärken; mit offner Gewalt fängt er nicht an.
Egmont. Müssen wir ihn nicht begrüßen, wenn er kommt?
Oranien. Wir zögern.
Egmont. Und wenn er uns im Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert?
Oranien. Suchen wir Ausflüchte.
Egmont. Und wenn er dringt?
Oranien. Entschuldigen wir uns.
Egmont. Und wenn er darauf besteht?
Oranien. Kommen wir um so weniger.
Egmont. Und der
Krieg ist erklärt, und wir sind die Rebellen. Oranien, laß dich nicht durch Klugheit verführen; ich weiß, daß Furcht dich nicht weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien. Ich hab' ihn bedacht.
Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist: an dem verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet hat. Dein Weigern ist das Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den
Vorwand gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben, wirst du mit einem Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk' an die Städte, die Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke die Verwüstung, den Mord!--Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluß herunter werden dir die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daß du mit Entsetzen dastehst, und nicht mehr weißt, wessen
Sache du verteidigst, da die zu Grunde gehen, für deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie wird dir's sein, wenn du dir still sagen mußt: Für meine Sicherheit ergriff ich sie.
Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns für Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns für Tausende zu schonen.
Egmont. Wer sich schont, muß sich selbst verdächtig werden.
Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rückwärts gehen.
Egmont. Das Übel, das du fürchtest, wird gewiß durch deine That.
Oranien. Es ist klug und kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegenzugehn.
Egmont. Bei so großer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in Anschlag
Oranien. Wir haben nicht für den leisesten Fußtritt Platz mehr; der Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont. Ist des Königs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien. So schmal nicht, aber schlüpfrig.
Egmont. Bei Gott!
man thut ihm unrecht. Ich mag nicht leiden, daß man unwürdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig.
Oranien. Die Könige thun nichts Niedriges.
Egmont. Man sollte ihn kennen lernen,
Oranien. Eben diese Kenntnis rät uns, eine gefährliche Probe nicht abzuwarten.
Egmont. Keine Probe ist gefährlich, zu der man Mut hat.
Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont. Ich muß mit meinen Augen sehen.
Oranien. O, sähst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht, daß der Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal verschlingt. Vielleicht zögert er, um seinen Anschlag sicherer auszuführen; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich!--Leb'
wohl! --Laß deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wie viel Mannschaft er mitbringt, wie er die Stadt besetzt, was für Macht die Regentin behält, wie deine Freunde gefaßt sind. Gieb mir Nachricht--Egmont--
Egmont. Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend). Laß dich überreden! Geh mit!
Egmont. Wie? Thränen, Oranien?
Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch männlich.
Egmont. Du wähnst mich verloren?
Oranien.
Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb' wohl! (Ab.)
Egmont. (allein). Daß andrer Menschen Gedanken solchen Einfluß auf uns haben! Mir wär' es nie eingekommen; und dieser Mann trägt seine Sorglichkeit in mich herüber.--Weg!--Das ist ein fremder Tropfen in meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die sinnenden Runzeln wegzubaden, giebt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.