Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

14

eingestellt: 17.6.2007





In der goldschönen Nachmittagssonne qualmte der blaue Herdrauch durch das wettergraue Schindeldach der Grottenhütte. An den Türbalken, die schon beschattet waren von der Ausladung des Daches, spielte der rötliche Flackerschein des Feuers, über dem die Pfanne mit Lenzls Mahlzeit dampfte.



Kaum ein Laut war in der flimmernden Stille des Almfeldes. Der Brunnen plätscherte leise, manchmal bimmelte irgendwo eine Kälberschelle, und von Zeit zu Zeit klang aus dem tieferen Wald herauf das Hämmern eines Spechtes. Drunten in der Talsohle rauschten die fernen Dürrachfälle so sanft, daß es sich anhörte, wie wenn eine Hand über starre Seide glitte.



Noch war der Himmel rein. Doch über den schattseitigen Waldgehängen begannen schon weißliche Wolken aus dem Blau herauszuwachsen, zarte Wolkenkinder, so fein wie Apfelblüten. Manche verschwanden wieder, andere erschienen und wuchsen zu luftigen Bällen, die sacht im Blau zu schwimmen begannen. Wenn zwei einander nahe kamen, schmiegten sie sich Seite an Seite, ließen nimmer voneinander und schmolzen in eins zusammen. Liebe und Sehnsucht auch da droben!



Nun ließ sich, erst ferne, dann immer näher, in gleichmäßigen Zwischenräumen von der doppelten Dauer eines Menschenschrittes, ein klirrendes Geräusch vernehmen, als käme über den Steig aus der Tiefe des Waldes einer langsam heraufgestiegen, der nicht auf zwei genagelten Sohlen wanderte, nur auf einer.



Mit suchenden Augen tauchte Friedls Gesicht aus dem Steingewirr der Steigstufen. Es war ihm anzusehen, welch eine schwere Mühsal dieser Bergweg für ihn geworden. An seinem rechten Fuß hatte sich der Filzschuh in eine so unförmliche Sache verwandelt, daß man den Jäger – wär es Mitternacht und finster gewesen – für den berühmten Hinkenden mit dem Pferdefuß hätte halten können. In der Sonne sah dieses Fußknappen eher drollig als unheimlich aus. Friedl, die Zähne übereinanderbeißend, gab sich auch alle Mühe, so fest und aufrecht wie möglich zu schreiten. In Unruh und Sorge spähten seine huschenden Augen. Als er den Rauch sah, der aus den Schindeln qualmte, dachte er: Eine barmherzige Nachbarin ist da, die Monika oder die Punkl, um für die Kranke zu kochen. Erst tat er noch einen tiefen Atemzug und trocknete die Perlen seiner Plage vom erhitzten Gesicht. Dann ging er auf die Hüttenstufen zu.



Aus der Sennstube scholl eine klingende Stimme: »Geh, Bruder, komm eini! Dei Mahlzeit is fertig.«



Dem Jäger war es anzumerken, daß ihm das Herz heraufschlug bis in den Hals. Dabei glänzten ihm die Augen in froher Erleichterung. »Dös Stimmerl is gar net krankhaft. Da kanns doch so weit net fehlen, Gott sei Lob und Dank!«



Nun wieder dieser gesunde Klang: »Wo bleibst denn, Lenzl? So komm doch eini!«



Erst zetzt fiel es dem Jäger auf, daß Modei mit dem Bruder redete, der in Lenggries beim Doktor war, um das `heilsame Trankl´ zu holen. In Verwunderung weiteten sich Friedls Augen. `Dös kommt mir a bißl gspaßig für –´ Bevor er dieses Klarstellende zu Ende denken konnte, befiel ihn ein anderer Gedanke mit fürchterlichem Schreck: `O heilige Mutter, dös Madl weiß nimmer, was mitm Bruder is! Dös Madl fiebert!´ Er machte ein paar Sprünge, bei denen er wieder die Zähne übereinander beißen mußte, kam bis zu den Hüttenstufen und im gleichen Augenblick trat Modei, ein bißchen blaß, sonst aber kerngesund, aus dem schwarzen Türschatten in die goldwarme Sonne heraus.



Was den beiden beim gegenseitigen Anblick über die Gesichter blitzte? War es Freude, Verblüffung, Schreck? Oder alles zugleich?



