Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

7

eingestellt: 17.6.2007





Modei trat aus der Tür. Sie hatte die Arbeitsschürze abgelegt und eine weiße umgebunden; über dem Mieder trug sie eine kurze, offene Jacke. In der einen Hand hielt sie einen blauen Leinenrock, in der anderen ein altes Zigarrenkistchen, das angefüllt war mit allerlei Nähzeug.



»Was is denn?« fragte der Jäger. »Willst dich gar noch zur Nahterei hocken? Siehst ja fast nix mehr.«



»A halbs Stündl tuts schon noch. Untertags hab ich kei Zeit.« Modei setzte sich auf die Steinbank, nahm den blauen Rock übers Knie, stellte das Kistchen neben sich und unterzog einen langen, klaffenden Riß einer aufmerksamen Betrachtung. »Und ich möcht mei Sach allweil sauber beinand haben. Geh, setz dich her da! D Nahterei macht sich leichter, wann man a bißl plauscht dazu. Heut mußt dich auch net so tummeln mitm Fortgehn, heut hast an guten Heimweg, der Himmel is klar, und der Mond wird da sein, vors Nacht is.«



»Ich geh heut gar nimmer ummi in d Jagdhütten«, sagte Friedl, während er sich neben Modei auf die Bank niederließ.



»Wo gehst denn nacher hin?«



»Heim, nach Fall abi.«



»Morgen kommst aber wieder auffi?«



»Na! Von morgen an hab ich d Aufsicht im Rauchenberg, und an andrer Jagdghilf, wahrscheinlich der Hies, kommt auf vierzehn Täg in den Bezirk da.«



Modei hob das Gesicht. »Geh! Kommst nacher du vierzehn Täg lang gar nimmer da her?«



»Der Dienst halt! Was kannst da machen!«



Modei beugte sich seufzend über ihre Arbeit; achtsam schnitt sie mit einer plumpen Schere aus dem Rock an der Stelle des Risses ein großes Viereck heraus und säbelte ein ebenso geformtes, etwas größeres Stück aus einer alten, löcherigen Schürze, die schon öfters zu ähnlichen Reparaturen Stoff hatte hergeben müssen. Während sie das Leinenstück mit Stecknadeln über die Lücke des Rockes heftete, sprach sie vor sich hin: »Es is mir gar net recht, daß ich dich so lang nimmer sehen soll. Ich hab mich ganz gwöhnt dran, daß d jeden Abend da bist.«



Dem Jäger fing das Herz zu hämmern an, und auf seinen Lippen lagen hundert Fragen; mit Gewalt zwang er sie zurück und hielt schweigend den Blick auf die emsigen Finger gerichtet, die in die Nadel den blauen Faden zogen, einen Knopf an das Ende flochten und dann eifrig zu sticheln begannen. So guckte er lange zu. Dann sagte er: »D Nahterei muß a schwere Sach sein!«



»Können muß mans halt.«



»Freilich, ja. Wann ich a Nadel einfadeln will, brauch ich allweil a halbe Stund dazu. So a Nadel, so a feine, is a Ludersteuferl!« Weil Modei ein bißchen lachte, rückte er mutig näher. »Wann ich jetzt vierzehn Täg nimmer komm, tuts dir auch wirklich a bißl ahnd nach mir?«



»Gwiß, Friedl! Du bist allweil gleich gut aufglegt und unterhaltsam. So bist gegen alle Leut. Aber es kommt mir so für, als wärst dus gegen mich noch a bißl mehr wie zu die andern. Bist a guter Mensch!«



»Gut?« Er lächelte. »Ich weiß schon, d Leut sagen so: a guter Mensch – und da meinen s: a Rindvieh.«



»Geh! Na!«



»Aber glaub mirs, Madl, s richtige Gutsein is grad so a schwere Arbet wie d Nahterei. Oft schon in der Nacht bin ich gsessen mit brennheiße Augen. Und hab gstritten mitm Unmutsteufel in mir. Gut sein müssen, weil man net anders kann, dös is a Gwicht, an unkommods. Aber gut sein mögen und s Gutsein derzwingen, dös macht eim s Leben besser.« Friedl stellte die Nähschachtel, die zwischen ihm und Modei stand, auf die andere Seite und rückte näher. »Wann ich gut bin, weiß ich allweil, warum.«



Ein kurzes Schweigen.



