Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

5. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





In dem Trutzbergischen Jägerhaus, das auf einem kleinen Waldgeräumt inmitten des Seeforstes aus Blöcken errichtet war, entdeckte Herr Korbin einen so schnöden Friedensbruch, daß er seinen Zorn in grimmigen Flüchen entladen mußte.



Die zwei Wolfshunde des Jägers lagen erstochen im umzäunten Hof, die alte Mähre hockte mit entzweigeschnittenen Hessen im Stall, und auf dem Lehmboden der Stube fand man den graubärtigen Wildhüter neben seinem Weib, beide an Händen und Füßen gefesselt, mit Wollstöpseln in den Ohren, mit dicken Leinwandknebeln in den Mäulern.



Als man die beiden befreit und zur Ermunterung mit kaltem Wasser gewaschen hatte, fiel es ihnen schwer, dem Puechsteiner zu berichten, was ihnen geschehen war. Sie litten an der Kieferstarre und konnten nur lallen. Obwohl sie noch alle Zähne hatten, sprachen sie fast so undeutlich wie der greise Burgkaplan. Und genau so wie dieser hatten sie die Augen voll dicker Tropfen, nicht, weil sie leicht zu bekümmernde Gemüter besaßen, sondern weil ihnen der Schmerz die Tränendrüsen auspreßte.



Erst nach längeren Schwierigkeiten kam es verständlich zutage, was sie erlitten hatten. Um die elfte Mittagsstunde, als sie beim Mahl gesessen – die Schüssel mit der kaltgewordenen Linsensuppe stand noch auf dem Tisch, der so reich bekleckst war, als hätte Herr Melcher hier ohne Röhrchen gespeist – waren plötzlich die Hunde laut geworden, hatten aber gleich wieder geschwiegen. Dann waren sechs Kerle mit schwarzberußten Gesichtern in die Stube hereingerumpelt, hatten den Jäger und sein Weib überwältigt, des Jägers Waffen gestohlen und den Kasten ausgeplündert.



Herr Korbin brauchte nicht lange zu grübeln, bis es ihm klar wurde, daß hier die Seeburgischen Troßleute ein bißchen Räuber gespielt hatten, um den Jäger unschädlich zu machen und ihre Herren vor dem Anschein eines friedensbrecherischen Überfalles zu behüten.



Der Puechsteiner fluchte nicht. Ganz ruhig sprach er. Doch er hatte ein aschgraues Gesicht und an den Augenlidern rote Ränder. Ein solches Gesicht hatte Herr Korbin immer bekommen, wenn auf einer Kriegsfahrt seine Spießknechte wegen des rückständigen Soldes den Gehorsam verweigerten; dann hatten immer ein paar von diesen Eidvergessenen mit Anbruch des nächsten Morgens an einem kräftigen Baum gehangen.



Das heulende Weib schien für den Puechsteiner nicht vorhanden zu sein. Zum Jäger sagte er: »Komm, du! Mit!« Weil dem Manne die Glieder noch so starr waren, daß ihm das Gehen sauer wurde, mußte ihn einer von Herrn Korbins Knechten zu sich auf den Gaul nehmen. So kam es, daß in dieser goldschönen Abendstunde zwei Pferde doppelt zu tragen hatten: die Mähre eines Söldners und die feine Fuchsstute des Fräuleins von Puechstein.



Beim Straßendamm, der durch das Moorland gegen die Burg des Herrn Korbin zog, wurde der Jäger abgesetzt. Der Puechsteiner spähte über das Moor, konnte aber seine Frau und Tochter nirgends entdecken, weil sie, schon nahe der Burg, hinter einem Buchenwäldchen verschwunden waren. Er nickte befriedigt. »Da bleibst du!« sagte er zu dem Jäger. »Es werden drei Knechte kommen. Zu einem springst du auf den Gaul und führst die Leut. In der Bachschlucht wart ich auf euch.« Herr Korbin winkte den Knechten und trabte mit ihnen davon.



Der Jäger setzte sich ins Heidekraut, rieb seine Handgelenke und machte mit dem Unterkiefer Bewegungen wie ein Nußknacker. Während er so die Zähne aufeinanderklappen ließ, um sie für den Genuß des ersehnten Nachtmahls einzuüben, sah er in der Richtung gegen die Puechsteiner Burg aus einem kleinen Wald die wirbelnden Figürchen der zwei reitenden Frauen auftauchen, von denen die eine einen lebendigen Sattel hatte: den Schoß und die Schenkel des Lien.



