Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

6

eingestellt: 17.6.2007





Als die Sterne funkelten und der Nachtwind rauschend von den Felswänden hinunterfuhr ins finstre Tal, suchte Friedl mit kochendem Blut den Abstieg zur Jägerhütte. Schlaflos warf er sich die ganze Nacht auf seinem Heubett herum, tobenden Zorn in jedem Gedanken. Daß Blasi der von allen Jägern gehaßte und gesuchte Neunnägel wäre, daran hatte er nie im Traum gedacht. Nun er es wußte und alles andre dazu, vermeinte er kaum den Morgen erwarten zu können, um hinauszuziehen in den Bergwald und jeden frischen Fußtritt auf der Erde zu prüfen. Keiner ehrlichen Jägerkugel hielt er diesen Menschen wert! Fangen wollte er ihn, greifen und fesseln, wie man den Dieb fesselt, der zur Nacht in die Stille der Häuser bricht. Stoß für Stoß wollte er ihn vor sich hertreiben, den ganzen Weg bis zur Schwelle des Landgerichtes zu Tölz, auf offener Straße mitten durch Lenggries hindurch, um ihn der verdienten Schande preiszugeben.



Es dauerte lang, bis in Kopf und Seele des Jägers der erste Wutsturm sich ausgetobt hatte. Als er ruhiger wurde, kam gleich der Gedanke: Da muß man helfen! Modeis Bild, ihr Kummer, ihr zerbrochenes Leben stieg vor seinen Augen auf. Und wie er sich auch wehrte dagegen, er konnte es nicht hindern, daß neben dem Willen zur Hilfe auch Träume von kommendem Glück sich rührten in seinem Herzen. Wohl sprach er sich in der finsteren Nacht mit lauten Worten vor, wie grundschlecht das wäre, bei allem Gram des armen Mädels an seine eigene Liebe, an sein eigenes Herz zu denken. Aber die heißen Wünsche, die er seit Jahren mit Gewalt in sich unterdrückt hatte – nur seiner Mutter gegenüber war ihm in einer schwachen, dürstenden Stunde das verschlossene Herz aufgesprungen – flammten nun gegen seinen Willen auf, wie ein von der Luft abgesperrtes Feuer im leisesten Windhauch auflodert, nachdem es mit halberstickter Glut die Pfosten und Balken dörrte. Da sah er sich schon zu Hause sitzen, in der kleinen, gemütlichen Stube, an der Seite des geliebten Weibes, erfreut und erheitert durch das drollige Lachen des Kindes. – Das Kind! – Da fiel dem Jäger seine Mutter ein, die nach einem schweren, an Sorge und Mühsal reichen Leben streng über solche Dinge urteilte – und die Worte kamen ihm in den Sinn, die ihm die alte Frau zum Abschied auf der Türbrücke ins Ohr gesprochen hatte.



Und war es denn nicht das Kind des Verhaßten? Nein, nein! Ihr Kind war es, ihr Kind allein! Das waren die gleichen dunklen, tiefen Augen, das war die Farbe ihres Haares, das war das gleiche Grübchen im Kinn, und aus dem Lallen des Kindes hörte er immer die linde Stimme der Mutter. Nur ein paarmal hatte er das kleine liebe Ding gesehen und trug es schon in seinem Herzen wie sein eigen Fleisch und Blut. Nur die Leute, die Leute – und –



Aber war er selbst denn ohne Sünde, frei von jeder Schuld gegen Gott und Menschen? Er dachte an die Kirche und sah sich im Beichtstuhl auf den Knien liegen. Immer und alles hatte ihm der Pfarrer verziehen, dieser unfreundliche Herr, der die Jäger nicht leiden konnte, weil sie ihm kein Wildbret zum Präsent machten, wie es die Raubschützen taten. Und er, er sollte nicht vergessen und nicht verzeihen können, nicht einmal dieser Einzigen, an der sein Leben hing?



