Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

8

eingestellt: 17.6.2007





Anderen Tages, am Sonntag, wurde es in Fall mit aller Frühe laut und lebendig. Schon um fünf Uhr morgens knallte der Wirtsknecht mit seiner Peitsche neben dem Wagen her, auf dem er in der Nacht das frische Bier von Tölz gebracht hatte; dann rasselte die Faßleiter, und dröhnend kollerten im Wirtshaus die schweren, vollen Banzen über die Flursteine. Vater Riesch, in großen Pantoffeln und mit winzigem Hauskäppl, einen kalten Zigarrenstummel zwischen den Zähnen, stand dabei, um das Abladen zu überwachen. Benno kam und erkundigte sich angelegentlich nach dem Fäßchen Hofbräu, das er von München mit nach Tölz gebracht und dort in der Post eingestellt hatte. Vater Riesch zuckte die Achseln, davon wisse er nichts, das Fäßchen müsse wohl vergessen worden sein. Benno war außer sich. Da tröstete ihn der Wirt mit Lachen: »Haben S kei Angst, es liegt schon drunt im Keller, kalt eingschlagen in nasse Tücher!«



Flink sprang Benno die Treppe zum ersten Stock des Wirtshauses hinauf und weckte die drei Holzknechte, die der Förster herbeordert hatte, um die Schießstätte zu richten. Das kleine Sommerhaus des Wirtes, das über der Straße drüben am Ufer der Isar lag, sollte zur ›Schützenhalle‹ umgewandelt werden. Von da aus wollte man über den Fluß hinüberschießen nach einem etwa fünfhundert Schritt entfernten Felsen, der drüben am Ufer kahl aus dem Waldgehäng hervorsprang, eine leichte Aufstellung der Scheibe gestattete und dem Zieler Schutz vor den Kugeln bot. Benno wies an Ort und Stelle den Holzknechten die Arbeit an, rannte zum Forsthaus zurück, in dem er wohnte, und warf sich in festlichen Staat.



Als er wiederkam, war im Sommerhaus die Arbeit schon in vollem Gang. Die Holzknechte hatten sich noch ein paar Leute zur Aushilfe geholt; nun wurde hier gesägt und gehämmert, dort wurden Pfähle eingerammt, hier wurden aus breiten Brettern die Scheiben geschnitten, dort hockte einer auf der Erde und schnitzelte aus Weidenästen kleine Holzklötzchen zum Verschließen der Schußlöcher, und vom Wirtshaus herüber kamen die einen und andern, um nach den Fortschritten der Arbeit zu sehen. Ganz Fall war Leben und Bewegung; um neun Uhr sollte ja schon das Schießen beginnen. Der Eifrigen Eifrigster war Benno; er zirkelte die Scheiben aus, bemalte die Kreise mit schwarzer und weißer Leimfarbe und gab dem Sohn des Wirtes Anweisung, wie mit Tannenreis die ›Schützenhalle‹ am hübschesten zu schmücken wäre. Dann nagelte er die seidenen Fahnen, um die er eigens nach München gefahren war, an blau und weiß geringelte, goldbeknaufte Fahnenstangen und steckte sie rechts und links vom Eingang der ›Festhalle‹ in den Rasen, wo die Tücher lustig im leichten Winde flatterten und ihre Seide in der Sonne schimmern ließen.



Zwischen den klatschenden Hammerschlägen und dem Ächzen der Holzsäge schollen vom Garten des Forsthauses herüber hallende, von rollendem Echo begleitete Schüsse. Da drüben probierten der Förster und die Jagdgehilfen ihre Büchsen. Und draußen an der Scheibenstatt übte sich der Jüngste des Wirtes mit Juhschreien und Purzelbäumen in seinem Beruf als gewissenhafter Zieler.



Als auf dem Schießplatz alles fix und fertig war, ging es mit der Zeit schon knapp auf neun Uhr. Bald war auch die kleine Schützengesellschaft versammelt: der Förster, Hies und die anderen Jagdgehilfen mit ihren Pirschstutzen; Vater Riesch mit seinem Vorderlader alten Kalibers; der ›Herr Götz‹, ein Elsässer, der an der Isar zwischen Fall und Lenggries eine Papierfabrik stehen hatte, und sein auf Besuch anwesender Bruder, die zusammen mit einem funkelnagelneuen Martinigewehr zu schießen gedachten; und schließlich Benno mit seinem bewunderten Scheibenstutzen. Nur Friedl fehlte noch. Ein paarmal schon hatte Benno nach ihm gefragt; niemand wollte ihn gesehen haben. Und Friedl kam nicht, obwohl der Beginn des Schießens immer näherrückte. Punkt neun Uhr, als der Böller krachte, gabs auf der Schießstätte einen fidelen Jubel. Benno war mit einer letzten, bis zu diesem Augenblick geheimgehaltenen Überraschung herausgerückt. Während seines Aufenthaltes in München hatte er einen ihm befreundeten Maler aufgesucht, und das Ergebnis dieses Besuches war eine prächtige Ehrenscheibe, deren Bild die Schlußszene von Bennos letzter Gemsjagd darstellte. Über dem Bilde stand in fetten Buchstaben: ›Jagdschießen zu Fall, 1881.‹ Und am unteren Rande war im Bogen auf die Scheibe geschrieben: ›Gewidmet vom freiwilligen Jagdgehilfen Benno Harlander.‹



