Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

11

eingestellt: 17.6.2007





Benno hatte sich über Friedls Verschwinden beim Scheibenschießen bös geärgert. Und als auch die Preisverteilung am Nachmittag vorübergegangen war, ohne daß Friedl sich sehen ließ, hatte Benno verdrossen ein Wägelchen bestellt, um einen Ausflug nach dem Achensee zu machen. Dort unterhielt er sich so gut, daß er seinen Aufenthalt im sangeslustigen Rainerhof über fünf Tage ausdehnte. Dann wanderte er durch den Bergwald zurück nach Fall.



Es wurde späte Nacht, bis er seine Sommerstation wieder erreichte. Im Forsthaus war alles schon in Schlaf und Ruhe. Erst nach langem Klopfen öffnete ihm die Försterin das Haus.



»Da bin ich wieder! Schlaft denn der Förster schon?«



»Ah na! Der is gar net daheim. Im Rauchenberg muß er Aufsicht halten, seit der Friedl liegt.«



»Liegt? Der Friedl?«



»Ja! Was sagen S, Herr Doktor! Mitm Friedl sind schöne Gschichten passiert! Am selbigen Abend, wie S davonkutschiert waren – ich bin grad vor der Haustür gstanden –, da kommt der Friedl hergrennt von der Dürrachklamm. Kein Hut hat er ghabt, über und über blutig im Gsicht, a Kindl am Arm – und auf kein Ruf hat er ghört, und fortgrennt is er, allweil zu, und eini in seiner Mutter ihr Haus. Natürlich, der Förster und ich, wir springen gleich ummi. Und drüben in der Stuben steht dös alte Weibl, s Kind am Arm, vor lauter Schrecken halber narret. Und der Friedl liegt am Boden im Blut und macht kein Muckser nimmer!«



»Ach, du lieber Himmel!«



»Ja, dös sind Gschichten gwesen! Und kein Mensch hat sich denken können, was passiert is! Da hats jetzt gheißen: zugreifen! Ich und mein Mann, wir haben den Friedl aufpackt und ummitragen aufs Bett. Und wie ihm der Meinige den Schuh vom Fuß zieht, is s Blut nur so gstanden drin, und der Fuß hat grausam ausgschaut. Gleich hat der Meinige einspannen müssen und einifahren auf Lenggries und den Dokter holen. Und der Friedl hat kein Menschen nimmer kennt, vor lauter Fieber, und so liegt er jetzt schon im sechsten Tag.«



»Und weiß man, was da geschehen ist?«



»Wissen! Was heißt wissen? Freilich weiß man was – und weiß wieder nix! Der Friedl selber hat noch net reden können. Dafür reden d Leut um so mehr. Dös Büberl drüben, wissen S, dös is der Modei ihr Kind. Und der Friedl hat ihr s Büberl am Sonntag auf d Alm auffitragen. Und jetzt sagen halt d Leut, der Friedl müßt schon lang mit der Modei im Gspusi sein und wär der Vater von ihrem Kind. Aber was am Sonntag auf der Alm droben gschehen is? Aufm Heimweg hat ihn halt a Steinschlag troffen. Aber d Leut plauschen so hin und her, und a jeder denkt ebbes anders. Jetzt ich denk mir gar nix. Ich kanns abwarten. s wird schon noch alles aufkommen! Also, gut Nacht! Und schlafen S Ihnen ordentlich aus!«



Das wurde keine gute Nacht für Benno. Was er gehört hatte, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.



Am Morgen nahm er sich kaum Zeit für das Frühstück. Ohne Hut, in den Hausschuhen, sprang er hinüber zu Friedl. Als er in den Flur trat, kam die Bäuerin gerade aus der Kammer ihres Buben. In ihrem Gesicht stand der Kummer zu lesen mit allen Zeichen durchwachter Nächte. Und bei Bennos Anblick schossen ihr gleich die Tränen in die Augen.



»Wie gehts dem Friedl?«



»Ich dank schön, a bißl besser! Seit gestern am Abend hat sich s Fieber glegt. Aber schwach is er halt, arg schwach.«



»Darf man zu ihm hinein?«



»Ja, Sie schon! An Ihnen hängt er gar arg!«



Benno trat in die Krankenstube und drückte lautlos hinter sich die Tür wieder zu. Wenn auch draußen die Sonne niederglänzte über Fall und seine Häuser, so füllte doch ein tiefes Dunkel den kleinen, stillen Raum. Nur durch die schmalen Klunsen der geschlossenen Fensterläden stahlen sich feine Lichtbündel herein in die kühle Dämmerung und zeichneten goldene Linien und farbige Punkte auf die gegenüberliegende Wand.



