Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

19. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Dröhnend rollten die zwei groben Schüsse der Trutzischen Mauerschlangen durch die sinkende Nacht, in deren stahlblauer Höhe die kleinsten Sterne noch nicht sichtbar waren.



Tief im Westen, schon hinuntersinkend gegen die Stauden des fernen Bruchbodens, stand die dünne Sichel des wachsenden Mondes und winkte aus dem Himmelreich heraus gleich einem gebogenen Flammenfinger.



Wie ein stilles, steinernes Inselchen inmitten eines rauschenden Meeres lag im Herzen des Trutzbergischen Gemäuers die weiße Pfaffenstube.



Unter schwarzem Blechschirm brannte eine Talglampe, und auf dem Tische stand ein Holzschüsselchen, aus dem der Kaplan seine Milchsuppe gelöffelt hatte; in dem Lichtkreis, mit dem die Lampe den Tisch übergoß, war eine Legende aufgeschlagen. Der Alte las nicht. Er saß im Lehnstuhl, hörte bei seiner Taubheit nichts von dem wirren Lärm, der durch die offenen Fensterchen hereinscholl, fühlte die Nacht als heilige Stille und betete für die armen Seelen der törichten Kindlein, die er hinuntergesegnet hatte in den Acker der Auferstehung.



Der Lichtfleck an der weißen Stubendecke überwebte den engen Raum mit einem milden Dämmerlicht. Motten und kleine Nachtschmetterlinge schwirrten umher, stießen immer wieder mit den Köpfen gegen die beleuchtete Mauerstelle, flogen unter den Schirm der Lampe und fielen mit versengten Flügeln heruntet. Zwischen den Toten, für die kein Priester betete, krochen die lebendig gebliebenen Krüppel auf den Blättern des Legendenbuches umher.



Eine von den Tauben, die das Gebrüll der Mauerschlangen aufgeschreckt hatte, flog durch das Fenster herein, umkreiste ein paarmal die Stube, blieb ein Weilchen unter sichtbarem Herzpochen auf dem Bücherkasten sitzen und flog durch ein anderes Fenster, in dem sie den winkenden Feuerfinger des Himmelreiches gesehen hatte, wieder in die Nacht hinaus.



Vor der Tür raschelte was Flinkes über die Holztreppe des Burgfrieds herauf. Der Greis hörte nichts. Er sah von seinen gefalteten Händen erst auf, als die offene Tür, deren Geräusch er nicht vernommen hatte, einen schwülen, von Kiengeruch und Rauchschmack erfüllten Luftzug in das kühle Stübchen hereinstreichen ließ.



Beim Anblick des Fräuleins von Puechstein zappelte der Greis sich froh erschrocken und in mühseliger Hast aus dem Lehnstuhl.



»Nit, Ehrwürdiger!« bat Hilde unter schweren Atemzügen. »Ich täts für Sünd halten, wollt ich Euch betrügen um Eure Ruh.« Sie klammerte die Hände um die Lehne des Sessels und lauschte gegen die Tür.



Verlegen und in Freude lallte der Greis ein paar von seinen zahnlosen Wörtchen, wurde still und täppelte, mummelte was schwer Verständliches, flocht die Hände vor seiner Brust ineinander und betrachtete das Fräulein mit glücklichem Lächeln. Nun war es seinen aufglänzenden Augen anzusehen, daß ein schöner Gedanke in ihm erwachte. Krumm gebeugt, die Hände streckend, humpelte er auf den Bücherkasten zu und nahm ein großes, in roten Samt gebundenes Meßbuch heraus, das silberne Schließen hatte. Immer schmunzelte er und öffnete mit drolliger, heimlich tuender Wichtigkeit die Silberspangen. Zwischen seinen Händen fiel das schwere Buch von selbst an einer Stelle auseinander, wo zwischen den mit Holzschnitten von Christi Leidensweg gezierten Blättern eine getrocknete, flach gequetschte Blume lag. Das war einmal eine rote Nelke gewesen. Jetzt wars wie ein bräunlicher, zierlich ausgezähnelter Tuchfleck mit vergilbtem Grün daran. Eine zarte Röte, kaum noch ein Hauch von Farbe, glitt über das weiße, frohe Faltengesicht des kahlköpfigen Greises, während er dem Fräulein stumm das Meßbuch mit der gepreßten Blume entgegenhielt.