»Friedl!«



»Modei!«



Zwei Namen, zwei Stimmen, und doch nur ein einziger Laut aus gleichem Gefühl. Dann standen sie stumm, und jedes hing mit dürstendem Blick an den Augen des andern, bis die Verlegenheit sich störend dazwischenschob. Im Verlaufe dieses Schweigens schienen sich die Empfindungen der beiden ein bißchen nach verschiedener Richtung zu entwickeln. Während Modei ratlos das Geheimnis des deformierten Filzkübels betrachtete, regten sich Verblüffung und Mißtrauen im Jäger. Jener böse Sonntag, dem Bennos kluge Ratschläge den Giftzahn schon ausgebrochen hatten, wurde neuerdings bedrohlich. Friedl vergaß aller guten Vorsätze, und was nach diesem Purzelbaum in seinen taumelnden Sinnen noch übrigblieb, war eigentlich eine ganz vernünftige Sache, aber gerade deshalb für Glück und Liebe verhängnisvoll: die Feststellung des Tatsächlichen, die übelschmeckende Witterung einer Unwahrheit. Ein bißchen rauhtönig brach der verdutzte Jäger das Schweigen: »Mit deiner gfahrlichen Krankheit kanns doch net gar so gfahrlich ausschauen? Weil schon wieder so munter auf die Füß bist?«



»Krankheit?« fragte sie scheu. »Wieso? Was meinst denn da? Wie kommst denn drauf, daß ich krank sein soll?«



Er wurde heftig. »Is dös am End gar net wahr?«



Sein Ton und die Bitterkeit dieser Worte machten sie hilflos. »Mit m besten Willen, da weiß ich nix davon.«



»So so? Und da schreit man auf der sonnscheinigen Straßen: `Jesus Maria, Jesus Maria!´ « Ein kurzes Lachen. »Mir scheint, da bin ich wieder amal s gutmütige Rindviech gwesen – und kann wieder umkehren.« Friedl wandte sich rasch. »Pfüe Gott!«



Erschrocken die Hände streckend, jagte Modei über die Stufen herunter. »Mar und Joseph!«



Friedl war blind und taub. Wesentlich verständiger benahm sich in diesem Augenblick der grausam mißhandelte Filzkübel, der sich als hilfreicher Freund erwies, indem er rutschte. Der Jäger machte eine gaukelnde Bewegung, brach auf der leidenden Seite halb ins Knie, verbiß den quälenden Schmerz und versuchte zu lachen.



»Hast dir weh tan?« stammelte das Mädel in Sorge. »Am Fuß?«



»Ich?« Dieses Fürwort erinnerte im Klang an das `Ah´ des ehemaligen Nachtwächters von Lenggries. Dabei guckte Friedl halb über die Schulter, noch immer krampfhaft lachend. »Meine Füß derleiden schon a bißl ebbes.« Er wollte wandern. Das ging nicht. Mit blassen Lippen sagte er: »Gleich marschier ich wieder. Aber a Recht zum Rasten hat der Mensch allweil, wann der Weg weit is. Und an kühlen Trunk muß ich haben – mir is, als müßt mir einwendig alles verbrennen.« Er schleppte sich zum Brunnen hinüber. Modei blieb ratlos stehen und sah ihm nach, sah immer den knappenden Fuß an. Dabei gewahrte keins von den beiden, daß am unteren Saum des Almfeldes die Blässin und zwei Kälber aus dem Wald herauf galoppierten. Die Blässin rasselte mit der großen Schelle, eins von den Kälbern bimmelte. Das andre kam stumm gesprungen – es war irgendwo im Wald, bei der Dürrach drunten, an einer Staude hängengeblieben und hatte den ledernen Schellengurt vom Hals gerissen.



Mit Steinen werfend, hetzte Lenzl hinter den drei eingeholten Flüchtlingen her. Und gleich gewahrte er das Paar beim Brunnen. Sich duckend, kicherte er seine Freude vor sich hin und huschte gedeckt zur Hütte hinauf. »Mir daucht, da muß ich noch a bißl schieben. Bei der Lieb liegt allweil der Verstand überzwerch.«



Friedl hatte Gewehr und Bergstock an die Brunnensäule gelehnt, ließ sich hinfallen auf den Trog, schöpfte Wasser mit der hohlen Hand und schlürfte gierig.



Da sprang das Mädel auf ihn zu und riß ihm die Hand von den Lippen. »Du! Dös tust mir net! In d Hitz eini so a kalts Wasser trinken.«



»Ah was! Der Schlag wird mich net gleich treffen. So verzärtelt bin ich net. Mich haben ganz andere Sachen net umgworfen.« Ein wehes Schwanken war in seiner Stimme. »Und s Wasser is allweil ebbes, wo man sich drauf verlassen kann. Wann s Wasser klar is, weiß man: Da darfst trinken davon. Und wanns trüb is, kennt man sich auch gleich aus. Da is nie ebbes Unsicheres dran, wo man net weiß, was man sich denken soll.« Weil er an ihren Augen sah, wie nah ihr diese Worte gegangen waren, stammelte er erschrocken: »Deswegen brauchst net so traurig dreinschauen. Ebbes Bsonders hab ich mir net denkt dabei. Bloß a bißl beispielmaßig hab ich gredt. Und jetzt hab ich mich gut abkühlt, jetzt kann ich wieder marschieren.« Nach dem Gewehr greifend, erhob er sich.

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