Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

1. Kapitel | 2. Kapitel | 3. Kapitel | 4. Kapitel | 5. Kapitel | 6. Kapitel | 7. Kapitel | 8. Kapitel | 9. Kapitel | 10. Kapitel | 11. Kapitel | 12. Kapitel | 13. Kapitel | 14. Kapitel | 15. Kapitel | 16. Kapitel | 17. Kapitel | 18. Kapitel | 19. Kapitel | 20. Kapitel | 21. Kapitel | 22. Kapitel | 23. Kapitel |

Weitere Werke von Ludwig Ganghofer

Gewitter im Mai | Bergheimat | Der Jäger von Fall | Das Kasermanndl | Der Ochsenkrieg |

Alle Werke von Ludwig Ganghofer
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Die Trutze von Trutzberg) ausdrucken 'Die Trutze von Trutzberg' als PDF herunterladen

Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

12. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Eine fünfmäulige Lampe, die von der Holzdecke herunterhing und mehr Ruß als Helle gab, beleuchtete Frau Scholastikas grün und gelb überhimmelten Perlenschrein.



Ritter Korbin, mit den Glanzlichtern des Fiebers in den Augen, lag gegen einen Berg von Kissen gelehnt, hügelte mit aufgezogenen Knien die Bettdecke in die Höhe und klammerte die Faust um den Henkel der Weinbitsche, als bedürfte er eines festen Haltes wider die Schauerstöße seines Fiebers.



Der gedeckte Tisch war an die Bettlade herangerückt. Neben Herrn Korbins Kissen saß Frau Schligg, das Gesicht von Angst verstört und so glühend, daß man hätte glauben können, sie wäre viel kränker als ihr Mann. Auf der anderen Seite des Tisches, neben der Fußstelle des Vaters, saß Hilde in ihrem braunen, weißärmeligen Hauskittel, das ernste Gesichtchen von Blässe bedeckt, in den Augen einen ratlos suchenden Blick, der immer wieder in irgendeinem dämmerigen Winkel der Stube hängenblieb und etwas Unbegreifliches, etwas für die Augen der anderen gar nicht Vorhandenes in Schreck und Neugier zu betrachten schien. Neben der Sorge um den Vater war in ihrem Herzen nun auch noch dieses neue, wunderliche Rätsel. Es war erwacht in ihr, als der Vater, die Mutter und Herr Melcher bei der Mahlzeit davon zu reden begannen, daß die Not der Zeit es rätlich erscheinen ließe, das irdische Zusammengehören der Kinder zu beschleunigen. Lachend unter einem Rüttelstoß seines Fiebers hatte der Vater sie gefragt: »Was meinst du, Mädel, willst du Hochzeit halten, eh der Seeburger den ersten Sturm versucht?«



In kindlicher Ruhe hatte sie noch sagen können: »Ich will tun, was meines Vaters Will und der Wunsch meiner Mutter ist!« Dann war ihr plötzlich ein seltsames Rieseln durch Leib und Seele geronnen und hatte einen schmerzenden Schreck in ihr geweckt. Warum? Würde nicht alles so sein, wie es immer gewesen? Und blieben nicht Vater und Mutter bei ihr auf dem Trutzberg? Warum mußte sie zittern? Warum wünschte sie die Augen zu schließen und nichts mehr von dieser abscheulichen Welt zu sehen? Weil sie ihrem Bräutigam und Seelengatten noch immer zürnte? Wegen seiner unhöfischen Widersitte auf dem Taubenturm? Nein! Ganz ruhig konnte sie jetzt an jene Stunde denken, die sie damals erschreckt hatte bis ins tiefste Blut. Das war so ferne, wie längst vergangene, spurlos versunkene Dinge sind. Und doch diese Angst in ihr? Warum? Sie fand keine Antwort. Aber den quälenden Widerwillen, den sie fühlen mußte, kannte sie. Seit ihrer Kindheit gab es eine Speise, die sie nie zu essen vermochte: Mehlmus mit gezuckerten Himbeeren. Wenn man das Schüsselchen zur Tür hereinbrachte, fühlte sie gleich einen peinigenden Ekel, bevor sie die entsetzliche Speise noch gesehen hatte – nur, weil das Näschen sie witterte. Nun war der gleiche Widerwille in ihr, bei jedem Gedanken an den Trutzbergischen Jungherrn, nein, bei jedem Gedanken an das ewige Zusammensein mit ihm – nein – sie wußte nicht, warum, und fühlte nur, daß es ein Unerträgliches war, ein bei Gottes Barmherzigkeit ganz Unmögliches! Und als Frau Angela zuerst in Ruhe und dann in wachsender Schärfe gegen die »sinnlose« Beschleunigung der Hochzeit zu reden begann und sie bezeichnete als »übermütigen Spott auf die böse Zeitgefahr«, hatte Hilde dankbar aufgeatmet und zum erstenmal ein Gefühl der heißesten Zärtlichkeit für diese kluge, liebe, treffliche Frau empfunden.



