Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

1. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Vor dem Altarstein unter der alten Linde, deren Blätter noch feucht waren vom Tau des schönen Morgens, stand der Wanderpfaff in weißem Chorhemd und mit schwarzem Barett, sah entrückten Auges über die kleine andächtige Gemeinde hin, die sich im Burggärtlein des Trutzberges um ihn gesammelt hatte, und hielt die Sonntagspredigt.



»Wahrlich, ich sag euch, ihr guten Christenkinder: alles vermag eine fromme Seel zu erfechten mit festem Glauben, bloß mit dem Willen allein, wenns nur der rechte ist! Wer mit bösem Willen den Höllenweg beschreitet, wird hinkommen, wo der Teufel hauset. Doch wer mit rechtem Willen hintrachtet zu Gott, wird eingehen in das liebe Himmelreich!«



Die Stimme des Predigers war rauh – und dennoch klang sie lind in Morgensonne und Frühlingsluft.



Eine wundersame Frühe schimmerte um die mächtige Linde her, überglänzte die Mauern des alten Edelsitzes und umfunkelte die Wetterfähnlein der steilen Giebel und die Kupferknäufe der spitzdächigen Wehrtürme. Dunkelblaue Schatten und gleißende Sonnenflecken woben sich auf dem Rasen zu einem zaubervollen Teppich ineinander. Jeder Blumenkelch war wie ein blitzender Edelstein, den ein farbiges Ringlein umschloß. An der tiefer liegenden Wallmauer hatten die Zinnenscharten strahlende Säume, und die Dächer des Schützenganges blinkten, als wären sie belegt mit goldenen Platten.



Immer krähte ein Hahn. Rauschende Taubenschwärme schwangen sich von den Türmen in das noch schattige Bachtal hinunter, aus dem der steile, von einem Buchenwald umschlungene Trutzberg emporstieg in das Blau. Und eine weite Ferne zitterte im Farbensegen dieser feiertäglichen Frühlingsfrühe. Gegen Süden stand, vom Gemäuer der Burg durchschnitten, die lange blaue Wand der Berge mit noch weißen Gipfeln. Den Ausblick gegen Westen verdeckte die von Sonne umbrannte Mauer des Söldnerhauses. Nach Osten – drüben über dem Wiesental, dessen Bach die Grenze zwischen den beiden nachbarlichen Edelsitzen bildete – stiegen aus sanft emporgebuckelten Wäldern die bescheidenen Mauern des Puechsteins auf, fast unerkennbar im blendenden Glanz der Morgensonne. Und gegen Norden sah man über Wiesen und flachgewordene Wälder weit hinaus zu bräunlichen Moorgefilden und zu einem dunklen Forst, hinter dem ein großer See gleich einem mächtigen Silberschilde funkelte.



»Nur wollen mußt du, gläubige Christenseele!« klang die Stimme des Predigers unter der alten Linde. »Nur wollen! Recht aus dem tiefsten Herzen wollen! Und das Wunder ist geschehen. Und eh noch deine blinden Erdenaugen des kostbaren Sieges merkhaft werden, hat dein frummer Wille dir ein goldenes Leiterlein gebaut bis hinauf ins erdürstete Himmelreich.«



Von den hundert Christen, zu denen dieser Verkünder des allmächtigen Seelenwillens redete, lauschten die meisten mit gläubiger Andacht. Ihre Gesichter brannten heiß. In jedem Auge war ein träumender Wunsch, ein dürstender Wille, der auf Erfüllung hoffte. Aber nicht alle von diesen Wünschen flogen dem Himmelreiche zu.



Vor dem Prediger waren sechs mit rotem Samt beschlagene Faltstühle in das blumige Gras gestellt.



An der einen Ecke dieser Stuhlreihe, in einem Sessel, der um ein Erkleckliches breiter war als die anderen, ruhte sehr bequem, doch mit angespannter Nachdenklichkeit der Burgherr Melchior Trutz von Trutzberg, eine klobige, schwer ins Breite rinnende Gestalt. Er war sonntäglich in seine Hausfarben Grün und Rot gekleidet, mit Samt und Seide; aber dieses kostbare Gewand sah unordentlich und gar nicht sauber aus. Das graue Langhaar struwelte sich wirr um das gutmütige, schon etwas schwammige Bartgesicht, dem man es anmerken konnte, daß Herr Melcher ein Freund von behaglicher Ruhe und guten Schüsseln war. Früher hatte der Trutzberger als ein gefährlicher Fechter gegolten. Das war anders geworden, seit er bei einem Fehdegang den Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand verloren hatte. Diesen Schaden pflegte er in einem ledernen Fäustling oder, wie eben jetzt, im Brustschlitz seines Wamses zu verstecken – wer diese Hand faßte, an der so viel Nötiges abgängig war, spürte immer ein gelindes Gruseln.



