Frei Lesen: Der Ochsenkrieg

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg

8

eingestellt: 2.7.2007





Wie ein schwingender Orgelton, verschwebend und wieder wachsend, scholl das Lied der weiten Sümpfe in die kommende Nacht. Von den Rändern der flachgedehnten Moore klang es noch über das feste Land hinaus bis zu den schwarzgewordenen Waldhügeln, die zwischen Günding und Dachau einen großen, dunklen Wiesenkessel umzogen.



In den schwarzen Wäldern nirgends ein Feuerschein. Doch immer wieder das Geräusch von brechenden Zweigen, ein Stampfen ungeduldiger Pferde, ein leises Klirren von Eisen.



Aus einer finsteren Wand des von unsichtbarem Leben durchlispelten Waldes lösten sich zwei graue Reiter und hielten auf einem Wiesenhügel: Malimmes und Jul. Ihre Gäule standen Seite an Seite, während die beiden schweigend hinausspähten über das singende Moor.



Gegen Westen streifte den Horizont noch ein matter Blutschein des versunkenen Tages. Und in der südlichen Ferne, wo der Himmel zwischen dem Stahlblau der vorrückenden Nacht und dem glimmenden Rot des Westens eine gelbgrüne Tönung hatte, hing etwas Traumhaftes in den Lüften. Es war von rätselhafter Form, hatte ein zartes Leuchten und drohte hinter den dampfenden Herbstnebeln zu versinken. Fast glich es den schimmernden Zacken einer großen Krone, die ein unsichtbarer König trug, die Kette der Berge, auf deren höchsten Zinnen noch ein roter Nachglanz der untergegangenen Sonne lag.



In dem leiser werdenden Lied der Frösche ließ sich von Westen ein Geräusch vernehmen, ähnlich dem fernen Lärm jener Elendsnacht, in der die Ramsauer den andächtigen Bittgang zum heiligen Zeno unternommen hatten. Wie ein Gerüttel von Erbsen in einer eisernen Schüssel.



Ruhig sagte Malimmes: »Da kommen sie. Herr Heinrich hat gut gerechnet. Wenn er die wilde Fiebernacht übersteht, wird Gott wieder wollen müssen, was der Herzog will. Wär ich der Herrgott, so hätt ich einen anderen Willen.«



Stumm und unbeweglich kauerte Jul im Sattel, war auf den Hals des Pferdes gebeugt und spähte über das klingende Moor hinaus.



»Was wir da schaffen müssen, ist ein übles Ding.« Malimmes redete durch die Zähne. »Einen Feind totschlagen? Gut! Einen Erschlagenen drosseln? Ich verstehs nit.« Er lachte. »Muß wohl sein, daß ein niedriger Lumpenkerl nit weiß, wie ein fürnehmer Herzog rechnet: Zweimal zwei ist drei für die andern, zweimal zwei ist sieben für den Herzog. Sein Turm wird fett dabei. Unsereins bleibt mager.«



In der nebligen Ferne, wo die ruhelosen Erbsen rasselten, glommen die Fackeln auf, die der fliehende Heerhauf entzünden mußte, um zwischen Sumpf und Sumpf die feste Straße nicht zu verlieren. Und im Süden wuchs ein rötlicher Schein: das Freudenfeuer, das man zu München entzündete. Um die heimkehrenden Sieger zu begrüßen, läutete man in der Stadt mit allen Glocken. Das vielstimmige, durch Ferne und Nebel sanft gedämpfte Geläut schwamm über den singenden Sumpf herüber und mischte sich mit dem Lied der Frösche, das wie eine zärtlich flüsternde Stimme im Dunkel schwebte: »Komm, komm, komm, komm, komm, komm –«



Schauernd unter den stählernen Schienen, fiel Jul im Sattel vornüber und preßte das Gesicht in die Mähne des Gaules.



Malimmes ließ den Zügel fallen, griff mit beiden Armen hinüber und richtete den zitternden Gesellen auf: »Sei gescheit! Tu dich aufrecht halten! Was ist denn das?«



»Malimmes! Ich sterb, ich sterb!«



Da lachte der Bauernsöldner mit einem wunderlich wehen Klang. »Sterben? Das glauben die Maidlen allweil, wenn ihr Leben erst richtig anheben will.«



Jul hob den Kopf und sagte mit der Stimme einer verzweifelten Seele: »Mensch, ich versteh dich nit! Du redest wieder, ich weiß nit, was.«



»Ganz gut verstehst du mich. Guck übers Moor hinaus!« Malimmes deutete nach den Fackeln, die weit da draußen gaukelten. »Da kommt einer. Der lebt! Er muß leben. Da glaub ich dran, du Kind meines gütigen Herren! Eh zwei Tag versinken, ist das Lachen in dir. Oder seit Adam ist kein Prophet auf der Welt gewesen, und der Malimmes vom Taubensee ist ein Schaf mit sieben Haxen.« Das heitere Schwänzlein, das er hinter den Ernst seiner Worte gehängt hatte, wollte nicht wirken.



