Jules Verne
Reise um die Erde in 80 Tagen
Dreiunddreißigstes Capitel.
eingestellt: 5.7.2007
Eine Stunde nachher fuhr der Dampfer Henrietta am Leuchtboot vorüber, welches die Einfahrt des Hudson bezeichnet, um die Spitze Sandy-Hook herum und stach ins Meer.
Während dieses Tages hielt er sich längs Long- Island, auf der Höhe des Leuchtfeuers von Fire- Island in rascher Fahrt ostwärts.
Am folgenden Tage, den 13. December zu Mittag, stieg ein Mann auf den Steg, um das Besteck zu machen. Das muß wohl der Kapitän Speedy sein! Mit nichten. Es
war Phileas Fogg, Esq.
Der Kapitän Speedy war ohne Weiteres in seiner Cabine eingeschlossen, wo er heulte und schrie aus sehr berechtigtem Zorne. Es war sehr einfach hergegangen.
Phileas Fogg wollte nach Liverpool fahren, der Kapitän wollte nicht. Da hatte sich jener in die Fahrt nach Bordeaux gefügt, aber seit den dreißig Stunden, da er an Bord war, hatten seine Banknoten so gut gewirkt, daß die etwas gemischte Mannschaft, Matrosen und Heizer – die mit dem Kapitän
auf schlechtem Fuß stand – ihm angehörte. Darum war Phileas Fogg Commandant des Schiffes, anstatt des Kapitäns Speedy, deshalb dieser eingeschlossen, und die Henrietta steuerte auf Liverpool. Offenbar, wenn man Herrn Fogg manoeuvriren sah, zeigte sichs, daß derselbe ein Seemann war.
Wie das Abenteuer ablaufen werde, sollte man später sehen. Doch war Mrs. Aouda fortwährend unruhig, ohne es zu äußern. Fix war anfangs verblüfft. Passepartout fand die Sache ganz einfach
wunderhübsch.
»Elf bis zwölf Knoten«, hatte der Kapitän Speedy gesagt, und in der That hielt sich die Henrietta durchschnittlich so schnell.
Wenn also das Meer nicht zu schlimm wurde, wenn der Wind nicht umschlug, wenn das Fahrzeug nicht Schaden litt, kein Unfall die Maschine traf: so war es möglich, daß die Henrietta in den neun Tagen vom 12. bis 21. December die dreitausend Meilen bis Liverpool zurücklegte. Zwar nach der Ankunft konnte diese Sache, die noch zu der Sache
der Bank hinzukam, den Gentleman etwas weiter führen, als er beabsichtigte.
Während der ersten Tage ging die Fahrt vortrefflich von Statten. Das Meer war nicht sehr schwierig; der Wind schien fast nordöstlich zu wehen; die Segel wurden aufgehißt und die Henrietta segelte wie ein echter Oceanfahrer.
Passepartout war über den letzten Streich seines Herrn wie begeistert. Wie war er munter, behend! Die Matrosen staunten über seine Sprünge. Sein guter Humor theilte sich
allen mit. Er hatte alle Gefahren und Mühseligkeiten vergessen, dachte nur an das so nahe Ziel, brennend vor Ungeduld. Mit Fix nur sprach er kein Wort.
Dieser wußte die Sache nicht mehr zu fassen! Die Henrietta erobert, ihre Mannschaft verkauft, Fogg ein vollendeter Seemann – das alles ging über seine Begriffe! Aber demungeachtet, konnte nicht ein Gentleman, der fünfundfünfzigtausend Pfund raubte, am Ende auch ein Schiff rauben? Und ganz natürlich knüpfte sich daran der Gedanke,
daß die Henrietta, von Fogg gesteuert, gar nicht nach Liverpool segle, sondern irgend sonst an einen Punkt, wo der Dieb und Seeräuber sich ruhig in Sicherheit bringen würde. Der Detectiv fing nun an ernstlich zu bedauern, daß er sich in die Sache eingelassen.
Der Kapitän Speedy tobte unausgesetzt in seiner Cabine, und Passepartout, der beauftragt war ihm seine Kost zu bringen, thats trotz seiner Stärke nur mit größter Vorsicht.
