Ludwig Uhland
Gedichte
Der Königssohn
eingestellt: 10.6.2007
1 | |
Der alte, graue König sitzt Auf seiner Väter Throne; Sein Mantel glänzt wie Abendrot, Wie sinkende Sonn die Krone. »Mein erster und mein zweiter Sohn! Euch teil ich meine Lande. Mein dritter Sohn, mein liebstes Kind! Was laß ich dir zum Pfande?« »Gib mir von allen Schätzen nur Die alte, rostige Krone! Gib mir drei Schiffe! so fahr ich hin Und suche nach einem Throne.« | |
2 | |
Der Jüngling steht auf dem Verdeck, Sieht seine Schiffe fahren, Die Sonne strahlt, es spielt die Luft Mit seinen goldnen Haaren. Das Ruder schallt, das Segel schwillt, Die bunten Wimpel fliegen, Meerfrauen mit Gesang und Spiel Sich um die Kiele wiegen. Er spricht: »Das ist mein Königreich, Das frei und lustig streifet, Das um die träge Erde her Auf blauen Fluten schweifet.« Da ziehen finstre Wolken auf Mit Sturm und mit Gewitter. Die Blitze zucken aus der Nacht, Die Maste springen in Splitter. Und Wogen stürzen auf das Schiff, So wilde, Bergen gleiche; Verschlungen ist der Königssohn Samt seinem lustgen Reiche. | |
3 Fischer | |
Versunken, wehe, Mast und Kiel! Der Schiffer Ruf verschollen! Doch sieh! wer schwimmet dort herbei, Um den die Wogen rollen? Er schlägt mit starkem Arm die Flut Und fürchtet die Wellen wenig, Trägt hoch das Haupt mit goldner Kron, Er dünkt mir wohl ein König. | |
Jüngling | |
Ein Königssohn, mir aber ist Die Heimat längst verloren. Erst hat die schwache Mutter mich, Die irdische, geboren: Doch nun gebar die zweite Mutter, Das starke Meer, mich wieder. In Riesenarmen wiegte sie Mich selbst und meine Brüder. Die andern all ertrugens nicht, Mich brachte sie hier zum Strande. Zum Reiche wohl erkor sie mir All diese weiten Lande. | |
4 Fischer | |
Was spähest du nach der Angel Von Morgen bis zur Nacht, Und hast mit aller Mühe doch Kein Fischlein aufgebracht? | |
Jüngling | |
Ich angle nicht nach Fischen, Ich sah in Meeresschacht, Wohl jeder Angel allzutief, Viel königliche Pracht. | |
5 | |
Wie schreitet königlich der Leu! Schüttelt die Mähn in die Lüfte. Er ruft sein Machtgebot Durch Wälder und Klüfte. Doch werd ich ihn stürzen Mit dem Speer in starker Hand, Um die Schultern mir schürzen Sein Goldgewand. Der Aar, ein König, schwebet auf, Er rauschet in Wonne, Will langen sich zur Kron herab Die goldne Sonne. Doch in den Wolken hoch Soll ihn fahen und spießen Mein geflügelter Pfeil, Daß er mir sinke zu Füßen. | |
6 | |
Im Walde läuft ein wildes Pferd, Hat nie den Zaum gelitten, Goldfalb, mit langer, dichter Mähn, Schlägt Funken bei allen Tritten. Der Königssohn, er fängt es ein, Hat sich darauf geschwungen, Es bläht die Brust und schwingt den Schweif, Kommt wiehernd hergesprungen. Und alle horchen staunend auf, Die in den Tälern hausen. Sie hörens vom Gebirge her Wie Sturm und Donner brausen. Da sprengt herab der Königssohn, Umwallt vom Fell des Leuen, Des wilden Rosses Mähne fleugt, Die Hufe Feuer streuen. Da drängt sich alles Volk herzu Mit Jubel und Gesange: »Heil uns! er ists, der König ists, Den wir erharrt so lange!« | |
7 | |
Es steht ein hoher, schroffer Fels, Darum die Adler fliegen, Doch wagt sich keiner drauf herab, Den Drachen sehen sie liegen. In alten Mauern liegt er dort, Mit seinem goldnen Kamme, Er rasselt mit der Schuppenhaut, Er hauchet Dampf und Flamme. Der Jüngling, ohne Schwert und Schild, Ist keck hinaufgedrungen, Die Arme wirft er um die Schlang Und hält sie fest umrungen. Er küßt sie dreimal in den Schlund, Da muß der Zauber weichen, Er hält im Arm ein holdes Weib, Das schönst in allen Reichen. Die herrliche, gekrönte Braut Hat er am Herzen liegen, Und aus den alten Trümmern ist Ein Königsschloß gestiegen. | |
8 | |
Der König und die Königin, Sie stehen auf dem Throne, Da glüht der Thron wie Morgenrot, Wie steigende Sonn die Krone. Viel stolze Ritter stehn umher, Die Schwerter in den Händen, Sie können ihre Augen nicht Vom lichten Throne wenden. Ein alter, blinder Sänger steht, An seiner Harf gelehnet, Er fühlet, daß die Zeit erschien, Die er so lang ersehnet. Und plötzlich springt vom hohen Glanz Der Augen finstre Hülle. Er schaut hinauf und wird nicht satt Der Herrlichkeit und Fülle. Er greifet in sein Saitenspiel, Das ist gar hell erklungen, Er hat in Licht und Seligkeit Sein Schwanenlied gesungen. |
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