Frei Lesen: Der Ochsenkrieg

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg

9

eingestellt: 2.7.2007





Der Sonntagabend von St. Matthäi brannte mit allem Farbenzauber der Moorluft über dem trunkenen Lager, das erfüllt war von einem johlenden Gewühl. Hunderte von Bauersleuten waren aus den nahen Dörfern herbeigelaufen. Unternehmungslustige Wirte kamen mit großen Karren angefahren und verzapften Bier, Branntwein und gesüßten Roten. Fiedler und Blatterpfeifer spielten auf, und die Heertrödler handelten den Kriegsleuten die Beute ab. Von den Fußknechten des Ingolstädters, die man gefangen, entwaffnet und gegen Schwur auf Urfehde entlassen hatte, war die Hälfte geblieben, um sich mit den Siegern anzubrüdern und bei leeren Hosensäcken zu einem Trunk und Bissen zu kommen. Und die zahlreichen Lagerdirnen des Ingolstädtischen Trosses hatten sich, den Wechsel des Lebens klug erfassend, zu Herzog Heinrichs beutereichem Heer geschlagen; eins von ihren großen Huschelzelten stand mit Pfeifenklang und Gelächter nicht weit von dem Wiesenfleck, auf dem in langen, stillen Reihen die Kaltgewordenen lagen, deren Bestattung man wegen des heiligen Sonntags auf den kommenden Morgen verschoben hatte.



Der Lärm in den Lagergassen, das Gequiekse der Musikanten, die brüllenden Liederklänge, das Gelächter und Aufkreischen der Weiber und das emsige Dullenklopfen eitler oder gewissenhafter Kriegsleute – das alles schwoll zu einem Brummton ineinander wie von einer schwingenden Riesensaite.



Inmitten des in Tollheit schwärmenden Menschenhaufens stand ein stilles Zelt mit geschlossenen Tüchern. Malimmes hatte dieses Leinwandhaus einem Landshuter Söldner abgehandelt, dessen Beute es geworden war. Als Jula den erschöpften, taumelnden Mann da hereinführte, wurde Lampert von einer grauenvollen, an seinen letzten Kräften reißenden Erschütterung befallen. Es war das Hauptmannszelt, in welchem Herzog Ludwig die müde Rast dieser mörderischen Nacht gehalten hatte. Die erloschene Kienfackel stak noch im Eisenring, im Winkel war noch die schlammige Pferdekotze, auf der die beiden Hunde gelegen, und daneben das grobe Deckenlager, niedergedrückt und zerwühlt von einem schweren Körper, der sich hin und her gewälzt hatte in unruhigem Schlaf.



Beim Anblick des leeren Lagers riß sich Lampert von Julas Händen los, griff mit suchenden Fäusten ins Leere und schrie: »Ein Roß – nach München – ich muß nach München –«



Malimmes mußte den besinnungslos zu Boden Taumelnden auffangen und auf das Lager heben.



»Hilf ihm! Hilf ihm!« bettelte Jula in Sorge.



»Eins nach dem andern«, sagte Malimmes, »fliegen kann ich nit.« Er holte dürres Holz und Reisig, schlug Funken und schürte ein kleines Feuer an, dessen Rauch durch die Zeltgabel hinausquirlte. »Da tu dich trücknen, Maidl! Sonst mußt du morgen dein Glück mit Niesen und Husterei beginnen. Was ihr sonst noch nötig habt, ihr zwei, das treib ich schon auf.«



Als er gehen wollte, umklammerte Jula seinen Arm.



Er sagte ruhig: »Laß aus! Heut tu ich den letzten Dienst als meines Bauren redlicher Knecht. Der Krieg ist aus. Ich muß auch was haben. Morgen reit ich nach Regensburg. Da geht mein freies, lustiges Leben an.« Das heitere Lachen, das er bei diesem letzten Wort versuchte, gelang ihm nicht.



Stumm, mit nassen Augen, sah Jula ihm nach, als er davonging.



