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Ludwig Ganghofer

Gewitter im Mai

Die Mühle am Fundensee

eingestellt: 18.7.2007





Gegen Westen, jenseits der dunklen Massen des Kranzgebirges und der Palfenhörner, standen am nachtblauen Himmel noch mit sanftem Schein die Sterne, während sich im Osten zwischen tiefgesenkten Felsenscharten schon der erste fahle Schimmer des werdenden Septembertages zeigen wollte.



Höher und höher zog das aufdämmernde Licht. Stern um Stern erlosch. In mattem Glänze tauchten die steilen Kuppen aus dem weichenden Dunkel hervor. Kleine, langgestreckte Wolken säumten sich schon mit blassem Rot, leise rauschend erwachte der Morgenwind, und tief im Tal begannen sich die schweren Nebel zu heben.



Auch auf der schroffen Höhe des Stuhljochs, eines kahlen Ausläufers der Fundensee-Tauern, entwirrte das steigende Licht die hundertfältigen Konturen der klotzigen Steine. Und nun behauchte das flimmernde Frührot den Felsblock, der als höchster über seinen Brüdern thronte. Ihm zu Füßen saß ein junger Jäger. Quer im Schoße lag ihm die Büchse, und die beiden Arme hielt er um die aufgezogenen Knie geschlungen. Das hagere, bartlose Gesicht war gebräunt, doch blaß, mit schmalen, trockenen Lippen. Ein rötlich blondes Haar quoll in schlaffen Strähnen unter dem dunkelgrünen Hut hervor. Der Jäger rührte sich nicht. Nur in seinen Augen war Leben. Das waren große, dunkle Augen, in denen ein heißes, unruhiges Feuer brannte. Zu dem furchtlosen Blick dieser Augen, die dem Gesicht einen kraftvollen Ausdruck gaben, bildete das Knabenhafte der schmalen Wangen und das runde, sanfte Kinn einen seltsamen Widerspruch. Aus diesem Gesicht redeten eine leidenschaftliche Seele und ein weiches, kindliches Herz.



Immer höher stieg der Tag. In langen, farbigen Bändern schwamm das Licht der nahenden Sonne über den Himmel empor. Alle Spitzen waren in rosige Glut getaucht. Und während durch die mächtige Felsenscharte des Wildtores die übergossene Alm herüberblickte wie ein regungsloser Blut-See, deckten violette Tinten die wellige Fläche des Steinernen Meeres.



Schon senkte sich das farbige Frühlicht in das von terrassenförmigen Höhen umschlossene Almental, das, zweitausend Meter über dem Meer, inmitten eines langgestreckten, grünen Weidelandes ein tiefes Becken bildet, in dem der Fundensee seine grünblauen, geheimnisvollen Fluten sammelte.



Graue Nebel dampften von dem stillen Spiegel auf. Je höher sie stiegen, desto leichter wurden ihre Formen. Sie färbten sich violett und wogten im Streit des Morgenwindes hin und her, bis sie in den Lüften zu rosigem Dunst verflossen.



Auf der Kuppe des Stuhljoches saß der junge Jäger noch immer unbeweglich zu Füßen der rotglühenden Steinzinne. Seine Augen hatten keinen Blick für die Schönheit des Morgens. Wohl glitten sie unter den häufig blinzelnden Lidern ruhelos umher, alles Sichtbare überhuschend. Aber das waren nicht Blicke, welche sehen wollten – es waren ziellose Blicke von jenem unbestimmten Ausdruck, wie sie ein gespanntes Lauschen unterstützen.



Nun schwellte ein tiefer, stockender Atemzug die Brust des Jägers. Langsam hob er die Hand und rückte den Hut. Geräuschlos richtete er sich auf, warf die Büchse hinter die Schulter, faßte den am Felsen lehnenden Bergstock und wollte gehen. Aber da stand er wie zu Stein geworden – auf der ihm gegenüberliegenden Felsenhöhe des Klunkerers war ein Schuß gefallen.



Vorgeneigten Halses lauschte der Jäger dem verrollenden Echo. Sein Gesicht war fahl, seine Hände zitterten, und über die zuckenden Lippen klang es in zornbebenden Worten: »Wieder! Und wieder der gleiche Hall! Und wieder da, wo i net bin!«



Noch eine Weile stand er so, als wär ihm die Gewalt über seine Glieder entflohen. Dann reckte er die schlanke, sehnige Gestalt, hob drohend die Faust und stürmte den felsigen Hang hinunter.



