Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

10. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Herr Melcher zog den blassen, stumm gewordenen Lien zur Halle des Söldnerhauses und über eine steile Wendelstiege hinauf zum Losament des Sergeanten. Als die beiden in die geräumige, einem kleinen Arsenal gleichende Stube traten, in der es sehr heftig nach Rotwein säuerte, zeigte sich ihnen ein höchst unkriegerisches Bild. Am Fußende eines Bettes war auf den grauen Dielen die untere Hälfte eines rot und grün gezwickelten Söldners zu gewahren, der den Eintretenden die dunkle Sonne seiner Leiblichkeit entgegenstreckte. Diesem sichtbaren Menschenfragmente versetzte Herr Melcher einen gelinden Fußtritt. Und Wulli knurrte in feindseligem Mißtrauen. Hurtig kamen unter dem Bett heraus zwei Schultern, zwei Arme und ein von grauem Haar umstruwwelter Kopf zum Vorschein, dessen festes, ruhiges Gesicht, das zweifelhafte Weiße des Schnauzbartes ausgenommen, ein wirres Gesprenkel jener glühenden Farben aufwies, die beim Abschied eines schönen Tages am Himmel zu erscheinen pflegen. Dieser unkriegerisch beschäftigte Kriegsmann war der alte Trutzbergische Sergeant Kassian Ziegenspöck. Aufrecht, stahlsehnig, ruhig und streng, mit allen Anzeichen unbezweifelbarer Nüchternheit, stand er nun vor seinem Burgherrn und verwahrte ohne jegliche Spur von Verlegenheit im Brustschlitz seines Wamses die lange, gelbe Weingurke, die er aus dem heimlichen Fäßlein unter dem Bett gefüllt hatte.



»Mein guter, redlicher Kassel!« sagte Herr Melcher vorwurfsvoll. »Durst? Freilich, ja, ich verstehs. Aber muß, man denn allweil saufen? Man kann doch auch Pausen machen.«



Streng schüttelte Kassian Ziegenspöck das graustruwwelige Heldenhaupt und sprach in rauhem Baß und mit der Ruhe eines tiefgründigen Philosophen: »Pausen machen? Das wär Verschwendung. Ein neuer Rausch wird allweil eine kostspielige Sach. Hat man aber einen, und man laßt ihn nit entrinnen und pflegt ihn fleißig, so ist er billig.«



Herr Welcher verzichtete darauf, diesen goldenen Erfahrungssatz mit unzureichenden Vernunftsgründen zu bekämpfen. Er setzte sich auf die Bettlade. Bei seinem festen Hinplumpsen ließ sich unter der haarigen Wollkotze ein leises Krachen und Knirschen vernehmen. Wulli begann sofort zu schnuppern, und Kassian Ziegenspöck zog die dicken, grauen Augenbrauen scharf in die Höhe. Nur Herr Melcher, der daran gewöhnt war, daß alles krachte unter ihm, schenkte diesem schwer erklärlichen Knirschen keine Beachtung. Er sagte: »Kassel! Jetzt schau dir einmal den Buben an! Den nimmst du in deine Hut! Man soll ihm ein gutes Bett in deine Stub stellen. Du gibst ihm eine schmucke Söldnerwad und das beste Eisenzeug. Und willst du mir eine Freud machen, so schulst du ihn zu einem wehrhaften Mannsbild.«



Kassel musterte den Schäfer und schüttelte streng den Kopf. »Herr, mit dem scheinheiligen Lauser ist nichts anzufangen. Der lügt schon, wenn er den Finger biegt.«



»Gelt, ja? Heut bin ich ihm draufgekommen.«



Der blasse Lien, der wie eine hölzerne Säule dastand und die braunen Fäuste um die alte Armbrust klammerte, sagte durch die übereinandergebissenen Zähne: »Ich tus nimmer. Ich will ehrlich sein.«



Da nickte Herr Melcher freundlich. »Also! Nimm ihn, Kassel! Hast du zu klagen über ihn, so komm! Was Gutes in ihm steckt, das brauchst du mir nit zu sagen.« Man hörte von außerhalb der Mauern den Trompetenruf eines Parlamentärs vom Brückenturm die schmetternde Antwort des Wächters und aus den Burghöfen das Stimmengesumme vieler Menschen. »Guck, der Seeburgische Hasenspitzbub meldt sich.« Schwer schnaufend erhob sich Herr Melcher, griff nach rückwärts, als hätte er da ein ungemütliches Gefühl, und ging auf den Schäfer zu. »So, du Stotz! Dir will ich das Lügen austreiben!« Er schmunzelte ein bißchen. »Dem Kassel kannst du sagen, wies mit dem Peter von Seeburg zugegangen ist. Redest du aber sonst noch zu einem Menschen ein Wörtl davon – exempelmäßig zu meiner lieben Frau Engelein, der ich keine Sorgen nit verursachen mag – so kriegst du wieder eine!« Er zeigte die drei Finger.



