Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

20. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





In wachsender Sorge stieg die Trutzin zu allen Turmböden hinauf und rannte durch die Schützengänge. Immer wieder hetzte sie aus ihrer Seele die Frage heraus: »Wo ist mein Sohn?« Seit der zehnten Abendstunde hatte kein Söldner, kein Knecht den Jungherren mehr gesehen. Und noch eine Stunde länger war es her, daß Herr Welcher den Namen seines Sohnes nimmer nennen wollte – seit er das eine der beiden Pergamente in kleine Fetzen zerrissen hatte.



»Hätt ich nur geschwiegen!« stöhnte Frau Engelein vor sich hin. »Hätt ich ihm nur vom Zorn des Vaters nit geredet!« Während sie durch den Burghof zur Westmauer rannte, wo sie noch nicht gesucht hatte, wurde sie gepeinigt von einer schrecklichen Bilderflucht.



Im schwachbesetzten Schützengang über der Maistube fand sie einen, der in seiner kriegsmännischen Würde wissen mußte, wo der Jungherr war. Sie fragte und fragte. Der Unbegreifliche blieb stumm. Er hockte auf dem Boden des Schützenganges, mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt, die zittrigen Hände um die aufgezogenen Knie geschlungen. Klare Wassertropfen glitzerten an seinem Bart und auf den Brustplatten. Mit den geschwollenen Lippen, auf die er beim Sturmgefecht in der Torhalle einen Flachhieb bekommen hatte, machte er sonderbare Bewegungen und sah mit pfennigrunden Triefaugen stumpf ins Leere.



»Serjant, Serjant! Um Christi Barmherzigkeit! So tu doch reden! Wo ist mein Sohn?«



Kassian Ziegenspöck blieb stumm. Aber einige Bewegung kam in den Regungslosen. Seine Stirne verkürzte sich zu enggereihten Falten; es zwinkerte um seine Augen herum, seine Wangen schlotterten, seine zur Hälfte schon gebesserten Lippen verzogen sich grinsend in die Breite, und so fing er zu weinen an, leis und geduldig wie ein gutmütiges, verlassenes Kind.



Die beiden Puechsteinischen Söldner, die bei der Mauer die Wache hatten, entfernten sich kopfschüttelnd, soweit es ihnen der kurze Schützengang gestattete.



In Frau Engelein weckten die Tränen des Kassian Ziegenspöck eine gesteigerte Angst.



»Serjant! Um Hergotts willen! Weswegen mußt du so weinen? Ist was Übles mit meinem Sohn?«



Das gleiche Schweigen, die gleichen Tränen.



»Jesus, Jesus, was ist denn im Kassel?«



Ein Söldner sagte: »Die trunkene Not!«



Da richtete sich die Trutzin voll Empörung auf und sprach das gleiche Wort, das schon von anderen mehrfach wider den Sergeanten und seinen Zustand gebraucht worden war. Und Kassian Ziegenspöck, noch kläglicher weinend, deutete mit der Datterhand, als möchte er sagen: »Da haben wirs wieder!«



Frau Engelein wandte sich von ihm ab und wollte die Suche nach ihrem Sohn aufs neue beginnen. Da gewahrte sie eine Strickleiter, die am Gebälk des Schützenganges befestigt war und über den Bord der Mauer hinaushing. Hastig guckte die Trutzin durch eine Scharte in die Nacht hinaus. Die Stricke der Leiter verschwanden in der Finsternis. Aus der Tiefe sah ein steiles Felsgeschröf mit schwarzen Staudenstecken herauf.



Die Augen der Trutzin flackerten heiß. »Wer ist da über die Mauer gestiegen?«



Der eine der beiden Söldner wurde verlegen, der andere sagte ruhig: »Wir müssen schweigen. Es ist Befehl.«



Frau Engelein nickte erregt. Seit Herr Melcher in den Puechsteinischen Kissen lag, führte ihr Sohn den Befehl in der Burg. Hatte Eberhard dieses Gefährliche und Tollkühne gewagt: mit dem Heini von Seeburg mündlichen Vergleich zu suchen? Es war das einzige, was ihr noch zu denken verblieb. Mit beklommener Stimme fragte sie: »Wie lang muß die Leiter da noch hängen?«



»Wir müssen sie aufholen, wenn es tagen tät und der Aussteiger wär noch nit eingestiegen.«



Freundlich reichte die Trutzin jedem Söldner die Hand: »Wachet, ihr guten Leut! Der ausgestiegen ist, wird wiederkommen!«



Gläubig nickten die zwei Puechsteinischen, während Kassian Ziegenspöck unter Tränen ein böses, hohnvolles Lachen vernehmen ließ. Der Sergeant sah aus, als wäre sein sonst so weinheller Geist nun völlig gestört.