Reich begütert und wenig berührt von den Nöten der harten Zeit, in der die Christenheit an der fernen Donau drunten wider die Türken focht, zählte Herr Melcher das Denken nicht zu seinen Liebhabereien und ließ an seinen umfangreichen Gürtel immer nur jene Sorge herankommen, die eine Frage der nächsten Tage war und seine eigene Schüssel bedrohte. Eine solche Sorge lastete in dieser schönen Sonntagsfrühe auf seiner Seele. Seine nördlichen Nachbarn, die händelsüchtigen Brüder Peter und Heini von Seeburg, verursachten dem Trutzberger viel Verdruß. Gestützt auf ein altes, unklares Pergament, das sie durch Zufall aufgestöbert oder – nach Meinung von Herrn Melchers mißtrauischer Hausfrau – etwa gar gefälscht hatten, erhoben sie Anspruch auf den Jagdbann, den die Trutzischen in den wildreichen Seeforsten über die hundert Jahre als ritterliches Recht besaßen. Schon seit dem Winter wurde vor dem herzoglichen Gerichtshof zu München über diesen Streithandel hin und her geredet. Wohl hatte man die Brüder von Seeburg noch nie bei einem verfrühten Einfall in den Jagdbann der Seeforste betroffen; doch bei der letzten Netzjagd auf Rehwild und Butterhasen hatte Herr Melcher die unliebsame Entdeckung gemacht, daß des Gewildes ganz erschrecklich weniger geworden. Wenn diese heimliche Räuberei der Seeburger so weiterging, waren die Seeforste wildleer, bevor noch zu München ein Spruch in der strittigen Sache gefällt wurde.



Und als nun der Wanderpfaff so kraftvoll und überzeugend von der wunderwirkenden Macht des christlichen Willens redete, setzte Melcher von Trutz alle Stärke seines Willens nicht auf das Himmelreich, sondern auf dieses zunächst erstrebenswertere Ziel: daß er seinen Prozeß vor dem herzoglichen Gerichtshof gewinnen, oder daß ein hilfreicher Teufel die beiden Seeburger holen möchte. Ins Himmelreich hoffte Herr Melcher natürlich auch zu kommen. Später.



Neben dem Burgherrn saß mager, lang und steif seine Hausehre, Frau Angela, in einem apfelgrünen Kleid, mit kirschroter Haube und weißer Kinnbinde. Diese Tracht war vor zwanzig Jahren Mode gewesen, als man anno Domini 1425 geschrieben hatte. Doch dieses Kleid, das schon bei tausend Sonntagsfeiern und sonstigen Festlichkeiten seine Schuldigkeit getan hatte, sah noch immer aus, als wär es erst kürzlich aus der Hand eines reinlichen Schneiders hervorgegangen. Kein Wunder, daß Herr Melcher an der Seite einer so sparsamen Hausfrau trotz seiner eigenen Schlamperei und Gefräßigkeit ein vermöglicher Burgherr geworden war und eine schier unzählbare Menge von jenen gelben Flöhen bewahrte, welche klingen, wenn sie hüpfen.



So unbeweglich Frau Angela während der langen Predigt saß, so ruhelos war sie als Hausfrau, war Tag und Nacht auf den Beinen, immer mißtrauisch, immer gereizt. Von der friedlos aufgerührten Galle hatte sie ein gelbes Gesicht bekommen. Frau Angela war alles, nur das eine nicht, was ihr Name besagte: ein Engel. Mit harten Händen meisterte sie das zahlreiche Gesinde und ärgerte sich täglich siebenmal über ihren Mann und über die Unordnung, die er im Haus verursachte. Sie liebte das Sprichwort: »Ein Fleck auf der Wad (Kleidung) ist ärgerer Schad als ein Teufelsrat.« Und während der Predigt von der Wunderstärke des rechten Willens lichtete Frau Engelein alle Kraft ihrer Christenwünsche nur auf dieses Ziel: ihrem Melcher die verschwenderische Unsauberkeit auf seine alten Tage noch abzugewöhnen und dann in Bälde herauszubringen, welcher Eierschlecker unter dem Burggesinde daran schuld wäre, daß die vierundsiebenzig Trutzbergischen Hennen in diesem Frühjahr weniger Eier legten, als es die fünfundsechzig Hennen des vergangenen Jahres löblicherweise getan hatten.



An der anderen Ecke der Sesselreihe saß als Flügelmann Herr Korbin zu Puechstein, mit Schwert und Dolchgehenk, mit blauem Stahl gerüstet; trotz der friedsamen Stunde trug er so viel Eisenzeug, daß von seinen Hausfarben Gelb und Grün, die darunterstaken, nicht viel zu sehen war. Nur den Helm hatte er abgelegt. Noch nicht alt, kaum ein paar Jährchen über die Vierzig, war er schon ergraut, geselcht und gerunzelt in einem abenteuerlichen Kriegsleben. Von Mittelgröße, sehnig und aus festen Knochen gebaut, hatte er einen kurzhaarigen Steinschädel und ein sonnverbranntes, spöttisches, glattrasiertes Gesicht mit klugen Augen. Die Predigt von der Macht des Willens begann ihn zu erheitern, weil er sah, daß der Prediger um so heftiger schwitzte, je leidenschaftlicher seine Worte klangen. Als Herr Korbin dieses Zeitvertreibes – den abspritzenden Schweißtropfen des Wanderpfaffen nachzugucken – schließlich müde wurde, dachte er wieder an die Botschaft, die er des Morgens bei seiner Ankunft auf dem Trutzberg vernommen hatte: daß man an der Donau erbittert kämpfte, und daß die von Johann Hunyady dem ungarischen Statthalter, geschlagenen Türken unter Mogul Murad mit verstärkten Heeresmassen gegen die österreichische Christenheit heranrückten. Der Puechsteiner dachte an diese Dinge, wie man Sperlinge fliegen sieht. Aber lieber wär es ihm doch gewesen: an der Donau wider die Türken zu fechten, als im Trutzbergischen Gärtlein die lange Predigt hören zu müssen.

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