Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

6. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Auf dem erschöpften Goldfuchs erreichte Lien im schwindenden Rotglanz des Abends den breiten und tiefen Graben, den der Bergbach durch die Hügel des Seeforstes gerissen hatte. Seine Sperberaugen fanden gleich die Fährte des Puechsteiners und seiner Geleitsleute. Beim Sprung in den rauschenden Bach spritzte das weiße Wasser hoch über den Reiter hinauf. Drüben, auf dem lehmigen Steilberg, drohte die Stute niederzubrechen. Der Schäfer sprang ab und hielt das Pferd in der Höhe. »Wie, Rössl, sei noch gescheit ein lützel!« Ein paar Sprünge, und die beiden waren droben. Auf dem festen Moosboden schnellte sich Lien wieder auf den Gaul und trabte unter dem glühenden Himmel mit Lauschen und Spähen in den dämmernden Wald hinein. An den Hufrissen auf dem Grund, an geknickten Zweigen und gewendeten Birkenblättern erkannte er immer den Weg, den die Puechsteinischen genommen hatten.



Der Wald wurde schütter. Lien konnte hinüberschauen zum anderen Rand des Bachgrabens und sah da drüben die grobmaschigen Wehrnetze stehen, mit weißen Flattertüchern, »Ei, guck, die Wildschnapper Hetzen wie ritterliche Herren!« Nun ritt er vorsichtig und langsam, sich immer deckend. Das tat er nicht aus irgendeinem klugen Gedanken. Er tat es, ohne zu wissen, warum – weil er einer von jenen Menschen war, die immer das Richtige tun müssen, bevor sie darüber nachdenken.



Da drüben hinter dem Wehrnetz, das vom glühenden Himmel einen roten Schimmer hatte, tauchten flüchtende Rehe auf und verschwanden wieder. Ein Fuchs schnürte windend am Netz entlang. Bockelnde Hasen stellten sich zu unbewegt lichen Männchen auf, wurden wieder rührsam und sausten davon. Ein Mannsbild erschien und tauchte hinter einen Moosbuckel. Immer näher klangen die Steckenschläge an den Bäumen und die näselnden Huplaute der Zutreiber, die schon in dichter Kette zu gehen schienen. Wirres Geschrei und Gelächter. Und ein Hirsch mit noch unfertigem Bastgeweih übersetzte in herrlicher Flucht das Netz, das nach den Landesgesetzen »nit höcher als eines gutgewachsenen Mannes Scheitel« sein durfte – nur so hoch, daß es die Hirsche noch überspringen konnten, die den Wildbretschüsseln des niederen Adels entzogen und dem Jagdrecht des Herzogs und der Bischöfe vorbehalten waren.



Von solchen Weidwerksbräuchen wußte der Schäfer nichts. Drum plagte ihn auch kein Gedanke, der mit den Wunderlichkeiten dieser Stunde hatte rechnen müssen. Er sah die prachtvolle Flucht des Hirsches, sah das Wassersprühen im Bach, sah dag edle Tier heraushetzen über den Steilhang – und das war eine so schöne Sache, daß Lien für einen herzklopfenden Augenblick nicht nur des Herrn von Puechstein, sondern auch aller Rehlein und Hasen des edlen Fräuleins völlig vergaß. Auch mußte er die Stute, die beim Vorüberprasseln des Wildes zu scheuen drohte, fest zwischen die Knie nehmen.



Als der Hirsch im Dickicht verschwunden war, lachte der Lien ein bißchen. Doch plötzlich wurde er wieder ernst und streckte lauschend den Kopf. Aus einer nahen Senkung des Waldes meinte er eine knirschende Stimme vernommen zu haben, wie Herr Korbin von Puechstein sie hatte, wenn er zornig war.



Der Schäfer glitt von der Stute herunter und huschelte sich flink mit dem Gaul durch die Stauden. Er kam zu einem steilen Abhang. Und da drunten, auf der anderen Seite des Baches, vor einer aus den Waldhügeln flach in den Wassergraben herauslaufenden Sunke, war zwischen den Flanken der Wehrtücher der ausgebauchte Sack des Fangnetzes an Stäben aufgestellt. Viele Rehe und Hasen zappelten schon in den engen Maschen, und immer neue wurden von der herandrängenden, aber noch unsichtbaren Treiberkette in den hänfenen Tod gesprengt. Grüngekleidete Jägerknechte und einer, der in herrischer Weidmannstracht auf einem Rappen mit flatterndem Schweifbusch und wehender Mähne saß, stachen unter fröhlichem Geschrei mit ihren langen Jagdspeeren in die von Leben wimmelnden Maschen des Netzes hinein. Die sinkende Dämmerung umwob dieses Bild mit ihren grauen Schleiern.



