Frei Lesen: Der Ochsenkrieg

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg

2

eingestellt: 2.7.2007





Von Staub umwirbelt, mit pludernden Hemdärmeln, die rot gesprenkelt waren, hetzte Malimmes auf dem Ingolstädter Gaul dem zerstörten Hallturm entgegen. Dem Erschöpften drohten die Kräfte zu erlöschen. Manchmal verzog er das Gesicht, weil ihm das verkrustete Blut die Haut spannte. Und manchmal lachte er wie ein Berauschter vor sich hin. Den fremden Bidenhänder hatte er quer vor dem Sattel liegen. Die mächtige Klinge war ein bißchen rot geworden. Bei den letzten Häusern von Berchtesgaden hatte dem Malimmes eine Wache mit vier Spießen den Weg versperren wollen. Dann hatte ihm kein Hindernis mehr den jagenden Ritt gestört. Über die Stillen, die auf der Straße lagen, sauste der Gaul ohne Zuck hinüber. Er scheute auch nicht vor den Brandruinen, nicht vor den Leuten, die bei den qualmenden Haustrümmern stumpf und ruhig auf der Erde saßen.



Von Rauch umkräuselt, von aufgeregten Dohlen und Tauben umflattert, tauchten die Reste des Hallturmes über die Wiesen herauf. In der Torhalle wars öd und still. Alles Leben fehlte. Und die Toten hatte man, um Platz für den Rückzug der Bayrischen zu schaffen, aus dem Torweg herausgezerrt in den Burghof. Hier und entlang der Mauer, lagen sie in der bratenden Sonne und mahnten schon fürchterlich an die Düfte des Vergänglichen. Sie waren wie friedsame Schläfer nur mit dem Hemd bekleidet; was sie sonst am Leibe getragen hatten – Kleider, Wehr und Waffen – alles war verschwunden. Dem Malimmes, der an den Graus der Schlachtfelder gewöhnt war, rann beim Anblick dieses vom Tode besetzten Burghofes kein Schleier des Grauens über die Augen. Als Kriegsmann erriet er, daß diese Schläfer auf ihre Gräber warten mußten, um den heiligen Peter und seinen Freund Salzburg durch die Pflichten der Pietät einen Tag lang vom Sturm auf den Fuchsenstein und die Feste Plaien abzuhalten. Herr Seipelstorfer, der den Nachmarsch des Feindes durch jeden Behelf verzögern wollte, hatte auch die Zugbrücke zerstören lassen. Der tiefe Wassergraben sperrte den Weg des Malimmes. Ein Faustschlag: »Spring, Rössel!« Und der Ingolstädter, der von Herzog Ludwigs Falkenjagden an kalte Bäder gewöhnt war, klatschte mit mächtigem Satz in das grüne Wasser hinunter. Als das weiße Geschäum zerfloß, war unter dem Wasserspiegel ein wunderlich geformter, heftig arbeitender Riesenfrosch zu sehen. Jetzt tauchte ein triefender Menschenkopf, ein triefendes Tierhaupt an die Luft, Malimmes schleuderte den Bidenhänder ans Ufer, stieg mit den Füßen auf den Sattel des schwimmenden Gaules, sprang an das Land und half dem schlagenden Pferd aus dem Wasser heraus. Ein Griff nach dem Bidenhänder. Und wieder hinauf und davon durch das weißgraue Aschenfeld des niedergebrannten Waldverhaues.



Das kalte Wasser hatte dem Malimmes die müden Kräfte ein wenig erfrischt und säuberlich alle Blutflecken vom Hemde, vom Gesicht und aus den Haaren fortgewaschen. »Gott sei Lob und Dank! Jetzt wird der Bub nicht erschrecken vor mir.« Er schüttelte sich in der Sonne.



Hinter dem Aschenfeld arbeiteten Kriegsknechte und Schanzbauern an einem neuen Sperrwall, der schon übermannshoch gewachsen war. Und auf dem Fuchsenstein gewahrte Malimmes ein Geblitz von Waffen und die Verschanzungen der drei Geschütze. In seiner Freude hob er den Bidenhänder und tat einen gellenden Schrei. Waren die Kammerbüchsen noch da, so waren auch Jul und Runotter nicht weit.



Viele Stimmen kreischten auf dem Wall. Faustbüchsen und Armbrusten richteten sich gegen den Reiter. Malimmes schrie die Losung von Plaien und schimpfte: »Hammelsköpf! Man schießt doch nit auf die eigenen Leut!«



Der Wall hatte kein Tor und war so steil, daß man den Söldner und seinen Gaul an Seilen hinauflotsen mußte. Und da war auch Herr Martin Grans schon auf dem Wall und brüllte: »Du Schaf, du gottverlorenes!«



»Herr Hauptmann, Ihr seid ein Menschenkenner!«



»Hast du denn meinen Botschaftsweg in die Ramsau nicht verstanden?«



»Wohl, Herr! Aber weil ich ein Schaf bin, hab ich halt auch was Schafmäßiges tun müssen. Sind meine Leut in Sicherheit?«



»Freilich!« Herr Grans wurde heiter. »Dein Herr und sein Vetter sind grad so dumm wie du! Die wären um deintwegen ins Feuer gesprungen. Denen hab ich Füß machen müssen.«



Malimmes tat einen tiefen Atemzug.