Er gelangte auf einen schmalen Wildpfad, zu dessen linker Seite die nackten Wände steil abfallen in eine Schlucht von schwindelnder Tiefe, in die »Pflaumscharte«, aus der, dem Stuhljoch gegenüber, das zackige Geschröff der Hochscheibe emporsteigt in die Lüfte. Sonst, wenn der Jäger auf stiller Pirsch diesen schmalen, gefährlichen Pfad einherstieg, setzte er achtsam Fuß vor Fuß, häufig mit der Hand an vorspringenden Steinen sich stützend. Nun aber sprang er auf diesem Wege mit tollkühner Eile zu Tal, als träte sein Fuß die breite, sichere Straße. Unter seinen klirrenden Sohlen brachen die Steine und schlugen prasselnd in die Tiefe. Und manchmal bewahrte nur diese stürmende Eile den Jäger vor dem Sturz.



Auf dem Felsgehänge sprang ein Gemsbock aus schartigem Versteck und flüchtete über das rappelnde Geröll der Höhe zu. Der Jäger achtete des Tieres mit keinem Blick – galt es doch für ihn, ein anderes Wild zu jagen, galt es doch die Jagd auf einen Räuber, dessen tückisches Treiben seit Wochen die Qual seiner Tage und die Pein seiner Nächte war.



Rastlos stürmte er vorwärts. Keuchend ging sein Atem, in dicken Perlen rann ihm der Schweiß über die hohlen Wangen, über den nackten Hals, und die Haare klebten an seinen Schläfen.



Da zerschnitt eine breite Felsenschrunde seinen Pfad. Er sprang. Und stürmte weiter. Was kümmerte ihn die Gefahr! Hier stand etwas auf dem Spiel, das ihm mehr galt als sein armseliges Leben: seine Ehre, seine Jägerehre!



Jener Schuß – das war der neunte gewesen in diesem Sommer.



Seit Wochen hatte er sich keine Ruhe gegönnt vom frühen Morgen bis zum Abend. Vergebens. Den Schlaf seiner Nächte hatte er geopfert. Umsonst. Wohl hatte er bald die Rotfährte, bald den Aufbruch des geraubten Wildes gefunden, doch nie eine Spur des Diebes. Die Blässe seiner hohlen Wangen, der heiße Brand seiner Augen, kränkende Mißachtung von Seiten seiner Dienstgenossen und die mit Entlassung drohenden Vorwürfe seines Försters – das war bisher der einzige Erfolg seiner nie ermüdenden Mühe.



Als der Jäger den gefahrvollen Pfad überwunden hatte, warf er sich mit der nach Atem ringenden Brust zu kurzer Rast über einen moosigen Steinblock. Und wieder stürmte er weiter, hinunter über das grobe Geröll des Stuhlgrabens, bis er das Weideland der auf der höheren Hälfte des Fundenseetales liegenden Feldalm erreichte.



Hier blieb er in gedeckter Stellung und überflog mit brennendem Blick die spärlich bewaldete Höhe des ihm gegenüberliegenden Klunkerers. Dort oben rührte sich keine Spur von Leben. Nur Steine sah der Jäger, magere Fichten und von Latschen überwuchertes Felsgehäng.



Jeden Block, jede Rasenwölbung und jeden Busch als Deckung nutzend, huschte er über das Weideland, der Richtung zustrebend, in der er den Hall des Schusses vernommen hatte.



Jetzt erreichte er das unterste Gestrüpp des Berghanges. Schwer atmend schob er den Bergstock unter eine Föhrenstaude. Mit zitternden Händen spannte er den Hahn der Büchse und stieg lautlos der Höhe zu.



Eine Stunde verrann. Er fand weder die rote Schweißfährte eines Wildes, noch die Spur eines menschlichen Fußes.



Als endlich die Sonne mit ihrem weißen Lichte vollends emportauchte über die fernen Berge, schwand dem Jäger der letzte Rest seiner Hoffnung auf Erfolg.



Der Schütze, der jenen Schuß getan, konnte lange schon über der nahen Grenze sein. Denn daß es einer von da drüben war, einer von den Tiroler Viehhirten des Steinernen Meeres, das stand in des Jägers Meinung wie beschworen.



Die Tränen eines ohnmächtigen und schmerzenden Zornes traten ihm in die Augen, als er müde hinunterstieg ins Tal. Während des Abstieges peinigten ihn die Gedanken an den Empfang, der ihn im Forsthaus erwartete, wenn er am Abend hinunterkäme, um diesen neuen Schuß zu melden.



Schon hatte er das Almental erreicht und wanderte, nachdem er seinen Bergstock wieder hervorgesucht, über den sanft geneigten Weidehang dem See entgegen.

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