Frei Lesen: Der Jäger von Fall

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorspiel | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 |

Weitere Werke von Ludwig Ganghofer

Das Kasermanndl | Bergheimat | Der Ochsenkrieg | Gewitter im Mai | Die Trutze von Trutzberg |

Alle Werke von Ludwig Ganghofer
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der Jäger von Fall) ausdrucken 'Der Jäger von Fall' als PDF herunterladen

Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

15

eingestellt: 17.6.2007





Hundertmal war Hies auf dem moosbewachsenen Waldboden von der Fährte abgekommen, die er verfolgte. Und immer, in seiner verbissenen Beharrlichkeit, hatte er sie wieder gefunden auf zertretenem Gras, an aufgeschürften Mooslappen, an abgestoßenen Steinchen oder auf einem feuchten Erdfleck. Und wenn auch in dieser Fährte der Abdruck der neun Nagelköpfe fehlte – Hies kannte die Form dieses Fußes auch ohne das verräterische Zeichen von einst.



Weiterspürend von Schritt zu Schritt, war Hies hinübergekommen bis zu den Wassergräben des Lahnwaldes, dessen steile, lichter werdende Gehänge sich hinuntersenkten zu den Schluchten der Dürrach. Hier wucherte dichtes Berggras, durchfilzt vom vorjährigen Laub der Buchen und Erlen. Vom strengen Verfolgen einer Fährte konnte da keine Rede mehr sein. Und was hätte Blasi hier suchen sollen? Die Äsungsplätze der Gemsen lagen höher, die Tagstände des Hochwildes tiefer, wo der Wald wieder dichter wurde. Blasi hatte diesen Weg wohl nur genommen, um den Steig zu vermeiden, und war schon auf dem Heimweg. Sonst hätte er diese Richtung nicht eingeschlagen. Obs nicht ratsamer wäre, steil durch die Deckung einer Wasserrinne hinunterzugleiten? Da konnte der Jäger noch als erster die Dürrachbrücke erreichen, die Blasi passieren mußte. Solang es noch heller Tag war, würde der Wildschütz diesen Weg nicht einschlagen, erst nach Anbruch der Dunkelheit. Da blieb dem Jäger noch reichlich Zeit, um zur Schlucht hinunterzuklimmen und einen geschützten Lauerposten bei der Brücke zu wählen.



Schon wollte Hies von der Bergrippe, über die er sich hinübergeschlichen hatte, schräg hinunterklettern in den steinigen Wassergraben. Da vernahm er aus den tiefer liegenden Büschen ein Geräusch, wie wenn ein Tier im dürren Laub und im Reisig scharrt. Blitzschnell duckte sich der Jäger. Sorgsam seiner Deckung achtend, schlich er im Graben abwärts, von Stein zu Stein, bis er mit dem Staudenbuckel, von dem er das Geräusch vernommen hatte, in gleicher Höhe war. Den Hut in die Joppentasche stopfend, machte er die Büchse schußfertig und schob zuerst den Lauf seiner Waffe, dann seine Stirn und die Augen über den Grabenrand hinaus. Auf dreißig Schritte, hinter dem Schleier der Buchenäste, gewahrte er einen Körper, der sich bewegte. Nun sah er in einer Lücke des Staudenwerks den sonnfleckigen Schimmer eines Mannsgesichtes und erkannte an dem aufgezwirbelten Schnauzer den Huisenblasi, der auf der Erde kniete, mit den Händen das dürre Laub beiseiteräumte und unter den Steinen ein kurzläufiges, mit Tuchlappen umwickeltes Gewehr hervorzog. Unter einem Lächeln wilder Freude nahm der Jäger die Büchse an die Wange. »Lump, verdammter! In d Höh mit deine Pratzen! Oder es kracht!«



Blasis entfärbtes Gesicht tauchte über die Stauden herauf, nur einen Augenblick, dann verschwand es wieder. Die Deckung der Büsche nutzend, warf der Wilddieb sich platt auf den Boden hin und wälzte sich flink in die Deckung einer Steinmulde. Als Hies, den übereilten Anruf bereuend, mit schußfertiger Büchse dem Geräusch entgegensprang, hörte er den Huisenblasi hinter den Stauden schon über den Berghang hinunterflüchten. Mit jagenden Sprüngen hetzte der Jäger hinter dem Fliehenden her. Mehr und mehr verringerte sich die Entfernung zwischen den beiden. Hies, der den Wilddieb ohne nutzbare Waffe wußte, brauchte sich nimmer zu decken und konnte auf geradem Weg durch den Wald hinunterstürmen, während Blasi, um Schutz zu finden, im Zickzack von Staude zu Baum und von Baum zu Staude huschen mußte. Schon hörte Hies den keuchenden Atem des Fliehenden. Auf zwanzig Schritte sah er ihn über eine schmale Blöße rasen, ohne das Gewehr, das der Wilddieb auf der Flucht in die Büsche geworfen oder im Versteck zurückgelassen hatte. Jetzt ein Kollern von Steinen, ein lärmender Aufschlag. Blasi war verschwunden, war über die Felskante auf den Steig hinuntergesprungen.