Nahe vor dem Lien, hinter den Stauden der Waldsenkung, klang jene knirschende Stimme wieder: »Gotts Not und Elend! Die stechen dem Melcher das ganze Gewild zuschanden. Da kann ich auf Beistand nimmer harren. Wir müssen das Netz in Fetzen schlagen. Los!«



Fünf Reiter rasselten gegen den Bach hinunter, voraus Herr Korbin von Puechstein mit geschwungenem Eisen. Das Wasser spritzte unter den zwanzig Hufen. Drüben ein wirres Gebrüll, ein Zusammenlaufen der Jägerknechte, ein Vorwerfen der blinkenden Spießklingen. Und im dunkeln Wald das Steckenklopfen und das näselnde »Hup hup!« der anrückenden Treiber.



Allen Lärm überschrillte die stahlharte Stimme des Puechsteiners: »Kerl, du! Schänder deines adligen Wappens! Was tust du da?«



»Was ich als Herr und Edelmann schon allweil getan hab!« klang es mit höhnendem Lachen aus einer groben Kehle. »Und was nach Brief und Siegel mein Recht ist.«



»Nit Edelmann und Herr! Ein hundsföttischer Wildräuber bist du! Leut! Schmeißet dem Kerl das Diebsnetz über den Haufen!« Bei diesen Worten begann Herr Korbin mit dem blanken Eisen auf die Spannstränge des Fangnetzes einzuschlagen. Seine Leute taten es ihm nach. Die Wehrtücher hüpften auf und pluderten auseinander. Die Holzstäbe zersplitterten, der mit zappelndem und erstochenem Wild angefüllte Sack des Fangnetzes wälzte sich über den Boden hin, die noch lebenden Tiere wurden frei, viele rannten frisch und gesund davon, manche mußten wanken und humpeln.



Als aus dem niedergerissenen Fangnetz die Garbe des befreiten Wildes auseinandergestoben war, hatte Lien über diese possierliche Sache lachen müssen. Doch beim Anblick der vielen täppelnden Invaliden eines üblen Weidwerks wurde er von Erbarmen und Zorn befallen. Dabei gewahrte er, daß der Grüngekleidete auf dem Rappen seinen langen Jagdspeer fällte und gegen den Puechsteiner losrannte. In dem heißen Schreck, der den Schäfer um des edlen Fräuleins willen befiel, mußte Lien nun abermals etwas tun, ohne vorher zu denken. Ein flinker Schippenschwung. Der faustgroße Steinbrocken, den der Schäfer aus dem Boden gestochen hatte, sauste pfeifend durch die Luft. Und in dem Augenblick, als Peter von Seeburg dem Puechsteiner den Jagdspeer zwischen die Herzrippen bohren wollte, machte der Angreifende einen sonderbaren Tunker über den Sattel hinaus. Die Speerspitze glitt nach abwärts, zerschnitt noch das Schenkelfleisch neben den stählernen Beinplatten des Herrn Korbin und viel zu Boden. Der Seeburger, dem ein dunkler Blutguß über die rechte Wange herunterfuhr, stürzte seitwärts aus dem Sattel, wie von einem unsichtbaren Blitz erschlagen, und lag gleich einem unbeweglichen Stück Holz auf der Erde, während der reiterlos gewordene Rappe davonsauste.



Herr Korbin, durch die kreischenden Zurufe seiner Leute gewarnt, hatte den Gaul herumgerissen, um sich zu schützen. Er brauchte keinen Streich mehr zu machen, alle Arbeit zur Wahrung seines Lebens war getan. Ein bißchen verwundert senkte er das Eisen, sah zu dem Unbeweglichen hinunter, in dessen blassem, von Blutfäden überronnenem Gesicht er den Tod erkannte, und sagte mit ruhigem Ernst: »Peter Seeburg! Heut hast du bei deiner unheiligen Sonntagsjagd einen kalten Hasen gefangen. Den kann dir auch eines Bischofs geschickter Koch nimmer aufwärmen. Gott soll dir gnädig sein da droben im Himmelreich, nach dem du wohl nit mit christlichem Willen getrachtet hast!«



Die Leute des Seeburgers hatten unter Zorngeschrei einen Angriff wider die Puechsteinischen unternommen. Doch als sie ihren Herrn so wunschlos auf dem rotgefärbten Moosboden liegen sahen und das Eisengeklirr der drei Schwergewaffneten vernahmen, die mit dem Trutzbergischen Jäger durch den Bachgraben heranjagten, fühlten sie sich in der Minderzahl, bekehrten sich zu klagendem Frieden und versuchten den Erschlagenen vom Boden aufzurichten.



Herr Korbin gebot ihnen: »Tragt ihn heim zu seinem fürsichtigen Bruder, der heut am Sonntag lieber gebetet hat, als daß er die Butterhasen des Melcher hetzte. Eure Waffen bleiben am Fleck. Für das erstochene Gewild wird sich der Trutzberger bei euch bedanken, weil ihr ihm eine Jägermüh erspart habt. Das Netzwerk pfänd ich. Macht, daß ihr weiterkommt! « Den hörigen Treibleuten brauchte, der Puechsteiner das gleiche nicht zu befehlen. Die waren schon im Zwielicht des Waldes wie graue Schemen verduftet. Ganz schweigsam war es im Seeforst geworden. Man hörte außer dem Rauschen des Bergwassers nimmer viel.

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