Frei Lesen: Der Ochsenkrieg

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg

4

eingestellt: 2.7.2007





Schritte weckten den Amtmann aus seiner Versonnenheit. Lampert trat aus der Kammer, vor Erregung zitternd. »Vater! Rufe diesen Mann zurück!«



»Wen?« Herr Someiner erwachte. »Ach so?« Von der Straße hörte man den Hufschlag eines Gaules, der sich entfernte. »Da! Der reitet ja schon davon! So ein Dickschädel!«



»Ich hol ihn noch ein. Darf ich?«



»Nein!« Der Amtmann war ärgerlich. »Hätt er nicht umkehren können und mir ein gutes Wort geben?«



»Das hast du ihm unmöglich gemacht.«



»Ich?« Herr Someiner hatte den Blick eines erstaunten Kindes, das man einer Sünde beschuldigt, deren Namen es gar nicht kennt. »Lampert? Ich versteh dich nimmer. In deinem Gesicht ist eine Erregung ohne Maß. Warum?«



»Weil ich fürchte, daß du eine ungerechte und gefährliche Übereilung begehst.«



»Ich?«



»Davon hab ich nicht zu reden, meinst du? Hier redet nur der Amtmann und wer gerufen ist. Gerufen bin ich nicht. Aber das mit diesen unglückseligen Ochsen, die das verbriefte Gras nicht fressen? Das weißt du doch von mir. Und da machst du mich, deinen Sohn, zum Späher und Angeber!«



Das ging dem Amtmann über die Grenze der Geduld. Er schrie in Zorn: »Dir sollte die Mutter sagen, daß du aus jedem Bläslein eine Blatter machst!« Wütend ging er in die Kammer hinaus und begann in dem dickleibigen Merkbuche zu blättern.



Lampert folgte ihm bis zur Schwelle. »Vater? Wirst du morgen die Pfändleut schicken? Wirklich?«



Herr Someiner hob das Gesicht. Was aus den Augen des Sohnes sprach, schien begütigend auf den Vater zu wirken. »Kann sein, ich tus, kann aber auch sein, ich überleg mirs noch. Jetzt muß ich da was im Merkbuch suchen.«



»Vater! Ich habe nicht Ruh, bevor du mir nicht klar versprichst, daß du die Pfändleut nicht schicken wirst.«



Da war nun wieder alles verdorben. Herr Someiner schlug mit der Faust auf das Merkbuch. »Jetzt bin ich im Amt!«



Lampert lachte kurz und verließ mit jagendem Schritt diesen geheiligten Raum.



Als er hinauskam in den Flur, rief Frau Someiner gerade über das Treppengeländer: »Mann! Bub! Die Supp ist fertig.«



Das stimmte. In dieser verspäteten Mahlzeitstunde war eine böse Suppe gar geworden.



Beim Anblick des Sohnes merkte Frau Marianne gleich, daß Sturm ins Haus gekommen. »Hats Krach gegeben?«



»Laß mich, Mutter!« Lampert stürmte zu seinem Stübchen hinauf.



Frau Someiner wollte folgen, aber da hörte sie von droben das Klirren eines Riegels. »Der hat sich eingesperrt, da ist er sicher!« dachte sie mit mütterlichem Verstande, machte kehrt und begab sich zu ihrem Mann hinunter.



Der Amtmann stand über den Tisch der kleinen Kammer gebeugt, blätterte aufgeregt in dem großen Merkbuch und schien etwas zu suchen, was sich nicht finden lassen wollte.



»Ruppert!« fragte Frau Marianne sanft. »Was ist denn schon wieder? Bist du mit dem Buben überkreuz gekommen?«



Der Gestrenge blätterte. »Laß mich in Ruh, jetzt bin ich im Amt.«



Vor dem geweihten Wörtlein Amt schien Frau Someiner eine wesentlich geringere Ehrfurcht zu besitzen als ihr Sohn. »Ach geh, du, mit deinem Amt! Mir ists um den Hausfrieden. Und die Supp ist fertig. Komm! Tu dich mit dem Buben in Ruh wieder ausgleichen. Bei guter Schüssel wird das Gemüt schön nachgiebig. Aber so eine trückene Rechtsläpperei –« Frau Marianne konnte diese kostbare Perle ihrer Lebenserfahrung nicht zu Ende drehen.