Er brachte Wasser in zwei Tränkeimern, brachte Leinwand und Wäsche, Zehrung, Brot, Geschirr und Löffel, einen zinnernen Becher und einen Krug mit Wein, Gewürz und Honig; er brachte nach seinem erprobten Augenmaße Kleider, Mäntel, Wehrstücke, Waffen, brachte alles, was man braucht zu einer Reise durch unsicheres Land. Wie ein Zaubermeister war er. Und wenn ihm einer nicht gutwillig geben wollte, redete Malimmes mit seiner Faust. Um alles herzuschaffen tat er Dinge, für die ein strenger Profoß ihn zu Stock und Bank, vielleicht zum Galgen gesprochen hätte. »So! Da liegt, was nötig ist!« Während seine schwer atmende Brust sich hob, betrachtete er prüfend den jungen Someiner, der auf Herzog Ludwigs letztem Kriegsbett in einem bleischweren Schlafe seiner Erschöpfung lag. Ohne Jula anzusehen, murrte Malimmes: »Ein Stündl darfst du ihn schlafen lassen. Nit länger. Sonst kreißtet er morgen wie ein Mühsamer. Wenn er sich rührt einmal, da mußt du ihn wecken. Und nachher hilfst ihm. Hast es ja gelernt von mir.« Unter dem Zeltspalt sagte er noch: »Ich geh derweil und hol dir den kostbaren Gaul noch aus der Schmier. Es müßt mir leid sein, wenn du von deinen Sachen was mängeln tätst.«



Draußen blieb er stehen und preßte den Arm über die Augen. »Gotts Teufel und Not! Was ist ein verliebter Mensch für ein haariger Ochs! Die siebzehn, die auf dem Hängmoos hätten grasen sollen, sind nackete Mäus dagegen!«



Der leuchtende Abend drohte schon seine schönsten Farben zu verlieren, und die Frösche sangen. Im Lärm des Lagers hörte man das Lied der Sümpfe nicht. Aber draußen auf der Moorstraße – als Malimmes mit drei Verwegenen, die ihm helfen wollten, die fliegende Brücke mit vier Brettern baute – war das Unken der Kröten und Frösche wie ein Glockenton in der Luft.



Der Pongauer, den man als schwarzes Figürchen gegen den gelben Himmel sah, graste ganz gemütlich auf seiner verläßlichen Insel.



»Freilich! Der weiß, daß ein Ochs um seintwegen in die schwarze Supp springen muß!«



Das wurde eine schauerliche Arbeit. Malimmes, zwischen seinen grimmigen Flüchen, brüllte immer: »Es hilft dir nichts! Heraus mußt du!« Und als die drei Verwegenen mutlos wurden und den Malimmes im Stiche ließen, brachte er den Gaul allein heraus. Während er das keuchende Tier durch das letzte Röhricht zerrte, begann die Nacht zu sinken, und die Sterne funkelten. Wie er Jula und Lampert gesäubert hatte, so machte er auch den Pongauer blank. An den eigenen Kleidern ließ er den Sumpfschlamm hängen. Und den linken Arm bewegte er ein bißchen langsam; der Gaul hatte ihn geschlagen.



Hinter dem Hauptmannszelte wurde der Pongauer angepflöckt. Dann schickte Malimmes einen davon, um den Falben von der Zeltstätte des kranken Herzogs herunterzuholen. »Und frag den Hauptmann, wohin man den Runotter verschickt hat.« Er selber holte den eigenen Gaul und pflöckte ihn neben den Pongauer.



Dann saß er in der sternhellen Nacht neben den beiden Rossen auf der Erde und hielt den Kopf zwischen die Arme gewühlt. Er wollte die linde, zärtlich klingende Knabenstimme nicht hören, die im Zelte redete. Und dennoch mußte er lauschen und diesen Klang in seine Seele trinken. Deutlich hörte er, wie die Stimme sagte: »Paß auf jetzt! Ein lützel weh wirds tun. Aber das mußt du aushalten. Es hilft. So hat der Malimmes auf dem Schwarzeneck meinem Vater geholfen!«



Der Lauschende knirschte durch die Zähne. »Guck! Mit meinen eigenen Wörtlen redet sie.«



Er hörte die drei Streiche der Handschneide; dann die Stimme der Jula: »Jetzt mußt du ein paar feste Schritt machen! ... Gelt? Viel besser gehts?«



Ein leises, frohes Lachen, nur ein bißchen heiser: »Ich schau dir in die Augen und bin gesund.« Lange war kein Laut mehr zu hören. Nun die gleiche Stimme: »Warum wirst du immer stumm, wenn ich rede?«



»Weil mir deine kranke Stimm so weh tut. Und weil sie mir so lieb ist.«



Malimmes rannte in die sternhelle Nacht hinaus, die sich von den Moorflächen her mit dünnen Nebeln zu füllen begann.



Im Lager war es ruhig geworden. Viele hatten sich schon auf den Heimweg gemacht. Und viele, die müd oder betrunken waren, schliefen schon. Nur vor den Wirtsbuden gröhlten die noch immer Durstigen, und aus den Huschelzelten wirbelte die tolle Heiterkeit, der Fiedelklang und das Pfeifengetriller zu den halb verschleierten Sternen hinauf.



Wie angesteckt von dieser Lustigkeit schrie Malimmes plötzlich einen wilden Jauchzer in die Nacht. Dann sang er vor sich hin:

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