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Jules Verne

Kein Durcheinander

II.

eingestellt: 23.7.2007



Das Document verdiente eine Antwort. Erwarb die neue Gesellschaft jene hochnördlichen Gebiete, so gingen dieselben damit in den endgiltigen Besitz Amerikas, oder richtiger, der Vereinigten Staaten über, deren lebenskräftiger Bund sich unaufhörlich zu vergrößern strebt. Bereits seit einer Reihe von Jahren hatte die Abtretung des nordwestlichen Theiles Amerikas von der nördlichen Cordillere bis zur Behringsstraße seitens Rußlands jenen ein hübsches Stück der Neuen Welt hinzugefügt. Es war demnach zu vermuthen, daß die anderen Mächte diese Annexion der arktischen Gebiete durch die Bundesrepublik nicht eben gerne sehen würden.

Dennoch standen, wie erwähnt, die Staaten Europas und Asiens davon ab, sich an dieser eigenthümlichen Auction zu betheiligen, zumal da die Resultate derselben sehr fraglicher Natur zu werden schienen. Nur diejenigen Mächte, deren obere Grenz- oder Küstenlinie sich – relativ – dem vierundachtzigsten Breitengrade nähert, beschlossen, ihre Rechte durch officielle Abgesandte vertreten zu lassen. Es wird sich übrigens zeigen, daß diese nur bis zu einem verhältnißmäßig geringen Preise mit zu bieten beauftragt waren, denn es handelte sich ja um ein Stück Erde, dessen wirkliche Besitznahme sich vielleicht als unmöglich erwies. Nur das nimmersatte England glaubte seinem Vertreter einen ziemlich bedeutenden Credit bewilligen zu müssen. Doch beeilen wir uns, es auszusprechen: die Abtretung der circumpolaren Gegenden bedrohte in keiner Weise das europäische Gleichgewicht und konnte keine Veranlassung zu internationalen Verwickelungen abgeben. Selbst Fürst Bismarck – der große Kanzler lebte zu jener Zeit noch – runzelte dazu nicht die mächtigen Augenbrauen des deutschen Jupiter.

Es blieben also nur England, Dänemark, Schweden-Norwegen, Holland und Rußland übrig, welche ihre Angebote vor dem Auctionscommissär in Baltimore gegenüber dem der Vereinigten Staaten abgeben sollten. Dem Meistbietenden sollte die eisige Calotte des Pols, deren Handelswerth mindestens sehr zweifelhaft war, zugeschlagen werden.

Wir verzeichnen hier noch zum Überfluß die persönlichen Gründe, aus denen die fünf europäischen Staaten wünschten, die Versteigerung zu ihren Gunsten ausfallen zu sehen:

Schweden-Norwegen, als Eigenthümer des Nordcaps, jenseit des siebzigsten Breitengrades, verhehlte nicht, daß es glaube, Anrechte auf die ausgedehnten Gebiete zu besitzen, welche sich bis Spitzbergen und über dieses hinaus bis zum Pole erstrecken. Der Norweger Kheilhau und der berühmte Schwede Nordenskjöld hatten ja unbestreitbar zu den Fortschritten der Geographie jener Gegenden wesentlich beigetragen.

Dänemark seinerseits erklärte, es sei bereits Herr von Island und den Faröern (Inseln) nahe dem Polarkreise; ihm gehörten die im Norden der arktischen Regionen bisher gegründeten Niederlassungen, wie die Insel Diskö in der Davisstraße, die Etablissements von Holsteinborg, Proven, Godhavn, Uppernivik im Baffinsmeere und an der Westküste Grönlands. Dazu war der berühmte Seefahrer Behring von dänischer Abstammung, obwohl er später in russische Dienste trat; und dieser hatte ja vom Jahre 1728 an die Meerenge, der sein Name verblieben ist, überschritten; leider kam er dreizehn Jahre später mit dreißig Köpfen Mannschaft elend am Strande einer Insel um, welche ebenfalls nach ihm benannt wurde. Lange vorher, 1619, hatte schon der Seefahrer Johann Munk die Ostküste Grönlands erforscht und mehrere bisher gänzlich unbekannte Punkte aufgenommen. Dänemark besaß also sehr begründete Rechte, sich jenen Besitz zu erwerben.