Hastigen Ganges kehrte Frau Engelein zum Herrenhause zurück. Immer sah sie die finstere Tiefe der Westmauer und das schwarze Staudengewirr im Geschröf. Zwei Gefühle begannen in ihr zu streiten: Bewunderung für die Verwegenheit ihres Sohnes und ein quälender Zweifel, der sie immer härter bedrängte.



Sie kam zur Spittelhalle, in der alle Verwundeten wach waren und sich über den wunderlich aufgeregten Schäferhund belustigten. Auch Wulli mit seiner geschwollenen Schnauze und den verzerrten Lefzen schien zu lachen. Es sah nur so aus. In Wahrheit brannte in ihm eine Tragödie der Schmerzen und ein Trauerspiel der Sehnsucht.



Die Trutzin, schon wieder den Ausdruck von Angst im irrenden Blick, stieg in die Küche hinunter. Zwei Mägde waren beim Herd beschäftigt, die anderen hockten duselnd auf Bänken und Schemeln. Die Margaret kam ihrer Herrin entgegengelaufen, um glückselig zu melden, was sie seit dem Abend noch nicht an die Frau hatte bringen können: »Heut ists gut gegangen im Hühnerstall! Wir haben Eier, soviel, als wir legende Hennen haben.«



Ein unbegreifliches Wunder geschah: kein Schimmer von Freude erwachte in Frau Engelein. Ihre qualvollen Augen irrten in der Küche umher. Ein tiefer Schreck schien ihre Seele zu befallen: »Wo ist die rote Pernell?«



»Die ist müd gewesen zum Umfallen. Ich hab ihr aus Erbarmen gestattet, daß sie schlafen geht ein paar Stündlein.«



Frau Angelas Hände tasteten ins Leere. »Meine Latern!«



Als sie die kleine, dickverglaste Leuchte, die sehr rasch ein heißes Blech bekam, in der Hand hatte, jagte sie stumm davon und über die steilen Treppen hinauf. In den Mauergängen, durch deren zerschossene Fenster die Nachtluft hereinfiel, herrschte ein pfeifender Zug. Der fuhr auch, als Frau Engelein die Tür öffnete, in das stille, leere Trutzische Ehegemach. Beim Anblick des unbevölkerten, doch von den verwichenen Tagen her noch vielfach bekleckerten Himmelbettes ließ Frau Engelein ein paar Laute vernehmen, die der »trunkenen Not« des Kaffian Ziegenspöck zu vergleichen waren. Das Kleid schürzend, hastete sie über das Wendeltrepplein empor und wollte die unverriegelte Falltür hinaufdrücken. Das ging nicht; droben im Kämmerchen stemmte sich irgend etwas Schweres dagegen. Zornig hämmerte Frau Engelein mit der Faust gegen die Falltür und erhob ein zeterndes Schelten. Dumpf klangen droben die Sprünge nackter Füße, und eine undeutliche Mädchenstimme schien erschrocken immer das nämliche zu sagen: »Gleich, Frau! Gleich, Frau! Gleich, Frau!«



Etwas Schweres wurde gerückt; dann gab die Falltür dem Armdruck der Frau Angela nach; im Kämmerchen klirrte was, als hätte die Zugluft beim Öffnen der Tür am Dachfenster gerüttelt.



Mit erhobener Laterne leuchtend, stieg Frau Engelein vollends in das kleine Gelaß hinauf. Sie sah ein hochbeinige Bettlade, in der, das Linnlaken bis an den Hals gezogen, die zitternde Pernella lag, sah die Magdtruhe neben dem Loch der Falltür stehen, sah das stille dunkle Fenster, sah die kahlen Wände – sonst nichts. Die Trutzin atmete erleichtert auf, ohne die Angst zu gewahren, die das Gesicht der lautlosen Magd verzerrte. Zu gewissenhafter Probe leuchtete Frau Engelein noch unter die Bettstelle und öffnete den Truhendeckel. Als sie die wirr durcheinander gewühlten Kleidungsstücke und Leinwandlappen sah, verzog ein Lächeln ihren Mund, und gallig sagte sie: »Wenn die Puechsteinischen Mägd so unordentlich und schlampig sind, ists kein Wunder, daß auf dem Puechstein allweil die Not hat hausen müssen. Wie das Gesind, so die Herrenleut!« Sie ließ den Deckel zufallen. »Warum hast du die Tür verrammelt?«



Unter Zittern lallte das blasse Mädel: »Die Truh - ich weiß nit wie – die Truh muß sich verschoben haben –«

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