Denn der Amtmann hatte im Merkbuch gefunden, was er suchte. Alle mißmutige Strenge seines Gesichts verwandelte sich in triumphierende Freude. »Recht hab ich! Recht! Da stehts! Da! Da! Da!« Dreimal stieß er mit dem Zeigefinger auf das Merkbuch hin. »Und jetzt, meintwegen, jetzt kann ich auch Langmut zeigen. Weil es schwarz auf weiß bewiesen ist, daß ich recht hab. Ruf den Buben, Mutter! Das soll er lesen! Da stehts! Sub 28. Junio 1391: >Den Hängmooser Auftrieb visitiert, sind aufgetrieben zwanzig Kalben und sechzig Ochsen, item ansonsten alles befunden nach Recht und Weidbrief von Anno 1356.< Da stehts!« Herr Someiner war in diesem Augenblick der glücklichste der Menschen.



Frau Marianne grollte wohl: »Du liebe Gut! Schon wieder die Hängmooser Ochsen!« Doch sie lachte, weil sie aus der frohen Sonne, die in der Amtsstube aufgegangen war, den Friedensschluß bei der Suppenschüssel erglänzen sah. »Geh, Ruppert, komm –« Da kroch die schöne Sonne hinter eine dicke Wolke. Denn Herr Someiner, der bei jeder Erscheinung des Lebens gleich zu rechnen anfing, beugte sich mißtrauisch über das Buch.



»Der 28. Junius 1391? Und heut? Was ist denn heut? Der 26. Junius 1421!« Zwischen diesen beiden Kalenderziffern schien ein Abgrund des Unheils zu klaffen. In den Augen des Amtmanns malte sich ein Schreck, als hätte sich vor seinem Blick etwas Grauenvolles ereignet.



In Sorge faßte Frau Marianne den Gatten am Ärmel. »Geh, Ruppert, laß doch jetzt –«



Herr Someiner befreite seinen Arm und brauste los: »Da hört sich doch –. Und ich in meiner Güt und Nachsicht hätt jetzt bald –. Ist das ein Kerl! Will die Schweizer Freiheit einführen im Land! Und redet wie ein Bruder vom freien Geist! So ein Heimtücker wie der! So ein geriebener Hinterlister!«



Frau Marianne wollte immer reden. Es gelang ihr nicht. Der Zorn ihres Mannes brauste weiter wie ein entfesselter Wildbach.



»Ein Glück, daß Gottes Segen über meinem Amt ist! Und daß ich den Schaden noch zu rechter Zeit besehen hab! Zwei Tag noch, und es war zu spät gewesen! Und das ochsenmäßige Unrecht, das sie verüben auf dem Hängmoos, wär verjährt und wär ein ersessen Recht geworden. Und das Stift wär wieder ärmer um ein Herrengut. Aber Gott sei Dank, ich bin noch allweil da.«



Als der Amtmann dieses letzte Wort gesprochen hatte, war er schon nicht mehr da. Er hatte Hut und Stock ergriffen und war schon auf der Straße.



Frau Someiner sah die offene Tür an, schüttelte kummervoll den Kopf und predigte ins Leere: »Gott hat die Welt geschlagen, wie er die Mannsleut erschaffen hat! Ist jeder wie ein kranker Narr, dem man bei Tag und Nacht das kalte Tüchl um das Hirndach legen sollt.«



Als gewissenhafte Hausfrau versperrte sie die Amtsstube und das Eisengitter, nahm den heiligen Schlüsselbund in die Wohnstube mit hinauf und gab ihn an seinen Platz.



Nun war sie allein mit ihrer guten Suppe. Lampert kam aus seinem selbstgewählten Gefängnis nicht herunter, und des Gatten Heimkehr war nicht abzuwarten, solang die Suppe noch lau blieb. Frau Someiner saß am gedeckten Tische. Aber sie rührte den Löffel nicht an. Bei vielen trefflichen Eigenschaften, die man ihr nachrühmen mußte, war sie eine von den Frauen, die sowohl der Kummer wie die Freude veranlaßt, sich dem Irdischen zu entwinden und Hunger zu leiden. Doch sie ließ das Mahl für Vater und Sohn getrennt in zwei Töpfen warmhalten, während sie selbst keinen Bissen berührte. Hätte Herr Someiner dieses Widerspruchsvolle in der Handlungsweise seiner Gattin gewahrt, so hätte er vermutlich wieder einmal festgestellt, daß weder Jubel noch Elend eine sinngemäße Ursach wäre, um sich der Speise zu enthalten; Sättigung des Lebens wäre ein natürlicher Brunnen der Lebenskraft, die man gerade in Elend und Jubel doppelt nötig hätte; essen müßte der Mensch noch, auch wenn er wüßte, daß ein Viertelstündlein später die Welt zugrunde ginge; aber, freilich, das Natürliche wäre für die Frauen immer das Unverständlichste.

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