Was Holland anging, so hatten seine Seefahrer Barentz und Heemskerk bereits gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts Spitzbergen und Nowaja Semlja besucht. Einer seiner Söhne. Johann Mayen, war es auch gewesen, dessen kühner Nordlandszug seinem Vaterlande den Besitz der jenseit des einundsiebzigsten Breitengrades gelegenen Insel dieses Namens eingetragen hatte. Die Vergangenheit verlieh diesem Staate also auch gewisse Anrechte.

Die Russen betreffend, hatten diese mit Alexis Tschirikof, unter dessen Befehl einst Behring stand; mit Paulutsky, dessen Expedition 1751 bis über die Grenzen des Eismeeres hinauskam; mit dem Kapitän Martin Spanberg und dem Lieutenant Wilhelm Walton, die sich 1739 in jene unbekannten Gebiete hinauswagten – einen beträchtlichen Antheil an den Forschungen genommen, welche über der Asien und Amerika trennenden Meerenge zu verzeichnen sind. Überdem beherrschen sie durch die Lage und Ausdehnung der sibirischen Landmasse, welche sich über einhundertzwanzig Längengrade bis zu den äußersten Grenzen Kamtschatkas ausdehnt – jene ungeheuere asiatische Küstenstrecke, an der Samojeden, Jakuten, Tschuktschen und andere ihrer Herrschaft unterworfene Völker wohnen – schon an und für sich die eine Hälfte des Eismeeres. Dazu besitzen sie unter dem fünfundsiebzigsten Breitengrade, kaum neunhundert (See-) Meilen vom Nordpol entfernt, die Inseln und Eilande von Neu-Sibirien, d. h. jenen von Liatkow zu Anfang des 18. Jahrhunderts entdeckten Archipel. Endlich hatte im Jahre 1764, vor den Engländern, den Amerikanern und den Schweden, ihr Seefahrer Tschitschagoff eine nördliche Durchfahrt gesucht, um die Reiselinie zwischen den beiden Continenten abzukürzen.

Alles in Allem schien es aber dennoch, daß die Amerikaner am meisten dabei interessirt wären, Eigenthümer jenes unzugänglichen Punktes der Erdkugel zu werden. Auch sie hatten öfters versucht, ihn zu erreichen, und zwar gelegentlich der opferfreudigen Versuche Grinnels, Kanes, Hayes, Greelys, de Longs und anderer kühner Seefahrer, welche das Schicksal des verschollenen John Franklin aufzuklären strebten. Sie auch konnten die geographische Lage ihres Landes ins Treffen führen, da sich dasselbe jenseit des Polarkreises von der Behringsstraße bis zur Hudsonbay ausdehnt. Alle jene Länder, alle jene Inseln, wie Wollaston, Prince Albert, Victoria, König Wilhelm, Melville, Cockburne, Banks, Baffin, ohne die Tausende von Eilanden dieses Archipels zu rechnen, bildeten ja gewissermaßen Verbindungsstücke, welche sich an den vierundachtzigsten Breitengrad anlehnten. Und wenn der Pol sich durch eine fast ununterbrochene Linie von Landmassen einem der großen Festländer des Erdballes anfügt, so ist das gewiß weit mehr bezüglich Amerikas, als bezüglich der Fortsetzungen Europas oder Asiens der Fall. Danach erscheint es ganz natürlich, daß der Vorschlag, denselben zu Gunsten einer amerikanischen Gesellschaft rechtskräftig zu erwerben, von der Bundesregierung ausging, und wenn überhaupt ein Staat die mindest bestreitbaren Ansprüche auf den Besitz des Polargebietes hatte, so waren das sicherlich die Vereinigten Staaten von Amerika.

Immerhin muß anerkannt werden, daß das Vereinigte Königreich, welches Canada und Englisch-Columbia besaß, dessen zahlreiche Seefahrer sich bei ihren Polarexpeditionen hervorragend ausgezeichnet hatten, ebenfalls sehr triftige Ursache hatte, diesen Theil der Erdkugel seinem ausgedehnten Colonialbesitz einzufügen. Die Zeitungen des Landes behandelten diesen Gegenstand ebenso ausführlich wie leidenschaftlich.