»Aber du, Mensch? Wo kommst denn du jetzt her? Und so?«



Der Söldner guckte an sich hinunter. »Ich bin gewesen, wo man die Gäns rupft. Und hab gemeint, daß Ihr Kundschaft braucht. Die hab ich geholt. In dritthalb Stunden sind die Salzburger beim Hallturm. Ich schätz dreihundert Roß und fünfhundert Spieß, dazu vier Hauptbüchsen, die einen Zentner schießen. Hauptmann ist der Hochenecher. Den kenn ich vom ungrischen Handel her. Ist ein Scharfer! Aber sein Profoß ist ein Schöps. Bei den Salzburgern sind die Gadnischen, die sich gesammelt haben. Und Ingolstädtische müssen dabei sein. Ich hab Gäul gesehen, die den >Loys< mit der Herzogskron als Brand auf dem Hintern haben.«



Herr Grans war ernst geworden. »Teufel! Das ist mehr, als der Seipelstorfer weiß.« Er wollte davongehen, sah den Malimmes an, trat auf ihn zu und rührte mit dem Finger an den bläulichen Strich, den der Söldner rings um den Hals hatte. »Mensch?«



Jetzt lachte Malimmes. Und weil er wußte, daß dem Hauptmann die Geschichten vom ungefährlichen Hanfsamen bekannt waren, sagte er: »Der von heut, das ist der sechste gewesen. Kann auch sein, erst der fünfte. Ich weiß nimmer recht. Aber mein Hals will verdienen. Vergeßt nit auf meinen Botenlohn! Heut bin ich Kirchenmaus geworden. Ich brauch Gewand und eine neue Wehr.«



»Sollst alles haben.«



»Und einen Mann, der mich zu meinem Herren führt.«



Der Hauptmann winkte einen der Knechte herbei. »So erzähl doch, Mensch!«



»Ein andermal, Herr!« Malimmes nahm den Zügel des Ingolstädter Gaules, dessen Fell in der warmen Sonne schon zu trocknen begann. »Heut wirds mit der Zeit ein lützel knapp.« Er sah über die Schulter gegen die Hallturmer Mauer. »Ich hätt mir in Berchtesgaden gern die Haar stutzen lassen. Aber der Bader ist mir mit der Scher unter die Haut gekommen. Jetzt wart ich lieber bis übermorgen.« Malimmes sah scharf den Hauptmann an und sagte langsam: »In Burghausen gibts doch gute Haarstutzer? Nit?«



Herr Grans wollte etwas erwidern, drehte sich aber plötzlich um, klirrte davon und schrie: »Der Seipelstorfer? Wo ist der Seipelstorfer?«



Den Gaul am Zügel führend, ging Malimmes hinter dem Knechte her, der ihn zum Runotter führen sollte. In dem schmalen Waldtal war eine dichte Zeltstadt aus dem Boden gewachsen. Söldner, Schützen und Harnischer lagen neben den Reihen der angepflöckten Gäule bei den Feuerstätten, würfelten um Beutestücke, verzechten das Berchtesgadnische Raubgeld und scherzten mit den Troßweibern. Fast am Ende des Gelägers, bei einer Quelle unter alten Bäumen, stand das große Zelt, das man dem Runotter und den Seinen zugewiesen hatte. Der Falbe, der Schimmel und die zwei erbeuteten Gäule der Knechte waren angepflöckt und zupften den Hasenklee aus dem Moose. Heiner putzte das Sattelzeug. Als er den Malimmes kommen sah, sprang er auf. »Gott sei Lob!« Er rückte vergnügt den Stirnverband, als wars ein Hütl. »Der Bub, unser Bauer und das narrische Mensch sind fast verzweifelt vor Angst um dich!«



»Wer noch?« fragte Malimmes.



»Die Traudi. Wirst doch wissen –«



Malimmes sah ein bißchen wunderlich drein. »Die ist auch noch da?« Und während er seinen Gaul anpflöckte, murrte er vor sich hin. »Es ist doch ein Elend mit den Weibsleuten. Haben kann man sie flink. Los wird man sie niemals wieder.« Den Altknecht machte die mangelhafte Bekleidung des Söldners neugierig. »Da ist die Hitz dran schuld. Gebadet hab ich, wider das Schwitzen, weißt. Und da ist mir so pudelwohl geworden, daß ich das ganze Gelumpert beim Wasser hab liegen lassen.« Malimmes lachte über die verdutzten Augen der beiden Knechte, ging auf das Zelt zu und sah in den dämmerigen Raum. »Wo ist denn – – Höi! Wo der Bauer ist, frag ich?«

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