Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

23. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Der Herdentrieb in das Bruchland wurde eine langsame und müde Reise. Die Schafe waren sprungfröhlich, immer zum Ausgrasen bereit; auch Wulli, obwohl er Hunger zu fühlen schien und Kleeblätter fraß, war ruhelos bei der Arbeit. Müde war nur der Lien. Immer sah er vor sich hin auf die Erde und ging so gebeugt, als wäre der Zehrsack eine drückende Last für seine sonst so kraftvollen Schultern.



Achtlos schritt er an den Feuerstellen und Unratstätten der abgezogenen Seeburger vorüber. Als er mit der Herde durch das Wiesental am Fuße des TrußbergeS kam, war es ersichtlich, daß Wulli sich der Forelle erinnerte, die er da gefangen hatte; aber im Schäfer schien keine Erinnerung an die Trutzburg wach zu werden; er warf keinen Blick zur Mauer hinauf und machte trotz seiner schweren Müdigkeit so rasche Schritte, daß die Herde traben und Wulli die säumigen Hammel immer hetzen mußte.



Da klang ein rufender Laut.



Es überrieselte den Lien. Doch er sah nicht auf, machte nur noch flinkere Schritte.



Wieder klang es: »Lien – Lien – Lien!« Es kam von irgendwo aus den Lüften. Kams aus dem lieben Himmelreich? Oder nur von der Trutzischen Wesimauer?



In den Augen des Schäfers war ein Blick voll Trauer und Zorn. Unter hastigem Schreiten bohrte er den Kopf voraus, wie er es damals bei dem jagenden Ritt zum Puechstein getan hatte, mit dem Edelfräulein an seiner Brust.



Immer klang die rufende Stimme, immer schwächer, immer ferner. Sie wurde zu einem Laut, der wie das Schmälen eines irrenden Rehes war.



Seit dem Morgen hatte der Schäfer diese Stimme immer, immer und immer vernommen, bei jedem Schritt, bei jedem suchenden Blick in die leere Welt. Und immer wars Lüge gewesen, immer nur ein Schrei seines eigenen Herzens. Der war erloschen in ihm, seit er an dem blutigen Fell seines Silberweißleins die leeren Augenlöcher gesehen und allen Gram und Zorn seiner Seele aus sich herausgeprügelt hatte, zu seiner eigenen Erleichterung, zum Unbehagen eines anderen. Nun ists vorbei, für ewige Zeiten, verschwunden, vom gefräßigen Leben verschlungen wie sein liebes, weißlockiges Lamm mit den sanften, zärtlichen Augen. Bei diesem Gedanken klammerte Lien die zitternde Faust um das Leinwandsäcklein an seinem Hals. Da drinnen war alles eingesargt, das Silberweißlein, der ganze Lien, sein Leben und Sterben. Jetzt ist das so: man ist wieder Schäfer, dem Himmel sei Dank, betreut seinen Pferch und hat den Wulli, wird alt und verschnauft im Karren. So muß es sein. Ist eh schon genug! Warum sich noch plagen lassen bei Tag und Nacht? »Schrei nur, ich hör nit, ich mag nimmer hören!« Stehenbleibend, preßte er die Augen zu, weil die Sehnsucht in ihm war, sich umzuschauen. Was ging ihn die Trutzburg an, seit sie nimmer in Not war? Da droben braucht man jetzt keinen Schäfer mehr. Da wirds ein Fest geben, mit großen Schüsseln, mit silbernen Krügen und feinem Trompetenblasen. Und festivieren sie nicht am heutigen Abend schon, so tun sie es morgen oder übermorgen, wenn Herr Korbin und und Herr Melcher wieder genesen sind und jede letzte Sorge von dem edlen Fräulein genommen ist – »Gotts Lob und Dank!«



War es das Rauschen seines Blutes, war es der hämmernde Schlag seines müden und wehen Herzens, war es das Keuchen seiner erschöpften Lunge – immer war ein quälendes Geräusch in seinen Ohren, wie ein mißtöniges und dennoch festliches Trompetenblasen. Und viele schöngeschmückte Leute sah der graukittlige Schäfer, der wie die anderen Knechte bei der Tür stehen und hineingucken durfte in den Saal. Und einer war da drinnen, der das Silberweißlein bei der Hand faßte –



»Gotts Not! Gotts Not!« Den Arm vor die Augen schlagend, schrie er alle Qual seines Lebens in den leuchtenden Abend hinaus, in dem schon, tief gegen Westen, die stärker gewordene Mondsichel schimmerte gleich einem blaßgebogenen Silbersinger, der herauswinkte aus dem Himmelreich.