Jedes Geräusch vermeidend, ging Benno zum Bett und hörte einen schweren Atemzug. Im Zwielicht sah er auf geblumten Kissen das blasse, verpflasterte Gesicht des Jägers liegen, mit einem weißen Bund über Stirn und Augen.



»Friedl?« fragte er leise.



Keine Antwort. Es schien nur, als würde dem Kranken das Atmen leichter.



»Kennst du meine Stimme?«



Der Jäger nickte. Dann ein flüsterndes: »Gott sei Lob und Dank!«



»Ums Himmels willen, Bub, was ist denn geschehen mit dir?«



Der Atem des Kranken schien sich wieder zu erregen. Das Gesicht auf die Seite drehend, sagte er mühsam: »Der Dokter hat mir s Reden verboten.«



»Na also, dann folg nur schön! Ich bleibe bei dir.« Benno ließ sich neben dem Bett auf einem Sessel nieder. In das einförmige Ticken der Schwarzwälderuhr, die neben dem Türstock hing, mischte sich ein heiteres Kinderlachen, das von der Wohnstube durch die beiden geschlossenen Türen gedämpft herüberklang.



Da knarrte die Bettlade, und der Kranke hob sich halb aus den Kissen.



»Friedl? Willst du was?«



»A Tröpfl Wasser, ich bitt schön!« Der Jäger fiel wieder zurück auf die Kissen.



»Ich hol es dir frisch vom Brunnen herein.« Als Benno die Tür öffnete, fiel ihm das Licht von draußen hell ins Gesicht. Wohl traten seine Schuhe vorsichtig auf die Steinplatten des Flurs. Dennoch hörte Friedls Mutter in der Stube das Geräusch. Zehrende Sorge in den Augen, kam sie gelaufen und fragte, was denn wäre. Benno beruhigte sie. »Bleiben Sie bei dem Kindl, Mutter! Der Friedl braucht nur einen frischen Trunk. Den hol ich ihm schon.« Als er vom Brunnen zurückkam, stand die alte Frau noch immer auf der Stubenschwelle. Er nickte ihr lachend zu und trat in die Kammer des Jägers.



Mit dürstenden Zügen leerte der Kranke das Glas und flüsterte matt: »Gott vergelts Ihnen tausendmal!«



»Schon recht, Friedl! Aber der Herrgott hat was anderes zu tun.«



»Man sollts meinen, ja! Aber diemal muß ihm sei ewige Fürsorg a bißl schief durchanand rumpeln. Sonst täts anders zugehn auf der Welt.«



Benno drückte die zitternden Hände des Jägers auf die Bettdecke nieder. »Halte den Schnabel, Bub, und reg dich über die Weltregierung nicht auf! Unser Herrgott wird schon zurechtkommen.« Er nahm seinen Platz wieder ein, blieb bis in die Nacht, gab die Krankenpflege nimmer aus der Hand und verließ die kleine, dunkle Stube nur, um zu essen und ein paar Stunden zu schlafen oder um einen Wunsch des Jägers zu erfüllen.



Zwei Tage vergingen. Und wenn die Besserung des Kranken merkliche Fortschritte machte, so hatte es den Anschein, als wäre es Bennos stete Gegenwart, die im Verein mit Friedls kräftiger Natur die Genesung förderte. Solange Benno neben dem Bett saß, lag der Kranke ruhig. Sobald aber Benno die Kammer verließ, wurde Friedl seltsam erregt und fragte die Mutter immer wieder: »Kommt er net bald?«



So viel Freude Benno über diese Anhänglichkeit des Jägers empfand, so wenig vermochte er sie zu begreifen. Er war immer gut und freundlich mit Friedl gewesen, aber das konnte das Herz des Jägers doch nicht so fest verpflichten. Die Lösung des Rätsels war, daß Friedl in Benno einen Vertrauten für alle Sorgen seines Herzens zu finden hoffte und nur den Mut nicht hatte, offen von seinem Kummer zu reden. Schließlich kam aber doch die Stunde, die diesen verschlossenen Brunnen der Schmerzen öffnete.



Es war gegen Abend. Durch die Ritzen der Fensterläden fielen die schimmernden Strahlen. Sie waren rot geworden, und ihre Lichter, die im Lauf der Stunden die ganze Wand entlang gewandert waren, lagen wie große Mohnblumen auf der weißen Bettdecke. In dieses rote Geflimmer hatte der Kranke seine beiden Hände gelegt. Sie sahen aus wie von Blut übergossen. Mit halbgeschlossenen Augen blickte Friedl auf dieses brennende Rot, während Benno erzählte, daß bei der lange dauernden Hitze sich auf den Almen die Seuchenfälle zu mehren begännen und daß man in den herzoglichen Jagden schon gefallenes Wild gefunden hätte. »Im heurigen Sommer hat die Sonne viel auf dem Gewissen!«

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