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Johann Wolfgang von Goethe

Egmont

Fünfter Aufzug.

eingestellt: 10.6.2007

Straße. Dämmerung.



Klärchen. Brackenburg. Bürger.

Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?

Klärchen. Komm mit, Brackenburg! Du mußt die Menschen nicht kennen; wir befreien ihn gewiß. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fühlt, ich schwör' es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von einem kostbaren Leben abzuwenden, und dem Freiesten die Freiheit wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind; und daß sein mächtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhält, wissen sie. Um seinet--und ihretwillen müssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum höchsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mühe wert ist, wenn er umkommt.

Brackenburg. Unglückliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit ehernen Banden gefesselt hat.

Klärchen. Sie scheint mir nicht unüberwindlich. Laß uns nicht lang vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern Männern! Hört, Freunde! Nachbarn, hört!--Sagt, wie ist es mit Egmont?

Zimmermeister. Was will das Kind? Laß sie schweigen!

Klärchen. Tretet näher, daß wir sachte reden, bis wir einig sind und stärker. Wir dürfen nicht einen Augenblick versäumen! Die freche Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dämmerung werd' ich ängstlicher. Ich fürchte diese Nacht. Kommt! wir wollen uns teilen; mit schnellem Lauf von Quartier zu Quartier rufen wir die Bürger heraus. Ein jeder greife zu seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom reißt einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und überschwemmt, und sind erdrückt. Was kann uns eine Handvoll Knechte widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zurück, sieht sich befreit, und kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er sieht vielleicht--gewiß, er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.

Zimmermeister. Wie ist dir, Mädchen?

Klärchen. Könnt ihr mich mißverstehn? Vom Grafen sprech' ich! Ich spreche von Egmont.

Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tödlich.

Klärchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen Sternen hab' ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr träumt; besinnt euch. Seht mich nicht so starr und ängstlich an! Blickt nicht schüchtern hie und da beiseite. Ich ruf' euch ja nur zu, was jeder wünscht. Ist meine Stimme nicht eures Herzens eigne Stimme? Wer würfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Kniee, ihn mit ernstlichem Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst! und wer spricht mir nicht nach: "Egmonts Freiheit oder den Tod!"

Jetter. Gott bewahr' uns! Da giebt's ein Unglück.

Klärchen. Bleibt! Bleibt und drückt euch nicht vor seinem Namen weg, dem ihr euch sonst so froh entgegen drängtet!--Wenn der Ruf ihn ankündigte, wenn es hieß: "Egmont kommt! Er kommt von Gent!" da hielten die Bewohner der Straßen sich glücklich, durch die er reiten mußte. Und wenn ihr seine Pferde schallen hörtet, warf jeder seine Arbeit hin, und über die bekümmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da hobt ihr eure Kinder auf der Thürschwelle in die Höhe und deutetet ihnen: "Sieh, das ist Egmont, der größte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr bessere Zeiten, als eure armen Väter lebten, einst zu erwarten habt." Laßt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: "Wo ist er hin? Wo sind die Zeiten hin, die ihr verspracht?"--Und so wechseln wir Worte, sind müßig, verraten ihn!

Soest. Schämt Euch, Brackenburg! Laßt sie nicht gewähren! Steuert dem Unheil!

Brackenburg. Liebes Klärchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter sagen? Vielleicht--

Klärchen. Meinst du, ich sei ein Kind, oder wahnsinnig? Was kann vielleicht?--Von dieser schrecklichen Gewißheit bringst du mich mit keiner Hoffnung weg.--Ihr sollt mich hören, und ihr werdet; denn ich seh's, ihr seid bestürzt, und könnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden. Laßt durch die gegenwärtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft! Könnt ihr denn leben? Werdet ihr, wenn er zu Grunde geht? Mit seinem Atem flieht der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Für wen übergab er sich der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur für euch. Die große Seele, die euch alle trug, beschränkt ein Kerker, und Schauer tückischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfüllen gewohnt war.

Zimmermeister. Gevatter, kommt.

Klärchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark, wie ihr; doch hab' ich, was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Könnt' euch mein Atem doch entzünden! könnt' ich an meinen Busen drückend euch erwärmen und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen!--Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von Kriegern wehend anführt, so soll mein Geist um eure Häupter flammen, und Liebe und Mut das schwankende, zerstreute Volk zu einem fürchterlichen Heer vereinigen.

Jetter. Schaff' sie beiseite, sie dauert mich.