Am 13. kam man an der Spitze der Bank von
Newfoundland vorüber. Das ist eine schlimme Gegend, wo, im Winter zumal, häufige Nebel, fürchterliche Windstöße vorkommen. Seit dem Abend zuvor war der Barometer rasch gesunken, ließ eine bevorstehende Aenderung der Luftbeschaffenheit vermuthen. In der That änderte sich während der Nacht die Temperatur, es wurde lebhaft kalt und zugleich schlug der Wind um zu Südost.
Es war ein widriges Ereigniß; um nicht aus seiner Richtung zu kommen, mußte Herr Fogg seine Segel einziehen und den
Dampf verstärken. Dennoch nahm die Schnelligkeit des Schiffes ab, da bei diesem Zustand des Meeres die starken Wellen wider seinen Vordersteven schlugen. Der Wind wurde allmälig zum Orkan, und man sah den Fall voraus, daß die Henrietta sich nicht mehr gegen die Wogen würde halten können.
Zugleich mit dem Himmel wurde auch Passepartouts Angesicht wieder düster, und während zwei Tagen schwebte der brave Junge in Todesängsten. Aber Phileas Fogg war ein kühner Seemann, der dem Meere Trotz
zu bieten verstand, und hielt sich fortwährend in der Richtung. Wenn die Henrietta nicht über die Wellen gleiten konnte, drang sie hindurch, daß ihr Verdeck ganz überspült wurde. Bisweilen, wenn ein Wasserberg den hinteren Theil aus den Wellen emporhob, tauchte auch die Schraube aus dem Wasser auf, aber das Schiff kam dabei immer vorwärts.
Doch wurde der Wind nicht so stark, als man befürchten konnte; aber leider wehte er hartnäckig aus Südost, und gestattete nicht die Segel
aufzuspannen. Und doch wäre es sehr dienlich gewesen, dem Dampf fördernd beizustehen.
Am 16. December war der fünfundsiebenzigste Tag seit der Abfahrt von London. Die Henrietta war noch nicht in beunruhigender Weise verspätet. Fast die Hälfte der Fahrt über den Ocean war gemacht, und die schlimmsten Seestriche waren vorüber. Im Sommer konnte man schon für den Erfolg bürgen; im Winter war man der übeln Witterung preisgegeben. Passepartout äußerte sich nicht. Im Grund hegte er
Hoffnung, und wenn der Wind auch mangelte, rechnete er wenigstens auf den Dampf.
An diesem Tage nun kam der Maschinist auf das Verdeck, begegnete Herrn Fogg, und unterhielt sich sehr lebhaft mit ihm.
Ohne zu wissen warum – wohl aus schlimmer Ahnung – ward Passepartout unruhig. Er hätte ein Ohr hingegeben, um mit dem anderen zu hören, was gesprochen wurde. Doch konnte er einige Worte erlauschen, unter anderen, wie sein Herr sprach:
»Sind Sie dessen
gewiß, was Sie melden?
– Ja, mein Herr, erwiderte der Maschinist. Vergessen Sie nicht, daß wir seit unserer Abfahrt alle unsere Oefen heizen, und hatten wir auch Kohlen genug, um mit schwachem Dampf nach Bordeaux zu fahren, so reicht das nicht aus für die Fahrt nach Liverpool mit stärkstem Dampf!
– Ich will Vorsorge treffen«, erwiderte Herr Fogg. Passepartout hatte es verstanden. Es ward ihm todtangst.
Die Kohlen gingen aus!
»Ah! wenn mein
Herr dies parirt, sprach er bei sich, ist er gewiß ein famoser Mann!«
Und als er mit Fix zusammentraf, konnte er nicht umhin, ihn von der Lage in Kenntniß zu setzen.
»Dann glauben Sie also, erwiderte der Agent, daß wir nach Liverpool fahren!
– Wahrhaftig!
– Schwachkopf!« versetzte der Agent, und zuckte die Achseln.
Passepartout war im Begriff, diese Bezeichnung, deren eigentlichen Sinn er übrigens nicht verstehen konnte, derb
zurückzuweisen; aber er sagte sich, daß dem unglückseligen Fix ein gewaltiger Strich durch die Rechnung gemacht worden, daß er sich in seiner Eigenliebe sehr gedemüthigt fühlen mußte, nachdem er so ungeschickt eine falsche Fährte um die ganze Erde herum verfolgt, und ließ es dabei bewenden.