»Ja wohl,« ließ der große englische Geograph Kliptringan seine Stimme in einem Aufsehen erregenden Artikel der »Times« vernehmen, ja wohl, die Schweden, die Dänen, die Holländer, die Russen und die Amerikaner mögen ihre Anrechte ins Treffen führen. England wird aber, ohne sich ins Gesicht zu schlagen, auf der Erwerbung jener Gebiete bestehen müssen. Der nördliche Theil des Neuen Kontinents gehört ihm ja schon. Die Länder und Inseln, welche denselben bilden, sind durch seine Entdecker erworben worden, und zwar seit Willouphi, der 1739 Spitzbergen und Nowaja Semlja besuchte, bis auf Mac Clure, dessen Schiff 1853 die nordwestliche Durchfahrt erzwang.«

»Und dann, erklärte der »Standart« durch die Feder des Admirals Fize, waren Frobisher, Davis, Hall, Weymouth, Hudson, Baffin, Cook, Roß, Parry, Berchey, Belcher, Franklin, Mulgrave, Scoresby, Mac Clintock, Kennedy, Nares, Collinson, Archer u. A. m. angelsächsischen Stammes, und welches Land hätte also gerechtere Ansprüche auf jenen Theil der arktischen Gegenden, den diese Seefahrer noch nicht hatten erreichen können?«

»Zugegeben, erwiderte der »Courrier de San-Iago« (Californien), doch betrachten wir die Angelegenheit im rechten Lichte, und da es sich zwischen den Vereinigten Staaten und England im Grunde um eine Frage der Eigenliebe handelt, so müssen wir erklären: Wenn der Engländer Markham, Theilnehmer des Zuges des Lieutenants Nares, bis 83° 20 nördlicher Breite vordrang, so haben die Amerikaner Lockwood und Brainard, von der Expedition Greelys, ihn um fünfzehn Bogenminuten überboten, indem sie das Sternenbanner der Union auf 83° 35 entfalteten. Ihnen kommt demnach die Ehre zu, dem Nordpole am allernächsten gewesen zu sein.«

So gestalteten sich in dieser Streitfrage Angriff und Abwehr.

Zählt man die Reihe der Seefahrer und Forschungsreisenden auf, welche sich in die unwirklichen arktischen Regionen wagten, so verdienen auch der Venetianer Cabot – 1498 – und der Portugiese Cortereal – 1500 – genannt zu werden, welche Grönland und Labrador entdeckten. Doch weder Italien noch Portugal war es in den Sinn gekommen, sich an der Versteigerung zu betheiligen, und machten sie sich um den Staat, der den Zuschlag erhalten würde, keinerlei Kopfzerbrechen.

Es ließ sich schon voraussehen, daß der bevorstehende Kampf sehr lebhaft mit Dollars- und Pfund- Sterlingssalven nur von England und Amerika ausgefochten werden würde.

Auf den von der »North Polar Practical Association« veröffentlichten Vorschlag hin hatten sich die Nachbarstaaten der Polargegenden mittelst eines handelspolitischen und wissenschaftlichen Congresses mit einander ins Einvernehmen gesetzt und beschlossen, an der Versteigerung, deren Eröffnung in Baltimore für den 3. December bestimmt war, teilzunehmen und ihren betreffenden Abgesandten einen Credit zu bewilligen, der jedenfalls nicht überschritten werden durfte. Die durch den Verkauf erzielte Summe sollte dann unter den fünf, den Zuschlag nicht erhaltenden Staaten vertheilt und von diesen als Ausgleich angenommen werden, auf Grund dessen sie für die Zukunft auf alle Ansprüche verzichteten.

Ging das auch nicht ohne einiges Hinundherreden, so wurde doch schließlich eine Vereinbarung getroffen. Die in Frage kommenden Staaten stimmten zu, daß die Versteigerung, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, in Baltimore stattfinde. Ihre Creditbriefe in der Tasche, verließen die Abgesandten London, den Haag, Stockholm, Kopenhagen und Petersburg und trafen drei Wochen vor dem angesetzten Auctionstage in den Vereinigten Staaten ein.