Da war die Margaret erschienen und hatte die Hausfrau aus der Stube gewunken. Und Herr Welcher war neugierig geworden. Und beim Klang der schrillenden Stimme da draußen hatten der Vater und die Mutter einander sonderbar angesehen. Frau Schligga hatte ein heißglühendes Gesicht bekommen. Und Herr Korbin hatte ärgerlich ein paar unverständliche Worte gemurrt. Jetzt guckten Frau Scholastika und der Puechsteiner über die drei leeren Sessel des Tisches erwartungsvoll zur Flurtür hinüber. Und in Hildes verwirrter Seele war immer eine schreiende Stimme: »Lauf davon! Spring über die Mauer hinunter! Lauf in die Welt hinaus, bis wo sie ein End hat!« Nein, nicht so weit! In der Trutzburg mußte sie bleiben. Sie mußte! Nur nicht bleiben an diesem Tisch, vor diesen drei leeren Sesseln, von denen einer auf einen wartete, der noch schrecklicher war als Mehlmus mit gezuckerten Himbeeren! Ach, nur hinauslaufen dürfen in ihre große, öde, fremde Stube, deren Bett ihr, auch wenn sie sich streckte und die Arme auseinanderlegte, noch viel zu breit und zu lang war! Und die da drüben durch die offene Türe hereinsah wie ein Viereck voll schwarzer Finsternis.



Es war die Trutzbergische Ehrenstube, in der die Herzöge von München und Landshut und die Bischöfe von Chiemsee und Salzburg schliefen, wenn sie zu Gast kamen. In dieser Stube roch es nach Lavendel, Wachs, Wacholder und muffiger Seide. Auch ein mutiges Mädel hätte sich da ein bißchen fürchten können, weil man immer an hochselige Fürstlichkeiten und an erloschene Kirchenlichter denken mußte, die früher einmal diese Bettlade beschwert hatten und längst unter marmornen Blöcken begraben lagen. Und dennoch wäre diese gruselige Stube für Hilde jetzt wie eine Heimat der Erlösung gewesen – diese liebe, sichere, von schönen Dingen und lächelnden Träumen erfüllte Stube, in der ihr kupferner Kämmerleinsherrgott winzig von der großen Kopfwand des Himmelbettes herunternickte, und in deren Erker zwei gerettete Kostbarkeiten des Puechsteins hingen: die leis redenden Bilder der tapferen Joanne Darc und der unglückseligen Frau Nese Bernauerin. Bilder? Nein! Die kleinen Täfelchen waren wie Blumen und rochen stärker als Wacholder, Wachs und Lavendel; sie hatten den Duft der Heide, der Steinnelken im Bruchland, hatten den Duft von Treue, Gesundheit und Kraft. Ach, nur die sieben Sprünge bis da hinüber machen dürfen! Und bei diesen rettenden Bildern sein!



Mit viel Geräusch wurde die Flurtür aufgerissen. Hilde erschrak und atmete wieder auf, als sie nur Herrn Melcher und die hilfreiche Frau Engelein kommen sah. »Gott straf mich, lieber Korbi, es ist ein Jammer mit den Weibsleuten! Was für ein unschuldsvolles Ding ist ein Mäusl! Und für die Weiber ists ein Ungeheuer, vor dem sie nach dem heiligen Jörgi schreien!« Lachend nahm Herr Melcher seinen Tischplatz ein. »So ein Geschrei machen! Wegen einer Maus, die einem über den Fuß hupft!« Heiter beugte er sich hinter dem noch leeren Sessel des Jungherrn gegen Frau Angela hin, die sich mit unverhehlter Erbitterung am Tisch niedergelassen hatte. »Und du, liebs Weibl, brauchst ja schon gar keine Sorg nit haben. Eine Maus ist bloß gelustig auf Speck. Da beißt sie doch dich nit an. Ein Speckschwartl bist du wahrhaftig nit.« Er griff nach der Weinbitsche.



Frau Engelein war wie geistesabwesend und sah mit nassen Augen zur Stubendecke. Ritter Korbin guckte sie von der Seite an. »So, so? Ein Mäusl?« sagte er und trank seinem Freunde Melcher nachdenklich zu. »Wie hats denn ausgeschaut?«



»Grau halt, mit einem langen Schwänzl.«



»So sind die Puechsteinischen Mäus. Deine Trutzbergischen Rätzlein, lieber Melcher, müssen außerdem noch was Seltsams haben. Sonst wär dein verständiges Weibl nit gar so über Maß erschrocken.«



Jetzt fing Frau Engelein zu reden an, hart, in unbeweglicher Haltung: »Schreck macht fürsichtig und weckt die Besinnung auf. Ich hab mirs überlegt. Ich will, daß mein Sohn zu Ruh und Ordnung kommen soll. Morgen will ich alles zurichten, was nötig ist. Und übermorgen, in Gottes Namen, mögen die zwei ihr eilfertiges Beilager halten.« Frau Angelas Gesicht entstellte sich. »Solls kommen, wies mag! Da bin ich als Mutter außer Spiel.« Sie schoß einen unfreundlichen, fast boshaften Blick zu der blassen Braut hinüber. »Warum soll denn ich allein allweil merken müssen, was das heißt: ein Mannsbild auf dem Buckel haben?«



Nach diesem heftigen Rätselwort der Burgfrau blieb es in der Stube sehr still. Ein erschrockenes Mädchenherz pochte wohl wie ein irrsinnig gewordener Hammer; aber das geschah in verschlossener Brust und blieb unhörbar für die anderen. Hildes Augen sahen entgeistert über den Tisch zu dieser unbegreiflichen Frau hinüber, die vor wenigen Minuten noch ein gutes, verständiges und hilfreiches Mütterchen gewesen war und jetzt wie eine schreckenerregende Steinsäule auf ihrem Sessel saß: das feindseligste und gefährlichste Weib der Welt! Hätten Herr Korbin, Frau Scholastika und Herr Melcher einen Blick in Hildes Augen geworfen, so hätten sie reichliche Ursach zum Erstaunen gefunden. Doch sie betrachteten alle drei mit einigem Verwundern nur die säuerlich lächelnde Frau Engelein.

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
< 11. Kapitel
13. Kapitel >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.