Frei Lesen: Kein Durcheinander

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Jules Verne

Kein Durcheinander

XVIII.

eingestellt: 23.7.2007



Der Abend des 22. September war endlich da – jenes denkwürdige Datum, von dem die öffentliche Meinung eine ebenso verheerende Wirkung erwartete, wie dereinst vom 1. Januar 1000.

Zwölf Stunden nach dem Durchgange der Sonne durch den Meridian des Kilimandjaro, d. h. um Mitternacht, sollte durch die Hand des Kapitän Nicholl an die schreckliche Erderschütterungsmaschine Feuer gelegt werden.

Hier muß noch eingeschaltet werden, daß der Kilimandjaro unter fünfunddreißig Grad östlicher, Baltimore dagegen unter neunundsiebzig Grad westlicher Länge von Paris liegt, was einen Unterschied von hundertvierzehn Längengraden, oder, da jeder vier Zeitminuten entspricht, von vierhundertsechsundfünfzig Zeitminuten, gleich sieben Stunden sechsunddreißig Minuten ausmacht. In dem Augenblicke, wo der Schuß abgebrannt werden sollte, konnte es in der Hauptstadt von Maryland daher erst um fünf Uhr vierundzwanzig Minuten Nachmittags sein.

Das Wetter war prächtig. Hinter einem wundervoll reinen Horizonte senkte sich über den Ebenen von Wamasai die Sonne dem Untergange entgegen. Man hatte sich keine schönere, stillere, sternenhellere Nacht wünschen können, um solch ein Geschoß in den Weltraum zu jagen. Kein Wölkchen sollte sich mit den künstlichen, durch die Verpuffung des Meli-Melonits entstehenden Dunstmassen vermischen.

Wer weiß, ob der Präsident Barbicane und der Kapitän Nicholl es nicht vielleicht gar bedauerten, in ihrem Projectile nicht Platz nehmen zu können! In der ersten Secunde hätten sie damit ja eine Strecke von zweitausendachthundert Kilometern zurückgelegt! Nach kurzem Fluge durch die Geheimnisse der Mondwelt hätten sich ihnen die Geheimnisse der Sonnenwelt, und zwar unter weit interessanteren Verhältnissen entschleiert, als früher einmal dem Franzosen Hector Servadac, der auf dem Kometen »Gallia« durch dieselben geführt wurde.

Der Sultan Bali-Bali, seine höchsten Würdenträger, d. h. der Finanzminister und der in Afrika niemals entbehrliche Scharfrichter, und dazu das ganze, bei dem großen Werk betheiligt gewesene Personal hatten sich zusammengefunden, um den verschiedenen Phasen des Schusses zu folgen. Aus Vorsicht hatte die gesammte Menge aber drei Kilometer von der in dem Kilimandjaro ausgehöhlten Gallerie Aufstellung genommen, um nicht von dem gewiß ganz ungeheueren Luftdrucke bei der Detonation zu leiden.

Ringsumher drängten sich Tausende von Eingebornen aus Kisongo und den im Süden des Landes verstreuten Ortschaften, welche auf besonderen Befehl des Sultans herbeigeeilt waren, das erhabene Schauspiel mit anzusehen.

Ein Kupferdraht, der, von einer elektrischen Batterie ausgehend, mit der Zündmasse im Hintergrunde der Gallerie in Verbindung stand, war bestimmt zur Fortleitung des Stromes, der die Zündpille in Brand setzen und die Verpuffung des Meli-Melonits herbeiführen sollte.

Als Vorspiel hatte eine treffliche Mahlzeit den Sultan, seine amerikanischen Gäste und die Großwürdenträger seines Reiches an ein und derselben Tafel vereinigt – Alles auf Kosten Bali-Balis, der umso freigebiger auftrat, als ihm seine Auslagen aus der Casse der Gesellschaft Barbicane & Cie. zurückerstattet werden sollten.

Es war um elf Uhr, als das um siebeneinhalb Uhr begonnene Festmahl mit einem Toast beendigt wurde, den der Sultan auf die Ingenieure der » North Polar Practical Association« und auf das glückliche Gelingen ihrer Unternehmung ausbrachte.

Noch eine Stunde, und die Veränderung der geographischen und klimatologischen Zustände der Erde sollte eine vollendete Thatsache geworden sein.

Der Präsident Barbicane, sein College und die zehn Werkführer stellten sich nun um das Häuschen, in dessen Innerem die elektrische Batterie zurechtgemacht war.

Den Chronometer in der Hand, zählte Barbicane die Minuten, und nie mochten sie ihm wohl so lange vorgekommen sein – so wie jene Minuten, die uns zuweilen nicht wie Jahre, sondern wie Jahrhunderte erscheinen.

Zehn Minuten vor Mitternacht traten der Kapitän Nicholl und er an den Apparat, den der Kupferdraht mit der Gallerte des Kilimandjaru in Verbindung setzte.

Der Sultan, sein Hofstaat und die Menge der Eingebornen bildeten einen ungeheueren Kreis um sie.

Es war von Wichtigkeit, daß der Schuß ganz genau in dem durch die Berechnungen J. T. Mastons bestimmten Augenblicke, d. h. gerade dann losgebrannt wurde, wenn die Sonne die äquinoctiale Linie durchschnitt, die sie bei ihrer scheinbarm Kreisbahn um das Erdsphäroïd niemals wieder verlassen sollte.

»Noch fünf Minuten!« – »Noch vier Minuten!« – »Noch drei!« – »Noch zwei!« – »Nur noch eine Minute!«

Der Präsident Barbicane starrte wie gebannt auf den Secundenzeiger seiner Uhr, welche eine von einem der Werkführer gehaltene Laterne beleuchtete, wahrend der Kapitän Nicholl sich mit über dem Tasterknopf erhobenem Finger bereit hielt, den elektrischen Strom zu schließen.

»Nur noch zwanzig Secunden!« – »Nur noch zehn!« – »Noch fünf!« – »Nur noch eine Secunde!«...

Man hätte auch nicht das leiseste Erzittern an der Hand dieses phlegmatischen Nicholl wahrnehmen können. Er und sein College waren heute nicht mehr erregt als in jenem Augenblicke, wo sie, in dem Aluminiumgeschoß einquartiert, den Zeitpunkt erwarteten, in dem die Columbiade von Florida sie in den Bereich des Mondes befördern sollte.

»Feuer!« rief der Präsident Barbicane.

Der Zeigefinger des Kapitän Nicholl drückte auf den Knopf.

Eine furchtbare Explosion, deren donnerndes Echo sich bis zu den entferntesten Grenzen des Horizonts von Wamasai verbreitete. Ein scharfes Pfeifen einer Masse, welche die Luftschichten unter dem Drucke von Milliarden Milliarden Litern Gas durchsauste, das durch die urplötzliche Verpuffung von zwei Millionen Tonnen Meli-Melonit erzeugt worden war. Man hätte sagen mögen, eines jener Meteore, in denen alle Gewalt der Natur aufgespeichert ist, brause dicht über der Oberfläche der Erde hin. Und schrecklicher wäre die Wirkung auch nicht gewesen, wenn sich alle Artilleriecorps der Erde mit allen Blitzen des Himmels verbunden hätten, um zusammen zu donnern!


 

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