Und was war jetzt Phileas Fogg im Begriff für einen Entschluß zu fassen? Das war schwer zu denken. Indessen schien es, als habe der phlegmatische Gentleman ein Auskunftsmittel gefunden, denn an
demselben Abend ließ er den Maschinisten kommen und sagte zu ihm:
»Lassen Sie stärker feuern und fahren Sie weiter, bis das Brennmaterial völlig zu Ende ist.«
Das Schiff fuhr also mit voller Dampfkraft weiter; aber nach zwei Tagen, am 18., meldete der Maschinist, daß an diesem Tage die Kohlen mangeln würden.
»Man vermindere das Feuern nicht«, erwiderte Herr Fogg.
An diesem Tage ließ Fogg um Mittag, nachdem er die Lage des Schiffes aufgenommen,
Passepartout kommen und trug ihm auf, den Kapitän Speedy zu holen. Dem braven Burschen kam es vor, als solle er einen Tiger loslassen, und er sagte beim Hinabgehen ins Hinterverdeck:
»Ganz gewiß wird er wüthend sein!«
Wirklich, nach einigen Minuten kam der Kapitän Speedy unter Schreien und Fluchen aufs Verdeck, gleich einer Bombe, die zerplatzen will.
»Wo sind wir? waren seine ersten Worte, im Begriff, vor Zorn zu ersticken.
– Wo sind wir?
rief er wiederholt, das Gesicht von Zuckungen verzerrt.
– Siebenhundertundsiebenzig Meilen von Liverpool, erwiderte Herr Fogg mit unverwüstlichem Gleichmuth.
– Pirat! schrie Andrew Speedy.
– Ich habe Sie rufen lassen, mein Herr ...
– Seeräuber!
– ... mein Herr, fuhr Phileas Fogg fort, um Sie zu bitten, mir Ihr Schiff zu verkaufen.
– Nein, bei allen Teufeln, nein!
– Ich bin
genöthigt, es zu verbrennen.
– Mein Schiff verbrennen!
– Ja, die oberen Theile wenigstens, denn das Brennmaterial ist ausgegangen.
– Mein Schiff verbrennen! schrie der Kapitän Speedy, der kaum noch Sylben vorbringen konnte. Mein Schiff ist fünfzigtausend Dollars werth!
– Hier haben Sie sechzigtausend!« erwiderte Phileas Fogg, und bot ihm einen Pack mit Banknoten an.
Dies machte auf Andrew Speedy einen wunderbaren
Eindruck. Ein Amerikaner geräth beim Anblick von sechzigtausend Dollars in einige Gemüthsbewegung. Der Kapitän vergaß augenblicklich seinen Zorn, seine Einsperrung, alle seine Beschwerden über seinen Passagier. Sein Schiff war zwanzig Jahre alt, und konnte nun noch eine Goldgrube werden! ...
»Und der Rumpf soll mir bleiben, sagte er mit auffallend gemildertem Ton.
– Der eiserne Rumpf und die Maschine, mein Herr. Sind Sies zufrieden?
– Abgemacht!«
Und Andrew Speedy nahm die Banknoten, zählte sie und ließ sie in seiner Tasche verschwinden.
Während dieser Scene ward Passepartout leichenblaß. Fix wurde fast vom Schlag gerührt. Bei zwanzigtausend Pfund waren ausgegeben, und dazu gab dieser Fogg noch Rumpf und Maschine, d. h. den Hauptwerth des Schiffes, dem Verkäufer preis! Zwar die der Bank entwendete Summe belief sich auf fünfundfünfzigtausend Pfund!
Als Andrew Speedy das Geld eingesteckt hatte, sprach Herr
Fogg zu ihm:
»Mein Herr, daß Sie nicht allzu sehr staunen, will ich Ihnen sagen, daß ich zwanzigtausend Pfund verliere, wenn ich nicht am 21. December, um acht Uhr fünfundvierzig Minuten zu London bin.
– Und ich hab einen guten Handel gemacht, bei allen fünfzigtausend Teufeln der Hölle, rief Andrew Speedy; ich gewinne dabei wenigstens vierzigtausend Dollars.«
Dann fuhr er ruhiger fort:
»Wissen Sie was? Kapitän? ...
– Fogg.
– Kapitän Fogg, wahrhaftig, es steckt etwas von einem Yankee in Ihnen.«
Nach diesem vermeintlichen Compliment entfernte er sich, und Phileas Fogg sprach:
»Jetzt gehört das Schiff mir?
– Allerdings vom Kiel bis zu den Mastspitzen, alles Holzwerk, versteht sich!
