Frei Lesen: Der Chancellor

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Jules Verne

Der Chancellor

IX.

eingestellt: 22.7.2007



Am 19. October. –

Jetzt wird mir Alles klar, das gegenseitige Zuzischeln der Matrosen, ihr unruhiges Aussehen, die Worte Owens, das Begießen des Verdecks, das man in fortwährend angefeuchtetem Zustande zu erhalten trachtet, und ebenso die Wärme, welche sich in den Wohnräumen entwickelt und nach und nach unerträglich wird. Die Passagiere haben davon gelitten, ebenso wie ich, und vermögen sich diese abnorme Temperatur gar nicht zu erklären.

Nachdem er mir diese sehr ernste Mittheilung gemacht, versinkt Robert Kurtis wieder in Stillschweigen.

Er scheint meine Frage zu erwarten, doch gestehe ich, daß mich zunächst ein kalter Schauer vom Kopf bis zu den Füßen überlief. Von allen Unfällen, die eine Seefahrt nur treffen können, ist jener der furchtbarste, und kein Mensch, er sei noch so kaltblütig, wird ohne ein leises Erzittern die Worte hören können: »Es ist Feuer an Bord!« Indessen gewinne ich die Herrschaft über mich selbst, und meine erste Frage lautet:

»Seit wann besteht diese Feuersbrunst?

– Seit sechs Tagen!

– Seit sechs Tagen! rufe ich. Es war also in jener Nacht ...?

– Ja, erwiderte mir Robert Kurtis, seit der Nacht, während der die sonderbare Aufregung auf dem Verdeck des Chancellor herrschte. Die wachthabenden Matrosen hatten einen leichten Rauch bemerkt, der aus den Fugen am Deckel der großen Luke quoll. Der Kapitän und ich waren sofort bei der Hand. Kein Zweifel! Die Waaren im Kielraum hatten Feuer gefangen, und es gab keinen Weg, nach dem Herde der Entzündung zu gelangen. Wir haben gethan, was unter solchen Verhältnissen nur allein möglich ist, d. h. wir haben die Luken, so dicht als es irgend anging, verschlossen, um jeden Zutritt der Luft nach dem Innern des Fahrzeugs abzuhalten. Ich hoffte, wir würden dadurch im Stande sein, die Feuersbrunst im Entstehen zu ersticken, und die ersten Tage glaubte ich wirklich, wir waren ihrer Herr geworden. Seit drei Tagen steht es aber fest, daß das Feuer Fortschritte macht. Die Hitze unter unseren Füßen nimmt zu, und ohne die Vorsichtsmaßregel, das Verdeck immer in feuchtem Zustande zu erhalten, wäre es hier nicht zum Aushalten. Alles in Allem, Mr. Kazallon, ist es mir lieber, daß Sie von dem Stande der Dinge unterrichtet sind, deshalb sage ich Ihnen das.«

Schweigend lausche ich dem Berichte des zweiten Officiers. Ich durchschaue den ganzen Ernst der Situation gegenüber einer Feuersbrunst, die von Tag zu Tag mehr Ausbreitung gewinnt und welche zuletzt vielleicht keine menschliche Macht mehr zu dämpfen vermag.

»Ist Ihnen die Entstehung des Feuers bekannt? frage ich.

– Sehr wahrscheinlich ist sie in einer Selbstentzündung der Baumwolle zu suchen.

– Kommt eine solche häufig vor?

– Häufig? Nein! Aber dann und wann; denn wenn die Baumwolle zur Zeit der Einschiffung nicht vollkommen trocken ist, kann sie unter den Verhältnissen, in denen sie sich später befindet, d. h. bei der feuchten Luft eines Kielraumes, der nur sehr unzulänglich zu lüften ist, sich ganz von selbst entzünden. In mir steht die Ueberzeugung fest, daß die Feuersbrunst an Bord keine andere Ursache hat.