Aus der Weite besehen, wars ein zierliches, von Farben flatterndes Bild. In der Nähe beschaut, sah die Sache wesentlich gröber aus. Die beiden Gäule schwitzten und keuchten vor Erschöpfung, und Frau Scholastika bot den Anblick einer zur Auflösung verdammten menschlichen Erscheinung. Das Kleid saß verdreht und hatte widersinnige Falten, die Zöpfe schlotterten, und der lose gewordene Spitzhut mit den wehenden Schleierbändern machte Tanzbewegungen wie ein irrsinniger Vogel. Immer versuchte Frau Scholastika zu reden, um trotz ihrer Sorge für den Gatten diesen schrecklichen Schäfer zu bitten, daß er ein bißchen langsamer reiten möchte. Aber der Schimmel, der in seiner Ermüdung immer falsch galoppierte, stieß so fürchterlich, daß Frau Scholastika bei dem schmerzvollen Gehops nicht zu reden wagte, weil sie mit der Zunge zwischen die Zähne zu geraten fürchtete. Und wenn sie, um die dem Schimmel selbst sehr unangenehme Geschwindigkeit zu dämpfen, mit schwachen Kräften am Zügel zerrte, spürte das nicht der Schimmel, nur der Lien, der mit vorgestreckter Faust die Zaumriemen des Schimmels und der Stute kurz gefaßt hatte, um die Köpfe der häufig stolpernden Pferde hochzuhalten. Und wenn Frau Schligga so zerrte, glaubte der Schäfer immer, daß die edle Frau in ihrer Angst um Herrn Korbin noch schneller reiten möchte. Darum befeuerte er die Fuchsstute mit lautem Zungenschlag und versetzte dem Schimmel ein paar mahnende Püffe mit dem Holzschuh.



In solchem Mißverständnis wurde Lien durch die Tatsache bestärkt, daß Hilde, die bei kreisrunden Augen ein wie Kohlenfeuer glühendes Gesicht hatte, immer aufs neue flüsterte: »Schneller! Schneller!« Dieser Wunsch entsprang zum größeren Teile gewiß der Sorge um den Vater. Aber es sprach dabei auch die Sehnsucht mit, so schnell wie möglich diesem nicht völlig passenden Sattel zu entrinnen. Das edle Fräulein von Puechstein saß augenscheinlich ein bißchen unbequem. Denn erstens – obwohl der Lien sie mit einem Arm von stählerner Unbeweglichkeit sicher vor dem Sturz behütete – rutschte sie immer seitwärts hin, so daß der Schäfer unablässig lupfen und nachhelfen mußte. Und zweitens war dieser Sattel eine sehr bucklige Sache, dazu noch eine höchst unruhige, weil Lien immer fest mit den Knien zu arbeiten hatte, um den ungebärdigen, der doppelten Last schon überdrüssigen Gaul zu bezwingen und für sich selbst den verläßlichen Sitz zu erkämpfen. Und weil er seine ganze Aufmerksamkeit den immer schwieriger zu behandelnden Pferden zuwenden mußte, konnte er nicht bemerken daß seine Schutzbefohlene mancherlei Dinge als nicht ganz behaglich empfand.



Alles an dem edlen Fräulein von Puechstein wehte und flatterte: das Kleid, die Löcklein und dazu die Schwanenfedern des Hutes, der ihr in den Nacken geglitten war und mit seinem straffgespannten Sturmbändel den Atem des seinen Hälsleins hart zu behindern schien. Mehrmals versuchte Hilde, den baumelnden Hut zu haschen; doch bevor sie ihn erwischen konnte, mußte sie wieder einen flinken Griff machen, um sich bei der Unsicherheit des Sitzes verläßlich am Lien zu verankern. Anfänglich hatte ihr, wenn sie so kräftig zugreifen mußte, immer ein bißchen gegraust. Man weiß doch, daß Schäfer und ähnliche Leute sich nicht auszuzeichnen pflegen durch absonderliche Sauberkeit. Hilde merkte aber dennoch bald, daß sie mit solchem Verdachte diesem Schäfer unrecht tat. Und weil sie nicht wußte, daß sie glücklicherweise den Lien gerade ein paar Stunden nach seiner gründlichen Wochenreinigung erwischt hatte, verallgemeinerte sie die Beobachtung dieser günstigen Minuten und kam zu der Überzeugung, daß Lien ein Mannsbild von seltener Reinlichkeitsliebe war und sehr gut nach Heideblumen und menschlicher Gesundheit roch. Und seit er Schäfer geworden, mußte er ausgiebig gewachsen sein; das Gewand war ihm eng geworden; wo man es fassen mußte, bekam man auch ein lebendiges Stück des Lien als Dreingabe. Und gar nicht kitzlig war er. Während Hilde jeden notwendigen Druck seines Armes mit wachsender Reizbarkeit, mit einer wunderlichen Mischung von Sicherheitsgefühl und Mißvergnügen zu spüren begann, schien es der Lien kaum zu beachten, wenn sich das edle Fräulein an ihm festklammern mußte mit beiden Händen.

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