– Gut. Schlagt jetzt die innere Einrichtung zusammen und feuert damit.«
Man denke, was von diesem trockenen Holz verbraucht werden mußte, um die Dampfkraft in
hinreichender Stärke zu erhalten. An diesem Tage gingen das Hinterverdeck, die Cabinen, die Wohnungen, das falsche Verdeck drauf.
Am folgenden Tage, den 19. December, verbrannte man das Mastwerk, die Sparren und Stengen. Die Mannschaft zeigte sich erstaunlich eifrig im Zerstören; Passepartout mit Hauen, Schneiden, Sägen arbeitete für zehn Mann.
Am folgenden Tage, den 20., wurden die Geländer, Schanzverkleidung, die Holztheile unterm Wasser, der größte Theil des Verdecks
verzehrt.
Aber an diesem Tage bekam man die irländische Küste und die Leuchtfeuer von Fastenet in Sicht.
Doch war das Schiff um zehn Uhr Abends erst Queenstown gegenüber. Phileas Fogg hatte nur noch vierundzwanzig Stunden, um in London einzutreffen! Diese Zeit aber brauchte die Henrietta, um nach Liverpool zu gelangen, – selbst wenn man mit vollem Dampf segelte. Und endlich mußte dem kühnen Gentleman der Dampf ausgehen!
»Mein Herr, sagte darauf der Kapitän
Speedy, der sich nicht mehr um sein Vorhaben kümmerte, Sie dauern mich wirklich. Es ist Ihnen Alles entgegen! Wir sind erst vor Queenstown.
– Ah! sagte Herr Fogg, die Stadt, deren Leuchtfeuer wir erkennen, ist Queenstown?
– Ja.
– Können wir in den Hafen einlaufen?
– Nicht vor Ablauf von drei Stunden; nur bei hohem Wasser.
– Warten wir!« erwiderte ruhig Phileas Fogg, ohne in seinen Zügen zu verraten, daß er durch
höhere Eingebung nochmals das Mißgeschick zu überwinden versuchte.
Queenstown ist ein Hafen an der irländischen Küste, wo die aus den Vereinigten Staaten kommenden Oceanfahrer ihre Briefbeutel im Vorbeifahren abgeben. Diese Briefe wurden durch stets zum Abfahren bereite Eilzüge nach Dublin befördert. Von Dublin aus gelangen sie nach Liverpool durch Dampfer größter Schnelligkeit – und kommen so um zwölf Stunden den schnellsten Seglern der überseeischen Gesellschaften zuvor.
Diese zwölf Stunden, welche so der amerikanische Courier gewann, dachte Phileas Fogg auch zu gewinnen. Anstatt auf der Henrietta am folgenden Abend zu Liverpool anzukommen, würde er schon zu Mittag dort sein, und hätte demnach Zeit, vor acht Uhr fünfundvierzig Abends zu London einzutreffen.
Gegen ein Uhr früh lief die Henrietta bei hohem Meer in den Hafen Queenstown ein, und Phileas Fogg ließ daselbst den Kapitän Speedy, der sich mit einem kräftigen Handschlag verabschiedete,
auf dem Gerippe seines Schiffes, welches noch die Hälfte des Verkaufspreises werth war.
Die Passagiere stiegen sogleich aus. Fix spürte im Augenblick eine grimmige Lust, den Herrn Fogg zu verhaften. Doch that ers nicht! Weshalb? Hatte er von demselben eine bessere Meinung bekommen? Sah er endlich seinen Irrtum ein? Immerhin wich Fix dem Herrn Fogg nicht von der Seite. Er stieg mit ihm, Mrs. Aouda und Passepartout, der sich nicht die Zeit nahm, auszuschnaufen, um halb zwei Uhr früh zu
Queenstown in den Waggon, der mit Tagesanbruch nach Dublin kam, und nahm unverzüglich auf einem der Dampfer Platz, welche unabänderlich den Wellen trotzend überfahren.
Zwanzig Minuten vor zwölf, am 21. December, landete Phileas Fogg endlich auf dem Quai von Liverpool. Es waren nur noch sechs Stunden bis London.
Aber in diesem Augenblick trat Fix zu ihm, legte die Hand auf seine Schulter, zeigte seinen Verhaftsbefehl und sprach:
»Sie sind der Sieur Phileas
Fogg?
– Ja, mein Herr.
– Im Namen der Königin verhafte ich Sie!«
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