Während er die Stube verließ, bemerkte der schwerbetrunkene und deshalb all seiner feinsten Sinne mächtige Sergeant Kassian Ziegenspöck, daß sein Burgherr über die ganze Hinterbreite der grünen Strumpfhosen einen gelben Fleck hatte. Der Trutz von Trutzberg war in seiner unteren Hälfte Puechsteinisch geworden.



Den gleichen großen gelben Fleck konnte man auch auf der Bettkotze gewahren, als Durchschlag von unten herauf. Vorsichtig begann Wulli an dieser rätselhaften Sache zu lecken und bohrte im Verlaufe seiner Untersuchung die Schnauze unter die Decke hinein. Schweigend erleichterte Kassel dem klugen Hund die wissenschaftliche Sache, schlug die Decke zurück und betrachtete kummervoll den auf dem Linnlaken ausgebreiteten Schlotterfladen von Eierschalen, Eiweiß und sieben zerquetschten Dottern.



Halb wie ein Träumender und halb wie ein Gelähmter stand Lien noch, immer auf der gleichen Stelle und sah mit großen, hilflosen Augen immer die Tür an, durch die Herr Melcher verschwunden war. Es fiel ihm nicht ein, um der sieben Eierdotter willen eine neugierige Frage zu stellen. Kassian Ziegenspöck aber fühlte die Notwendigkeit, dieses gelbe Rätsel klarzustellen. »Weißt du, Bub«, sagte er mit seinem krächzenden Baß, »wider das Gurgelbrennen, und daß mir die Stimm ein lützel linder wird, muß ich mannigsmal ein paar Dötterlein schlucken. Wie mehr, so besser. Gelt, du verratst mich nit?«



Lien überhörte diese Frage.



Inzwischen hatte Wulli so fleißig geschlappert, daß außer den weißen Eierschalensplittern auf dem Linnlaken nur noch ein feuchter, farbloser Fleck zurückblieb, der diesem Kriegsmannslager einige Ähnlichkeit mit einem Kinderbettchen verlieh.



Nachdenklich sagte der bis zum Anschein klarster Nüchternheit betrunkene Philosoph: »Heut wird mir die Gurgel rauh und schmerzhaft bleiben. Aber dein Hundl, Schäfer, wird eine Stimm kriegen wie ein römischer Kapellensänger.« Sorgfältig sammelte er die Eierschalensplilter und warf sie ins Ofenloch. »Komm, Bub, jetzt laß dich anschauen!« Er zog den Schäfer in die Fensterhelle und musterte ihn vom Wirbel bis zu den Holzschuhen. Als Zeichen seines Wohlgefallens zog er die gelbe Weingurke aus seinem Wams. »Da, trink!«



Stumm schüttelte Lien den Kopf.



»Ach, Bub, du wirst noch merken, was das Leben ist!« philosophierte Kassian Ziegenspöck und »pflegte« seinen billigen Rausch mit einem festen Schluck. »Einen Trost muß man haben. Sonst gehts nit. Himmelreich – sagen die Pfäfflein. Ich sag: einen guten Trunk und einen festen Hieb! – Jetzt bleib! Ich such dir ein schmuckes Söldnerzeug, zusammen.« Gerad und aufrecht ging er aus der Stube.



Den Händen des Lien entfiel die Armbrust. Er hockte sich auf die Stufe der Fensternische hin. Und während er den sehr verwunderten Wulli mit beiden Armen um den Hals nahm und das entfärbte Gesicht in das zottige Fell des Hundes vergrub, sah er das blühende Bruchland, fühlte den Duft der Heideblumen, sah die Wanderfalken und Sperber im Blau, sah den leeren, verlassenen Pferch, die Schlachttiere im Winterstall, die Mutterschafe und das klagende Edelfräulein Silberweiß auf fernen Berghalden bei groben, unachtsamen Hirten, sah aus tiefem Wasser das Dach des Schäferkarrens herausschimmern wie eine graue Unbegreiflichkeit und sah bei allem, was ihm vor die heißen, trockenen, schmerzenden Augen kam, ein weißes strenges Gesichtlein mit großen, gläubigen, glänzenden Veilchenaugen.



Dem Schäfer Lien, der nimmer Schäfer war, begann das Leben eine harte Sache ohne Trost zu werden. Und er fühlte auf seiner Seele schon wieder eine so schwere Sehnsuchtssünde, daß es aus dem Profosenstrick der Seeburgischen jetzt nimmer hinaufginge zum Himmelreich, sondern tief hinunter, viel tiefer, als ein versunkener Schäferkarren liegen mußte.

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