Zu derselben Zeit war Amerika vorläufig nur vertreten durch den Strohmann der »North Polar Practical Association«, jenen William S. Förster, dessen Name allein unter dem am 7. November im »New-York Herald« erschienenen Documente stand.

Was die Abgesandten der europäischen Staaten betrifft, so waren die Herren erwählt, welche wir dem Leser in den nächsten Zeilen kurz charakterisiren wollen.

Für Holland: Jakob Jansen, früherer Rath von niederländisch Indien, dreiundfünfzig Jahre alt, vierschrötig aber klein, ganz Oberkörper, mit kurzen Armen und ebensolchen, etwas geschweiften Beinen, auf der Nase eine Aluminiumbrille, rundes Gesicht mit lebhafter Farbe, das Haupthaar mit tüchtigem Heiligenscheine, und graugesprenkelter Backenbart – ein kreuzbraver Mann, nur etwas ungläubig bezüglich einer Unternehmung, von deren praktischen Folgen er keine Ahnung hatte.

Für Dänemark: Erik Valdenak, Ex-Untergouverneur der grönländischen Besitzungen, von Mittelgröße, etwas ungleichen Schultern, gewölbter Unterleib, großer schlingernder Kopf, so kurzsichtig, daß die Nase stets die zu lesenden Hefte und Bücher berührte, und niemals Vernunft annehmend bezüglich der Rechte seines Landes, das er als rechtlichen Besitzer der nördlichen Regionen betrachtete.

Für Schweden-Norwegen: Jan Harald, Professor der Kosmographie aus Christiania, der zu den pflichteifrigsten Teilnehmern der berühmten Vega-Fahrt Nordenskjölds gehört hatte, der wahre Typus eines »norske Norman« (norwegischen Norwegers), rothbäckiges Gesicht, Haar und Bart von einem Blond, das an überreifes Getreide erinnerte – und fest überzeugt, daß die Polar-Calotte, welche ausschließlich von dem paläokrystischen Meere bedeckt war, nicht den geringsten Werth habe. Er verhielt sich der brennenden Frage gegenüber also ziemlich uninteressirt und war eigentlich nur des Princips halber gekommen.

Für Rußland: der Oberst Boris Karkof, halb Soldat, halb Diplomat, groß, steif, mit starkem Kopfhaar, üppigem Backenbart und langem Schnurrbarte, die alle einen zusammenhangenden Wald bildeten, sich im Civilanzuge scheinbar etwas unbequem fühlend, weshalb er unbewußt immer wieder nach dem Griffe des früher getragenen Pallasch suchte– übrigens war er sehr gespannt zu erfahren, was sich unter diesem Vorschlage der North Polar Practical Association verbarg und ob daraus nicht internationale Schwierigkeiten erwachsen könnten.

Für England endlich: der Major Donellan und sein Secretär Dean Toodrink. Die Genannten erschienen beide als leibhafte Verkörperung des Länderappetites und des Aufsaugungstalentes des Vereinigten Königreichs; sie verkörperten aber auch dessen commercielle und industrielle Instincte, seine Unverfrorenheit, alle Gebiete im Norden, im Süden wie am Aequator, welche Niemand angehörten, gleichsam als Aussfluß eines Naturgesetzes, als ihm zugehöriges Eigenthum anzusehen.

Der Major Donellan war – wenn es je einen solchen gab – Engländer von reinstem Wasser, lang, mager, knochig, nervös, eckig, mit Wasserschnepfenhals, einem Kopfe à la Palmerston, weit ausladenden Schultern und Stelzenbeinen, für seine sechzig Jahre sehr frisch und unermüdlich, was er sattsam bewiesen hatte, als er bei der Grenzberichtigung zwischen Ostindien und Birma beschäftigt war. Er lachte niemals und hatte wahrscheinlich in seinem Leben noch nicht gelacht. Wozu auch? ... Hat man jemals eine Locomotive, einen Elevator oder ein Dampfschiff lachen sehen?