– Doch die Ursache fällt für uns jetzt nicht ins Gewicht. Ist etwas dagegen zu thun, Mr. Kurtis?

– Nein, Mr. Kazallon, antwortet mir Robert Kurtis; doch wiederhole ich Ihnen, daß wir alle für den gegebenen Fall gebotenen Vorsichtsmaßregeln ergriffen haben. Ich hatte daran gedacht, das Schiff in der Wasserlinie an einer Stelle zu öffnen, um eine gewisse Menge Wasser einströmen zu lassen, welches die Pumpen später leicht herausgeschafft hätten; da wir aber zu der Ueberzeugung kamen, daß das Feuer jedenfalls in der Mitte des Cargo entstanden ist, hätten wir den ganzen Kielraum unter Wasser setzen müssen, um jenes zu erreichen. Inzwischen habe ich an mehreren Stellen des Verdecks kleine Oeffnungen anbringen lassen, durch welche während der Nacht Wasser eingegossen wird, doch erweist sich das als unzureichend. Nein, es ist wirklich nur ein Weg offen, – derselbe, welchen man in solchen Fällen immer einschlägt, das Feuer zu ersticken, indem man ihm jeden Luftzutritt von Außen abschneidet und dadurch den die Verbrennung unterhaltenden Sauerstoff raubt.

– Und das Feuer ist trotzdem im Wachsen?

– Ja, und das liefert den Beweis für das Eindringen von Luft in den Schiffsraum durch eine Oeffnung, die wir trotz alles Nachsuchens nicht zu entdecken im Stande sind.

– Hat man Beispiele dafür, Mr. Kurtis, daß Schiffe unter solchen Verhältnissen ausgehalten haben?

– O gewiß, Mr. Kazallon; es kommt gar nicht so sehr selten vor, daß mit Baumwolle befrachtete Schiffe in Liverpool oder Havre mit zum Theil verzehrtem Cargo anlangten. In diesen Fällen hatte man freilich das Feuer zu löschen, mindestens in Schranken zu halten vermocht. Mir ist mehr als ein Kapitän bekannt, der so, mit dem Feuer unter den Füßen, in den Hafen eingelaufen ist. Dann mußte natürlich eiligst die Ladung gelöscht werden, wodurch mit dem unversehrten Theile derselben auch das Schiff gerettet wurde. Bei uns liegen die Dinge leider schlimmer, und ich verhehle mir nicht, daß das Feuer, anstatt beschränkt zu werden, täglich weitere Fortschritte macht. Nothwendiger Weise existirt irgend eine Oeffnung, die sich unserem Nachsuchen entzieht und welche durch Zuführung frischer Luft den Brand ernährt.

– Erschiene es da nicht angezeigt, umzukehren, und sobald als möglich Land zu erreichen zu suchen?

– Vielleicht, entgegnet mir Robert Kurtis; das ist eine Frage, welche der Lieutenant, der Hochbootsmann und ich noch heute mit dem Kapitän besprechen wollen; doch ich gestehe, ich sage das Ihnen, Mr. Kazallon, daß ich es schon auf mich genommen habe, den bis jetzt gesteuerten Cours zu ändern; wir haben jetzt den Wind im Rücken und fahren nach Südwesten, d. h. nach der Küste zu.

– Die Passagiere wissen nichts von der ihnen drohenden Gefahr? frage ich den zweiten Officier.

– Nichts, und ich bitte Sie auch um Stillschweigen über die Ihnen gewordenen Mittheilungen. Es ist unnöthig, durch den Schrecken der Frauen und vielleicht kleinmüthiger Männer unsere Verlegenheiten zu vermehren. Auch die Mannschaft hat Befehl, nicht darüber zu sprechen.«

Mir leuchten die gewichtigen Gründe des Mannes, also zu sprechen, ein, und ich versichere ihn meiner unbedingtesten Verschwiegenheit.


 

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