Eine Sekunde der Überlegung. Dann wagte auch der Jäger den stubenhohen Sprung, gewann den Steig und rannte den schmalen Pfad entlang, zur Rechten die immer steiler und höher werdende Felswand, zur Linken die tiefe Dürrachschlucht. Der Fliehende, schon vierzig oder fünfzig Schritt voraus, war nur manchmal für einen Husch zu sehen, weil der Steig in kurzer Wendung sich immer wieder herumdrückte um eine Steinkante. Doch immer hörte Hies die klirrenden Sprünge, häufig den rasselnden Atem des Erschöpften. Und jetzt, unter dem Klappern und Klirren der hetzenden Nagelsohlen und unter dem Knattern und Pfeifen der Steine, die hinuntersausten in die Dürrachtiefe, war immer wieder und immer schneller, immer näher ein feiner, hübsch klingender Laut zu vernehmen, wie das Geläut einer kleinen, gutgeschmiedeten Kälberschelle. Wilde Freude verzerrte das Gesicht des hetzenden Jägers, dem die Kräfte auch schon zu entrinnen drohten. Er wußte, das war eine Hilfe. Kam da ein Stück Almvieh über den schmalen Steig herauf, dann war der Weg gesperrt, der fliehende Wilddieb eingeschlossen und gefangen.



Als Hies herumkeuchte um eine Felskante, sah er den Wilddieb auf halbe Schußweite in ratloser Verzweiflung gegen die Felswand taumeln. Auch der Huisenblasi schien zu wissen, was das hübsche, feine Gebimmel hinter der nächsten Steigwendung für ihn bedeutete – und sah den Jäger kommen, hatte die Augen eines Fieberkranken und wußte nur diese einzige Rettung noch, er mußte das bimmelnde Kalb, das von da drunten kam und auf dem schmalen Steinpfad nicht wenden konnte, durch einen jähen Schreck verstört machen und hinausstoßen über den Steig. Einen Felsbrocken aufraffend, jagte der Huisenblasi gegen die Wendung des Pfades und dem hübschen Gebimmel entgegen.



»Halt, du!« brüllte der Jäger. »Zum letztenmal halt! Oder hin bist!« Er hob die Büchse. Da erschien an der Biegung des Steiges, hinter dem Fliehenden, ein hemdärmeliger Mensch, ein weißhaariger Almhirt, der eine feinklingende Schelle an ledernem Gurt um die Brust hatte, gleich dem Bandelier eines Trommlers. »Jesus! Der Lenzl!« Und erschrocken senkte der Jäger seine Büchse.



Dem Huisenblasi fiel unter keuchenden Sprüngen der Stein aus der Hand. »An d Wand hin, Lenzl, druck dich an d Wand hin, um Tausendgottswillen!« schrie er mit gellender Stimme.



Und der Jäger kreischte: »Halt ihn auf! Halt ihn auf, den Lumpen!« Dann rannte er mit dem Aufgebot seiner letzten Kraft, bis der Schreck ihm die Knie lahmte. Er hatte noch ein halb höhnisches, halb erschrockenes Auflachen des Hirten, einen flehenden Schrei des Huisenblasi und ein heftiges Gebimmel der feinen Schelle vernommen.



Nicht weit von der Stelle, wo der schwere, von Blasi ins Rollen gebrachte Felsklumpen den Schweißhund des Friedl zerschmettert und in die Tiefe geschleudert hatte, waren Blasi und Lenzl gegeneinandergestoßen. Was da geschah, vermochte der Jäger nicht zu erkennen. Wollte Lenzl dem Huisenblasi die Flucht versperren? Oder wollte er ausweichen, sich an die Steinwand pressen, um dem Fliehenden freien Weg zu schaffen? Und verhängte sich der Schellengurt, die feintönende Glocke an der Joppe, an den Hosenträgern, an der Hemdbrust des Vorüberhuschenden? Die beiden waren plötzlich ein ringender, keuchender, unentwirrbarer, mit gellenden Lauten kreischender Knäuel. Sie taumelten und schlugen mit den Armen, verloren den Boden, einer riß den andern mit sich, und unter schrillem Doppelschrei, in den sich ein halb ersticktes Gerassel der Schelle mischte, stürzten die beiden Aneinandergekrampften in die schattenblaue Tiefe.



Zwischen dem Gepolter und Sausen fallender Steine vernahm der Jäger einen dumpfen Aufschlag. Vor Grauen wirbelten ihm die Sinne, daß er sich gegen die Felswand lehnen mußte. Diese Verstörtheit dauerte nur ein paar Augenblicke. Dann sprang der Jäger hinüber zur Unglücksstelle, warf sich auf die Knie und beugte sich über den Absturz. »Lenzl!« schrie er. »Lenzl! Lenzl!« Das Rauschen des Bergwassers war die einzige Antwort, die aus der Tiefe heraufkam. »Heiliger Herrgott!« lallte der Jäger und bekreuzte das aschfarbene Gesicht. »Dös hab ich net wollen.« Er schien sich über das eigene Wort zu ärgern und knirschte einen Fluch in die Zähne. »Freilich, so is dös allweil auf der Welt! Wann einer an Unsinn macht, so raunzt er a jedsmal: Dös hab ich net wollen.«

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
< 14



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.