In dieser Beziehung unterschied sich der Major sehr wesentlich von seinem Secretär Dean Toodrink – ein geschwätziger, lustiger Kerl mit offenem Kopfe, auf der Stirn sich kräuselnden Haaren und kleinen, faltenumrahmten Augen. Er war Schotte von Geburt und in »dem alten Rauchfang« (Edinburgh) allbekannt wegen seiner ergötzlichen Streiche und seiner Liebhaberei für Witzworte. Doch, so aufgeräumt er sich meist zeigte, so halsstarrig, abweisend und unversöhnlich – ganz wie Major Donellan – konnte er werden, wenn es sich um die ungerechtfertigtesten Ansprüche Großbritanniens handelte.

Diese beiden Abgesandten mußten offenbar die hitzigsten Widersacher der amerikanischen Gesellschaft werden. Der Nordpol gehörte eben ihnen, als ob der Weltenschöpfer ausschließlich den Engländern den Auftrag ertheilt hätte, die Drehung der Erde um ihre Achse zu überwachen, und sie es schon zu verhindern wissen würden, daß diese in andere Hände käme.

Wir müssen hier auch erwähnen, daß, wenn Frankreich davon abgesehen hatte, einen offiziellen oder officiösen Vertreter zu entsenden, sich doch ein französischer Ingenieur »aus Liebe zur Kunst« eingestellt hatte, um den Verlauf dieser merkwürdigen Angelegenheit aus der Nähe zu verfolgen. Wir werden diesen später auf der Bildfläche erscheinen sehen.

Die Vertreter der nördlichen Staaten Europas waren also in Baltimore eingetroffen, und zwar mit verschiedenen Postdampfern, als Leute, welche sich vor gegenseitiger Beeinflussung zu hüten suchen. Sie waren ja Rivalen – jeder trug den zum Wettkampf nöthigen Credit in der Tasche, doch, wohl zu bemerken, sollten sie nicht mit gleichen Waffen kämpfen. Der Eine konnte über eine Summe verfügen, welche eine Million noch nicht erreichte, der Andere über eine solche, die weit darüber hinausging. Und wahrlich, um einen Bruchtheil unseres Sphäroïds zu erwerben, auf den den Fuß zu setzen fast unmöglich schien, mußte das ein viel zu hoher Preis sein. Der nach dieser Seite am besten ausgestattete Abgesandte war unbedingt der Englands, denn das Vereinigte Königreich hatte diesem einen sehr beträchtlichen Credit ausgeworfen. Dank diesem Credite konnte es Major Donellan keine große Mühe machen, seine schwedischen, dänischen, holländischen und russischen Mitbewerber zu besiegen. Mit Amerika lag die Sache anders, und es wurde sicherlich nicht so leicht, dieses auf dem Dollars-Schlachtfelde zu überwinden. Mindestens war es sehr wahrscheinlich, daß die geheimnißvolle Gesellschaft über sehr beträchtliche Geldmittel verfügte. Der mit Millionen geführte Kampf concentrirte sich also voraussichtlich zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien.

Mit der Ausschiffung der europäischen Abgesandten begann die öffentliche Meinung sich ernstlicher zu erwärmen. Durch die Zeitungen liefen die seltsamsten Gerüchte und über die Erwerbung des Nordpols wurden die unglaublichsten Hypothesen aufgestellt. Was sollte denn mit ihm geschehen, was konnte mit ihm vorgenommen werden? ... Nichts – wenn er nicht etwa dazu dienen sollte, die Eismagazine der Alten und der Neuen Welt zu speisen. Eine Pariser Zeitung, der »Figaro«, trat wirklich aus Scherz für diese Ansicht ein. Freilich mußte man dazu über den vierundachtzigsten Breitengrad hinaus gelangen können.

Hatten sich die Abgesandten während ihrer transatlantischen Reise gemieden, so traten sie nach ihrem Zusammentreffen in Baltimore doch einander schnell näher.