Hilde erinnerte sich nimmer an die rote Nelke, die sie an jenem Sonntag nach der Himmelreichspredigt aus ihrem Kränzlein gezogen und dem Kaplan in ein Knopfloch seiner Kutte gesteckt hatte. Verwundert – auch zerstreut, weil sie immer lauschen mußte, ob nicht einer käme – sah sie das offene Buch und die dürre Blume und den greisen Priester an, der so kindlich lächelte, so froh und verlegen war und so schimmernde Augen hatte, als ginge ein stiller und zärtlicher Frühlingstraum durch sein neunzigjähriges Herz.



Heiter nickend, ein paar leise Laute murmelnd, klappte er das Buch zusammen und mußte es auf die Tischplatte heben, um mit seinen welken Händen die silbernen Spangen wieder schließen zu können. Das Schweigen des Fräuleins war ihm nicht verwunderlich; für ihn schwiegen die Menschen fast immer; er hörte sie nur, wenn sie brüllten wie Herr Melcher im Rausch, oder kreischten wie Frau Engelein im Zorn. Drum vernahm er auch nicht das flinke Eisenklirren, das über die Holztreppe des Burgfrieds heraufkam. Mit dem kostbaren Buch beschäftigt, sah er auch das jähe Erglühen des Fräuleins nicht. Er hob erst das Gesicht, als ihn der Luftzug wieder anwehte und Lien schon auf der Schwelle stand.



»Gottes Gruß zum Abend, hochwürdiger Herr!« Das sagte Lien sehr laut. Dann leise: »Vergeltsgott, Fräulen, daß du gekommen bist! Ich tu deinen kranken Vater um nötige Pfleg berauben. Aber hätts nit sein müssen, ich hätt nit gebeten drum.«



Er legte ein Bündel dicker Stricke und den Helm, den er im Arm getragen hatte, auf den Boden.



»Viel ists nit, was ich sagen muß. Wirst gleich wieder gehen können.«



Nun trat er auf das Fräulein zu, in den entzündeten Augen einen heiligen Ernst und ein andächtiges Trinken ihres Anblicks. Stumm reichte sie ihm die beiden Hände. Die nahm er. Und da vermochte er nicht gleich zu reden.



Neben dem Tische stand der Kaplan, hielt mit dem einen Arm das Meßbuch an seine Brust gedrückt und hob mit der anderen Hand den Blechschirm von der Lampe. Flackernde Helle beleuchtete die zwei jungen Menschen. Der mummelnde Greis, die beiden betrachtend, nickte schmunzelnd vor sich hin. Schnell verstand er, was das bedeutete: daß die beiden sich so bei den Händen hielten, sich so ineinandertranken mit den Augen. Kein Schreck, kein Staunen war in ihm, nur Wohlgefallen und Freude. Und kein Jungherr fiel ihm ein. Er selbst hatte vor zehn Jahren die Kinderehe zwischen Eberhard und Hilde gesegnet. Das war vergessen, lange schon, wie vieles andere, das älter als einen Monat oder eine Woche war. Kaum haftete in ihm noch eine blasse Erinnerung daran, daß dieser junge starke Kriegsmann – oder war das der Schäfer Lien gewesen? – bei ihm gebeichtet hatte als frommer und andächtiger Christ mit vielen unverständlichen Sünden. Er sah die beiden, Hand in Hand und Aug in Auge, und wußte nur, was er seit zwei Mannesaltern nie an sich erlebt, doch zu hundert Malen an anderen gesehen hatte: wie es die Jugend zur Jugend zieht, das Herz zum Herzen, das Blut zum Blut. Und weil er des Blutes dachte, geriet er nun doch ein bißchen in Sorge und mußte fragen: »Habet ihr was zu beichten, ihr zwei?« Er selber wußte wohl, was er sagte. Für Lien und Hilde blieb es unverständlich. Sie schienen die lallenden Laute des Greises gar nicht zu hören.



Lien atmete tief. »Heut bin ich dumm gewesen. Das muß ich bekennen. Ich hätt des Schweigbefehls nit achten sollen, hätt reden müssen und hätt nit kommen dürfen ohne den Medikus,«



»Nit, Lien!« Mit heißen, nassen Augen sah sie zu ihm auf, »Tu dich nit schelten! Was du tust, ist allweil, wie du bist. Da muß es das Rechte sein.«



Er schüttelte den Kopf und sagte streng: »Du bist viel zu gütig. Das ist nit recht. Ich hätt den Medikus bringen oder sterben müssen.«



Ein banger Schreck durchrieselte sie.



Obwohl ers an ihren Händen fühlte, sprach er in Ruhe weiter: »Es ist nit das einzige, was ich verschuldt hab. Den Stein im Seeforst hab ich werfen müssen. Ist wahr! Aber viel Elend ist draus gewachsen. Dem will ich ein End machen in der heutigen Nacht. Und eh der Morgen da ist, hol ich den Medikus.«

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