Dann wieder überlief ihn kalt der Gedanke, wozu er das alles dachte und hoffte? Wie sollte denn sie ihm gut werden können, da sie ihn schon verworfen hatte durch die Wahl eines anderen, freilich ohne zu wissen, was er in seinem Herzen für sie empfand. Und jetzt sollte sie ihm gut werden, jetzt, wo die Tränen um den andern noch auf ihren Wangen brannten? Gerade jetzt sollte sie Liebe empfinden können, da Liebe sie so grausam getäuscht und verraten hatte?



Es hielt ihn nicht länger auf dem schwülen Heubett. Er sprang auf und trat ins Freie. Die Kühle der Nacht tat ihm wohl, und er setzte sich draußen auf die Holzbank, um so den Morgen heranzuwachen. Über ihm blinkten die Sterne, in der schwarzen Runde rauschten die Bäume, und drunten auf dem Jagdsteig sang das Geplätscher des kleinen Wasserfalles. Ruhelos stritten in der Seele des Jägers die springenden Gedanken. Aber hell und laut in aller kämpfenden Qual sprach immer wieder die Stimme seiner Hoffnung.



Als nach Stunden die Sterne erloschen waren und über den Felshang die ersten falben Lichter niederflossen, erhob sich Friedl. Eine bleierne Müdigkeit lag in seinen Gliedern. So matt und zerbrochen hatte er sich noch nie gefühlt, wenn er von der ersten Dämmerung bis in die sinkende Nacht umhergeklettert war in den unwegsamsten Steinwänden oder wenn er den schwersten Hirsch auf dem Rücken hinuntergetragen hatte nach Fall, um das Liefergeld zu verdienen. Langsam ging er den Steig hinunter bis zum Bach; dort legte er die Kleider ab und stellte sich unter den klatschenden Wasserfall, dessen Kälte ihn erfrischte und die Kraft seiner Knochen wieder aufrüttelte.



In die Jagdhütte zurückgekehrt, brachte er Schlafstube und Küche in Ordnung; dann zog er aus, mit dem Hund an der Leine. Als er bei hellem Morgen die Lärchkoglalm erreichte, trat er in eine der Hütten und ließ sich eine Schüssel mit frischer Milch reichen. Halb trank er sie leer und stellte den Rest für Bürschl auf die Erde. Und weiter!



Still war es im Bergwald. Unter den Bäumen lag noch der Frühschatten, der Tau noch auf den moosigen Steinen.



Wie Balsam auf brennende Wunde, so legte sich die Bergwaldstille auf Friedls heiß erregtes Gemüt. Und als er nach diesem langen, einsamen Tag unter Modeis Türe trat und dem blassen Mädel zum Grüßgott die Hand reichte, waren die Bangnisse der verflossenen Nacht von seiner Stirne gewischt. Sein Auge blickte freundlich, sein Mund konnte lächeln.



Tag um Tag verging. Und Abend um Abend kam Friedl zur Grottenhütte und brachte entweder einen Strauß frischer Blumen oder einen absonderlichen Wurzelauswuchs zum Schmuck der Hüttenwand oder sonst ein Ding, wie es die Aufmerksamkeit ihn suchen, der Zufall des Weges ihn finden ließ. Immer war er der gleiche, der gleich Freundliche. Nie kam ein Wort über seine Lippen, das Modei nur leise an die Vergangenheit erinnern oder in ihr die Ahnung hätte wecken können, daß Friedl um alles wußte. Heiter plauschend saß er am Herd und guckte zu, wie Modei still und ruhig ihre Arbeit tat, oder er lauschte den verworrenen Geschichten ihres Bruders, für den der Tag erst begann, wenn Friedl des Abends in die Hütte trat. War alles getan, was das Tagwerk der Sennerin erfordert, so saßen die drei oft stundenlang noch beisammen vor der Hüttentür. Da nahm dann Friedl Modeis Zither auf die Knie und sang von seinen kleinen Liedern eins, oder Modei spielte selbst einen Ländler, und Friedl plauderte dazu von der Zeit, da sie als Kinder auf den Straßen und Wiesen von Lenggries noch ›Blindekuh‹ und ›Fangmanndl‹ gespielt hatten. Er dachte auch daran, wie Modei in die Schule kam, während er schon in der letzten Klasse saß, und wie er sie oft vor den groben Späßen der anderen Schulbuben in Schutz genommen hatte. Davon schwatzte er aber nicht, er lächelte nur still vor sich hin, wenn ihm das einfiel.