»Friedl?«



»Was?«



»Bist gut zu mir? Und weißt, warum?«



»Ja. Weil d es verdienst. Und weil ich mir denk, du kunntst a bißl Freundschäftlichkeit grad jetzt gut brauchen.«



Das Mädel hob die Augen. »Brauchen?« Das hatte strengen, fast erregten Klang. »Warum?«



Friedl hätte viel darum gegeben, wenn er das unvorsichtige Wort wieder ungesprochen hätte machen können. Verlegen sah er in Modeis Augen. »No ja –«



»Du?« Ihre Stimme zitterte. »Du weißt was?«



»Alles!«



»Von wem?«



»Augen hab ich ja selber. Und –«



»Der Lenzl? Gelt?« In Zorn war Modei aufgesprungen. Wortlos kramte sie ihr Nähzeug zusammen. Als sie sah, daß ihr Friedl den Weg zur Tür vertrat, schob sie das Kistchen wieder auf die Bank, setzte sich und nähte schweigend weiter.



»Deswegen mußt dich net alterieren!« sagte Friedl und stellte die Schachtel fort. »Ich mein dirs gut! Und bei mir is a heimlichs Wörtl aufghoben. Da brauchst dich net fürchten.«



»Fürchten?« Sie unterbrach die Arbeit nicht. »Ach na! s Fürchten hab ich verlernt. Glauben und Fürchten is allweil an einzigs. Verliert man s Strumpfbandl, nacher rutscht der Strumpf halt auch. Die letzten Wochen haben fest grissen an mir. Den ganzen Tag so allein! Und alles allweil einiwürgen! Vielleicht iss grad gut für mich, daß d alles weißt. Da hab ich doch wen, mit dem ich reden kann.« Die Stimme erlosch ihr. Sie drehte das Gesicht auf die Seite, wollte einfädeln und fragte mit erwürgtem Laut: »Wo is denn d Schachtel schon wieder?«



Friedl machte einen flinken Griff. »Is schon da!«



Sie zog den Faden von der Spule und krümmte sich plötzlich tief hinunter, von lautlosem Schluchzen geschüttelt.



»Mar und Joseph!« Erschrocken rüttelte Friedl sie an der Schulter, rückte näher, stieß die Schachtel fort und umschlang das Mädel. »Jesses, geh, so schaam dich doch a bißl! Hör auf, hör auf, ich kanns net vertragen. Wann ich wem gut bin, kann ichs net anschaun, daß er leiden muß!« Er versuchte sie aufzurichten. »Komm, laß dich a bißl trucken legen!« Schwer schnaufend, zerrte er sein Taschentuch heraus, trocknete ihre Wangen und fuhr sich auch flink über die eigenen Augen. »Geh, sei gscheit und nimm a bißl Verstand an! Schau, jetzt is halt amal alles a so, und da muß man sich einischicken wie der Fuchs in sein Bau.«



»Freilich, ja!« Mit zitternden Händen begann sie die Arbeit wieder.



»Weißt, mit allem muß man fertig werden. Wann der Mensch net a bißl nachgeben kunnt, müßt er Tag und Nacht a Sauwut aufs Leben haben. Fest anschauen muß man halt die harten Sachen. Und hat man gsehen, wie s sind, nacher muß man sagen: In Gotts Namen, wies is, so muß mans haben.« Nachdenklich schwieg der Jäger eine Weile. »Freilich, wanns einer so nimmt, da tut er gar oft ebbes, was ander Leut für Unsinn halten. Aber zerst muß ich mit mir zfrieden sein. Nacher kanns gehn, wies mag. Drum schau, tu dich net kränken! A Madl wie du! Und einer wie der? Na! Der is gar net wert, daß d a Tröpfl Wasser fallen laßt um seintwegen.«



»Wegen dem, meinst?« Sie schüttelte den Kopf. »Wegen dem lauft mir s Brünndl nimmer über. In den hab ich einigschaut. Aber um mich allein gehts net her. s Kindl halt!« Modei beugte sich über die Arbeit. »So an arms Häuterl!«



»Arm? Und hat a Mutter wie du!«



»A Mutter is viel. Aber net alles. Tag und Nacht muß ich drüber nachdenken. So a Kindl! Und hat kei Schuld. Und is net gfragt worden, wie mans einigschutzt hat in d Welt. Und muß leiden drunter. So an Ungrechtigkeit sollt unser Herrgott net zulassen.«

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