Die Gründe hiefür waren folgende:

Seit der Ankunft hatten sich alle einzeln, und ohne von einander darum zu wissen, mit der »North Polar Practical Association« in Beziehung zu setzen gesucht. Was sie zu erfahren strebten, um gegebenen Falls davon Nutzen zu ziehen, waren die der ganzen Sache zu Grunde liegenden Motive, neben Aufklärung darüber, welchen Vortheil die Gesellschaft sich von jener verspreche. Bisher wies nichts darauf hin, daß sie in Baltimore eine Geschäftsstelle errichtet oder schon Beamte angestellt habe. Nichts von alledem; wegen näherer Auskunft hatte man sich nur nach der High-street an William S. Förster zu wenden. Es schien aber nicht, als ob der ehrenwerthe Stockfischagent von der ganzen Geschichte mehr wüßte als der geringste Lastträger der Stadt.

Die Delegirten konnten also nichts erfahren; sie sahen sich auf die mehr oder weniger sinnlosen Conjecturen beschränkt, welche in den Bierbankverhandlungen zu Tage traten. Man fragte sich allgemach, ob denn das Geheimniß der Gesellschaft so undurchdringlich bleiben solle, daß sie auch nicht das Mindeste darüber verlauten ließ. Jedenfalls schien sie damit erst nach vollzogener Erwerbung hervortreten zu wollen.

Es folgt hieraus, daß die Abgesandten nun nicht aufhörten, einander zu begegnen, zu besuchen und in Verbindung zu treten, vielleicht mit dem Hintergedanken, einen Bund gegen den gemeinsamen Feind, mit anderen Worten, gegen die amerikanische Gesellschaft zu bilden.

Eines Tages, am Abend des 22. November, befanden sie sich in eifriger Unterhandlung im Hotel Wolesley, und zwar in dem vom Major Donellan und seinem Secretär Dean Toodrink bewohnten Zimmer. Dieses Bestreben nach gegenseitiger Verständigung verdankte man hauptsächlich dem gewandten Auftreten des Oberst Boris Karkof, wie bekannt, eines seinen Diplomaten.

Anfänglich drehte sich das Gespräch nur um die handelspolitischen und industriellen Folgerungen, welche die Gesellschaft aus der Erwerbung der fraglichen Gebiete ziehen möchte. Der Professor Jan Harald fragte, ob einer seiner Collegen sich in dieser Hinsicht einigermaßen habe unterrichten können. Nach und nach gestanden darauf Alle zu, daß sie deshalb bei William S. Forster geeignete Schritte gethan hätten, an welchen man sich ja, nach Angabe des Documentes, mit etwaigen Fragen zu richten hatte.

»Ich habe damit aber keinen Erfolg gehabt, sagte Erik Baldenak.

– Ich auch nicht, ließ sich Jakob Jansen vernehmen.

– Und ich, äußerte Dean Toodrink, als ich mich in den Lagerräumen der High-street im Namen des Major Donellan vorstellte, fand da einen dicken Mann in schwarzer Kleidung, mit haushohem Hut auf dem runden Schädel und angethan mit weißer Schürze, deren Brustlatz ihm bis unters Kinn reichte. Als ich ihn dann um Auskunft über die vorliegende Angelegenheit ersuchte, antwortete er mir, daß der »South-Star« eben mit voller Last aus Neufundland angekommen und daß er – Forster – in der Lage sei, mir eine große Partie frischer Stockfische für Rechnung des Hauses Ardrinell und Compagnie liefern zu können.

– O, bemerkte da der frühere Staatsrath für Niederländisch-Indien, immer ein ungläubiger Thomas, es wäre wahrlich besser, eine Ladung frischer Stockfische anzukaufen, als sein Geld in die Tiefen des Eismeeres zu werfen.

– Davon ist aber nicht die Rede, warf Major Donellan mit scharfer, lauter Stimme ein. Es handelt sich nicht um einen Posten Stockfisch, sondern um die Polkappe der Erde...

– Die sich Amerika gerne auf den Kopf setzen möchte! fügte Dean Toodrink, über die eigene Redewendung lachend, hinzu.

– Das dürfte ihm doch einen Schnupfen zuziehen, bemerkte Oberst Karkof.