Lang umstand man das hübsche Bild; dann wurde es, bis es seinem Zweck dienen sollte, in der ›Schützenhalle‹ aufgehängt.



Das Schießen begann. Benno als Festgeber tat den ersten Schuß, dann knallte und knallte es in ununterbrochener Folge, und das kleine Tal war angefüllt mit Donner und Echo. Doch Benno wollte, so fröhlich es um ihn her zuging, nicht in die richtige Festlaune kommen, weil Friedl noch immer fehlte. Als er wieder einmal geschossen hatte, lief er zum Haus des Jägers hinüber. Die alte Frau machte ihm die Haustür auf. »Was ist denn, Mutter? Ist der Friedl gestern nicht heimgekommen?« Zu einer Antwort blieb der alten Frau keine Zeit. Hinter den beiden knarrte das Zauntürchen, und als Benno sich umblickte, stand der Jäger vor ihm, auf den Armen ein Kind, das die kleinen Ärmchen fest um seinen Hals geschlungen hielt.



»Friedl?« fragte Benno. »Bei wem bist denn du als Kindsmädel eingestanden?«



»Seit gestern bei mir selber!« lachte Friedl.



»No, wenn auch das Kindsmädel ein bißl massiv geraten ist, so ist das Kindl um so netter und feiner! Geh, du kleines Kerlchen mit deinen Haselnußaugen, gib mir ein Patscherl!« Das Kind löste einen Arm von Friedls Hals und streckte Benno das Händchen hin. »Schau, wie schön du das kannst!« scherzte Benno, während er dem Bübchen freundlich die Wange streichelte. Dann sagte er zu Friedl: »Jetzt mach aber, daß du nüberkommst, sonst schießen dir die andern die schönsten Preise vor der Nase weg!«



»Ja, ja! Von allen Seiten hab ichs schon krachen hören. Lassen S Ihnen net aufhalten, Herr Dokter! Ich, komm gleich.«



Benno ging und hörte die alte Frau noch sagen: »Geh, komm zu mir, Schatzerl!« Sie nahm den Kleinen von Friedls Arm. »Na, so was Liebs! Gelt, Herzerl, jetzt bleibst bei uns, und so gut sollst es haben, so gut –«



Als Benno wieder in die Schützenhalle trat, klang ihm lauter Jubel entgegen. Vater Riesch hatte einen Punkt geschossen. »So an alter Kalfakter!« brummte der Förster. »Sehen und hören tut er bloß halb. Aber beim Scheibenschießen wackelt ers allweil noch eini. In seiner Schußlisten steht ein Dreier um den andern drin.«



Nun, der Förster selbst, ebenso wie jeder andere, war auch zufrieden mit seinem Erfolg. Und als Friedl kam und den ersten Schuß mitten hinein ins Schwarze brannte, war ihm das eine gute Verheißung für den weiteren Verlauf. Nur der ›Herr Götz‹ – du mein Gott – der hatte ein Kreuz mit seinem funkelnagelneuen Martinigewehr. Bald versagte ein Schuß, dann wollten die Patronen nicht in den Lauf, dann wieder wollten sie nicht aus dem Lauf. Und krachte der Schuß, so ging das Gewehr bald zu hoch, bald zu tief, bald zuviel rechts, bald zuviel links. Der ›Herr Götz‹ wurde ärgerlich und klagte: »Heiliger Chrischtof! Jetzt macht mi aber die Sach mit dem Schtutze schon bald e bissele schtutzig!«



Die Schützen lachten, und es lachten auch die Bauern und Burschen, die den Eingang der Schützenhalle umdrängten. Da stand der Lenggrieser Bauer, der seine Alm besuchen wollte, der Flößer, der von Tölz zurückgewandert kam, nachdem er sein Floß gut an den Mann gebracht, da stand der eine und der andere Bursch, den auf die Nacht sein Schatz in der Sennhütte oder in einem fernen Dorf erwartete, da stand auch ein Tiroler Hausierer, den Warenkasten auf dem gekrümmten Rücken – und alle lachten sie. Besonders einer lachte so laut, daß man ihn aus allen heraushörte, ein rohes, hölzernes Lachen.

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