Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

22. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Frau Engelein lag auf ihrem Bett und wurde betreut. Und Lien, mit dem Wulli hinter der Wade, stieg die Treppe hinunter, langsam und müd. Sein Gesicht war hart und ernst, auch häßlich, vom Schmutz des eingetrockneten Schweißes und von den bläulichen Malen, welche grün und gelb die Puechsteinischen Farben zu spielen begannen.



Wie ein Blinder schritt der Schäfer durch die Spittelhalle, in der es sehr munter zuging, und durch den Hof, wo die heiter, lärmenden Knechte bei Frühmahl und Weinkrügen herumhockten. Lien hörte die jubelnden Rufe nicht, die ihm galten. Immer vor sich hinsinnend, ging er durch das Gewölbe des Burgfrieds, durch die Söldnerhalle hinauf in die Stube des Sergeanten, wo Wulli gleich auf das Bett sprang und sich niederduckte.



Es war eine alte Magd da, die sauber machte.



»Wo ist der Kassel?«



»Der muß vor dem Losament, wo der Seeburg sitzt, die Wach halten.«



»So tu ihn grüßen von mir! Hat er Zeit, so soll er mich im Bruchland einmal besuchen.«



Das Weib riß die Augen auf. »Mensch? Willst du denn fort? Jetzt? Wo die Herrenleut dich ehren müssen?«



Lien zog in Unbehagen die Stirn. »Schuldigkeit ist mehr als Ehr. Jetzt haben wir Fried. Da muß ich nach meiner Schafherd schauen. Ich sorg, die hungrigen Bauern fressen mir meine Lämmer auf.« Er nahm die Salztasche aus der Truhe und reichte sie der Magd. »Die tu mir füllen! Fest! Und die Margaret soll mir den Zehrsack richten. Ein lützel gut! Mein Wulli wird Hunger kriegen, wenn er völlig gesundet.«



Den Kopf schüttelnd, ging das Weib davon.



Eine Weile blieb der Schäfer unbeweglich inmitten der Stube stehen, mit dem Arm vor den Augen.



Sich schüttelnd, ging er auf sein Bett zu, griff unter den Polster und atmete auf, als er die Leinwandschnipfelchen fand, die er da versteckt hatte. Er setzte sich neben Wulli auf die Bettkante hin und fing eine bedächtige Arbeit an. Aus dem größten Leinwandfleck, ein bißchen größer als eine Hand, machte er ein Säcklein, gab alle die Leinwandschnipfelchen hinein, dazu die Seidenschnur mit dem goldenen Weihgroschen. Von einem der zerschnittenen Stricke, die umherlagen, dröselte er einen dicken Faden herunter und band sich damit das Säcklin um seinen Hals. »So, Wulli! Komm!« sagte er mit bleichen Lippen und strich dem Hunde mit der Hand über die Ohren hin. »Man muß zufrieden sein. Ein Schäfer hauset im Bruch, die Sternlein hängen am Himmelreich.« Er nahm die alte, schepprige Armbrust hinter den Rücken und hängte das Wolfseisen an den Gürtel. Den Dolch des Puechsteiners wollte er in die Söldnertruhe legen. Nein. Er behielt ihn.



Wulli war neugierig geworden, schüttelte die dicke Schnauze und zeigte bei funkelnden Augen ein äußerst erregtes Ohrenspiel. Als er sah, daß der Schäfer die Schippe faßte, sprang er winselnd auf und begann trotz seiner Müdigkeit einen aberwitzigen Freudentanz. Für Wulli kam die gestörte Welt nun wieder völlig in Ordnung. Es fehlte zwar noch das Bruchland, die Herde, der Karren und der Pferch. Aber alles andere war vorhanden. Nur ein verlorener Schäferhut war noch abgängig – und die frohe, zufriedene Ruhe des Lien.



Der nahm der alten Magd das Zeug ab, das sie brachte, und als sie ihn im Namen der Margaret zu einem seinen Frühmahl in die Küche einlud, sagte er mürrisch: »Ich mag nichts.«



Er ging. Und Wulli sprang ihm kläffend voraus.



Die Frühsonne glänzte schon in die Höfe herunter und vergoldete alle Verwüstung, die da verübt war. Überall Geschäker und Lachen der Leute. Die vielen Tauben flogen umher, als hätten sie schon längst vergessen, daß ihr Türmlein im reinen Blau da droben eine Ruine mit verwesenden Vogelleichen geworden war. Und die Hennen, die ihre runde Morgenpflicht bereits erfüllt hatten, gackerten so freudenvoll, als hätte es nie eine gestörte Nachtruhe und ein Sodbrennen des Kassian Ziegenspöck gegeben.