Diese wandellose Freundlichkeit des Jägers blieb auf Modei nicht ohne Wirkung. Stille Ruhe legte sich auf ihr Herz und Denken; von Tag zu Tag milderte sich die strenge Falte zwischen ihren Brauen; und gerne lächelte sie zu einer von Friedls lustigen Geschichten. Stark, entschlossen und besonnen, wie ihr Schicksal sie gebildet hatte, war sie in einem einzigen Schmerz mit allem Vergangenen und mit allen Klagen fertig geworden und dachte jetzt nur noch an eine Zukunft notwendiger, unermüdlicher Arbeit. Freilich lag das Gefühl der Einsamkeit wie ein drückender Stein auf ihrem Leben. Lenzl war über seine Jahre gealtert, zuzeiten recht griesgrämlich und für die Schwester mehr ein Gegenstand der Sorge als ein stützender Kamerad. Und das Kind, dem nun ihr ungeteiltes Herz gehörte und für das ihre Hände rastlos arbeiteten, war weit von ihr, war fern ihrer Zärtlichkeit und ihrem Liebesbedürfnis.



Da empfand sie die freundliche Art und Weise Friedls wie einen starken und warmen Trost. Wenn er sich bei Anbruch der Nacht von der Bank erhob und dem Lenzl für den nächsten Abend das Wiederkommen versprach, hörte sie das gerne mit an. Und wenn er ging und sie sah ihm nach, dann schlichen ihr unwillkürlich vergleichende Gedanken durch den Kopf. Aber das erregte in ihr auch wieder den Ekel über das Vergangene und Unmut über alles in ihr selbst, was solch ein Vergangenes erlaubt und ermöglicht hatte. Und wenn sie zur Ruhe ging, lag sie oft lange Stunden noch schlaflos in ihrem Kreister und dachte zurück an alles Geschehene: wie sie als junges Mädel, fast noch als Kind, auf die Alm heraufgezogen, wie sie sich so unglücklich, so von Gott und Menschen verlassen gefühlt hatte und wie Blasi eines Abends, nach einem schweren Unwetter, zum erstenmal in ihre Hütte getreten war und bei ihrem Anblick gestutzt und gelächelt hatte. Nicht der schmucke Bursch mit den blitzenden Augen, nicht seine zärtliche Werbung, nicht seine kosenden Liebesworte hatten sie zu der unseligen Neigung beredet. Ihre Verführer waren die Einsamkeit und die Liebessehnsucht ihres jungen Herzens gewesen. Und lange schon, bevor sie Blasis wahre Natur in ihrer üblen Häßlichkeit erkannte, hatte sie in Schmerz die Torheit des eigenen Herzens erkennen müssen. Hätte nur Friedl mit seinem wohlmeinenden Rat ihr in jener Zeit zur Seite gestanden! Dann wär es nicht so gekommen, alles wäre anders – und besser! Es war Modei seltsam zumut, als sie sich über diesem Gedanken ertappte; aber auch bei klarem Bewußtsein konnte sie ihm nicht unrecht geben. War Friedl nicht auch jetzt ihr guter Berater, wenn auch nur bei den kleinen Sorgen ihres Almhaushaltes? Und das wußte sie: Wenn sie jemals in ernster Sorge was zu fragen hätte, dann würde Friedl nur zu ihrem Besten raten.

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