– Darum handelt es sich aber nicht, fuhr Major Donellan fort, und ich begreife kaum, was die Möglichkeit eines Nasenkatarrhs mit unserer Frage zu thun haben könnte. Gewiß ist nur, daß Amerika, hierbei vertreten durch die »North Polar Practical Association« – achten Sie wohl auf die Einschaltung »Practical«, meine Herren – aus einem oder dem anderen Grunde ein Gebiet von vierhundertsiebentausend Quadratmeilen rund um den Nordpol zu kaufen beabsichtigt, ein Gebiet, welches heutigen Tages – bemerken Sie die Worte »heutigen Tages«, meine Herren – von dem vierundachtzigsten Grade nördlicher Breite umschlossen wird.

– Das wissen wir schon allein, Major Donellan, erwiderte Jan Harald. Was wir aber nicht wissen, ist, wie genannte Gesellschaft jene Länder, wenn es Landmassen sind, oder jene Meere, wenn es nur Meere wären, in industrieller Beziehung auszubeuten gedenkt.

– Darum handelt es sich nicht, entgegnete Major Donellan zum dritten Male. Ein Staat will gegen Geldentschädigung an die anderen Betheiligten sich einen Theil der Erdkugel aneignen, der seiner geographischen Lage nach speciell England zuzukommen scheint.

– Nein, Rußland! sagte Oberst Karkof.

– Oder vielmehr Holland! versetzte Jakob Jansen.

– Ich meine, Schweden-Norwegen, ließ sich Jan Harald vernehmen.

– Ich aber Dänemark«, rief Erik Baldenak. Die fünf Abgesandten hatten sich alle ziemlich trotzig erhoben und das Gespräch drohte in eine unangenehme Tonart umzuschlagen, als Dean Toodrink zum ersten Mal sich einzumischen versuchte.

»Meine Herren, sagte er versöhnlichen Tones, darum handelt es sich ja nicht, nach dem Ausdrucke, dessen sich mein Vorgesetzter, Herr Major Donellan, mit Vorliebe bedient. Da es einmal im Princip feststeht, daß die circumpolaren Gebiete zum Verkaufe kommen sollen, so werden sie natürlich demjenigen der von Ihnen vertretenen Staaten gehören, der bei der Versteigerung das höchste Gebot gethan hatte. Da ferner Schweden-Norwegen, Rußland, Dänemark, Holland und England ihren respectiven Vertretern Credite bewilligt haben, erscheint es mir am rathsamsten, daß die Abgesandten dieser Mächte ein Syndicat bilden, was sie in den Stand setzen würde, über eine Summe zu verfügen, gegen welche die amerikanische Gesellschaft mit ihren alleinigen Mitteln nicht aufzukommen vermag.«

Die Herren sahen einander an. Dean Toodrink hatte vielleicht den Nagel auf den Kopf getroffen. Ein Syndicat... in der Jetztzeit kann man unter dieser Bezeichnung eigentlich Alles unterbringen. Man beschließt durch ein Syndicat, wie man athmet, wie man trinkt oder ißt, wie man schläft u.s.w. Nichts ist jetzt moderner, in der Politik ebenso wie im Geschäftsleben.

Immerhin erschien noch ein Einwurf oder vielmehr eine Erklärung nothwendig, und Jakob Jansen gab wohl treffend den Empfindungen seiner Collegen Ausdruck, in dem er sagte:

»Und nachher? ...«

Ja! – Was sollte nach der Erwerbung durch das Syndicat geschehen?

»O, es scheint mir doch, daß England ... sagte der Major schnarrend.

– Und Rußland! ... fiel der Oberst mit drohendem Stirnrunzeln ein.

– Holland nicht zu vergessen!... meldete sich der Staatsrath.

– Da Gott Dänemark den Dänen gegeben hat... bemerkte Erik Baldenak.

– Erlauben Sie, rief Dean Toodrink dazwischen, es giebt nur ein Land, welches von Gott gegeben wurde, und das ist Schottland.

– Und wieso?... fragte der schwedische Abgesandte.

– Hat der Dichter nicht gesungen

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