Mit den Leuten, die im Burghof waren, ließ sich der Schäfer nicht ein. Er nahm nur einem hörigen Bauernbuben den Hut weg und sagte: »Wie! Gib her! Ich brauch einen.«



Wulli verursachte noch einen kleinen Aufenthalt. Er rannte zum Brunnen und schlapperte und war ein bißchen verwundert, weil er den gewohnten Durstkameraden beim Wassertroge nicht vorfand.



Nun gings hinaus durch den in der Sperrmauer des Brückenturms ausgesparten Steinschacht – durch das Dunkel in die Sonne. Auch da draußen Verwüstung und Schutt; doch alles funkelte, alles glitzerte, alles war schön in der Schönheit des Morgens.



Das Horn des Türmers schmetterte wieder, und von den Burgleuten rannte jedes in Neugier zu einem Guckaus.



Lien überschritt den von ekelhaftem Wust erfüllten Torgraben und sah nicht zur Linken, nicht zur Rechten, sah nur immer hinauf zu der fernen Berghöhe, wo seine geretteten Schafe waren. So ging er an einem kalten Elend des Lebens und an einem schimmernden Glanz der Erde vorüber. Denn zur Linken, am Fuße des halb in Trümmer geschossenen Schützenganges, kamen aus dem Geschröf der Ostmauer vier Mannsleute heraufgestiegen, die etwas Blutfleckiges und Regungsloses herbeischleppten, während ein junges, rothaariges Weibsbild wie rasend über das Aschenfeld davonlief. Und zur Rechten klirrte und schimmerte in blankem Eisen, in Blau und Weiß, auf schabrackierten Gäulen ein langer Reiterzug aus dem Tal herauf, das Schutzgeleite des Herzogs Albrecht von Bayern-München.



Den Zug führte auf abgehetztem Roß der alte Veit des Puechsteiners; hinter ihm, an der Spitze des Reiterschwarms, neben dem Leibarzt, der ein langer Mensch mit verbuckelten Schultern war, ritt der Herzog aus einer ruhigen Schimmelstute.



Unter dem aufgeschlagenen Visier sah aus den Kanten des mit Adlerschwingen und Kronreif gezierten Helmes ein blasses, blauäugiges Gesicht heraus, in dem sich Strenge und kränkliche Scheu seltsam mischten mit Gutmütigkeit und schalkhafter Milde – das Gesicht eines Jünglings, durcheinandergewirrt mit dem Furchenantlitz eines Greises. Herr Albrecht, ein Fünfundvierzigjähriger, war vorzeitig gealtert. Seit man ihn den schönsten, der deutschen Fürstensöhne genannt, und seit ihn sein Vater Ernst in der Allinger Schlacht mit eigener Faust herausgehauen hatte aus dem feindlichen Gewühl, waren ihm Stürme des Lebens zerstörend über Herz und Stirn gebraust. Nach dem jubelnden Liebesfrühling zu Augsburg und nach drei Jahren eines lachenden Glückes war das grauenvolle Trauerspiel der Straubinger Donaubrücke gekommen; nach Empörung und Kampf wider den Vater, der Frau Nesens Ermordung befohlen hatte, kam aus politischem Zwang die kalte Versöhnung; dann harte Jahre mit drückenden Regierungssorgen, ruheloser Vetternzwist, endlose Fehden wider das in wilder Zeit anwachsende Raubrittertum, stete Verdrießlichkeit mit Bürgerschaft, Landständen und Adelsbünden; dazu eine schmerzhafte, aus Seelenstürmen hervorgeschlichene Kränklichkeit und der mißliche Unfried in seiner Ehe mit der kühlen, herrschsüchtigen Anna von Braunschweig, von der er betrogen wurde, und die er selbst betrog. Alles versunkene Glück lag unter Asche begraben, doch es glomm noch immer in heimlicher Tiefe. Fromm aus Erziehung, aus Schreck und zärtlicher Sehnsucht, galt ihm der Sankt-Agnesentag noch immer als des Jahres heiligster, an dem seine Seele am inbrünstigsten beten konnte. Diese Sehnsucht war ein Besitz seines Herzens, den er mit keinem anderen teilen wollte. Niemand durfte Frau Nesens Namen vor ihm nennen, niemand die Erinnerung in ihm wecken.



Der Brief des Puechsteiners hatte ihn zuerst in schäumenden Zorn versetzt, und erst nach mißmutigen Tagen war die Güte, der Wille zur Hilfe in ihm wach geworden. Um Frau Neses willen. Mit der Erinnerung an diese Frau, an ihren Liebreiz und ihre Schönheit, blieb alles verknüpft, was neben der Verhärtung seines Wesens noch an Milde, Sanftmut und heiterer Laune seit den Tagen seiner blühenden Jugend in ihm verblieben war.

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