(Bürger ab.)

Brackenburg. Klärchen! siehst du nicht, wo wir sind?

Klärchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wölben schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie herausgesehn, vier, fünf Köpfe über einander; an diesen Thüren haben sie gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O, ich hatte sie so lieb, wie sie ihn ehrten! Wäre er Tyrann gewesen, möchten sie immer vor seinem Falle seitwärts gehn. Aber sie liebten ihn!--O ihr Hände, die ihr an die Mützen grifft, zum Schwert könnt ihr nicht greifen--Brackenburg, und wir?--Schelten wir sie?--Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was thun sie für ihn?--List hat in der Welt so viel erreicht.--Du kennst Wege und Stege, kennst das alte Schloß. Es ist nichts unmöglich, gieb mir einen Anschlag.

Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen.

Klärchen. Gut.

Brackenburg. Dort an der Ecke seh' ich Albas Wache; laß doch die Stimme der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hältst du mich für feig? Glaubst du nicht, daß ich um deinetwillen sterben könnte? Hier sind wir beide toll, ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmögliche? Wenn du dich faßtest! Du bist außer dir.

Klärchen. Außer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid außer euch. Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam; da stand ich in meinem Winkel, schob das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir höher als euch allen. Jetzt schlägt mir's wieder höher als euch allen! Ihr verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fühlt nicht, daß ihr untergeht, wenn er verdirbt.

Brackenburg. Komm nach Hause.

Klärchen. Nach Hause?

Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die Straßen, die du nur sonntäglich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche gingst, wo du übertrieben ehrbar zürntest, wenn ich mit einem freundlichen grüßenden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest, handelst vor den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! Wozu hilft es uns?

Klärchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach Hause! Weißt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)

Gefängnis



durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde.

(Egmont allein.)

Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich auch, wie die übrigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies Haupt herunter, und kühltest, wie ein schöner Myrtenkranz der Liebe, meine Schläfe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stürme durch Zweige und Blätter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schüttelt dich nun? Was erschüttert den festen, treuen Sinn? Ich fühl's, es ist der Klang der Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh' ich aufrecht, und ein innrer Schauer durchfährt mich. Ja, sie überwindet, die verräterische Gewalt; sie untergräbt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stürzt krachend und zerschmetternd deine Krone.

Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen dir vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf und nieder treibt? Seit wann begegnet der Tod dir fürchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit den übrigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest?--Auch ist er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem gepolsterten Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fürsten, was leicht zu entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprächen überlegten, und zwischen düstern Wänden eines Saals die Balken der Decke mich erdrückten. Da eilt' ich fort, sobald es möglich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge. Und frisch hinaus, da wo wir hingehören! ins Feld, wo aus der Erde dampfend jede nächste Wohlthat der Natur, und durch die Himmel wehend alle Segen der Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der Berührung unsrer Mutter kräftiger uns in die Höhe reißen; wo wir die Menschheit ganz, und menschliche Begier in allen Adern fühlen; wo das Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen, zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jägers glüht; wo der Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaßt, und in fürchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und Wald verderbend streicht, und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.

Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glücks, das ich so lang besessen; wo hat dich das Geschick verräterisch hingeführt? Versagt es dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gönnen, um dir des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben; vor dem Ruhebette wie vor dem Grabe scheut der Fuß.--

O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laß ab!--Seit wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der Zweifel hilflos, nicht das Glück. Ist die Gerechtigkeit des Königs, der du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast, du darfst es dir gestehn, fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein glänzend Feuerbild der Nacht, verschwunden, und lassen dich allein auf dunkelm Pfad zurück? Wird an der Spitzedeiner Freunde Oranien nicht wagend sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den alten Freund erretten?

O haltet, Mauern, die ihr mich einschließt, so vieler Geister wohlgemeintes Drängen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen sonst sich über sie ergoß, der kehre nun aus ihren Herzen in meines wieder. O ja, sie rühren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh' ich sie nach Lanz' und Schwertern greifen. Die Thore spalten sich, die Gitter springen, die Mauer stürzt vor ihren Händen ein, und der Freiheit des einbrechenden Tages steigt Egmont fröhlich entgegen. Wie manch bekannt Gesicht empfängt mich jauchzend! Ach, Klärchen, wärst du Mann, so säh' ich dich gewiß auch hier zuerst, und dankte dir, was einem Könige zu danken hart ist, Freiheit.

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