Die Schafe, die zu glauben schienen, der Schäfer hätte ein bißchen undeutlich sein: »Höia, höia!« geschrien, drängten sich um ihn her und sahen ihn verwundert an, weil seine Hand nicht in die Salztasche griff. Auch Wulli kam, verstaubt, mit pumpenden Flanken, mit langer Geiferzunge, doch in den Augen eine glänzende Zufriedenheit, ein ungetrübtes Verständnis der schönen Welt.



Und während der Hund und die Schafe ruhig standen und immer den Schäfer anguckten, war eine halbe Stille um ihn her.



Da klang es wieder, schon ganz erloschen: »Lien – Lien –« Jetzt war es wie der ferne, ferne Schrei eines Falken, der so hoch in den Lüften fliegt, daß ihn die Augen eines Menschen nimmer sehen können.



Wie ein von Wölfen Gehetzter fing Lien zu rennen an, gegen das Bruchland hinaus, und Wulli und die Schafe hinter ihm her – und als es hinunterging über einen Waldhügel, hinter dem die letzten Turmzacken der Trutzburg verschwanden, atmete er auf und lächelte ein bißchen. So müssen Gefolterte lächeln, wenn sie den letzten Grad der Marter überstanden haben.



Sein Schritt wurde langsam, eine bleierne Ruhe überkam ihn, sein erschöpftes Gesicht war hart und streng. So ging er seiner Herde voran, auf der Seestraße, die zerrissen war von den Schlangenrädern und Troßkarren der Seeburgischen. Viele Spuren ihres eilfertigen Abzuges waren noch so frisch, als hätten ihre letzten Karren erst vor kurzer Zeit diese Furchen in den Grund geschnitten.



Das Bruchland leuchtete im Glanz des Abends, die Weiher und Tümpel schimmerten wie metallene Schilde. Verspätete Schmetterlinge gaukelten noch umher, Wildgeflügel strich über die Röhrichtfelder, und überall war Geschnatter und Vogelgeschrei. Das hing wie ein frohes und ungestümes Lebenslied in der milden Abendluft, im Wohlgeruch der vielen, unzählbar vielen Sommerblumen.



Von der brennenden Schönheit des Abends sah der Schäfer nichts. Seine Augen hatten einen stumpfen Blick, wie Augen, die nach einwärts schauen. Doch plötzlich schien ihm die Gewohnheit seiner Schäferfüße zu sagen, wo er war. Er hob das strenge, von allen Farben gesprenkelte Gesicht. Und sah umher. Und schrie: »Höia! Höi!« Und sprang über die Straßenböschung hinunter auf den Bruchboden. Die Herde hinter ihm her.



Er ließ die grasenden Schafe in Wullis Hut und eilte hinüber zu den Stauden, hinter denen der unfertige Pferch darauf wartete, daß einer käme, ihn zu vollenden. Lien warf ab, was er auf den Schultern hatte, und begann zu schanzen, schlug die letzten Pfähle und verband die Pferchgeflechte. Alles tat er wie ein Blinder, der die gewohnte Arbeit sicher in seinen Fäusten hat.



Es dämmerte, als die Schafe Stücklein um Stücklein einzogen in den Pferch.



»So, Wulli!« Mit müder Hand strich Lien dem Hund über die Ohren hin. »Jetzt mußt du noch ein lützel Geduld haben. Erst muß ich unseren Karren in die Höh lupfen und zum Trocknen aufhängen.«



Wulli, der sich neben dem geschlossenen Pferchtürlein niederstreckte, schien dieses Notwendige zu begreifen – wenigstens verstand er deutlich: daß vorerst noch nicht gekocht wurde. Ganz war also die Welt noch immer nicht in Ordnung.



Am Ufer des großen Weihers, in dessen Tiefe der versunkene Schäferkarren auf seine Erlösung harrte, warf Lien die Kleider ab, knüpfte das Leinwandbinkelchen von seinem Hals und verwahrte es vorsichtig in der Kitteltasche. Der Versuch, sich des Söldnerhemdes zu entledigen, begegnete einer unüberwindlichen Schwierigkeit; es schien mit dem Rücken des Schäfers unlösbar verwachsen zu sein. Die Sache war nicht anders zu machen: Lien mußte mit dem Hemd ins Wasser springen, wie ein schämiges Mädel beim Baden. Ein Pferchseil mitziehend, schwamm der Schäfer gegen die Mitte des Weihers. Obwohl es schon dunkel geworden, sah er beim Widerschein des noch blassen Himmels das Karrendach in der Tiefe schimmern. Er sog seine Lunge voll mit Luft und tauchte kopfüber hinunter; für einige Sekunden sah er aus wie eine umgestülpte weiße Ente, wenn sie gründelt; dann verschwand er. Luftblasen quirlten herauf, und der klare Weiher wurde trüb. Das lange, auf dem Wasser schwimmende Seil bewegte sich immer wie eine dünne, endlose Schlange, die aus der Tiefe stieg und ans Ufer will.

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