»Du tust mich martern.«



»So mußt dus halt ein lützel aushalten. Ein junges Mannsbild darf nicht wehleidig sein. Jetzt bist du noch eins. Was du sein wirst, bis der Neumond ins Wachsen kommt, das mag ich nit wissen. Und paß auf, Gesell, ich sag dir was! Die irdischen Leut in ihrer Torheit reden von allerlei Sachen. Die sagen: Tod oder Leben, Ehr oder Schand, Hab oder Armut, Licht oder Finsternis. Für alles, nach dem sie dürsten oder was sie fürchten, haben die narrischen Menschen so einen Laut. Ist alles bloß ein lausiges Wörtl. Alles ist Nußhaut. Kern ist bloß ein einzigs. Dies richtig erleben, können nit sagen, was es ist. Bloß die wissen es, dies nie nit rinden und allweil hungern. Die sagen: Glück! – – Bub? Hörst du, was ich sag?«



Ein schluchzender Laut.



In der Höhe fingen die Sterne zu blitzen an, während über dem Moor das Nebelziehen der Herbstnacht immer dichter qualmte. Die Feuerhelle der siegreichen Stadt war schon verschwunden. Und auch der Schein der vielen Fackeln, die sich über die Moorstraße herbewegten, drohte zu erlöschen in diesem schwärzlichen Grau. Doch immer lauter scholl das Erbsengerüttel in der Eisenschüssel.



Während die Köpfe der zwei ruhig stehenden Gäule zärtlich miteinander scherzten, waren die Worte des Malimmes ein heißes Flüstern: »Muß ein hurtiges Ding sein! Das Glück! Hat zwei springende Füß, will nit stehen bleiben und mag nit warten. Lauft einem allweil davon. Wers haben will, muß es greifen im richtigen Schnaufer. Ich Esel hab den richtigen verpaßt. Liebs Maidl, tu die Augen auf! Wenn dein Glück kommt, so packs!« Seine Stimme wurde wie das Knirschen eines Fieberkranken. »Laß nimmer aus! Das Glück ist alles. Und was du brauchst dazu, das nimm! Ist alles dein! Mein Sack und Geld, mein Roß und Eisen, mein Blut und Leben. Nimms! Und daß dus weißt: Fürgestern hat mir der Herzog einen geschenkt, den ich fangen will. Und der ist dein! Nimm ihn! Nimm ihn!«



Taumelnde Worte: »Ich weiß nit, wen du meinst!«



»Den du lieb hast!«



»Mensch!« Eine Stimme in heißem Zorn. »Bist du ein Narr? Oder redest du im Rausch?«



Nach langem Schweigen sagte Malimmes heiter: »Jetzt hast dus troffen! Ist wahr, heut hab ich den Becher fest gelupft. Ich fürcht mich nit so leicht. Aber heut? Recht hast du! Heut hab ich mir ein lützel Mut in die Leber gegossen. Weil ich sorg, daß morgen Verliertag ist. Das Letzte verlier ich nie. Ich selber bleib mir noch allweil. Aber morgen verlier ich das Beste.« Er faßte mit einem wilden Griff den Zügel des Falben. »Komm! Wir müssen dem Seipelstorfer Meldung machen, daß die Mäus ins Wasser hupfen.« Er ließ die zwei Gäule keuchend hinaufjagen über den steilen Hügel, auf dem der Wald begann.



Draußen im Moor verwandelte sich das Gerüttel der Erbsen in schweres Eisengerassel. Gäule stampften, man hörte das Räderknattern flink fahrender Karren, den dumpfen Schritt marschierender Haufen. Das Wiehern und Schnauben der Rosse, schreiende Befehle und die vielen aufgeregten Stimmen – alles schmolz ineinander zu einem wirren Lärm. Auf der festen Wiesenfläche, die vom Halbkreis der im Nebel unsichtbaren Waldhügel umzogen war, sammelte sich das fliehende Heer des Ingolstädters. Zelte wurden aufgeschlagen, Lagerfeuer angezündet. Bei den Troßkarren rauften sich die Hungrigen um die Zehrung, die man austeilte. Die geleerten Karren verkeilte man gegen die Moorstraße zu einer Schanze, um das rastende Kriegsvolk gegen einen nächtlichen Überfall der Münchener zu schützen.

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